Unpublished Works | Die Gestaltung der Sage vom
Ostgothenkönig Ermanarich bis in das 12te Jahrhundert.

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Die Gestaltung der Sage vom Ostgothenkönig
Ermanarich bis in das 12te Jahrhundert.


Herbst 1863.


I
Einleitung.

In der grossen sarmatischen Tiefebene, die nur gegen Sibirien hin von Asien abgetrennt erscheint, sonst aber durch die Verbindung der kaspischen und der turanischen Tiefländer gerade nach den ältesten Sitzen und Wohnstätten der Menschheit ihre Thore öffnet, haben sich seit unvordenklichen Zeiten eine Menge Völker in buntem Wechsel, den verschiedenartigsten Stämmen und Sprachen angehörig, bald im Kampf miteinander, bald im freundlichen Einverständniss zusammengefunden, deren Namen kaum uns einen Schluss auf ihren Ursprung machen lassen, die sonst grösstentheils kamen und giengen oder sich in einer andern Nation verloren, fremd für die Geschichte und ohne Einfluss auf die Geschicke der gebildeten Völker. Grösstentheils sage ich, denn allerdings sind mehr als einmal gerade durch diese weiten Ebenen Völker aus dem Innern Asiens durchgedrungen, die die ganze übrige Welt bedrohten und mit ihren Horden zu überschwemmen begannen. Und gerade diese haben es veranlasst, dass in diesem Tiefland, wie die Natur hier alle Farbenwechsel üppiger Vegetation bis zu erstarrender Einöde durchläuft und die milde Luft Italiens, die Früchte des Südens, die Wälder Deutschlands und Sibiriens Kälte in sich vereinigt, die Völker der verschiedensten Völkerfamilien sich unter das Joch eines mächtigen Eroberers beugten und an dessen Siegeswagen gefesselt, zerstreut und zersprengt, ihrer Sprache und Sitte verlustig, bald völlig unter den herrschenden Völkern verschwanden. Und wenn so alles ordnungslos und zufällig hier durcheinander gegangen zu sein scheint: so bietet uns die Natur der Ebene wieder die Gesichtspunkte, unter denen wir die Hauptrichtungen dieser Völkerzüge erkennen. Im Allgemeinen ist nämlich, je weiter man sich dem uralischen Gebirge nähert, die Nähe Sibiriens und seiner Kälte zu empfinden, und daraus erklärt sich leicht, wie aus dem Osten aus den Ebenen Turans die Völker immer weiter zogen nach wärmeren Klimaten. Dies im Allgemeinen; jedoch ist der Unterschied unermesslich zwischen den Gegenden am schwarzen Meer, die im Frühling einem Blumengarten gleichen, im Sommer zur öden Steppe verdorren: und jenen nördlichen Gestaden des Eismeeres, den traurigen Wohnsitzen der Samojeden. Sondern wie schon erwähnt — die Natur wird, je mehr man sich dem schwarzen Meer annähert, immer milder und freundlicher und hat deshalb schon in den ältesten Zeiten Völkern, die aus Skandinavien, einem Bienenschwarm gleich, herausbrachen, die Wege gewiesen bis hin zu den Gestaden des schwarzen Meeres. Wir unterscheiden also zwei Hauptrichtungen, in denen die Völker zogen, bedingt durch die Natur der Ebene, die eine aus dem Osten, in der besonders mongolische, überhaupt nicht indogermanische Stämme gekommen zu sein scheinen, die andere aus dem Norden, der wesentlich deutsche Völker gefolgt sind.

Zur Zeit der Völkerwanderung treten diese beiden Richtungen, indem sie beide in ihrer stärksten Gewalt sich concentrirten, in Kampf miteinander; gerade das Zeitalter vor dem Einfall der Hunnen hatte die ganzen Völkermassen zu einer Einheit verknüpft, deren Mittelpunkt im Süden der Ebene, in den Händen der Gothen lag, die von dort aus den ganzen Norden bis an die Meeresküste beherrschten, "alle deutschen und scythischen Stämme," wie Jornandes sagt. Es ist dies das Zeitalter Ermanarichs, des grössten und letzten Helden der Gothen bis zur Völkerwanderung, dessen Geschichte wirklich in die Geschichte gehört, wenn auch das Meiste, was wir über ihn aus den Quellen erfahren, nur als sagenhafte Einkleidungen geschichtlicher Ereignisse, oft noch getrübt durch den Hass, den er als Eroberer auf sich geladen, auf uns gekommen ist. Dass er aber eine geschichtlich bedeutende Persönlichkeit ist, scheint mir unumstösslich, da sich gewissermassen die ganze Völkerwanderung, die plötzliche und ungeheure Macht der Hunnen aus seiner Existenz, aus dem von ihm geschaffenen Reiche erklärt. Sobald die Gothen dem grossen Völkersturm unterlagen, waren die Hunnen Herren der sarmatischen Ebene, und es fehlte wieder nur ein ähnlicher Mann wie Ermanarich, um diese Völkermassen, die hier wohnten, nicht nur äusserlich, sondern auch durch geistige Uebermacht zu fesseln und mit sich fortzureissen. Dieser Mann war Attila, (den auch im Gefühl der innern Zusammengehörigkeit beider Herrscher die spätere Sage in vielfacher Beziehung an Ermanarich knüpft; ja es scheinen einzelne Züge des Einen auf den Andern übergegangen zu sein, insbesondere ist die geschichtlich feststehende Kultur, zu der die Gothen sich zu Ermanarichs Zeit emporgeschwungen, vielfach in den spätem Sagen zurückgetreten und an ihre Stelle asiatische Rohheit und barbarische Leidenschaftlichkeit gerückt).

Dies aber erscheint wunderbar, dass Ermanarich nicht im Stande war, den Hunnensturm aufzuhalten, dass das erste Zusammentreffen entscheidend und vernichtend für die Ostgothen war; und hier ist der Punkt, wo die Sage eintrat und ihren Lieblingshelden zu rechtfertigen suchte, — denn dies ist offenbar der erste Grund jener Sage — wo Ermanarichs Zurücktreten von der glanzvollen Bahn des Ruhms auf ausser ihm liegende Gründe zurückgeführt wurde. Es ist ursprünglich, wie ich nachher zeigen werde, nichts in der Sage, wodurch Ermanarich angegriffen wird; wohl aber hat die Sage, wie sie allmählich auf verschiedenem Boden fortgewachsen ist, immer neue Züge zu dem Bilde hinzugethan, das die alte Sage von Ermanarich entwirft, Züge, die den Charakter Ermanarichs immer mehr heruntersetzen, so dass deutlich in der spätem Sage eine Abneigung gegen ihn hervortritt: vielleicht ist sie noch eine Nachwirkung des Hasses, den die unterworfnen Völker gegen Ermanarich hegten, vielleicht auch ist, wie ein grosser Theil der Eigenschaften Attilas durch die Sage auf Ermanarich übertragen sind, auch der Hass gegen diese Völkergeissel auf Ermanarich übergegangen, während Attila selbst in der Sage sehr herabgeschrumpft und verblasst, oft nicht mehr erkennbar erscheint. Dies ist aber eine Eigenthümlichkeit der Sage, dass ihr aus der Ferne die hohen Bergeshäupter in eins verschmelzen oder wenigstens nahe zusammengerückt sind, mögen in Wirklichkeit auch grosse Zeitstrecken zwischen ihnen liegen.

Dies ist auch der Grund, dass die Sage von Ermanarich in ihrer Fortbildung sich an die Sage andrer Helden der Völkerwanderung angelehnt hat und mit ihnen verknüpft erscheint; und zwar im Norden an den Sigurdsagenkreis, in Dänemark an Attila — durch Budli — in Deutschland an Theodorich. Von diesen Sagenkreisen hat der nordische nur Ermanarichs Tod, nichts über seine früheren Lebensverhältnisse weiter gestaltet ; in den einzelnen Zügen aus Ermanarichs letzten Schicksalen vielfach übereinstimmend, durchaus neu und eigenthümlich in Ermanarichs früheren Geschicken erscheint die dänische, wie wir sie aus Saxo Grammatikus kennen; endlich hat die deutsche Sage, auf deren Dasein wir nur durch die Nachrichten von Chroniken schliessen können, sowie durch einzelne Stellen angelsächsischer Gedichte, am meisten seine früheren Lebensgeschicke poetisch ausgebildet, ist aber um die Zeit des 12. Jahrhunderts, was die Sage von Ermanarichs Tod betrifft, schon abgestorben; so wie sich auch die spätem Gedichte noch vielfach mit Ermanarichs Kriegszügen, Treulosigkeiten und anderm beschäftigen, aber über seinen Tod keine sichere Kunde geben. In sich haben diese Sagen wieder ihre eigenthümliche Geschichte, und insbesondere die nordische gestattet es, ihr allmähliches Wachsthum in mehreren Jahrhunderten zu beobachten. Die wenigen Nachrichten, die wir über die deutsche haben, lassen schliessen, dass auch sie in verschiedenen Gegenden und Zeiten bald reiner, bald gemischter und unklarer sich erhalten habe; aber einzelnes, das ganz andern Zeugnissen völlig widerspricht, scheint darauf hinzudeuten, dass einestheils die Mönche, die dies niederschrieben, manches verwechselt und verwirrt haben können, anderntheils, dass selbst diese Aufzeichnungen vielfach verdorben und verfälscht auf uns gekommen sind. Beispiele für alles Erwähnte werde ich noch anführen.

Es wird aber vor allem darauf ankommen, die Grundzüge der ursprünglichen Sage, aus der sich, je nach den Eigenthümlichkeiten der Völker und ihrer Gegenden, alle späteren Sagen entwickelt haben, zu zeigen und wo sie verwischt sind, durch Vergleichung wiederherzustellen; nicht als ob ich meinte, dass die Sage in ihrem Wachsthum jemals stille stände oder dass ihre Ursprünglichkeit ein bestimmter Punkt in ihrer Entwicklung wäre; denn es wird immer unmöglich sein, auf die letzten Urgründe und Geheimnisse der Entstehung einer Sage zurückzugehn. Wohl aber lässt sich eine Form der Sage denken, ein Grad ihres Wachsthums, den sie auf ihrem heimischen, also hier gothischen Boden erlangt, der deutlich auch in den Ausläufern der auf andren Boden versetzten Sage zu Tage tritt; ich meine also in der Ermanarichsage das ursprünglich, was etwa der dürre Auszug des Jornandes bezeichnet, ausserdem aber auch, was, wie wir durch Vergleichen schliessen müssen, zu Jornandes' Zeit gleichsam das Fleisch, das dieses Gerippe umkleidet hat, gewesen ist, also kurz das Gemeinsame.

Der Plan also, nach dem ich die ganze Sage betrachten will, ist ein ganz natürlicher und einfacher, indem ich zuerst die weitesten Ausführungen der Sage im Norden und in Dänemark behandle, dann zu den einfachen Auszügen aus deutschen Gedichten übergehe und endlich die gothische Sage des Jornandes bespreche und die einfachste Form der Sage wiederherzustellen suche.

Noch gehört in die Einleitung, was überhaupt über Ermanarich geschichtlich feststeht. Die Bemerkungen des ziemlich gleichzeitigen Marcellin sind sehr spärlich und gedenken seiner nur als eines kriegerischen und tapferen Königs; wichtig ist aber, dass er berichtet, Ermanarich habe sich bei der Annäherung der Hunnen selbst den Tod gegeben. Das ist also ein entschiedener Widerspruch mit der Sage. Weshalb aber den Nachrichten des Jornandes über seine Kriegszüge zu misstrauen sei, sehe ich nicht ein, da erstens nichts Sagenhaftes in diesen trocknen Erzählungen sich findet, wodurch wir vermuthen könnten, auch hierin Ueberreste aus Heldengedichten zu haben; da zweitens kein bestimmtes Zeugniss eines Historikers den Angaben des Jordanes widerspricht, im Gegentheil die Berufung des gothischen Schriftstellers auf Ablavius deutlich dafür spricht, dass er hier nicht nach Sagen erzählt. Nach Jornandes aber scheint mir folgendes geschichtlich sicher.

Ermanarich ist ein Wahlkönig aus dem Geschlecht der Amaler, das erst mit ihm ein Königsgeschlecht wird, aus dem bis zu Theodorich alle folgenden Könige der Ostgothen stammen. Schon dies ist ein Beweis seiner einflussreichen Stellung, dass er von dem Geschlecht der Amaler, dem edelsten Geschlecht der Gothen, der edelste genannt wird, der in regelmässiger Folge im 10. Gliede von Gapt, dem Stammvater der Gothen, einem Gotte, wahrscheinlich Odin selbst, abstammt. Ermanarich folgt nach einem kurzen Zwischenraum auf König Geberich, der die Vandalen besiegt hat, um das Jahr 326, so dass also, angenommen, Geberich sei bald nach dieser That gestorben, Ermanarich mindestens in einem Alter von 60 Jahren zur Herrschaft kam. Dem scheint nun allerdings die grosse Reihe der Völker, die als seine Unterworfnen aufgezählt werden, zu widersprechen. Aber hier muss man annehmen, dass diese Völker, an deren Spitze die Gothen genannt werden, theils schon unter den vorigen Herrschern zu dem Gothenreich gekommen waren, theils sich freiwillig unterwarfen. Denn Königszüge des Ermanarich werden nur erwähnt gegen die Heruler, gegen die Veneter und Austrer, so dass er also besonders die Küstenvölker an der Ostsee bekriegt haben mag. Diese Züge können wenig Zeit eingenommen haben; Jordanes geht deshalb kurz über sie weg und kommt zu dem Einbruch der Hunnen, dem Wendepunkt von Ermanarichs Glück. Dieses Glück und die weite unbestimmte Ausdehnung seines Reiches boten Vergleichungspunkte mit Alexander dem Grossen dar, und dieser Vergleich, von dem Jordanes spricht, ist sicher noch aus der Zeit vor diesem Wendepunkt. —

II
Gestaltung der Sage im Norden.

Wie schon erwähnt, verknüpft die nordische Sage die Sigurdsage mit der Ermanarichsage; in welcher Zeit dies zuerst geschehen, ist ungewiss, jedenfalls vor dem Ende des 8ten Jahrhunderts, da schon aus dieser Zeit eine Erzählung Bragis des Alten denselben Stoff behandelt. Die vermittelnde Person ist Gudrun, die aber in der ältesten Sage gewiss ohne Zusammenhang mit der nordischen Gudrun war, sondern vielmehr eine Zauberin gewesen zu sein scheint; an den Namen aber knüpfte die Sage an.

In der sämundischen Edda sind zwei Lieder, Gudruns Aufreizung und Hamdismal, die deutlich das Gepräge des höchsten Alters auf sich tragen, nirgends mythologische Gelehrsamkeit und Uebertreibungen, sondern die grossartigen Züge, die den ältesten Liedern gemein sind; und gewiss ist von diesen das Hamdirlied das ältere, während Gudruns Aufreizung in seinem Verharren in einer Empfindung, im Zusammenfassen von Gudruns Lebensgeschicken wie hinzugedichtet erscheint, wie ein üppiger Spross an dem Baum der Volkspoesie. Voran geht eine kurze prosaische Einleitung, sicherlich aus einer späteren Zeit als die Lieder selbst.

Gudrun gieng ans Meer, nachdem sie Atli getödtet hatte. Sie gieng in die See, um sich zu verderben, sie konnte aber nicht untersinken. Da ward sie von den Fluthen über den Sund getragen an das Land König Jonakurs. Der nahm sie zur Ehe. Ihre Söhne waren Sörli, Erp und Hamdir. Dort wurde Swanhilde, Sigurds Tochter erzogen und Jörmunrek dem reichen zur Ehe gegeben. Bei dem war Bicki; der gab den Rath, dass Randwer, des Königs Sohn, sie zur Ehe nähme. Das verrieth Bikki dem Könige. Da liess der König Randwern henken und Swanhilden von Pferden zertreten. Als Gudrun dies hörte, reizte sie ihre Söhne. Hiermit beginnen beide Lieder. Die Söhne — Hamdir und Sörle — denn an diese beiden richtet sie nur ihre Aufreizung, entgegnen der Mutter; Hamdir wirft ihr vor, dass sie, wenn sie strafen wollte, sich selbst immer den grössten Schmerz bereite. "So sollte doch ein Jeder gebrauchen des durchbohrenden Schwertes, Andern zu schaden, sich selber nicht." Sörli will nicht Worte mit der Mutter wechseln; "doch," sagt er, "du wirst dich, Gudrun, um uns auch grämen, wenn wir fern im Gefecht von den Rossen fielen." Nachdem Gudrun die beiden ausgerüstet hat, reiten sie aus dem Hofe, zum Kampflärm bereit. Auf dem Weg finden sie Erp, der kühn auf dem Rücken des Rosses scherzt; sie schelten ihn den fuchsigen Zwerg und fragen höhnisch, was er ihnen frommen werde. Erp antwortet, "andrer Mutter Sohn" — im Widerspruch mit den Worten der Einleitung — : "So will ich euch Beistand leisten, wie eine Hand der andren hilft, ein Fuss dem Fuss will ich den Freunden helfen." Aus der Scheide reissen sie die scharfe Klinge; sie schwächten ihre Kraft selbst um ein Drittel, als ihr junger Bruder zu Boden stürzte. Nun fahren sie weiter unheimliche Wege, vorüber an dem windkalten Mordholz, wo sie der Schwester Stiefsohn geschaukelt am Baum sehn. In Jörmunreks Halle war es laut von lustigen Zechern; der sorgende Späher tönt ins Hörn, als der Hufschlag der Hengste herankommt; zu Jörmunrek eilen die Helden und fordern weislichen Rath. Dieser jedoch schmunzelt, streicht sich den Bart; nicht will er sein Streitgewand, denn er streitet mit dem Wein. Er schüttelt sein Schwarzhaupt und sah nach dem weissen Schild und kehrte keck den Kelch in der Hand. Mit höhnischem Lallen empfängt er die beiden, die ein ungeheures Blutbad unter den zehnhundert Gothen, die in der Burg sind, anrichten. Da warnt der Erhabene, Waltende von hohen Stufen seine Verwandten. Aber schon liegen Jörmunreks Hände und Füsse abgehauen in der lodernden Gluth. Wie ein Bär hebt sich da der hohe Berather, den die Brünne birgt: Schleudert Steine, ruft er den Gothen zu, wenn Geschosse nicht haften. Jetzt naht den beiden Brüdern das Verderben. Ein Zwiegespräch beginnt unter Leichen. Gegenseitig werfen sie sich Erp's Ermordung vor. Bis endlich Sörli zur Eintracht ermahnt.

Nicht ziemt es uns nach der Wölfe Beispiel
Uns selbst grimm zu sein, wie der Nornen Grauhunde,
Die gefrässig sich fristen im oeden Forst.
Schön stritten wir: wir sitzen auf Leichen,
Von uns gefällten, wie Adler auf Zweigen;
Hohen Ruhm erstritten wir, wir sterben heut' oder morgen.
Den Abend sieht niemand wider der Nornen Spruch.

Da sinkt Sörli an des Saales Ende, Hamdir findet hinter dem Hause den Tod.

Dieselben Ereignisse werden in der Skalda erzählt, offenbar nach spätem Liedern und mit folgenden Abweichungen. Jörmunrek sendet seinen Sohn Randwer, für ihn um Swanhild zu werben. Als dieser nachher gehenkt werden soll, nimmt er seinen Habicht, rupft ihm die Federn aus und sendet ihn dem Vater. Dann wird er gehenkt. Als der König den Habicht sieht, kommt es ihm in den Sinn, wie der Habicht flug- und federlos sei, so sei auch sein Reich ohne Bestand, denn er sei alt und erblos. Da lässt er, als er mit seinem Gefolge aus dem Wald von der Jagd geritten kam, und die Königin beim Haarwaschen sass, über sie reiten und sie unter den Hufen der Rosse zu Tode treten. — Gudrun giebt den Söhnen solche Brünnen, dass daran kein Eisen haften kann. Auch giebt sie ihnen den Rath, Nachts zu Ermanarich, wenn er schliefe, zu gehn; Sörli und Hamdir sollen ihm Hände und Füsse abhauen, aber Erp das Haupt. — Sie gedenken nachher Gudrun am übelsten zu thun, und tödten Erp, weil sie den am meisten liebt. Bald darauf strauchelt Sörli beim Gehn mit einem Fuss und stützt sich mit den Händen. Da sagt er: Nun half die Hand dem Fusse: besser wär's, wenn Erp lebte. Als sie aber Nachts zu dem schlafenden Jörmunrek kommen und ihm Arme und Füsse abhauen, erwacht er und ruft seinen Leuten. Hamdir sagt: Nun müsste auch der Kopf ab, wenn Erp lebte. Da stehn die Hofmänner auf, können die beiden aber mit Geschossen nicht bezwingen. Da rief Jörmunrek, sie sollten sie mit Steinen zu Tode werfen. Das geschah.

Noch mehr erweitert erscheint die Sage in der Völsungasaga. Auch nach ihr hat Gudrun drei Söhne von Jonakur, Hamder, Sörle und Erp. Dem Brautwerber Randwer wird Bike beigegeben, der Rathgeber Ermanarichs. Als Randwer gehängt werden soll und den Habicht schickt, befiehlt Jörmunrek, ihn vom Galgen herunterzunehmen. Bike hatte es aber so betrieben, dass derselbe schon todt war. Swanhilde bindet man im Burgthor, um sie von Rossen niedertreten zu lassen. Da sie ihre Augen auf sie richtet, die den scharfen Blick ihres Vaters haben, wagen sie nicht auf sie zu treten; aber Bike lässt einen Sack über ihr Haupt ziehn. Gudrun reizt nun die beiden, Hamder und Sörle, auf und warnt sie, sich vor Steinen zu hüten. Von einem nächtlichen Überfall ist in dieser Sage nichts angedeutet. Zuletzt kommt ein alter Mann mit einem Auge, wie bei Saxo-Grammatikus offenbar Odhin, und sagt, man sollte sie mit Steinen todt werfen.

In Snorras Edda kommen fünf Strophen aus Brage des Alten Gedicht auf Ragnar Lodbrok vor, worin er auch Sörles und Hamders Fall besingt. Auch hierin wird Jörmunrek im Schlafe überfallen, übereinstimmend mit der Skalda.

Nun würde es freilich ein unüberlegter Schluss sein, nur die Züge, die das alte Hamdirlied Hamdismal in forno enthält, für echt und ursprünglich zu erklären; sicher ist vieles, was wir nur noch aus der Skalda oder der Völsunga kennen, ebenso alt und echt, wie jene Züge. Wir dürfen nämlich nie vergessen, dass jenes Gedichte, dieses Erzählungen nach Gedichten sind, dass es eine Eigenthümlichkeit nordischer und deutscher Urpoesie ist, nur einen bestimmten Punkt der Sage dichterisch darzustellen, in dem Bewusstsein, dass der ganze Zusammenhang jedem gegenwärtig ist: dass hingegen der Erzähler einer Sage die Züge aus den verschiedenen Gedichten entlehnt und gerade durch die Zusammenstellung der zusammengehörigen Sagenstoffe den ganzen Umfang einer Sage zu geben sucht. Also alle diese Ausfuhrungen von dem Rupfen des Habichts, von Swanhildens Blick, von der Lösung des Räthsels, welches Erp den Brüdern aufgiebt, sind gewiss echt und alt, und wir werden darin durch die übereinstimmenden Zeugnisse des Saxo Grammatikus bekräftigt. Anders ist es natürlich, wo sich die frühere und spätere Fassung der Sage offenbar widersprechen, so besonders in einem Punkt: Nach dem Hamdirlied wird Jörmunrek trunken in seiner Halle überfallen, nach den andern Quellen in der Nacht im Schlaf Was ist das Aeltere? — Das Uebereinstimmende in beiden Nachrichten ist, dass Jörmunrek nicht seiner Sinne mächtig ist, im Trunke oder im Schlaf, das eine ihm zum Vorwurf, das andre ohne jeglichen Vorwurf. Nehmen wir nun noch eine entsprechende Stelle bei Saxo Grammatikus hinzu, nach der die Leute Jörmunreks bei dem Angriff der Brüder mit Blindheit und Verblendung geschlagen werden: so erkennen wir, dass die Nacht, die nach der einen Sage Jörmunrek umhüllt, nur ein Bild oder um so zu sagen eine vernunftmässige Auffassung jener zauberischen Verblendung ist, dass also die Nacht sicherlich nicht ursprünglich und der echten Sage gemäss ist. Ebenso erscheint freilich die Trunkenheit Jörmunreks als eine nüchterne Auffassung jener Bezauberung, aber sie ist dem Sinne des Nordens sehr angemessen.

Wenden wir uns jetzt zu der Charakterisierung der einzelnen Personen, die in dem nordischen Sagenkreis auftreten.

Jörmunrek steht im Schutz Odhins, der durch Rath und That sich als Verwandter erweist. Dies ganz im Einklang mit der gothischen Sage, wie überhaupt mit den Stammsagen aller Königsgeschlechter, die sich alle auf Odhin zurückführen. So auch das Geschlecht Sigurds. Hier ist es aber merkwürdig, dass hier ein Kampf beider Sagenkreise, des Sigurd- und des Ermanarichkreises stattfindet; denn Sörle und Hamdir sind auch schliesslich verwandt mit Sigurd, dessen Geschlecht sich Odhin immer günstig erwiesen. Gegen sie tritt im Hamdirlied offenbar Odhin feindlich auf, so dass also in diesem Zuge die gothische Sage vorwaltet; dieses Zugeständniss, das der nordische Dichter der Ueberlieferung machte, zuwider seiner natürlichen Vorliebe für Sigurds Nachkommen, ist indessen auch das Einzige, worin der Einfluss von gothischer Vorliebe für Ermanarich noch zu spüren wäre. Sonst ist dessen Auftreten mit sichtlicher Abneigung, ja mit Hohn gezeichnet. So sein ganzes Gebahren als Trunkener, selbst seine klägliche Verstümmelung. Noch zu bemerken ist, dass er "der reiche" in der Prosaeinleitung genannt wird, worauf ich noch zurückkommen werde. Swanhild, die Tochter der "schwanen-weissen" Gudrun, die nach ihrer Mutter Bezeichnung wie ein Sonnenstrahl in den Sälen schien, mit scharfen, glänzenden Augen, die auch ihr Vater Sigurd gehabt, vor denen die Rosse zurückscheuen — sollte sie nicht nach der ursprünglichen Sage eine Valkyrie gewesen sein? Man erinnere sich erstens, dass öfters die Töchter berühmter Könige als Valkyrien betrachtet wurden, so z. B. im Völundurliede die Töchter Kiars von Valland Aelrun und Swanhwit. Dann deutet schon der Name darauf hin: Swanhild heisst Schwan-Kampf, eine gleiche Bildung wie Brynhilt. Gerade Schwanenhemden wurden den Valkyren gegeben; so wird in eben jenem Völundurlied erzählt, wie drei Brüder am Wolfssee drei Frauen fanden, die Flachs spannen; neben ihnen lagen ihre Schwanenhemden. Sodann deuten einige wenige Züge in dem Gedicht selbst darauf hin: so vor allem, dass Gudrun sie mit guten Kriegsgewanden gudvetjom ausstattet, als sie nach dem Gothenlande fährt. Endlich weist das übermenschliche Glänzen ihrer Augen auf ihre höhere Natur hin; so wie aus Gudruns Augen, als sie die Wunde Sigurds schaut, Gluth und Gift schäumt; wie Dietrich von Bern Feuer aushaucht, wenn er in Zorn geräth; wie Sigurds Augen — auch in deutscher Sage — übernatürlich glänzen, so dass sich sein Mörder davor entsetzt. Ob nicht endlich in der letzten Scene, wie sie am Strom sitzt ihr Haar zu waschen, noch ein letzter Nachhall geblieben ist von ihrer ursprünglichen Schwan- und Schlachtjungfrauennatur? —

Die nächst ihr interessanteste Person ist Erp, an dem mehrere Züge auf seinen deutschen Ursprung hinweisen. So vor allem sein Name, der unverändert aus der gothischen Sage in die nordische übertragen worden ist, da er nordisch nach Grimm's Bemerkung Oipr heissen würde, etwa "rothbraun." An ihn knüpft sich das Misslingen der Rache, und alle Zeugnisse des Nordens, des Saxo, der Chroniken, des Jornandes, die von der Verwundung Ermanarichs, nicht von seinem Tode reden, setzen ihn voraus, wenn sie ihn auch nicht erwähnen. Die spätere nordische Sage nennt ihn Gudrunssohn, zusammen mit Sörli und Hamdir, und zwar schon die prosaische Einleitung zu den Eddaliedern. Das Lied von Hamdir nennt ihn ausdrücklich anderer Mutter Sohn; die beiden höhnen ihn als Bastard, als fuchsigen Zwerg, mit einer Hindeutung auf seinen Namen, vielleicht auch auf sein Haar. Jornandes lässt die Treulosigkeit, die Ermanarich stürzt, von einem Volke der Rosomanen ausgehen; sollte vielleicht in diesem Erp sich noch eine Erinnerung erhalten haben, in Erp, der also in der ältesten Sage nicht Gudruns Sohn ist, der also die Natur seines Vaters und seines Volksstammes an sich getragen haben mag, im Gegensatz zu Sörli und Hamdir, die nach der ausdrücklichen Bemerkung der Skalda kohlschwarzes Haar, "wie alle Niblunge" haben? Für meine Vermuthung spricht noch, dass Gudrun nur Sörli und Hamdir zur Rache aufreizt; Simrocks Erklärung, Gudrun hätte aus Liebe zu ihrem echten Sohn Erp diesen nicht mit zur Rache aufgereizt, wohl aber ihre beiden Stiefsöhne Sörli und Hamdir — denn dafür nimmt sie Simrock, im Widerspruch mit allen Ueberlieferungen — ist zu künstlich und unangemessen für das naturkräftige Zeitalter, aus dem diese Lieder stammen. Gudrun am wenigsten hätte ihrem echten Sohn die Rache für ihre echte Tochter erspart. Allerdings stützen Simrocks Vermuthungen die Bemerkungen in der Skalda, nach denen die beiden Brüder Erp erschlagen, um Gudrun zu kränken, weil sie den am meisten liebt; aber dieser Gedanke ist entschieden nicht ursprünglich, sondern verräth den reflektierenden Erzähler, der nach einem Grund sucht, weshalb die beiden Brüder Erp ermordet haben. Dieser Grund tritt allerdings in dem alten Liede nicht deutlich hervor; Sörli und Hamdir finden ihn kühn auf dem Rücken des Rosses spielend; sie höhnen ihn; er antwortet mit einem Räthsel; es scheint der Hass gegen ihn sich nur auf dem Gefühl seiner geistigen Ueberlegenheit zu begründen; die Sage nennt ihn edel, Sörli selbst bezeichnet ihn zuletzt als den tapfern, kühnen Recken; alles deutet darauf hin, dass er, in sich die Eigenschaften beider andren Brüder, Sörlis Weisheit, Hamdirs Muth einigend, jedem von diesen ein Anstoss gewesen ist, besonders da schon seine Abkunft von einem Nebenweibe Jonakurs ihn schon den beiden entfremdet. Dass ihm der Auftrag wird, das Haupt Jörmunreks abzuhauen, scheint nicht ursprünglich; die Skalda erzählt es, indem sie wahrscheinlich die Worte des Handismal in forno auf diese Weise ausdeutete. Sörli:

Nun läge das Haupt, war Erp am Leben.

Denn es ist offenbar, dass Erp nur hinzukommt, und ihnen seine Mithülfe zusichert; Sörli empfindet am Ende, dass gerade Erp, der tapfere und scharfsichtige Erp bei dem Kampfe die Entscheidung herbeigeführt haben würde: d. i. im Sinne der Sage: Während die beiden Brüder Arme und Beine ihm abschlagen, würde Erp vor allem sein Haupt abgeschlagen haben.

Die Charaktere Sörlis und Hamdirs sind schon durch die Beinamen, die ihnen die Sage giebt, gekennzeichnet: Hamdir "mit hohem Muth," scharf und schneidig, ja ironisch der Mutter gegenüber; ob er ihr schon Vorwürfe macht, weist er doch den Kampf, zu dem ihn diese aufreizt, nicht zurück. Auf seinen Bruder wirft er die Schuld, den Bruder Erp ermordet zu haben: seinem Rathe sei er gefolgt. Stürmische und herbe Kampflust, ein stolzer Sinn, fern von Versöhnlichkeit und voll selbstsüchtiger Verblendung, ein Heldencharakter — das ist Hamdir, und nach ihm ist das Lied genannt, angemessen der Stimmung seiner heldenmüthigen Zeit und bezeichnend für das hohe Alter des Liedes. Sörli dagegen "mit weisem Sinne" will mit der Mutter nicht Worte wechseln; du wirst dich, sagt er nur, Gudrun, um uns auch grämen, wenn wir fern in dem Kampf von den Rossen fielen." Er ist es auch, der im Gegensatz zu Hamdir, seine Schuld bei der Ermordung erkennt; "den wir heilig halten sollten, den haben wir gefällt." Rühmend nennt er Erp "unsern tapfren Bruder den raschen Recken." Seine schönen, echt nordischen Schlussworte, mit denen das Drama schliesst, geben einen Beweis seiner kräftigen, dabei edlen Gesinnung: Hohen Ruhm erstritten wir, wir sterben heut oder morgen. Den Abend sieht niemand wider der Nornen Spruch.

Ueber Gudrun und ihr Verhältniss zur ursprünglichen Sage will ich im nächsten Abschnitt handeln.

III
Die dänische Gestaltung der Sage.

Saxo Grammatikus lebte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts; er verräth nirgends eine Kenntniss des nordischen Sagenkreises, Nach ihm ist Jarmerich ein König von Dänemark. Wir kommen hiermit also zu einer dänischen Sage, aus der Saxo Grammatikus geschöpft haben muss; denn die deutschen Lieder jener Zeit, die dieselben Stoffe behandeln, hatten in die Ermanarichsage schon unauflöslich fest Dietrich von Bern hineingewebt, der bei Saxo auch in keiner Beziehung zu Jarmerich steht. Und wenn ich nun zeigen werde, dass Saxo vielfach ältere und ursprünglichere Züge als die Edda überliefert hat, dass sonst die Sage bei ihm ein durchaus eigenthümliches Gepräge hat, das von einer grossen Durchbildung des Sagenstoffes und einer Ausarbeitung auch der feineren Theile zeugt: weshalb soll man da nicht eingestehen, dass die Sage dänisch ist, dass die ursprünglich gothische Sage auch in Dänemark ihre Wurzeln geschlagen hat und fortgesprosst ist, oft in einfacherer und reinerer Art, als der Norden und die deutschen Sagen zeigen? Wilhelm Grimm findet es nicht unwahrscheinlich, dass hier eine Mischung nordischer und deutscher Sage stattfand, P. E. Müller in seinen Untersuchungen über Saxo glaubt, er habe hier aus deutschen Quellen geschöpft.

Saxo erzählt etwa Folgendes VIII p. 154-57. Jarmerik, König von Dänemark und Schweden, der sich aus der Gefangenschaft des slavischen Königs Ismarus befreit und seinem Oheim Budli das Reich wieder abgenommen hat, lässt auf einem hohen Felsen eine feste Burg mit vier Thoren nach den vier Weltgegenden prächtig und wunderbar erbauen und bringt dort seine Reichthümer in Sicherheit. — Auch hier werden also seine Reichthümer erwähnt, nach denen er in dem Eddaliede den Zunamen "der reiche" hatte. — Dann geht Jarmerik in die See. Es begegnen ihm 4 Brüder, von Geburt Hellespontier, das sind nach Lachmanns Bemerkung Dänen von Hven; der Oeresund heisst nämlich Hellespontus danicus. — Diese Brüder treiben Seeräuberei. Nach dreitägigem Kampfe zwingt er sie, ihm ihre Schwester und die Hälfte ihrer Beute zu überlassen. Bikko, ein Königssohn, wird jetzt aus der Hellespontier Gefangenschaft befreit, hat aber nicht vergessen, dass dieser vordem ihn seiner Brüder beraubt hat. Nachdem Jarmerich die Svavilda geheirathet hat, zieht er mit einem Heere nach Deutschland und liess durch Broder, seinen Sohn erster Ehe, die Königin bewachen. Seine Schwestersöhne werden in Deutschland erzogen, aber Jarmerich nimmt sie gefangen und lässt sie erdrosseln. Als Ermanarich aus Deutschland zurückkehrt, beschuldigt Bikko Broder eines verbrecherischen Umganges mit seiner Stiefmutter. Der König befiehlt Broder zu hängen, um aber nicht ein Kindesmörder zu heissen, müssen einige Leute ein Brett unter Broders Füsse halten, so dass, wenn diese aus Ermattung das Brett fallen Hessen, der Mord nicht dem König, sondern ihnen zur Last fiele. Svavilda soll von Rossen zertreten werden, und da die ersten, gleichsam von ihrer Schönheit betroffen, stehen bleiben, und der König geneigt ist, ihre Unschuld anzuerkennen, lässt Bikko die Pferde umwenden, worauf sie zertreten wird. Unterdessen kommt der Hund des Sohnes dahergelaufen und heult über seinem Herrn; sein Falke wird herbeigebracht und rupft sich selbst die Federn aus. Der federlose Falke erinnert den König, dass er bald kinderlos sein werde; er befiehlt daher unverzüglich, Broder herunterzunehmen. Bikko reist aus Furcht vor Strafe zu den Hellespontiern und verkündet ihnen das Schicksal ihrer Schwester. Ebenso benachrichtigt er Jarmerich, dass diese sich zum Kampfe gegen ihn richten. Indem die Brüder die feste Burg umschliessen, entsteht in ihrem Heere bei einer Raubvertheilung ein Aufruhr, und sie hauen selbst einen grossen Theil ihrer Leute nieder. Zu schwach nun, um die Burg anzugreifen, berathen sie sich mit einer Hexe, die Gudrun heisst. Diese schlägt die Mannen des Königs mit Blindheit, so dass sie die Waffen gegeneinander wenden, während jene in die Burg eindringen. Aber im Getümmel kommt Odhin, entfernt die Verblendung und räth den Dänen, da die Hellespontier durch Hexenzauber gegen Schwerthiebe unverletzlich sind, sie mit Steinwürfen zu tödten. Die Männer fallen um auf beiden Seiten, und Jarmerich wälzt sich mit abgehauenen Händen und Füssen unter den Todten.

Die Oertlichkeiten und Personen sind in dieser Sage ganz dänisch: Jarmerich ist ein König von Dänemark und erbaut sich dort eine feste Burg. Die Hellespontier, sowie die Hexe sind dänischer Abkunft, und selbst Odhin erscheint in seiner Eigenschaft als Stammvater der Dänen und der Dänenkönige. Dies widerspricht also der möglichen Annahme, dass nordische Seefahrer oder Sänger die Sage dorthin gebracht haben könnten. Dazu kommt vor allem, dass die Sage in ganz selbständiger Weise das frühere Leben Jarmerichs ausgebildet hat, und dass eine der Hauptpersonen der nordischen Sage, Gudrun, hier ganz fehlt oder vielmehr nur einen Namen hier entsprechend hat; etwas, was ganz unmöglich wäre, wenn durch mündliche Ueberlieferung des Nordens diese Sage hier entstanden wäre. Zugleich ist aber wieder die Uebereinstimmung der nordischen und der dänischen Sage so gross, dass sie beide nothwendig auf eine gleiche Quelle hindeuten.

In der Edda schickt Randwer seinem Vater einen federlosen Habicht; dieser versteht die Andeutung und sendet hin, um ihn zu retten. Aber durch Bikkis List ist Randwer schon todt. Der Zug ist, wie Grimm urtheilt, sicherlich älter, als die Fassung der Sage bei Saxo, da die Sage überall darauf hinweist, Ermanarich habe sein eigenes Geschlecht zu Grunde gerichtet. Hierhin gehört, dass Jarmerich seine Schwestersöhne in Deutschland morden lasst; gemeint sind offenbar die beiden Harlunge, Imbrecke und Fritile; und selbst die Verlegung ihres Wohnsitzes nach Deutschland scheint darauf hinzudeuten, dass dieser Zug von Saxo nach deutschen Quellen hinzugesetzt wurde. Ich möchte also nur behaupten, dass dem Saxo wahrscheinlicher Weise auch die deutsche Sage über Ermanarich bekannt war, die nordische hingegen gewiss nicht. Dass er aber nur nach deutschen Liedern die Sage aufgezeichnet haben sollte, dem widerspricht, wie erwähnt, die dänische Oertlichkeit und dann vor allem die Abwesenheit Dietrichs von Bern. Es ist schlechterdings unmöglich, dass Lieder zu den Zeiten Saxos diesen nicht in die Geschichte Ermanarichs verwebt hätten, da wir Zeugnisse haben, dass es schon mehrere Jahrhunderte vorher geschehn ist.

Indessen lässt uns die Fassung der Sage bei Saxo einen wichtigen Blick auf die Entstehung der nordischen thun. Ich schliesse folgendermassen: Ermanarich soll — so will es die Sage — unvermuthet und zauberisch geblendet überfallen werden; das ist nöthig, da durch die Ermordung Erps (od. bei Saxo durch die Niedermetzlung der Leute) die Macht der Angreifenden zu schwach geworden ist. Die zauberische Hülfe lehnt die Sage an eine Gudrun, eine Hexe; die nordische reisst diesen Namen an sich und knüpft ihn an die wichtigste Gudrun, die sie in ihrem ganzen Umkreis hat, die Gemahlin Sigurds, nachher Atlis. Zugleich aber verbindet sie mit ihr Swanhild, indem sie diese zu ihrer und Sigurds Tochter macht und so das Interesse für diese erweckt. Ausserdem ist es ja leicht zu begreifen, dass die nordische Sage Swanhild und ihre berühmte Schönheit mit ihrem Lieblingshelden, dem schönen Sigurd, in Verbindung bringt. Diese Verschmelzung des gothischen Sagenkreises mit dem nordischen muss indess schon aus einer sehr frühen Zeit stammen, und es ist allerdings merkwürdig, dass bei Saxo die Zauberin Gudrun so allein und unzusammenhängend aus der ältesten Form der Sage übrig geblieben ist, ohne dass sich um sie eine neue Sage gesponnen hätte. Ebenfalls ist es eigenthümlich, dass erst die spätere Gestaltung der nordischen Sage davon weiss, dass Gudrun die Waffen der zwei Brüder bezaubert habe; freilich kann man wieder sagen, dass die Sage in forno dies zwar verschweigt, es aber gewiss enthalten haben wird, was man eben aus jenen spätem Erzählungen der Skalda und der Völsunga schliessen könne.

Alle diese Bedenken erschweren zwar etwas die Erklärung jener Verschmelzung der beiden Sagenkreise, lassen aber doch die Thatsache unversehrt stehn: dass die beiden Gudrunen der nordischen und der dänischen Sage nur den Namen und die Kraft des Bezauberns gemeinsam haben, sonst nichts. Dass aber eine Gudrun mit zauberischer Kraft in der ältesten Sage gewesen ist, das steht fest, sobald erwiesen ist, dass ein Erp oder dem etwas entsprechendes darin gewesen ist. Hier bei Saxo ist es offenbar, dass in der Selbstschwächung der Hellespontier durch die Niedermetzelung ihrer eigenen Leute noch eine dunkle Erinnerung an Erp hervortritt. Allerdings ist in der dänischen Sage Erp zu einem Heere geworden, wie die beiden Brüder Sörli und Hamdir auch verdoppelt erscheinen, wie überhaupt alle Züge verstärkt und verdoppelt sich in dieser Sage wiederfinden. Insbesondere ist Bikko schon völlig aus mythischer Dunkelheit und Unbestimmtheit heraus gezeichnet, ja auch bei seiner Darstellung möchte man an eine Benutzung deutscher Quellen denken. Sein Hauptbestreben, auf alle Weise Jarmerich zur Vernichtung seiner eignen Familie aufzureizen, wird auf ein bestimmtes Motiv, das der Rache, zurückgeführt. Jarmerich hat früher seine Brüder getödtet und er nimmt für sie durch List und Treulosigkeit Rache. Hier erscheint also die Blutrache schon als Motiv aller Ereignisse, wie sie zum zweiten Male bei der Rache der Hellespontier auftritt. Die Sage wiederholt sich also gewissermassen; wem möchte hier nicht wieder einfallen, wie die Person und die Motive des Bikko sehr leicht erst durch die Bekanntschaft Saxo's mit dem deutschen Sibech sich so gestaltet haben mögen? — Auch in der Vilkinasage ist Odilias Misshandlung, wie hier Swanhildens die Ursache von dem nachfolgenden Missgeschick Ermanarichs. —

Zuletzt bemerke ich noch zu Saxos Erzählung, wie wichtig die kurze Bemerkung ist, dass Jarmerich seinem Oheim Budli das Reich abgenommen habe. Es ist sicher, dass hierin auch der Kern eines Liedes zu erkennen ist und zwar eines, in dem Jarmerich und Etzel, wie nach der deutschen Sage, Zeitgenossen gewesen sind. Oder sollte vielleicht dieser Budli hier derselbe sein, der gegen einen Dänenkönig Krieg führt, aber Bruder Budli's genannt wird Vols. 38? Dadurch würde allerdings ein merkwürdiger Zusammenhang zwischen Saxo und nordischer Sage hervortreten.

Indem ich dies hinstelle, glaube ich doch behaupten zu können, dass alle Anzeichen dafür sprechen: dass Saxo wohl deutsche Lieder über dieselben Gegenstände gekannt, vielleicht sie auch bei seiner Erzählung etwas benutzt, dass aber der Grundcharakter seiner Lieder ein dänischer bleibt; dass es hingegen unmöglich ist, dass er nach rein deutschen oder nach rein nordischen Quellen erzählt habe, wie auch, dass er eine Vermischung beider Sagen nach eigner Willkür gebe: allen diesen drei Fällen widerspricht auf das Entschiedenste der dänische Grundcharakter dieser Sage.

IV

Jomandes schrieb sein Buch aus dem Werke des Kassiodorus um das Jahr 552 zusammen. Dieses muss also aus der Regierungszeit Theodorichs des Grossen entstammen; die darin erzählten Sagen dürften also etwa die sein, die um den Anfang des 6. Jahrhunderts im Munde des Volkes waren. Wir kennen also die Sage, wie sie sich etwa nach 130 Jahren gebildet hatte. Etwa einen Zeitraum von 200 Jahren nach Kassiodor erinnern zum erstenmal wieder bestimmte Zeugnisse an die Ermanarichsage. Und zwar finden wir diese bei den Angelsachsen. Während dieser Zeit mag also die Sage sich weiter verbreitet und besonders schon an den Küstenländern, vielleicht auch schon im Norden Eingang gefunden haben. Dafür sprechen einzelne Stellen aus dem Beowulfliede, sowie aus dem Lied vom Wanderer und der Handschrift von Exeter, die einzelne Züge der Sage schon als bekannt voraussetzen und darauf anspielen. Und zwar um gleich hier das Wichtigste zu erwähnen, erscheinen darin schon deutliche Beziehungen auf Ermanarichs Verknüpfung mit Dietrich; ausserdem steht Ermanarich umringt von einem Kreise von Helden, deren jeder einzelne schon der Mittelpunkt einer besonderen Sage geworden ist. Der Sänger, der in dem Liede von dem Wandrer die ganze Welt beschreibt die er durchzogen, stellt Ermanarich unmittelbar neben Attila, ein Beweis, dass damals schon das Bewusstsein der zeitlichen Trennung jener Männer im Volke verloren gegangen war. Mit ziemlicher Ausführlichkeit spricht er von der grossen Macht des Gothenkönigs, indem er ein Verzeichniss seiner Mannen aufstellt. Darunter finden wir die Harlunge Emerka und Fridla, so wie auch Sifeka, kein anderer sicherlich als Sibech. Was beweist jedoch die Nennung dieser Namen? Dass mit diesen Namen die damalige Sage schon bestimmte Ereignisse verband; denn ein Name pflanzt sich nicht fort ohne eine dazu gehörige Geschichte; im Gegentheil ist erst das Ereigniss der Träger des Namens, so dass oft der Name sich erst aus dem Ereigniss bildet. In demselben Gedicht wird aber Ermanarich, "der zornige, treulose" erwähnt; dies sind Bezeichungen, durch die die bestimmte Sage durchschimmert, die Sage von Ermanarichs Bosheit, der auf des treulosen Sifekas Anrathen gegen sein eignes Geschlecht wüthet. Seinen Sinn nennt die Handschrift von Exeter deshalb einen "wölfischen." Ermanarich wird in ihr geschildert:

Es war ein grimmer König.
Sass mancher Held von Sorgen gebunden
In Unheils Erwartung, dem Kampfsitz zunächst,
Dass er des Königsreichs überwältigt wäre.

Zugleich findet sich in diesem Gedicht eine deutliche Anspielung auf Dietrichs Flucht aus seinem Reiche, veranlasst durch Ermanarichs Bosheit. Im Beowulfliede hören wir dagegen wieder von jenem berühmten Reichthum Ermanarichs etwas Ausführlicheres, als es bis jetzt die nordische und die dänische Sage andeuteten.

Von keinem bessern unter dem Himmel
Horte ich hörte, seit Heima forttrug
Zu der heerglänzenden Burg der Brosinge Schatz,
Geschmeid und köstliches Gefäss, hinterlistig
Alles Gut Ermenrichs.

Dies ist das einzige Ueberbleibsel der Sage, die von Heima's Raube handelt. Jener Schatz der Brosinge, der nach der Edda Seite 299 ein Halsschmuck der Freyja ist, scheint auf eine uns ganz verborgene Sage anzuspielen. Der grosse Reichthum Ermanarichs wird übrigens ausser den angeführten Stellen noch im Rein ecke Fuchs erwähnt, wie Grimm anfuhrt. Wo? weiss ich nicht.

Aus dem alten Hildebrandslied, wo zwar Ermanarich nicht genannt wird, die ganze Erzählung sich aber um Dietrichs Flucht vor Ermanarich dreht, geht hervor, dass die Ermanarich- und Dietrichsage, wie unter den Angelsachsen, so auch unter den Thüringern und Hessen ineinander verschmolzen war im 7. und 8. Jahrhundert. Ueberhaupt tritt hervor, dass während der Norden nur Ermanarichs unglückliches Ende, Saxo schon einige Züge aus seinem früheren Leben kennt, in der deutschen Sage die Haupttheilnahme für Ermanarichs Lebensgeschicke vor diesem Wendepunkt sich zeigt. Eine andre Nachricht beweist auch, wie lebhaft noch um das Ende des 9. Jahrhunderts die Erinnerung an Ermanarich war, wie historisch noch die ganze Sage damals genommen wurde. In einer Chronik nämlich (Flodoardi hist. ecclesiae Remensis) wird erzählt, dass Fulko, Erzbischof von Rheims den König Armulf in einem Schreiben ermahnt habe, redlich gegen Karl den Einfältigen, den letzten aus dem königlichen Stamme, zu verfahren; und "nach deutschen Büchern einiges über den König Ermerich beigefügt habe, der sein ganzes Geschlecht dem Tode bestimmt habe durch die schändlichen Eingebungen seines Rathes." Es ist hieraus auch deutlich, dass die Gedichte schon aufgezeichnet waren; ja es widersteht nichts, anzunehmen, dass Karl der Grosse schon die Heldenlieder über Ermanarich habe sammeln und niederschreiben lassen.

Ein Jahrhundert später, um das Ende des 10. und Anfang des II. Jahrhunderts werden wir durch das Chronikon Quedlinburgense etwas reichlicher über den damaligen Stand der Sage unterrichtet; nach dieser Chronik ist Ermanarikus ein Zeitgenosse Attilas, er herrscht über alle Gothen, astutior in dolo, largior in dono. ,, Dieser hängte nach dem Tode des Friederich, seines einzigen Sohnes, der nach seinem Willen vollzogen war, seine Neffen Embrika und Fridla an den Galgen." Eine andere Stelle daraus sagt: "Er zwang seinen Vetter Theodorich, auf Anreizung seines Vetters Odoaker, bei Verona geschlagen zu Attila als Verbannter zu fliehen." Endlich berichtet die Chronik noch: "dass Ermanarich von den Brüdern Gernido, Serila und Adaokar, deren Vater er getödtet hatte, nachdem ihm Hände und Füsse abgehauen Wären, getödtet worden sei." Es ist deutlich, dass die letzte dieser drei Bemerkungen ein verstümmelter Ueberrest unserer vielbesprochenen Sage ist, da die Ermordung des Vaters unmöglich echt sein kann, da ebenfalls der Name Adaokar, wer weiss durch welche Verwirrung des Chronisten in den Text gekommen ist. Wichtiger ist hingegen, dass die Ermordung, — denn diese folgt hier nach der Verstümmelung, — von drei Brüdern ausgeführt wird, es scheint also in der deutschen Sage dieser Zeit die Episode von Erps Ermordung gefehlt zu haben, und der Tod Ermanarichs, wie er vorher berathen ist, glücklich von den drei Brüdern beendet worden zu sein. Wie also überhaupt in der deutschen Sage das unglückliche Ende Ermanarichs ein weniger beliebter Sagenstoff gewesen zu sein scheint, so ist es aus diesem Zeugniss deutlich, dass in den Liedern, die es darüber gab, die Begebnisse weniger reich ausgebildet, mit Episoden durchwebt, die Charaktere weniger scharf entgegengestellt waren.

Woher nun diese Unterschiede zwischen dem Norden und Deutschland? Natürlich lassen sich nur Vermuthungen darüber aufstellen; doch will ich diese kurz zusammenstellen.

Jörmunrek war der nordischen Sage eine ursprünglich fremde, dem Norden überhaupt nicht verwandte Persönlichkeit; war aber er einmal durch den Namen Gudrun an die nordische Sage angeknüpft worden, so blieb doch die Haupttheilnahme für Gudrun und Swanhild, und auf ihn wandte sich nur das Interesse, insofern er das Ziel der Rache für Swanhild war. Was ausserhalb dieser Geschichte lag, was nicht in seinem Leben durch den Strahl dieser Sage erleuchtet wurde, das blieb im Dunkeln, das gab es für den Norden nicht.

Für Deutschland hingegen war Ermanarich der Mittelpunkt eines Sagenkreises; es mochte hier noch ein Rest jener Furcht geblieben sein, von der Ammian Marcell. erzählt, die in Folge seiner Kriegsthaten sich weit in die Lande verbreitet hatte. Diese Furcht hatte das ganze Leben des Gothenkönigs erfinderisch ausgeschmückt, natürlich mit Zügen seiner Härte und Grausamkeit. Wie zur Strafe hatte die Volkssage ihm gleichsam einen bösen Engel beigegeben, jenen Sibech, der alle seine Schritte ins Verderben lenkt. Die Verwicklungen nun, in die ihn sein zorniger und arglistiger Sinn bringt, sind für die deutsche Sage der Hauptpunkt, nicht die einzelne Geschichte seines Untergangs; seine Charakterentwicklung und deren Folgen scheinen die Grundzüge der deutschen Sage gewesen zu sein. Dazu kam, dass der in seine Geschichte hineingeschlungene Theodorich das Interesse von seinem Ende nach dem Kampfe dieser beiden Helden wie zu einem Glanzpunkte der Sage hinzog; natürlich dass dadurch das Ende des einen etwas dagegen verblasste; in gleicher Weise übrigens, wie es auch mit dem Ende Theodorichs geschehn. So ist es denn begreiflich, dass in späteren deutschen Gedichten, besonders in Dietrichs Flucht Ermanarich zur Strafe für seine Sünden in eine unheilbare Krankheit gefallen ist: ebenso wie er nach der Vilkinasage in einer furchtbaren Krankheit halbtodt schmachtet, nachdem man zu seiner Heilung vergebens ihm den Leib aufgeschnitten hat. Eine noch spätere Sage im Anhange des Heldenbuches berichtet, der treue Eckhard habe ihn erschlagen, zur Rache für die jungen Harlunge, die seiner Pflege empfohlen waren. Daraus kann man nur entnehmen, wie abgestorben um die Zeit der Entstehung dieses Liedes jene alte Sage von Ermanarichs Ende war.

Ich stelle jetzt noch zusammen, was nach den angeführten Zeugnissen um die Grenzscheide des 10. und 11. Jahrhunderts über die Ermanarichsage bekannt gewesen sein mag.

Ermanarich (Hermenrich, Emelrich), König von Deutschland, nach den Chronisten, denen Jornandes bekannt war, aller Gothen, dessen Burg auch in Deutschland lag (Gandarus?) hat zwei Brüder, deren einer Dietmar, der Vater des Theodorich, deren anderer seinem Namen nach immer wechselt, aber übereinstimmend der Vater der Harlunge, Imbrecke und Fritile, ist. Diese lässt er auf Sibichs Rath an den Galgen hängen, nachdem er zuvor seinen einzigen Sohn Friederich hat tödten lassen. Auf die Anreizung des Odoaker, seines Vetters, zwingt er Theodorich zu Attila zu fliehen. Sein Ende wird durch drei Brüder, deren Vater er getödtet hat, herbeigeführt.

V
Die ursprüngliche Sage.

Wir lesen, dass bei den Gothen das Königsgeschlecht der Amaler die Thaten seiner Vorfahren in Liedern besungen habe. Cassiodor, der am Hofe Theodorichs des Grossen lebte, erzählte sicherlich in seiner Zweck- und Parteischrift über die Gothen nur Sagen, in denen die Vorfahren Theodorichs in ein glänzendes Licht gestellt werden. Insbesondere muss Ermanarich, der Edelste der Amaler, der Glänzendste aller Gothenhelden, unter dem das Reich die weiteste Ausdehnung erhielt, die es je gehabt, einen grösseren Raum in seinem Geschichtswerk eingenommen haben, wie es auch noch aus dem Auszuge des Jornandes erhellt, der mit ziemlicher Ausführlichkeit die Thaten dieses Königs bespricht und oft noch auf ihn zurückkommt. Es ist also einerseits ganz wahrscheinlich, dass Cassiodor, anstatt das geschichtlich Feststehende über den Selbstmord des Ermanarich zu erzählen, lieber die Volkssage heranzog, die sein Ende und sein unrühmliches Zurücktreten anders erklärte; wie es andrerseits einleuchtet, dass die gothische Volkssage ihren Helden in ein vortheilhaftes Licht zu setzen gewusst haben wird, da an ihn der Glanz des Gothennamens sich vornehmlich knüpfte. Die Furcht und der Hass, den er sich bei den unterjochten Völkern erweckt hatte, fehlten ja hier; an ihre Stelle traten Bewunderung und Vorneigung. So finden wir in dem Auszug des Jornandes nicht einen Zug, in dem wir einen Tadel, einen Vorwurf wieder erkennen möchten. Denn starke Leidenschaften sind für die Volkssage, so lange sie noch ursprünglich und rein fliesst, vielleicht Gegenstände des Grauns, aber nicht des Tadels; im Gegentheil verweilt sie bei solchen mit einer gewissen Vorneigung; wie Kinder sich an Schauermärchen ergötzen. Auch die grausame Todesart der Sonilde ist den barbarischen Sitten jener Zeit angemessen, und nicht so unerhört, wie sie uns scheint.1 Zerreissung durch Pferde ist als Strafe für Treulosigkeit ein in der ältesten Sage mehrerer Völker wiederkehrender sagenhafter Zug. Aehnliches ist aus der fränkischen und lateinischen Sage bekannt.

Nach diesen Vorbemerkungen kann ich die Stelle des Jornandes selbst folgen lassen. Dieser erzählt Cap. 24:

"Den König Ermanarich, der, ob er gleich viele Völker besiegt hatte, über die Ankunft der Hunnen Besorgnisse hegte, suchte der treulose Volksstamm der Rosomanen (Rosomonorum, Roxolanorum, Rasomonorum, Rosomorum) der ihm damals mit andern diente, bei solcher Gelegenheit zu täuschen. Denn als er ein Weib aus dem erwähnten Volke, Suanahild (Sonilda, Sunihil, Sanielh) geheissen, wegen ihres Gemahls betrügerischer Flucht im höchsten Zorn an wilde Pferde binden und zerreissen liess, griffen die Brüder derselben, Sarus und Ammius, um den Tod der Schwester zu rächen, Ermanarichen an und verwundeten ihn an der Seite. An dieser Wunde leidend brachte er sein Leben in Leibesschwäche zu. Dies gab den Hunnen Gelegenheit, im Lande der Gothen die Uebermacht zu gewinnen. Währenddem schied Ermanarich, sowohl den Schmerz dieser Wunde als auch die Einfälle der Hunnen nicht ertragend, im höchsten Alter und seiner Tage voll, 110 Jahr alt aus dem Leben."

Zuerst füge ich noch eine Stelle aus Ammian Marcell.2 bei, in der er die Alanen, das Stammvolk der Rosolanen, also beschreibt: "Die Alanen sind fast alle von schlankem hohem Wüchse und schön, ziemlich blonden Haares, schrekkend durch die, wenn auch gemässigte Wildheit des Blickes, behend in leichter Bewaffnung, den Hunnen fast in allem gleich, jedoch in Nahrung und Lebensart civilisirter."

Ich glaube, dass auf einige Worte des Jordanes bis jetzt noch nicht genug Rücksicht genommen ist; "während Ermanarich über die Ankunft der Hunnen Besorgnisse hegt, suchen ihn die treulosen Rosomanen bei solcher Gelegenheit zu täuschen (decipere)." Ettmüller übersetzt dies: "betrügerisch zu verderben"; das liegt aber gar nicht im Worte. — Die ganze Sache ist nämlich nur zu verstehen, wenn wir den Einfall der Hunnen und die Besorgnisse Ermanarichs mit ihr in Verbindung bringen. Die treulosen Rosomanen suchen ihn zu betrügen, indem sie sich verrätherisch zu den Hunnen wenden, darauf bezieht sich auch die betrügerische Flucht des Gatten der Swanhilt. Dies bemerkt Ermanarich, und nimmt im höchsten Zorn Rache an dem Weibe des Verräthers, der offenbar der Bikko des Nordens, der Sibech der deutschen Sage ist. Dass er zu dem Geschlechte der Rosomanen gehörte, wird nicht gesagt; es ist auch nicht anzunehmen, aber er mag grossen Einfluss auf die Rosomanen gehabt haben, aus denen er auch sein Weib hatte. Die Rosomanen nun sind offenbar der Beschreibung nach Indogermanen; ihre Schönheit, der stechende Blick ihrer Augen sind noch in der Person der Swanhild bewahrt. Auch das blonde Haar wird besonders in der nordischen Dichtung hervorgehoben; und vielleicht ist in dem Namen "Erp" noch eine Anspielung auf dasselbe. Der zweite Punkt, der mir noch zu wenig beachtet scheint, ist der Schluss. Nach der Geschichte starb Ermanarich durch Selbstmord. Nach Jornandes scheidet er aus dem Leben, sowohl den Schmerz der Wunde als die Einfälle der Hunnen nicht ertragend, alt und seiner Tage voll." Es ist eine merkwürdige Unbestimmtheit in den Worten; die Worte: "sowohl den Schmerz seiner Wunde als die Einfälle der Hunnen nicht ertragend," lassen den Selbstmord vermuthen; der Ausdruck, er schied aus dem Leben, vita defunctus est, ist zu allgemein, um jene Vermuthung zu widerlegen. Erinnern wir uns dann, dass Jordanes nach Cassiodor erzählt, dass dieser das Schimpfliche eines Selbstmordes vielleicht auch durch einen unbestimmten Ausdruck verdeckt haben mag, ja verdeckt haben muss; was hindert uns, anzuerkennen, dass mit grösster Wahrscheinlichkeit die Geschichte zu Cassiodors Zeit das Ereigniss des Selbstmordes noch fest im Gedächtniss hielt, dass die Sage das letzte Ende des Königs noch nicht mit ihrer Dichtung umsponnen hatte, wohl aber, dass sie als Hauptmotiv zum Selbstmord ein grosses körperliches Leiden ersonnen hatte; denn von Ermanarich zu glauben, dass er sich nur aus Furcht und Besorgniss vor den Hunnen den Tod gegeben, wie Ammian erzählt, das war der Volkssage und ihrer hohen Meinung von Ermanarichs Heldengrösse nicht möglich. Diese Natur musste auch körperlich gebrochen und vernichtet erscheinen, um einen Selbstmord erklärlicher zu finden. Und selbst so scheint die Sage doch noch mit einer gewissen Scheu auf den ruhmlosen Tod ihres Helden hingeblickt zu haben, sie hat diesen Tod frühzeitig vergessen, wie weder die ältere nordische, noch die dänische, noch die deutsche etwas davon wissen.

Erst die spätere Sage in Deutschland unterschied nicht mehr die Verwundung durch die Brüder und seinen spätem Tod, sondern zog beides zusammen, wie das Chron. Quedlinb. berichtet. Noch später bildeten sich eigne und durchaus verschiedenartige Schlüsse von Ermanarichs Heldenlaufbahn; seine Ermordung durch den treuen Eckhard habe ich erwähnt. In der Vilkinasage scheint er durch die List Sibichs umzukommen, der nach seiner Krone trachtet.

Sonach fällt also mit grösster Wahrscheinlichkeit der Widerspruch zwischen Sage und Geschichte weg, ja es dürfte jetzt die Frage aufgeworfen werden, wodurch berechtigt wir noch die Erzählung des Jordanes für eine Sage halten. Dass sie geschichtliche Wahrheit enthalte, dafür scheint folgendes zu sprechen: erstens, dass Cassiodor unmöglich eine völlig aus der Sage entnommene Geschichte über den grössten Gothenhelden in einem Werke, das an Theodorich den Grossen gerichtet war, erzählen durfte; zweitens, dass, wenn er überhaupt mythische Züge einmischte, wie es ja feststeht, er nur solche erwähnen durfte, in denen der Glanz der Amaler recht hervortrat; nicht aber solche, in denen, wie in Swanhilds grausamer Niederreitung, ein nachtheiliges Licht auf die Geschichte des Amalerhauses fiel. Drittens kann vor allem gesagt werden, dass das geschichtliche Faktum des Selbstmordes aus reiner Furcht vor den Hunnen bei Ermanarich nicht zu erklären ist; daraus, dass aber Ammian darüber schweigt, folgt noch gar nicht, dass es nicht geschehen ist, sondern nur, dass er es wahrscheinlich nicht gewusst hat; und wenn er es wusste, er es für zu unwesentlich hielt, es zu erwähnen: denn er hat für die Erwähnung Ermanarichs kaum mehr als drei Zeilen. Endlich ein letzter Grund: Wo liegen in der Erzählung des Jornandes die Andeutungen und Züge, aus denen man auf eine Sage schliessen dürfte? Weder der Verrath der Rosomanen, noch der Zorn des Ermanarich, noch der grausame Tod Swanhilds, noch die Blutrache durch zwei Brüder, noch endlich Ermanarichs sieches Leben enthalten etwas, was nothwendig aus der Geschichte in die Sage gewiesen werden müsste. Ja man betrachte nur, wie unsagenhaft die Verwundung in die Seite (latere) ist, während die spätem Sagen übereinstimmend erzählen, ihm seien Hände und Füsse abgehauen worden.

Unter der Voraussetzung, dass meine Vermuthung richtig wäre, hätten wir das merkwürdige Beispiel, ja das einzige Beispiel, dass wir ziemlich genau verfolgen könnten, an was für geschichtliche Züge sich die Sage am frühsten und liebsten anschloss, wie sie in unserm Fall zuerst wohl den dritten Bruder heranzog, um zu erklären, weshalb die Blutrache nicht völlig gelang, dann vielleicht die Zauberin Gudrun, an die dann die nordische Sage anknüpfte, am spätesten wohl den Sohn Ermanarichs, dessen Name überall schwankt, wahrscheinlich nur, um den fürchterlichen Zorn des Ermanarich zu begreifen, da die Bezüge auf den Einfall der Hunnen schon längst vergessen waren. —

Indem ich mit dieser Vermuthung schliesse: lege ich die Feder aus der Hand mit dem Bewusstsein, wenigstens versucht zu haben, eine Reihe von Gedanken, die mich schon länger beschäftigt haben, zusammenhängend hinzustellen, mit dem Gefühl, mich in die alte Sage allmählich so hineingelebt zu haben, dass ich jetzt fast mit einem gewissen Schmerz für länger von ihr scheide, endlich mit dem lebhaftesten Dank gegen die Männer, denen ich hierbei alles und jedes schulde, vor allem aber gegen die Gebrüder Grimm, die sich ein unvergängliches Ehrendenkmal in dem Herzen eines jeden Deutschen gegründet haben.


Fußnoten s. English Translation.

Unpublished Works | Die Gestaltung der Sage vom
Ostgothenkönig Ermanarich bis in das 12te Jahrhundert.

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