Philologische Schriften | Der Danae Klage 1868 © The Nietzsche Channel

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Beiträge zur Kritik der griechischen Lyriker

I. Der Danae Klage.


1868.

REPRINT: © The Nietzsche Channel, 2010.

Dionysius von Halikarnaß, aus dessen Händen wir das unvergleichliche Danaelied des Simonides empfangen, gebraucht es zum Beweise seines Satzes, daß polymetrische :X80 trotz den eingestreuten tropischen und glossematischen Worten und sonstigem poetischen Rüstzeug ein der Prosa sehr verwandtes Gepräge haben: man solle nur einmal, fordert er uns auf, das Gedicht so lesen, wie er es hingeschrieben habe, nämlich nach rhetorischen Diastolen, und sicherlich werde uns sein Rhythmus ebenso wie seine  strophische  Form  entgehen.  De  composit.  verbor.    XXVI   W6 *¥ Jl :,846l J E4:T<\*@L J"ØJ"q (X(k"BJ"4 *¥ 6"J *4"FJ@8l, @ÛP ô< Uk4FJ@nV<0l ³ –88@l J4l 6"J,F6,b"F, 6f8T<, •88z f< Ò B,.Îl 8`(@l •B"4J,Ã. Ak`F,P, *¥ Jè :X8,4 6" •<"(\(<TF6, 6"J *4"FJ@8l 6" ,Þ ÇF2r ÐJ4 8ZF,J"\ F, ` ÕL2:Îl Jl í*l 6" @ÛP ª>,4l FL:$"8,Ã< @ÜJ, FJk@n¬< @ÜJ, •<J\FJk@n@< @ÜJr ¦Bå*Î<, •88 n"<ZF,J"\ F@4 8`(@l ,Çl,Âk`:,<@l (so Ahrens progr. Lycei Hannov. 1852 nach dem handschriftlichen 8`(@l ,ÆF,4k`:,<@l; die Vulgata ist @bJTF *4,4k`:,<@l). §FJ4 *¥ Z *4 B,8V(@Ll n,k@:X<0 )"<V0 Jl ©"LJl •B@*Lk@:X<0 JbP"l.

In den durch den Druck hervorgehobenen Worten ist ein bis jetzt noch ungelöstes Räthsel verborgen, ein ärgerliches Räthsel, dem auch Bergk in seiner neusten Lyrikerausgabe—die übrigens so reich an neuen und schönen Funden ist—nichts als folgende verdrießliche Bemerkung widmet Poet. lyr. ed. III p. 1130: "Ipsum carmen, quomodo constituendum sit, admodum incertum: nam Dionysius iudicare videtur adscriptas esse stropham et antistropham cum epodo, nec tamen certa satis responsionis vestigia deprehenduntur. Equidem stropham et epodum discripsi, Ahrens ad •B@8,8L:X<" referre videtur, Hartung in strophae et antistrophae formam redegit." Man muß direkter sprechen als es Bergk thut: Dionysius schrieb nach seiner Meinung wirklich Strophe, Antistrophe und Epode hin and wird sich über die Form eines Gedichtes nicht getäuscht haben, das er mit seinem Geschmack aus der Fülle der melischen Poesie auswählte and zu seinem Zwecke sorgfältig in neue 6ä8" umschrieb. Aber sehen wir zu, warum den Erklärern die Worte des Dionysius so wenig behagen. Sicherlich haben sie alle (ebenso wie ich es versucht habe) sich abgemüht, in dem vorhandenen Fragment die Responsion der Strophe and Antistrophe, schließlich die Epode zu entdecken, aber es mißlang ihnen, wie es mir mißlungen ist, so daß man wohl den Mißtrauisch-Muthigen zurufen darf: Laßt jede Hoffnung zurück.

Der Ausweg, den man jetzt ersann, um den Worten des Dionysius ihr Recht zu wahren, ging dahin, daß man die Verfassung des Textes verantwortlich machte, wenn zwischen den Aussagen des Dionysius und unserm Danaelied ein Widerspruch bestände. Schneidewin also, wie nachher auch Bergk, erklärte sich dafür, daß die Strophe abgefallen sei, Hartung begnügte sich die Epode als verloren zu betrachten, letzterer, nachdem er aus der vorhandenen Ueberlieferung sich eine Strophe sammt Antistrophe geschnitzt hatte, mit einer Verwegenheit, die nur zwei Beispiele charakterisieren mögen. Aus J, :Z< in V. 2 macht er sich, der Tausendkünstler, $kVFF, zurecht; nach *,\:"J4 ³k4B, schiebt er ein B< *X:"l Jk@:@ØF". Im Uebrigen hat der Einfall Hartungs, daß vielleicht die Epode abgesprungen sei, genug, aber immer noch weniger gegen sich, als die Schneidewinsche Auffassung. Was in aller Welt sollte die Strophe enthalten, wenn die Schilderung, wie Danae von Wind and Wellen umtobt wird, der Antistrophe  aufbewahrt  blieb,  wenn  aber  das  ganze  Gedicht, das Dionysius abschrieb, nichts enthielt als "º *4 B,8V(@Ll n,k@:X<0 )"<V0 Jl ©"LJl •B@*Lk@:X<0 JbP"l." Das Lied, wie es erhalten ist, schließt sich eng und vollständig an dies vorausgeschickte Programm an: wenn es aber doch einmal unvollständig sein soll, so ist es immer noch wahrscheinlicher, daß die Klage über die schweren Schicksalsschläge ursprünglich etwas weiter ausgeführt war, als daß das Herumtreiben im Meere noch in einer ganzen Strophe seine Darstellung fand.

Uebrigens, wenn je ein ästhetisches Argument Gewicht hat, muß hier gegen Hartung geltend gemacht werden, daß die Klage der Danae mit einem völlig epodischen Charakter abschließt. Diese resignierte Ergebung am Schlusse, ein Spiegelbild der friedlichen Kindesruhe, erschöpft gewissermaßen die Klage, so daß es sehr schwer sein möchte, für die angeblich verlorene Epode Hartungs einen würdigen Gedankeninhalt zu finden. Die Thränen, mit denen Danae ihren Schmerzenserguß einleitet, versiegen allmählich, wie sie das hold schlummernde Kind, ihr Kind, anschaut; das Schlaflied, das sie dem Kinde, dem Meere und ihrem Unheil singt, singt sie zugleich ihrem Schmerze. Indem sie sich aber vertrauensvoll an Zeus wendet, hat sie aufgehört, Jl ©"LJl JbP"l •B@*bk,Fh"4. Was will also Hartung? Eine Epode nach der Epode, etwas Unmögliches.

Die Versuche also, durch die Annahme eines größern Ausfalls zu Anfang oder zu Ende den Worten des Dionysius zu ihrem Rechte zu verhelfen, sind bis jetzt mißlungen: wenn aber Ahrens, im strikten Widerspruch mit Dionysius, unser Gedicht zu der fraglichen Gattung der •B@8,8L:X<" rechnet, so ist dies eben nicht mehr und nicht weniger als der Ausdruck einer desperaten Stnnmung.

Nun muß in diesem Zusammenhange einmal betont werden, daß unser Gedicht eben nur ein Fragment ist, wahrscheinlich einem der berühmten simonideischen 2k<@4 zugehörig, mit denen es durch seinen schwermüthigen, schließlich ergebenen Ton eine innere Verwandtschaft hat. Danae ist eine vorbildliche Person: deshalb erzählt Simonides ihr Schicksal. Man vergleiche das Fragment 36, gleichfalls aus einem 2k<@l, das deutlich ein vorbildliches Beispiel aus der Mythenwelt einleitet. Unser modernes Gefühl freilich möchte gern dies Danaelied als ein Ganzes, als eine hellenische Romanze oder ein heroisches $"L6V80:" betrachten; aber dies Gefühl kann nur wünschen, nicht beweisen, und gerade in diesem Falle hat es die historische Erkenntnis gegen sich. Das griechische Alterthum kannte die melische Romanze nicht.1

Nur wenn das Danaelied eine selbständige Einheit wäre, würde die Erklärung der Dionysiusstelle geboten sein, die bis jetzt, als ob sie die allein mögliche wäre, von den Interpreten vorausgesetzt worden ist. Alle nämlich gehen davon aus, daß, wenn Dionysis von Strophe, Antistrophe und Epode spricht, er dabei die ganze, vollständige, fertige Strophe meine. Deshalb nur zweifeln Schneidewin, Bergk und Ahrens an der Aufdeckung der Responsion, weil sie eine ganze Strophe suchen, der eine Antistrophe entsprechen soll. Nun ist aber sehr wohl denkbar, daß Dionysius nur das letzte Stücke der Strophe, aber die ganze Antistrophe sammt Epode mit den Worten @ÛP ª>,4l FL:$"8,Ã< @ÜJ, FJk@n¬< @ÜJ, •<J\FJk@n@< @ÜJz ¦Bå*`< bezeichnet habe. Man erinnere sich eben nur, daß das Gedicht aus einem größeren Ganzen herausgenommen ist, daß aber ein mythisches Beispiel sicher erst eingeleitet werden mußte, daß z. B. auch der Name der Danae erst genannt werden mußte, ehe unser erhaltenes Lied eine Stelle haben konnte. Vielleicht macht das, was ich will, am schnellsten deutlich, wenn ich einmal ein Stück Horaz so schreibe, wie Dionysius sein Gedicht schrieb:

o quae fontibus integris gaudet,
apricos necte flores,
necte meo Lamiae coronam,
Pimplea dulcis.
Nil sine te mei prosunt honores:
hunc fidibus novis,
hunc Lesbio sacrare plectro teque tuasque decet sorores.

Nun lese man nach diesen rhetorischen Diastolen: man wird weder den Rhythmus noch Strophe und Gegenstrophe herausmerken.— So gut ich hier von Strophe reden kann, so gut konnte es auch Dionysius; obwohl weder bei Horaz, noch (wie ich muthmaße) bei Dionysius die vollständige Strophe gemeint ist, vielmehr bei ersterem die Worte quid Tiridatem terreat unice securus an der ganzen Strophe fehlen. Es käme nur darauf an, diese Vermuthung über die Form des Danaeliedes dadurch zu beweisen, daß wir ein Stück desselben (den Anfang) als Schluß der ersten Strophe bezeichneten und diesem ein anderes entgegenstellten, das mit dem ersten in Responsion stände und somit den Schluß der Antistrophe ausmachte. Hierdurch wären auch die Anfänge von Antistrophe und Epode festgesetzt.

Bevor wir diesen Gedanken ausführen, bitten wir um etwas Aufmerksamkeit für einige Conjekturen, deren Empfehlung es sein möge, daß sie vor dem eben entwickelten Gedanken, somit nicht erst, um ihn in Scene zu setzen, gefunden sind. Der erste Satz lautet in den bis jetzt verglichenen Handschriften also:

ÓJ, 8Vk<"64 ¦< *"4*"8"\‘
–<,:`l J, :¬< B<XT< 64<02,ÃF" *¥ 8\:<"
*,\:"J4 §k4B,< (Guelf. §k4B, )
@ÜJz *\"< J@ÃF4 (so Parisin. 1741; •*4"<JF4 Guelf.)
B"k,4"Ãl •:n\ J, AXkF,4 $V88, (so Guelf. & Par. $V8, Guelf. a m.      pr.)
,ÇBX J, (so Guelf.; sonst ,ÉBX< J,).

Der abgeschriebene Satz, dessen allgemeine Form diese ist "als Wind und Woge das und das thaten, that sie d. h. Danae das und das" ist vor allem deshalb dunkel, weil wir zunächst nicht wissen, wo der Nachsatz beginnt. Denn über die harmlose Einfalt derer, welche übersetzten "cum—mare prae terrore concideret," sind wir schon seit Brunck hinaus. Ebenso ist aber die andere Erklärung "als Wind und Welle sie (:4< für das handschriftliche :¬< ) in Schrecken stürzte (*,\:"J4 ³k4B,<)," obwohl sie noch zuletzt an Schneidewin einen Vertreter fand Simon. rel. p. 130. Beiträge p. 124, unmöglich geworden, seitdem die angeblichen Beispiele für den transitiven Gebrauch von ³k4B,, wie z. B. Herodot IX. 70, theils durch W. Dindorf, theils durch Ahrens endgültig beseitigt sind. Wenn man aber die eine Möglichkeit weiter verfolgt, daß *,\:"J4 ³k4B,< resp. das hier zu Grunde Liegende zum Vordersatz gehöre, so sind auf dieser Basis Conjekturen gemacht, wie z. B. die von Ahrens *,Ã:" B"kÃFP,<, von G. Volckmar (Philolog. 1855) und Bergk *,\:"J4 ÕÃBJ,<. Das Gemeinsame derselben ist eine gewisse prosaische Dürftigkeit: während die erste, wie Bergk richtig bemerkt, auch noch die Aenderung von 8Vk<"64 @\ *"4*"8X‘ aus 8. ¥< *. zur Consequenz hat, die zweite dagegen auf anfechtbarer Grundlage ruht und dazu ebenfalls die Beseitigung jenes ¥< verlangt. Dies ¥< wird aber überhaupt weichen müssen: denn was können Sturm und Wogen in em Kasten anfangen? Sie können gehört, gefürchtet, überhaupt empfunden werden, sie können aber nichts thun. Nun aber sehe ich keine Möglichkeit ab, wie man jenen passiven Begriff in unserem Texte wiederfinden oder wiederherstellen will: abgesehn davon, daß Sturm und Wind als thätige, somit persönliche Feinde der Danae, viel poetischer sind, als wenn sie nur empfunden werden gleich anderen Naturmächten.

Gegenüber dieser Auffassung, die *,\:"J4 ³k4B,< zu dem Vordersatze sieht, steht eine andere, die mit diesen Worten den Nachsatz beginnt. Der erste, soweit wir wissen, der also erklärte, war Brunck: er übersetzte "cum in cista fremeret ventus commotumque mare, prae terrore concidit (Danae)." Wir sehen, daß er der Vulgata $kX:®—an Stelle von J, :¬<—folgte: im Uebrigen aber empfiehlt sich sein Gedankengang durch Einfachheit und Natürlichkeit. Vornehmlich gewinnen wir, daß die Worte *,\:"J4 ³k4B,< keiner weiteren Aenderung bedürfen: denn einem Scherze ähnlich klingt es, wenn ein Anonymus in den nov. act. erudit. 1754 Lips. hier *,\:"J4 BXB8@< §k,4B,< zu lesen vorschlug.— Daß aber das Verbum des Vordersatzes in den Zügen J, :¬< verborgen liege, dies ist eine feine Vermuthung dessen, dem wir die Vulgata $kX:® verdanken: obwohl die Conjektur selbst möglichst ungenügend ist. Die früheren Erklärer aber thaten Unrecht, als sie mit den schlechten Conjektur zugleich auch die zu Grunde liegende Idee verwarfen.2 Wenn nämlich *,\:"J4 ³k4B,< als Anfang des Nachsatzes gedacht wird, so ist dies unverständliche J, :¬< die einzige Stätte, aus der wir das leitende Verbum des Vordersatzes hervorzaubern können. Mustern wir nun die Bilderreihe, die man auf Wind und Welle am liebsten anwendet, so kommen wir auch auf das bequeme, Alten und Neuen gleich geläufige Bild der :"<\". Man denke z. B. an Horat. carm. III. 4, 30 insanientem navita Bosporum oder an Simonides Amorg. fr. 7:

êFB,k 2V8"FF" B@88V64l :¥< •Jk,:¬l
   —        —      B@88V64l *¥ :"\<,J"4
$"kL6JbB@4F4 6b:"F4 n@k,L:X<0
.

Ich vermuthe also, daß der erste Satz des Danaeliedes in folgender Weise herzustellen sei

ÓJ, 8Vk<"64 *"4*"8X‘
–<,:`l Jz ¦:V<0 B<XT<
64<02,ÃFV J, 8\:<",
*,\:"J4 ³k4B,< @Û*z•*\"<J@4 @Ê B"k,4"\. (So mit Bergk.)
6J8.

"Als gegen den kunstvollen Kasten der wehende Wind und die bewegte See wüthete, da sank sie nieder vor Furcht, und thränenfeucht waren ihre Wangen."— Hier haben wir übrigens eine schöne Parallele zu den famosen siccis oculis bei Horaz lib. I. carm. III.— Zum erlaubten Hiat *,\:"J4 ³k4B,< vgl. Schneidewin proleg. in Simon. XLVIII, Ahrens Philologus IV S. 594: ein Hiat, der übrigens doch nicht so erlaubt ist, daß man ihn, wie Bergk und andere thun, gleich noch einmal in diesem Gedichte durch Conjektur herstellt.

Der sechste FJ\P@l unsres Liedes lautet also bei Bergk: F× *z•TJ,Ãl ("8"20<è Jz ³J@k4 6<fFF,4l ¦< •J,kB,Ã. Wir müssen Schäfer beistimmen, daß Casaubonus "Musis adspirantibus" dies F× *z•TJ,Ãl aus den handschriftlichen Monstren hergestellt habe, und thun dies hauptsächlich deshalb, weil man neuerdings jene glänzende Besserung durch wässerige und nichtssagende Dinge verdrängen will. Weshalb? Weil •TJ,Ãl und 6<fFF,4l identische Begriffe sein sollen. Denn was Schneidewin meint, wenn er gegen F× *z•TJ,Ãl einwendet, "numeri obstant," ist mir ganz unergründlich: besonders da dasselbe Argument doch auch gegen sein F× *z•Tk,Ãl gelten würde. Uebrigens ist 6<fFF,4l schlechterdings nicht tautologisch mit •TJ,Ãl; nur mit grosser Ungenauigkeit kann man beide unter dem Begriff des Schlafens bringen. Ueber •TJ,Ãl befrage man Hesychius und das Etymol. magn.: gegen deren etymologische Erklärung ich Bedenken, aber nichts Besseres habe. Was aber 6<fFF,4< betrifft, so leitet uns hier die Analogie der verwandten Worte 6<VT 6<`@l 6<bT 6<Ø:" 6<L.VT, ebensowohl wie die Note des Hesychius (6<fFF,4<q ÕX(P,4<) nothwendig auf einen Begriff: 6<fFF,4< ist das leis röchelnde Athmen eines Schlafenden, eine Art Deminutiv des Schnarchens. Doch dies alles nur im Vorübergehn; vielmehr ist es unsere Absicht, bei dem ("8"20<è Jz ³J@k4 Bergks zu verweilen: wie die Worte allerdings fast buchstäblich im Athenäus stehn IX 396 E ("8"20<è (V ("8"20<è<) *z³J@k4. Die Ueberlieferung in den Dionysiushandschriften ist ,42,4 (Guelf. u. Parisin. 1741 ¦("8"F20<T2,Ã 2,46<@fFF,4l). Was uns nun gegen dies ³J@k4 einnimmt, ist nicht in erster Linie der unerhörte und völlig verpönte Dativ (vgl. Eustath. ad II. 133, 13. Philem. 85): es ist vielmehr die ebenfalls einzige Verschrobenheit dieses Ausdruckes. Es gibt nirgends in der griechischen Literatur, soweit ich sehe, ein Beispiel für den tropischen Gebrauch jenes überhaupt nicht häufigen Wortes ("8"20<`l: wenn Simonides es aber also brauchte, dann sicherlich nicht in der unsinnigen, in sich incongruenten Verbindung mit ³J@k4 6<fFF,4l. Wir sehen es Shakespeare nach, wenn er das Erbarmen, gleich einem nackten Säugling auf dem Sturmwind reiten läßt: so etwas ist weniger Dichterübermuth, als geschmacklose Zeitmanier. Was aber ist "athmen mit milchsaugendem Herzen"? Perseus athmet: gut, aber nicht mit dem Herzen: und dies Herz saugt keine Milch. Man mache is sich nur in unserer Sprache klar, wie ungereimt die Verbindung zweier Metaphern mit 6<fFF,4< ist. Wer würde nicht über einen Dichter lachen, der einen Säugling also ansänge: "mit deiner Säuglingsseele athmest du" oder vielmehr "leise röchelst du mit milchsaugender Seele." Ueber Simonides aber dürfen wir nicht lachen: also darf man ihm auch nichts Lächerliches zutraun, überhaupt aber, wenn mich mein Gefühl nicht trügt, nichts Uebertriebenes, nichts Hochpathetisches in Verbindung mit dem naiven 6<fFF,4l. Also empfiehlt sich vielleicht ("8"20<ä< Jz ·2,^ 6<fFF,4l zu lesen d. h. "du athmest nach Säuglingsart." Man sieht zugleich, daß diese Lesung sowohl für das ³J@k4 des Athenäus als das ,42,4 bei Dionysius den geeigneten Erklärungsgrund aufweist: /1+3 /I?C3 +31+3. (Uebrigens hat ·2,^ schon Bergk vorgeschlagen.)

Dagegen habe ich mich im Interesse meiner nächsten Vermuthung auf den ganzen Zauber simonideischer Poesie zu berufen, auf die "spiegelblank geschliffene" Composition ebensowohl als auf die unvergleichliche Kühnheit einselner Bilder (vgl. z. B. fr. 68. 8. 32. 13). Was wir jetzt bei Bergk lesen

       ¦< •J,kB,Ã
*@bk"J4 P"86,@(`:nå
<L6JÂ •8":B,Ã 6L"<Xå J, *<`nå FJ"8,\l,

dies mißfällt mir non uno nomine. Um mit den leichteren Anstößen zu beginnen, so ist der Hiat in <L6JÂ •8":B,Ã, den die Handschriften nicht kennen, der Art, daß man ihn nicht mit vollen Händen gerade über ein so kurzes Gedicht ausgegossen wünscht. Sodann ist das Asyndeton in •J,kB,Ã *@bk"J4 P"86,@(`:nå, wenn auch an sich nicht störend, so doch gegen die Handschriften, die nach P"86,@(`:nå noch haben. Die Metapher "erzumnageltes Holz" für Kasten ist mindestens ein "gewagtes Abenteuer" der Phantasie. Schließlich aber —und das ist für mich entscheidend—liegt in <L6JÂ •8":B,Ã 6L"<Xå J, *<`nå eine so unerträgliche Monotonie, eine so häßliche Häufung verwandter Begriffe,3 daß ich schon hierdurch allein verhindert werde, der Conjektur des ehrwürdigen Ilgen (<L6JÂ •8":B,Ã an Stelle des handschriftlichen <L6J48":B,Ã) meinen Beifall zu zollen. Es versteht sich andererseits nach Ahrens' Erörterungen von selbst, daß das fabelhafte Ding, <L6J48":B¬l <b> oder <L6J48":B¥l *`kL, sammt seinen Erklärungen nur noch in Sammlungen philologischer Kuriositäten gehört.

Im engsten Anschlusse an die codd. wage ich nun folgendes vorzuschlagen, das, wenn es auch kühn ist, gegenüber einer Conjektur von Ahrens •,<Vå J, 8VB‘ doch wie eitel Bescheidenheit klingt und, beiläufig bemerkt, keine solche Unerquicklichkeit bietet als eben jener "immer triefende Moder" im Kasten der Danae. Ich lese

      — 6<fFF,4l ¦< •J,kB,Ã
*@bk"J4q P"86,@(`:nå *¥ <L6JÂ
8V:B,4l 6L"<<Xå J, *<`nå J"2,\l (dies mit Schneidewin)

"Im unerfreulichen Kasten athmest du; du leuchtest aber in erzumnagelter Nacht und dunkler Finsternis dahingestreckt." Unsere Aenderung besteht in Hinzufügung eines F an 8V:B,4: hoffentlich aber hat unsere Erklärung dem Dichter eine schöne Kühnheit restituirt, zu deren Empfehlung noch folgendes gesagt sein mag.

Die Nacht, von der die Rede ist, ist natürlich die Dunkelheit im Kasten, nicht die in der Natur: ebenso wie der Welle, die über das Haupt des Knaben hinläuft, nicht etwa im Kasten, sondern um den Kasten und somit auch über das Haar des Knaben weg fließt. Diese Nacht im Kasten nennt Danae die "erzumnagelte" Nacht, im Gegensatz zu der natürlichen: und in dieser Dunkelheit ist ihr Perseus das leuchtende Gestirn, ihre Hoffnung, ihr Glück.— Wessen wir uns überhaupt in diesem Gedichte zu versehen haben, das deutet uns gewissermaßen Dionysius mit diesen Worten an: §<,FJ\ J, 6" Jk@B46ä< 6" >X<T< 6" (8TJJ0:"J46ä< 6" Jä< –88T< Jä< B@40J46ä< Ï<@:VJT< :,<`<JT< ¦< J@Ãl B@4Z:"F4, :0*¥< ³JJ@< "ÛJ n"\<,F2"4 8`(å B"k"B8ZF4".— Wie sich die Alten den Kasten der Danae vorstellten, nämlich vollständig geschlossen,4 das zeigt ein Vasengemälde, das zuerst veröffentlicht wurde im Bullett. d. I. archeol. 1845 p. 214-18 (besprochen von Welcker im rhein. Mus. N. F. X S. 235f.) "der Zimmermann—jetzt bestimmt den Deckel zu verschließen, sobald Danae mit ihrem Sohn darunter eingesargt sein wird—setzt mit der Linken einen länglich viereckigen Stöpsel mit einem schmäleren Ende auf den Kasten, und hält daran mit der Rechten, wie anpassend, einen unten und oben zugeschnittenen Stab, fast von der ganzen Länge der Breite des Kastens, etwas schräg über diesen hin. Es muß dies, obgleich der Mechanismus selbst unbekannt ist, eine Art festen Verschlusses bedeuten durch eine der nicht seltenen Anticipationen, indem der Augenblick so nah ist, wo Danae in den Kasten gebracht, und der Deckel über sie gedeckt sein wird."

Schließlich habe ich noch ein paar Bemerkungen zu V. 12 zu machen, der bei Bergk so lautet:

B@knLkX‘ 6,\:,<@l ¦< P8"<\*4, 6"8Î< Bk`FTB@<.

Ob wir B@knLkX"4F4 6,\:,<@l ¦< P8"<\F4 schreiben oder so wie Bergk thut, ist ziemlich gleichgültig: jedenfalls hat der Guelf. P8"<\F4. Wichtig ist aber die Lesart der H[an]dschr[ift] bei den letzten Worten Bk`FTB@< 6"8Î< Bk`FTB@<. Daß wir hier nicht mit einer müßigen Dittographie zu thun haben, wie schon H. Stephanus sie voraussetzt, als er das erste Bk`FTB@< strich, daß vielmehr in dem ersten oder zweiten Bk`FTB@< ein verderbtes Wort, wahrscheinlich ein Participium auf T<, steckt, darauf führt folgende Erwägung hin. Die Anrede 6"8Î< Bk`FTB@< hat für uns, denen gleich die schönsten Analogien aus unsern Dichtern einfallen, allerdings etwas sehr Einschmeichelndes; aber ich fürchte, daß dies moderne Mitgefühl Bergk hier zu weit geführt hat. Würde selbst nicht unser Bewußtsein sich verletzt fühlen, wenn ein Dichter sagte "im Purpurkleide liegst du da, du holdes Angesicht." Es liegt ein zu fühlbarer Widerspruch in der Schilderung der Gewandung, die nothwendig an die gesammte Leiblichkeit erinnert, und in der Abstraktion, die das Seelischste des Menschen, sein Antlitz, als das Ganze nimmt und anredet.— So haben denn auch Ahrens und Volckmar mit richtigem Takte hinter dem einen Bk`FTB@< eine Korruptel vermuthet: ob aber nun der Erstere mit Bk`FTB@< 6"8Î< Bk@n"\<T< oder der Andere mit Bk`FTB@< 6"8Î< Bk@FVBJT< Recht hat, oder ich selbst mit Bk@FXPT< 6"8Î< Bk`FTB@< das Wahre getroffen habe, ist im Grunde nicht auszumachen.

So viel zur Wiederherstellung des Einzelnen. Es bleibt mir nur noch übrig, den Grundgedanken dieser Untersuchung, daß nämlich nur ein Stück der Strophe, aber die ganze Antistrophe und Epode uns erhalten sind, und daß Dionysius nicht mehr und nicht weniger als diese Stücke mit den einführenden Worten bezeichnet habe, praktisch durchzuführen d. h. einen Versuch zu machen, auf der angegebenen Basis die Form des Gedichtes zu reconstruiren. Zuvor bemerke ich ausdrücklich, daß dieser Grundgedanke noch nicht werthlos wird, wenn man mit meinen Responsionsstücken nicht einverstanden sein sollte; doch habe ich auch, was diese betrifft, gute Zuversicht und hoffe, wenn ich an Hartungs gewaltsame Kunststücke erinnere, um das ganze Fragment in Strophe und Antistrophe zu zwängen, daß auch in meinem Falle B8X@< »:4FL B"<J`l ist.

 

Naumburg.

Friedrich Nietzsche.

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1. Ob die römische oder überhaupt die alexandrinische Periode? Man denke an das einzig dastehende carmen XV libri I des Horaz.
2. Schneidewin ist der Einzige, der auf dieser Grundlage eine Conjektur wagte, BXF,< für J, :¬<: bevor er nämlich durch jenes angeblich transitive ³k4B,< irrgeführt wurde.
3. Dazu ist im Grunde "lichtlose Nacht und dunkle Finsterniß (oder Dämmerung)," wenn es keine Tautologie ist, eine lächerliche Antiklimax.
4. Wer in diesem "8V:B,4l" eine Anspielung auf die dämonische Natur des Perseus als "eroe solare" finden will, der sei an eine ähnliche Ausdeutung des Balles erinnert, den der kleine Perseus auf dem angeführten Vasengemälde in der Hand hält, unbekümmert um die Leiden der Mutter und die bevorstehendes Schicksal. Wir aber glauben mit Welcker, daß dem Künstler ebenso wohl wie dem Dichter Unrecht geschieht, wenn man ihm eine Geistesthätigkeit zutraut, wie sie zur Erfindung eines Rebus erforderlich ist.

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