COPYRIGHT NOTICE: The content of this website, including text and images, is the property of The Nietzsche Channel. Reproduction in any form is strictly prohibited. © The Nietzsche Channel. Ueber die dramatischen Dichtungen Byrons Der Hauptreiz der Byronschen Dichtungen besteht in dem Bewusstsein, dass in ihnen die eigne Gefühls- und Gedankenwelt des Lords uns entgegentritt, nicht in ruhiger, goldklarer Fassung goethischer Poesie, sondern in dem Sturmdrang eines Feuergeistes, eines Vulkanes, der bald glühende Lava verheerend einherwälzt, bald, das Haupt umdüstert von Rauchwirbeln, in dumpfer, unheimlicher Ruhe auf die blühenden Gefilde herniederschaut, die seinen Fuss umkränzen. Die unglückliche Poesie des Weltschmerzes nimmt in Byron ihren Ursprung und ihre genialste Entfaltung; und gerade darin, dass sich uns der Dichter in jedem Charakter, den er zeichnet, selbst vorführt, ohne jedoch in den Fehler grenzenloser Einseitigkeit zu verfallendenn Byron verstand es, alles Hohe und Edle, die zartesten und erhabensten Gefühle, in der grossartigen Universalität seines Geistes zu erfassengerade darin ruht der Zauber, der uns eine begeisterte Hinneigung zu ihm und seinen Dichtungen fühlen lässt. Wenn nun vornehmlich in Ritter Harolds Pilgerfahrt und in dem grenzenlos genialen Don Juan uns des Dichters eigenstes Wesen entgegentritt, besonders in dem letzteren Werk, das, wie Goethe sagt,2 menschenfeindlich bis zur herbsten Grausamkeit, menschenfreundlich, in die Tiefen süssester Neigung sich versenkend, wir dankbar geniessen müssen, wie es uns Byron mit übermässiger Freiheit, ja mit Frechheit vorzuführen wagt, so sind doch auch seine übrigen kleineren, epischen Dichtungen herrliche Perlen der Poesie überhaupt, in dem wundervollsten Farbenglanz strahlend. Aber weder auf diese, noch auf die hebräischen Melodien, jene unendlich zarten, wehmüthigen Klänge der reinsten Lyrik will ich eure Aufmerksamkeit lenken; seine dramatischen Werke, im höchsten Grade eigenthümlich durch die masslose Subjektivität des Dichters, sollen heute der Vorwurf meiner Abhandlung sein. Das erste seiner Trauerspiele ist der in der Schweiz und am Rhein begonnene Manfred, in dramatischer Beziehung ein Ungethüm, man möchte sagen, der Monolog eines Sterbenden, in den tiefsten Fragen und Problemen wühlend, erschütternd durch die furchtbare Erhabenheit dieses geisterbeherrschenden Uebermenschen, entzückend durch die prachtvolle, wunderbar schöne Diktion, aber undramatisch im höchsten Grad. Seine Mussezeit in Ravenna im Januar 1820 benutzte Byron zur Produktion seines Marino Faliero, den er am 4. April begann und am 16. Juni beendigte. Der Einfluss dieses Jahres, des glücklichsten seines Lebens, das er mit der Gräfin Therese von Gamba verlebte, lässt sich deutlich an dieser Dichtung erkennen, besonders in den bezaubernden Schilderungen venetianischer Nächte, in der fein gezeichneten Gestalt der Angiolina, deren Urbild jene schöne geistreiche Gräfin zu sein scheint, dann in dem kühnen, grossartigen Charakter des Marino Faliero, wenn auch gerade in diesem des Dichters eigne Persönlichkeit mit ihrer ungestümen Freiheitsliebe, ihrer südländischen Reizbarkeit und Leidenschaft wieder deutlich hervortritt. Das Dramatische ist immer noch höchst unbeholfen; das Anhalten an französische Einheit des Ortes und der Zeit verleitet den Dichter zu Missgriffen,3 besonders zu einem höchst weitschweifigen Dialog, dann auch zu breiter Ausführung lyrischer Stellen, die allerdings zu dem Entzückendsten gehören, was je geschrieben worden ist. Byron, nicht ohne Theilnahme für die revolutionären Regungen, die damals Italien durchzuckten, entschloss sich endlich mit der Gräfin nach Ankona zu gehen, während er seine Tochter Allegra zur besseren Erziehung in ein Kloster that. Von dort sandte er Ende Mai 1821 sein beendigtes Trauerspiel Sardanapal nach London ab, das dem berühmten Goethe gewidmet war, als Huldigung eines literarischen Vasallen dem Lehnsherrn dargebracht, dem ersten aller jetzt lebenden Autoren, der die Literatur seines Vaterlandes geschaffen und die von Europa erleuchtet hat.4 Auf dieses Produkt, ausgezeichnet durch die herrliche Frauengestalt der Myrrha, der Jonierin, folgten endlich die beiden Foskari, das Trauerspiel, bei dem ich jetzt länger zu verweilen gedenke; es wurde am 11. Juni 1821 begonnen und schon am 10. Juli desselben Jahres beendet. Die Feindschaft zweier venetianischer Patrizierfamilien, der Foskari und der Loredano bildet den Hintergrund der Dichtung; Jakob Loredano, ein stolzer, ehrsüchtiger Charakter, entflammt von Todhass gegen die Foskari, da er glaubt, dass sein Vater und Oheim von jenen durch Gift aus dem Wege geräumt seien, verklagt den Jakopo Foskari, den Sohn des Dogen Francesco Foskari, dass er den vorigen Dogen Erizzo vergiftet habe. Trotzdem dass der Angeklagte durch die furchtbarsten Martern zu keinem Geständniss gebracht wird, trotzdem dass der wirkliche Mörder auf dem Todbett seine Unthat beichtet, wird er in die Verbannung nach Kandia gesandt. Der unglückliche Verbannte, der sich auf fremdem Boden, in Einsamkeit, vor Liebe zu seinem Vaterlande verzehrt, schreibt endlich, nur um wieder in seine Heimath zu kommen, einen Brief verrätherischen Inhalts an den Herzog von Mailand, der auch, wie er beabsichtigt hat, aufgefangen wird. Zurückgeschleppt, in die Bleikammern geworfen, vor den Rath der Zehn geführt, entsetzlich gemartert, dann wieder geheilt und von neuem gefoltert, immer in Gegenwart des Vaters,das ist ein fürchterliche[r] Triumph für Loredano. Vor einem solchen Verhör treffen sich in der ersten Scene des Stückes Loredano und Barbarigo, gleichfalls ein Richter u[nd] ein Freund der Foskari. Während der Erstere immer zur Be[schleu]nigung des Verhörs und der Folter antreibt, sucht der zweite ihn mitleidig zu stimmen, damit der Angeklagte sich erst wieder von der gestrigen Qual erhohle. Aber der eisigen Rache des Loredano sind diese Ermahnungen u[nd] Bitten nur ein neuer Stachel. Diese Scene ist für die Auffassung dieser beiden Patrizier zu wichtig, um nicht eine Stelle daraus anzuführen. Seite 4. Barbar[igo] "Ihr Loredano"5 Endlich wird Jakopo wieder verbannt, aber er stirbt im Augenblick, da er aus den Armen seines Vaters u[nd] seiner Gattin zur Galeere geschleppt werden soll, die ihn nach Kandia getragen hätte. Und der unmenschliche Loredano überbringt nach diesen erschütternden Ereigniß dem Dogen sein[e] [A]bsetzungsurkunde. Der alte Mann, niedergeschmettert durch den gewaltigen Ton der S. Marcusglocke, die die Wahl seines Nachfolgers verkündet, sinkt nieder und stirbtum die entsetzliche Rache Loredanos zu befriedigen. Wenn wir nun jetzt diese Dichtungen uns vergleichungsweise vorführen wollen, so dürfen wir, um nicht ins Maßlose zu fallen, gewisse Gesichtspunkte nicht aus den Augen verlieren, von denen aus wir an eine Zusammenstellung dieser Trauerspiele gehen können. Zuerst also kann man nicht leugnen, daß Byron kein Meister der Charakteristik ist. Es giebt im Allgemeinen für ihn nur einen einzigen Charakter, de[n] er völlig u[nd] erschöpfend zu zeichnen versteht: und das ist sein eigner. Alle andern Charaktere sind, so zu sagen, Theile seines eignen Charakters, eine Erscheinung, auf die wir dann näher eingehen wollen. Ebenso muß man zugeben, daß Byron überhaupt kein Dramatiker war, indem seine Subjektiv[it]ät die plastische Gestaltung zu dramatischer Einheit u[nd] [O]bjektivität verhinderte. Auch sein Ideenkreis trotz seiner unendhch scheinende[n] Gedankenfülle u[nd] Geistesblitze ist nur ein auf sein eigenstes Wesen beschränkter, relativ natürlich bei der Genialität seiner Weltanschauung ein von den weitesten Grenzen umsponnener. Aus denselben Quellen lässt sich seine eigentümlich wechselnde Diktion erklären, die gewissermassen völlig die Sclavin seiner Gefühle ist. Wenn man überhaupt behaupten kann, daß kein Dichter je in solchem Grade subjektiv gewesen ist wie Byron, gewinnt man die vier Gesichtspunkte, von denen aus wir seine dramatischen Dichtungen betrachten wollen, und zwar zuerst in Bezug auf die Charakteristik, dann auf das [d]ramatische Element, dann in Bezug auf die Ideenfülle und endlich in Bezug auf die Sprache. Haben wir vorhin gesagt, daß Byron nur seinen eigenen Charakter zu zeichnen verstand, so klingt dies paradoxer als es ist. In den vier Charakteren Manfred, Marino Falieri, Jakopo Foskari und Sardanapal tritt uns trotz der scheinbar bedeutenden Verschiedenheit immer derselbe entgegen, nämlich Byron selbst in der Vielseitigkeit seines umfassenden Geistes. Während Manfred seine düsteren Grundzüge, seine höhnende Resignation, seine übermenschliche Verzweiflung hervorhebt, während Sardanapal seine sinnliche Natur mit den grellsten Farben ins Licht stellt, lodert uns in Marino Falieri sein glühender Freiheitsstrom entgegen, daneben aber auch die südliche Gluth seiner Affekte; als Jacopo Foskari malt er uns seine Begeisterung für Venedig, seine edelste Vaterlandsliebe. Und sind dies nicht die Grundtöne seines ganzen Wesens, die er uns wie ein Beichtbekenntniß mit höhnender Weltverachtung und göttlichem Selbstbewußtsein entgegenschleudert? Indessen fehlen doch noch zu diesem Bilde einige Züge, seine fast weibliche Zartheit der Empfindung und Feinheit im [e]rfassen edler weiblicher Charaktere, Gaben, die besonders in den wundervollen Frauengestalten, Myrrha, Angiolina und Marina hervorleuchten. Wenn man bedenkt, daß Byron frei von aller Religiosität, ja überhaupt von alle[m] Gottesglauben ist, unbeständig in der Liebe, sinnliche Genüsse im Uebermaße schöpfend, wenn man diese ewigweibliche[n] Frauen betrachtet, von seiner Meisterhand mit den feinsten Grenzen umzeichnet, so muß man wahrhaftig die überaus große Genialität seines Geistes anstaunen. Und gerade der Umstand, daß wir die Vielseitigkeit seines Charakters bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele kennen lernen, ersetzt uns die ungemeinen dramatischen Mängel, die seinen Dichtungen anhaften. Indem Byron die französische Einheit des Ortes u[nd] der Zeit verfolgt, und dadurch z. B. Verschwörungen an demselben Tage entstehen,6 sich ausbreiten u[nd] ausbrechen läßt, indem Byron sich sogar ausdrücklich gegen die Aufführung seiner Stücke verwahrt, gesteht er dadurch selbst die Unzulänglichkeit seines Systems zu. Die sonderbarste Ausgeburt seines Hirns ist jedenfalls der Manfred, der in jeder Beziehung die Grenzen des Gewöhnlichen überschreitet und beinahe ein übermenschliches Werk zu nennen ist. Am meisten noch ist sein letztes Werk gelungen, die beiden Foskari; aber dennoch ist dies Drama trotz aller Einheit in sich zerrissen es mangelt das stete, gleichmäßige Drängen zur Entwicklung, die Handlung geht vielmehr sprungweise vorwärts und zerfällt in sich selbst.7 Es ist eigentliche Dramatisirung der Geschichte, mit allen Unregelmäßigkeiten einer planlose[n] Erzählung. Das Großartigste und zugleich Anziehendste ist Byrons Ideenfülle in seinen Dramen, besonders in seinem Manfred, in dem der Sturmgang seiner Gedanken alles andre überwiegt und alles Interesse an sich reißt. Es giebt in der That kein ideenrei[c]heres Werk, das in solchem Grade trotz seiner dramatischen Mängel, trotzdem daß es eigentlich eine Gedankenanhäufung der Verzweiflung ist, den Leser mit Zaubergewalt bannt und in den Zustand der tiefsten Melancholie versetzen kann. Wenn in den folgenden Stücken die Ideenübermacht weniger hervortritt, wie besonde[r]s in den Foskaris, so ist hierin ein dramatischer Fortschritt Byrons zu erkennen. Aber auch in diesem Trauerspiel bricht die düst[e]re Weltanschauung Byrons in einem Monolog des Dogen hindurch, den ich mir vorzulesen, erlaube, da er wichtig für die Auffassung seines Charakters ist. S. 40 Ein Räthsel ist's8 Wenn ich nun schließlich noch auf die Sprachgewalt Byrons übergehe, auf den Zauber seiner Schilderungen und wunderbaren Malerei der Worte, so glaube ich meine Abhandlung nicht besser schließen zu können, als mit Vorlesung weniger Stellen, die ich zu den schönsten Byronschen Dichtungen rechne.
Fußnoten s. English Translation. |