Unpublished Works | [Über das Wesen der Musik] 1862© The Nietzsche Channel

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[Über das Wesen der Musik.]1
September-Oktober 1862.

[Über das Wesen der Musik]

Musik ebenso wohl blos mathem[atisches] Gebäude als Vergleich des Gefühls und der Musik. Allmählige Vertiefung.

Der Componist: Gefühl erregt, Phantasie erregt, dämonische Kraft.

Der Hörer. Das Gehör der musik[alische] Sinn, erregt.

Der Geist überschaut es verknüpft unbewußt die verschiedenen Gefühle. Phantasie gehört dazu.

Der ursprüngl[iche] Eindruck dämonischer Natur. weder Gefühl noch Intellekt. Unbewußtes Fortgerissenwerden.

Äußere Sinne immer mehr verfienert, zusammenlaufen.

Deshalb ähnliche Eindrücke andrer Sinne.

Unser Gefühlsleben ist uns selbst am wenigsten klar; daraus daß wir selbst die Saiten die durch die Musik in uns erklingen, nicht ihrem Tone nach erkennen, sondern blos ihren Schwingungen nach fühlen.

Der Ton fällt ins Ohr, die Ohrnerven leiten
i[h]n fort zu den Kopfnerven, vergeistigen immer mehr sein Wesen.

Ahnen das Wesen des Musikverständnisses.

Wenn man eine Fuge von Fux oder A[l]brechtsberger hört, wie die Töne auf das Kommando aufmarschieren und sich ablösen, mit steifen Zöpfen und Kamaschen, bald über einander herfallen und stolpern, bald hüpfeln, tänzeln, dann gravitätisch einherschreiten und Complimente machen und zum Schluß ein Ton stehen bleibt, ein Feldherr zu Roß der die andern an sich vorbei jagen läßt: wenn du nun glaubst, vor einem Marionettentheater zu stehn und die Puppen an Drahtstäben tanzen zu schaun

[Über das Wesen der Musik]

[+++] wenn du über die lächeltest, die in solchem Formenwerk leben konnten und es als den Gipfelpunkt der Musik, als die einzig wahre Musik betrachten: auch über dich und deinen Verstand schütteln manche Leute die Köpfe, wenn du wie niedergeschmettert von der Macht der Musik vor den leidenschaftl[ichen] Wogen Tristan und Isoldes dastehst. Beides sowohl Albrechtsberg[ers] Contrafugen und Wagnersch[e] Liebesscenen ist Musik; beidem muß etwas gemeinsam sein das Wesen der Musik. Das Gefühl ist gar kein Maßstab für Musik;

Durch die Sprachwissenschaft finden wir, daß je älter eine Sprache umso tonreicher sie ist, ja daß man oft die Sprache vom Gesang nicht unterscheiden dann. Die ältesten Sprachen waren auch mehr wortärmer, die allgemeinen Begriffe fehlten. Es waren die Leidenschaften, die Bedürfnisse und Gefühle, die in dem Ton ihren Ausdruck fanden. Man kann fast behaupten, daß sie weniger Wortsprache als Gefühlssprache waren, jedenfalls bildeten die Gefühle die Töne und Worte, bei jedem Volk nach seiner Individualität; das wallende Gefühl brachte den Rythmus. Allmählich trennte sich die Sprache von der Tonsprache,

[Über das Wesen der Musik]

Die akust[ischen] Reize beruhen auf der Vereinigung der von außen kommend[en] Schallaffekte mit unserm Gehör als Schallsinn.

Die den optischen Reizen zu Grunde liegende Bewegung eine aus überirdisch[en] Sphaer[en] stammende, unendlich viel raschere und subtler kaum wahrgenommen, sondern als ruhiger bewegungsloser Körper erscheinend;  die  optische  uns  fernerliegend  äußerlicher objektiver die akust[ische] mehr innerlicher näherliegender. Correspondenz von Tönen und Farben früh gefühlt.

Aneinanderreihung von Tönen als Grundbedingung der ton[i]sch[en] Formation, als das Wesen der Melodie, wie die Umrisse und Konturen.

Correspondenz von Klängen, eigenthümliche Modifikation der Schallwellen, Hochrot mit Trompete Waldhorn augen

Vieldeutigkeit der Musik.

Auge und Ohr.

Die Wirkungen einzelner Musikstücke sind verschieden auf einzelne Gemüther, noch verschiedner auf die einzelne[n] Geister selbst verschieden auf ein einzeln[es] Gemüth in verschieden[en] Stimmungen. Dies ist die relativ[e] Wirkung der Musik. Nicht einmal der Componist kann die Wirkung beurtheilen, die er macht, er wird selbst ganz verschieden davon bewegt, er schildert nicht wenn er componiert seine eigne Stimmung, braucht es wenigstens nicht, sondern seine Stimmung reizt seine musikal[ische] Phantasie seine Stimmung kann das Resultat von Ideen sein. Je erregter seine Phantasie, desto mehr trennt er sich vom Formellen lose, und er wird selbst überschauert von der Kraft, die ihn begeistert. Der Hörer indessen trägt seine eigne Stimmung herzu, er kann es blos als Kunstwerk aesthetisch betrachten, dann als musik[alischen] Ausdruck eines Gedankens, dann blos empfindend, und blos an sich die Tonwellen schlagen lassend. Er kann tief etwas vom Compon[isten] fla[c]h empfundnes auffassen, er kann Gedanken suchen, wo keine sind, und vieles matt finden wo tiefes Gefühl ist. Von dem Eindruck also kann man urtheilen, er sei incommensurabel; die Schönheit, die einem einzelnen einem Volk einer Seit erscheint, braucht keine wahre zu sein. Die Wirkung also ohne Bezug auf Schönheit absolut. Nun sind aber nur die Wirkungen der Künste, das was auf ihr Wesen schließen läßt. Denn der Künstler [kann] abs[olut] selbst nur die Wirkungen constatieren, die ein unbestimmt[es] Etwas auf ihn macht, das dämonische, der schöpferische Antrieb. Daß dies Dämonische von den Hören nachempfunden wird, ist also das höchste Erforderniß zum Kunstverständniß. Das ist aber weder ein Gefühl noch ein Erkennen, sondern ein dumpfes Ahnen des Göttlichen. Durch Bewegung entsteht dies Gefühl, wo aus der Form plötzlich der Himmelsfunke herausschlägt; symbolisch ist es Bewegung des Kosmos, Rythmus in den mannichfalt[igen] Bewegungen; Melodie Umriß des Allgemeinen im Einzelnen, so daß das Ganze wieder als Vollendung des Einzeln[en] aussieht in der Durchführung, deshalb oft Gegensätzl[iches] in den Melodien, die die größern Abstufungen von Licht und Schatten bilden.
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1. Probably notes for a two-part "Germania" essay, "Über das Dämonische in der Musik I, II" (On the Demonic in Music). Unfortunately, the essay itself is lost. "Demonic" here, as in the Greek sense, means "divine." Although Nietzsche's essay no longer exists, he gives a brief description of it in his July 12, 1864 letter to Rudolf Buddensieg:

Was nun Ihre Gedanken über die Wirkungen der Musik betrifft, so ist die Beobachtung, die Sie an sich gemacht haben, wohl mehr oder weniger allen musikalisch organisirten Menschen eigen; indessen ist diese Nervenerregung, dieser Schauer nicht die Wirkung der Musik allein, sondern aller höhern Künste. Erinnern Sie sich des analogen Eindruckes beim Lesen Shaksperescher Tragoedien. Und wie bei diesen bald ein einziges Wort, bald eine drängende und fortreißende Scene, bald ein greller Gegensatz dieses Gefühl hervorruft, so erwecken auch durchaus verschiedenartige Musikwerke einen gleichen Eindruck, einen gleichen Nervenkitzel. Denken Sie daran, daß dies bloß eine physische Wirkung ist; ihr vorangeht eine geistige Intuition, die auf den Menschen bei ihrer Seltenheit, Großartigkeit und Ahnungsfülle so einwirkt, wie ein plötzliches Wunderbares. Denken Sie nicht, daß der Grund dieser Intuition im Gefühl, im Empfinden liegt; nein, gerade im höchsten und feinsten Theile des erkennenden Geistes. Ist es Ihnen nicht als ob sich etwas Weites, Ungeahntes erschlösse, spüren Sie nicht, daß Sie in ein andres Reich hinübersehen, das dem Menschen für gewöhnlich verhüllt ist?

Bei dieser geistigen Intuition tritt der Hörer dem Componisten so nahe, als er nur treten kann. Ueber diese Wirkung hinaus giebt es keine in der Kunst; sie ist selbst eine schöpferische Kraft. Finden Sie den Ausdruck unpassend, den ich selbst vor zwei Jahren, als ich mehere Bogen über diesen Gegenstand an meine Freunde schrieb, gewählt habe; ich nannte die Wirkung "eine dämonische." Wenn es je Ahnungen höherer Welten giebt, so liegen sie hier verborgen.

Indessen ist die Materie weit, und Sie verzeihn mir, wenn ich ein paar Worte hingeschrieben habe, die wenig bedeuten. Ein Geheimniß liegt hier sicher verborgen: fragen Sie Sich: Ob der Componist immer oder selten dies Gefühl beim Schaffen habe? Ob dieser Eindruck nur von guter Musik veranlaßt werde, oder ob bei entsprechender Organisation des Menschen nur die seiner Geisteshöhe gemäße Musik diesen Eindruck gewährt? Ob man überhaupt aus diesem Eindruck einen Schluß auf die objektive Vollkommenheit eines Musikwerkes machen dürfe? Ob vorzügliche Musikwerke diesen Eindruck auf feine Naturen machen müssen? Und so der Räthsel viele. —

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