COPYRIGHT NOTICE: The content of this website, including text and images, is the property of The Nietzsche Channel. Reproduction in any form is strictly prohibited. © The Nietzsche Channel. Die poetischen Leistungen W. Pinders.1
Versuch einer Kritik.
Der Germania vom Chronisten 1862-63.2
FW Nietzsche
[Juni 1863]
Nachdem wir die musikalischen
Erzeugnisse unsrer Germania betrachtet haben, wenden wir
uns zu den poetischen. Hier mag W. Pinder den Reigen
eröffnen, der in dem musikalischen Wettstreit blos eine
Zuschauerrolle spielte. Ueber seine erste poetische
Einsendung vom Januar 61 des Seemanns Begräbniß im
Norden erinnere ich mich schon
brieflich einiges bemerkt zu haben. Auch die
Februarslieferung, eine Uebersetzung der Großmutter von
V. Hugo3 und der Johann[a] von Delavigne,4 soll
uns nicht lang aufhalten. Durch den engen Anschluß an
die Originale waren beide schwerfällig und ungeschickt
geworden und hier und da von höchst mißfälligen
Phrasen entstellt. Eine Uebung aus dem Französischen ins
Deutsche zu übersetzen und aus deutscher Prosa schlechte
Reime zu machenwenn das ein Verdienst ist, so ist
es ein geringes, wenn gleich die Mühe weit größer als
der Erfolg gewesen sein mag. Im April erschien wieder
eine Uebersetzung zweier mittelhochdeutscher Gedichte,
offenbar eine höchst flüchtige Arbeit, an der
eigentlich nur die gegen spätere Leistungen abstechende
kalligraphische Kunst des Verfassers zu loben ist. Hinten
dh. auf der letzten Seite der Lieferung will der Dichter
nicht einseitig werden, was ein frommer Wunsch ist und will der geehrten
Leser auf ein ganz anderes Gebiet führen, das die
Prometheussage behandelt und nur auf den poetischen
Erguß eines Augenblicks Anspruch macht. Was diese wahrhaft babylonische
Begriffsverwirrung für Gedanken im Hintergrunde hat, ist
mir ein Räthsel, wie der Sinn des folgenden Gedichts. So
viel ist mir klar, daß es nicht der Erguß eines
poetischen Augenblicks ist, aber daß sein
Prometheussagengebiet der poetische Erguß eines
Augenblicks solldas muß ich stark bestreiten. Ich
erlaube mir bur zu bemerken, daß die Griechen diese Sage
erfunden haben, obgleich W. Pinder darauf Anspruch macht
oder zu machen scheint. Sodann deucht mich auch der
Ausdruck poetischer
Erguß eine Hyperbel oder eine
poetische Fiktion. Das Gedicht führt uns allerdings in
ein andres Gebiet als die griechische Sage. O Mensch wird Prometheus angeredet, was sich dieser
stark verbitten würde. Wie ist dein stolzer Mut
gefallen! Dies Wort beweist
des Verf[assers] Unkenntniß der Sage. Der tiefe Gedanke
Dem
Schuldigen wird heißer Schmerz bereitet,
Ihm, der mit Zeus gebrochen hat den Bund
wird durch den mystischen Schlußvers
noch gehoben
Noch immer
schlägt mit seinen düstren Schwingen
Der Geier um sein gramgebleichtes Haupt.
Wann wird der Pfeil, der schnelle, ihn durchdringen
Der ihm den giftgen Lebensodem raubt!
Hiebei hat sich wohl der Dichter
gehoben von den düstern Schwingen eines poetischen
Augenblicks an sein reimgeplagtes Haupt geschlagen.
Für November 1861 wurde von ihm nachgeliefert Preußens Flotte, vorgetragen am Krönungstage und Kampflied der
Kreuzfahrer in Palaestina vorgetragen am Bücherfest 1862. Beide machen im
Ganzen einen günstigen Eindruck und dokumentieren des
Verfassers Preußenthum und fromme Gesinnung
hinlänglich. Im ersten Gedicht ist Stern der Rettung Phrase ebenso Schlachtenbanner wanken. Auf hohem Rand kommen keine Franken. Der alte
Seemann weint, wie sentimental! Also untergegangne
Schiffe tauchen auf und das soll dann eine preußische
Flotte sein! Dann wären allerdings die Flottensammlungen
ziemlich unnütz. Ich will eurem Todesröcheln
rauschen ein wahrhaft
großartiger Unsinn! Der letzte Vers ist voll falschen
Pathos. Solche Wunder, wie der Dichter entwickelt,
pflegen nicht mehr zu geschehn, aber der Dichter scheint
sie doch sehnlich herbeizuwünschen, weil
dannNationalvereine überflüssig wären.
Im andern Gedicht ist Begeisterungsbrand Phrase. Wer wollte hier feige verzagen trivial. Mitunter sind Gesangbuchsreminiszensen
gut benutzt. Drachenbrut ungeheuerlicher Daktylus. Trotz der pathet[ischen] Anstrengung ist das ganze doch etwas matt.
Für Juni 1862 Liebesträume, aber (leider!) nur Träume. von W. Pinder. 9
Gedichte. Im ersten ist der
erste Vers alltäglich, der zweite ohne warme Empfindung. Strahlenketten? eine sonderbare, aber unglückliche
Idee. Im dritten Vers tritt der Gegensatz gut hervor das
Bedürfniß, der Ketten sich zu entledigen und die Wonne,
sie doch zu haben.
Das zweite ist eine Ausführung des Strahlenthemas. Nicht
zu verwundern, wenn W. P. beim Anblick solcher Meteore
blind wird. Abendrot
auf den Wangen? Das ist gerade
keine Schmeichelei. Auf der Nase scheint die Mittagssonne
zu sitzen.
Das dritte. Aus welchem Flutengrab entsteigen die
tanzenden Gefühle? Man stelle sich einen Berauschten vor
auf Träumen fahrend, über sich auf rosigen Wolken
jemand sehend und auf Sehnsuchsfittigen dann auffahrend. In den Winden nur sie
zu hören das ist sehr windig. In allen
Blumen nur ihre Spur zu finden eine sonderbare und unerquickliche Vorstellung.
Das vierte ist eine durchaus verfehlte Parodie von
Goethes Fischer,5 trivial im höchsten Grad, durch die das
Edelste in den Staub gezogen erscheint.
Im fünften kommt wieder einmal Amors Pfeil. Der Wind,
der Grüße bringt von ihr kühlt die Wunden? Das scheint
mir ein Widerspruch. Das Ganze tändelnd, ohne innern
Zusammenhang.
Das sechste. Der Verfasser spricht von einem unklaren
Gefühl es
war mir leider selber nicht bewußt. Soll das Selbstironie sein? Am Schluß ein
altes Bild, aber hier nur verfehlt.
Das siebente mit dem Rosengarten erfüllt mich mit Unmut,
da die Unwahrheit des Gefühls auf jeder Zeile liegt. Der
Schluß ist eine matte Nachahmung Heines.6
Das achte. Das Versmaß ist nicht richtig und hat keinen
Tonfall. Vöglein
und Flügelein zu tändelnd.
Das neunte eine Nachahmung der Lotosblume7 von Heine. Man
vergleiche nur die prosaische Ausmalerei mit jener
entzückenden Poesie!
Das Ganze betrachte ich als eine Uebung im
Schreiben und Reimen. Die Nachahmung eines nicht
empfundnen Gefühls und zwar eines so edlen wie die Liebe
ist, rächt sich stets. Eine etwas größere
Formgewandheit ist darin, aber bei so lottrigen Metren
und seltenen Reimen müßte alles viel exakter sein.
Ich komme zu der letzten poetischen Einsendung meines
Freundes und auch zu seiner bei weitem gelungensten, dem
Tode Rolands. Was das Formelle betrifft, so ist der
Gebrauch der Anapästen für Jamben entschieden etwas
einzuengen. Das ganze Versmaß bekommt so etwas
schwankendes und tanzendes, wenn beinahe jede Zeile einen
oder zwei Anapästen hat. Eine kleine Uebersicht der
Lieblingsreim[e] will ich dem Verf[asser] geben, damit er
sie fernerhin etwas meidet. rot, loht, Tod, droht. geben,
leben, erheben. Wellen, schwellen, quellen. Hand, Brand,
Strand. stehen, wehen. Schaar, klar. Tagen, ragen,
tragen. Strahl, Thal. Sonne, Wonne. Blut, Glut. zusammen,
Flammen usw. Fast alle diese
Reime kommen zwei, dreimal vor. In hundert vierundvierzig
Zeilen hat W. P. nur 46 verschiedene Reime.
Brausend brandende Wellen, ein unangenehmer Wort-Luxus. Der goldne Friede
schwingt die Palme ist eine
Phrase. Die Ahnung die bange hat nicht gelogen etwas zu
matt für die Stelle. König Marsilius Schaaren rücken
heran der Vers ist kaum lesbar. Von den flammenden
Pfeilen der Blicke erreicht eine auffallende Hyperbel.
Das schwarze Verhängniß stimmt nicht zu der
christlichen Anschauung jener Zeit. Geierschaaren kennt die Ornithologie nicht. Ein Stern der
Hoffnung ist aufgegangen und zugleich eine Phrase. Der
Reim eigen und reichen und der Ausdruck geborgt
verunzieren etwas den schönen Schlußvers. Das
Ganze ist voll Feuer und Leben und wird bei der
Gelegenheit, zu der es bestimmt ist, seine Wirkung nicht
verfehlen.
Im Allgemeinen ist der Fortschritt sowohl in poetischer
Form und im Gedanken unverkennbar. Das, was W. Pinder
anhaftet und ihm ein rein lyrisches Produkt kaum gelingen
läßt, ist eine gewisse Trockenheit des Gefühls, eine
gewisse Unflüssigkeit der Phantasie und nicht genügende
Durchbildung der Form, zu der ich ihm die neuesten
Dichter nicht genug empfehlen kann. Nur ein eifriges
Lesen derselben, eigne Uebungen können allmählich den
Takt und die Zuversicht geben, die Phrase ganz zu meiden
und einen ansprechenden Gedanken in ein weiches,
faltiges, schön geordnetes Gewand zu hüllen.
Fußnoten s. English Translation.
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