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Nietzsche contra Wagner Aktenstücke eines Psychologen.1888. |
Nietzsche contra Wagner Out of the Files of a Psychologist.1888. |
Vorwort |
Foreword |
Die folgenden Capitel
sind sämmtlich aus meinen älteren Schriften nicht ohne
Vorsicht ausgewählt—einige gehn bis auf 1877
zurück—, verdeutlicht vielleicht hier und da, vor
Allem verkürzt. Sie werden, hintereinander gelesen,
weder über Richard Wagner, noch über mich einen Zweifel
lassen: wir sind Antipoden. Man wird auch noch Andres
dabei begreifen: zum Beispiel, dass dies ein Essay für
Psychologen ist, aber nicht für Deutsche ... Ich
habe meine Leser überall, in Wien, in St. Petersburg, in
Kopenhagen und Stockholm, in Paris, in New York—ich
habe sie nicht in Europa's Flachland
Deutschland ... Und ich hätte vielleicht auch den Herrn
Italiänern ein Wort ins Ohr zu sagen, die ich liebe,
ebensosehr als ich ... Quousque tandem, Crispi
... Triple alliance: mit dem "Reich" macht ein
intelligentes Volk immer nur eine mésalliance
... |
All of the following chapters have been selected, not
without caution, from my older writings—some go back
all the way to 1877—perhaps clarified here and
there, above all, shortened. Read consecutively, they
will leave no doubt either about Richard Wagner or about
me: we are antipodes. Yet other things will also become
clear, for example, that this is an essay for
psychologists, but not for Germans ... I have my
readers everywhere, in Vienna, in St. Petersburg, in
Copenhagen and Stockholm, in Paris, in New York—I do
not have them in Germany, Europe's lowland
... And perhaps I could also say a word in the ear of my
good Italians, whom I love, just as much as
myself ... Quousque tandem, Crispi
[How far, for
heaven's sake, Crispi. Francesco
Crispi (1818-1901): Italian prime minister (1887-91;
1893-96).] ... Triple alliance: with the
"Reich" an intelligent people can only enter a mésalliance ... |
Friedrich Nietzsche Turin, Weihnachten 1888 |
Friedrich Nietzsche Turin, Christmas 1888 |
Wo ich bewundere
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, 87] |
Where I Admire
[cf. The Joyful Science, 87] |
Ich glaube, dass die
Künstler oft nicht wissen, was sie am besten können:
sie sind zu eitel dazu. Ihr Sinn ist auf etwas Stolzeres
gerichtet, als diese kleinen Pflanzen zu sein scheinen,
welche neu, seltsam und schön, in wirklicher
Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen wissen. Das
letzthin Gute ihres eignen Gartens und Weinbergs wird von
ihnen obenhin abgeschätzt, und ihre Liebe und ihre
Einsicht sind nicht gleichen Ranges. Da ist ein Musiker,
der mehr als irgend ein Musiker seine Meisterschaft darin
hat, die Töne aus dem Reich leidender, gedrückter,
gemarterter Seelen zu finden und auch noch dem stummen
Elend Sprache zu geben. Niemand kommt ihm gleich in den
Farben des späten Herbstes, dem unbeschreiblich
rührenden Glück eines letzten, allerletzten,
allerkürzesten Geniessens, er kennt einen Klang für
jene heimlich-unheimlichen Mitternächte der Seele, wo
Ursache und Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein
scheinen und jeden Augenblick Etwas "aus dem
Nichts" entstehen kann. Er schöpft am
glücklichsten von allen aus dem untersten Grunde des
menschlichen Glücks und gleichsam aus dessen
ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten
Tropfen zu guter- und böserletzt mit den süssesten
zusammengelaufen sind. Er kennt jenes müde Sich Schieben
der Seele, die nicht mehr springen und fliegen, ja nicht
mehr gehen kann; er hat den scheuen Blick des verhehlten
Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens
ohne Geständniss; ja als Orpheus alles heimlichen Elends
ist er grösser als irgend Einer, und manches ist durch
ihn überhaupt erst der Kunst hinzugefügt worden, was
bisher unausdrücklich und selbst der Kunst unwürdig
erschien—die cynischen Revolten zum Beispiel, deren
nur der Leidendste fähig ist, insgleichen manches ganz
Kleine und Mikroskopische der Seele, gleichsam die
Schuppen ihrer amphibischen Natur—, ja er ist der Meister
des ganz Kleinen. Aber er will es nicht sein! Sein
Charakter liebt vielmehr die grossen Wände und die
verwegene Wandmalerei! ... Es entgeht ihm, dass sein
Geist einen andren Geschmack und Hang—eine
entgegengesetzte Optik—hat und am liebsten still in
den Winkeln zusammengestürzter Häuser sitzt: da,
verborgen, sich selber verborgen, malt er seine
eigentlichen Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind,
oft nur Einen Takt lang,—da erst wird er ganz gut,
gross und vollkommen, da vielleicht allein.— Wagner
ist Einer, der tief gelitten hat—sein Vorrang
vor den übrigen Musikern.— Ich bewundere Wagner in
Allem, worin er sich in Musik setzt. — |
I believe that artists often do not
know what they can do best: they are too vain. They are
intent on something prouder than these small plants seem
to be which grow on their soil, new, strange and
beautiful, in real perfection. What is ultimately good in
their own garden and vineyard they esteem lightly, and
their love and insight are not equal. There is a musician
who, more than any other musician, is a master at finding
the tones in the realm of suffering, depressed, and
tortured souls, at giving language even to mute misery.
None can equal him in the colors of late fall, oh the
indescribably moving happiness of the last, truly last,
truly shortest joy; he knows a sound for those quiet,
disquieting midnights of the soul, where cause and effect
seem to be out of joint and where at any moment something
might originate "out of nothing." He draws most
happily of all out of the profoundest depth of human
happiness, and, as it were, out of its drained goblet,
where the bitterest and most repulsive drops have finally
and evilly run together with the sweetest. He knows that
weariness of the soul which drags itself, unable to leap
or fly any more, even to walk; he masters the shy glance
of concealed pain, of understanding without comfort, of
the farewell without confession; indeed, as the Orpheus
of all secret misery he is greater than any, and some
things have been added to the realm of art by him alone,
things that had hitherto seemed inexpressible and even
unworthy of art—the cynical rebellion, for example,
of which only those are capable who suffer most bitterly,
also some very minute and microscopic aspects of the
soul, as it were the scales of its amphibian
nature—indeed, he is the master of the very
minute. But he does not want to be that! His
character prefers large walls and audacious frescoes! ...
It escapes him that his spirit has a different taste and
inclination—the opposite perspective—and
prefers to sit quietly in the nooks of collapsed houses:
there, hidden, hidden from himself, he paints his real
masterpieces, all of which are very short, often only one
beat long—only then does he become wholly good,
great, and perfect, perhaps there alone.— Wagner is
one who has suffered deeply—that is his distinction
above other musicians.— I admire Wagner wherever he
puts himself into music. — |
Wo ich Einwände mache
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, 368] |
Where I Offer Objections
[cf. The Joyful
Science, 368] |
Damit ist nicht gesagt,
dass ich diese Musik für gesund halte, am wenigsten
gerade da, wo sie von Wagner redet. Meine Einwände gegen
die Musik Wagner's sind physiologische Einwände:
wozu dieselben erst noch unter ästhetische Formeln
verkleiden? Ästhetik ist ja nichts als eine angewandte
Physiologie.— Meine "Thatsache," mein
"petit fait vrai" ist, dass ich nicht
mehr leicht atme, wenn diese Musik erst auf mich wirkt;
dass alsbald mein Fuss gegen sie böse wird und
revoltirt: er hat das Bedürfniss nach Takt, Tanz,
Marsch—nach Wagner's Kaisermarsch kann
nicht einmal der junge deutsche Kaiser
marschieren—, er verlangt von der Musik vorerst die
Entzückungen, welche in gutem Gehn, Schreiten,
Tanzen liegen. Protestirt aber nicht auch mein Magen?
mein Herz? mein Blutlauf? betrübt sich nicht mein
Eingeweide? Werde ich nicht unversehens heiser dabei ...
Um Wagner zu hören, brauche ich Pastilles Gérandel ...
Und so frage ich mich: was will eigentlich mein
ganzer Leib von der Musik überhaupt? Denn es
giebt keine Seele ... Ich glaube, seine Erleichterung:
wie als ob alle animalischen Funktionen durch leichte,
kühne, ausgelassne, selbstgewisse Rhythmen beschleunigt
werden sollten; wie als ob das eherne, das bleierne Leben
durch goldene zärtliche ölgleiche Melodien seine
Schwere verlieren sollte. Meine Schwermuth will in den
Verstecken und Abgründen der Vollkommenheit
ausruhn: dazu brauche ich Musik. Aber Wagner macht
krank.— Was geht mich das Theater an? Was die
Krämpfe seiner "sittlichen" Ekstasen, an denen
das Volk—und wer ist nicht
"Volk"!—seine Genugtuung hat! Was der
ganze Gebärden-Hokuspokus des Schauspielers!— Man
sieht, ich bin wesentlich antitheatralisch geartet, ich
habe gegen das Theater, diese Massen-Kunst par
excellence, den tiefen Hohn auf dem Grunde meiner Seele,
den jeder Artist heute hat. Erfolg auf dem
Theater—damit sinkt man in meiner Achtung bis auf
Nimmer-wieder-sehn; Misserfolg—da spitze ich
die Ohren und fange an zu achten ... Aber Wagner war
umgekehrt, neben dem Wagner, der die einsamste
Musik gemacht hat, die es giebt, wesentlich noch
Theatermensch und Schauspieler, der begeistertste
Mimomane, den es vielleicht gegeben hat, auch noch als
Musiker ... Und, beiläufig gesagt, wenn es
Wagner's Theorie gewesen ist "das Drama ist der
Zweck, die Musik ist immer nur das Mittel"—,
seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende,
"die Attitüde ist der Zweck; das Drama, auch die
Musik, ist immer nur ihr Mittel." Die Musik als
Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung
der dramatischen Gebärde und
Schauspieler-Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Dran
nur eine Gelegenheit zu vielen interessanten
Attitüden!— Er hatte, neben allen andren
Instinkten, die kommandierenden Instinkte eines
grossen Schauspielers in Allem und Jedem: und, wie
gesagt, auch als Musiker.— Dies machte ich einmal,
nicht ohne Mühe, einem Wagnerianer pur sang
klar,—Klarheit und Wagnerianer! ich sage kein Wort
mehr. Es gab Gründe, noch hinzuzufügen "seien Sie
doch ein wenig ehrlicher gegen sich selbst! wir sind ja
nicht in Bayreuth. In Bayreuth ist man nur als Masse
ehrlich, als Einzelner lügt man, belügt man sich. Man
lässt sich selbst zu Hause, wenn man nach Bayreuth geht,
man verzichtet auf das Recht der eignen Zunge und Wahl,
auf seinen Geschmack, selbst auf seine Tapferkeit, wie
man sie zwischen den eignen vier Wänden gegen Gott und
Welt hat und übt. In das Theater bringt Niemand die
feinsten Sinne seiner Kunst mit, am wenigsten der
Künstler, der für das Theater arbeitet,—es fehlt
die Einsamkeit, alles Vollkommne verträgt keine Zeugen
... Im Theater wird man Volk, Heerde, Weib, Pharisäer,
Stimmvieh, Patronatsherr, Idiot—Wagnerianer:
da unterliegt auch noch das persönlichste Gewissen dem
nivellirenden Zauber der grossen Zahl, da regiert der
Nachbar, da wird man Nachbar ..." |
This does not mean that I consider this
music healthy—least of all precisely where it speaks
of Wagner. My objections to the music of Wagner are
physiological objections: why should I trouble to dress
them up in aesthetic formulas? After all, aesthetics is
nothing but a kind of applied physiology.— My
"fact," my "petit fait
vrai," is that I no longer
breathe easily when this music begins to affect me; that
my foot soon resents it and rebels: my foot feels the
need for rhythm, dance, march—to Wagner's
"Kaisermarsch" not even the young German Kaiser
could march—it demands of music first of all those
delights which are found in good walking,
striding, dancing. But does not my stomach protest too?
my heart? my circulation? Are not my entrails saddened?
Do I not suddenly become hoarse? ... To listen to Wagner
I need pastilles Gérandel [A medicated lozenge for the treatment of respiratory ailments, invented and manufactured by Auguste Arthur Gérandel, a French pharmacist from Sainte-Menehould. The lozenge was made from diluted pine tar, and flavored with sugar and anise. It was so popular that it led to the arrests of many grocers who illegally sold the product. Cf. 12-30-1888 draft of letter to Heinrich Köselitz.] ... And so I ask
myself: What is it that my whole body really expects
of music? For there is no soul ... I believe,
its own ease: as if all animal functions should
be quickened by easy, bold, exuberant, self-assured
rhythms; as if iron, leaden life should lose its gravity
through golden, tender, oil-smooth melodies. My
melancholy wants to rest in the hiding-places and abysses
of perfection: that is why I need music. But
Wagner makes sick.— What is the theater to me? What,
the convulsions of his "moral" ecstasies which
give the people—and who is not
"people"!—satisfaction! What, the whole
gesture hocus-pocus of the actor! It is plain that I am
essentially anti-theatrical: confronted with the theater,
this mass art par excellence, I feel that
profound scorn at the bottom of my soul which every
artist today feels. Success in the
theater—with that one drops in my respect forever; failure—I
prick up my ears and begin to respect ... But Wagner was
the other way around; besides the Wagner who
made the loneliest music in existence, he was essentially
also a man of the theater and an actor, the most
enthusiastic mimomaniac, perhaps, who ever existed, even
as a musician ... And, incidentally, if it was
Wagner's theory that "the drama is the end, the
music is always a mere means," his practice
was always, from beginning to end, "the pose is the
end; the drama, also the music, is always merely its
means." Music as a means to clarify, strengthen, and
lend inward dimension to the dramatic gesture and the
actor's appeal to the senses—and the Wagnerian
drama, a mere occasion for many interesting poses!
Besides all other instincts, he had the commanding
instincts of a great actor in absolutely everything: and,
as already mentioned, also as a musician.— Once
there was a Wagnerian pur sang [pure-blooded] to whom I made
this clear, not without trouble—clarity and
Wagnerian! Not another word is needed. There were reasons
then for adding: "Do be a little more honest with
yourself! After all, we are not in Bayreuth. In Bayreuth
one is honest only in the mass; as an individual one
lies, one lies to oneself. One leaves oneself at home
when one goes to Bayreuth; one renounces the right to
one's own tongue and choice, to one's taste,
even to one's courage as one has it and exercises it
between one's own four walls against both God and
world. No one brings along the finest senses of his art
to the theater, least of all the artist who works for the
theater—solitude is lacking; whatever is perfect
suffers no witnesses ... In the theater one becomes
people, herd, female, Pharisee, voting cattle, patron,
idiot—Wagnerian: even the most personal
conscience is vanquished by the leveling magic of the
great number; the neighbor reigns, one becomes a
mere neighbor ..." |
Intermezzo |
Intermezzo |
— Ich sage noch ein Wort
für die ausgesuchtesten Ohren: was ich
eigentlich von der Musik will. Dass sie heiter und tief
ist, wie ein Nachmittag im Oktober. Dass sie eigen,
ausgelassen, zärtlich, ein kleines süsses Weib von
Niedertracht und Anmuth ist ... Ich werde nie zulassen,
dass ein Deutscher wissen könne, was Musik ist.
Was man deutsche Musiker nennt, die grössten voran, sind
Ausländer, Slaven, Croaten, Italiäner,
Niederländer—oder Juden; im andren Falle Deutsche
der starken Rasse, ausgestorbene Deutsche, wie
Heinrich Schütz, Bach und Händel. Ich selbst bin immer
noch Pole genug, um gegen Chopin den Rest der Musik
hinzugeben: ich nehme, aus drei Gründen, Wagner's
Siegfried-Idyll aus, vielleicht auch Liszt, der die
vornehmen Orchester-Accente vor allen Musikern voraus
hat; zuletzt noch Alles, was jenseits der Alpen gewachsen
ist—diesseits ... Ich würde Rossini nicht
zu missen wissen, noch weniger meinen Süden in
der Musik, die Musik meines Venediger maëstro Pietro
Gasti. Und wenn ich jenseits der Alpen sage, sage ich
eigentlich nur Venedig. Wenn ich ein andres Wort für
Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig. Ich
weiss keinen Unterschied zwischen Thränen und Musik zu
machen, ich weiss das Glück, den Süden nicht
ohne Schauder von Furchtsamkeit zu denken. |
— To the most exceptional
of my readers I should like to say just a word as to what
I really demand of music. It should be cheerful and yet
profound, like an October afternoon. It should be unique,
wanton, and tender, and like a dainty, sweet woman in
roguishness and grace ... I shall never admit that a
German can understand what music is. Those
musicians, the greatest of them, who are called German,
are all foreigners, Slavs, Croats, Italians,
Dutchmen—or Jews; or else, Germans of a strong race,
extinct Germans, like Heinrich Schütz, Bach, and Handel. I myself
have still enough of the Pole in me to let all other
music go, if only Chopin is left to me: for three reasons
I exclude Wagner's Siegfried Idyll, and perhaps also
a few things of Liszt, who excelled all other musicians
in the noble accent of his orchestration; and finally
everything that has come from beyond the Alps—this
side of the Alps. I would not know how to dispense with
Rossini, and still less with my southern counterpart in
music, my Venetian maestro, Pietro Gasti. And when I say
beyond the Alps, I really mean only Venice. Seeking to
find another word for music, I inevitably come back to
Venice. I do not know how to make a distinction between
tears and music, I do not know how to think of joy, or of
the south, without a shudder of fear. |
An der Brücke stand
jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
goldener Tropfen quoll's
über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik—
trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ... |
Not long ago, I stood at
The bridge in the brown night.
From afar came a song:
Its golden drop welled
On the shimmering surface.
Gondolas, lights, music —
Drunken it swam out into the dusk ... |
Meine Seele, ein Saitenspiel,
sang sich, unsichtbar berührt,
heimlich ein Gondellied dazu,
zitternd vor bunter Seligkeit.
— Hörte Jemand ihr zu? ...
[vgl. Ecce Homo, "Warum ich so klug bin," 7.]
|
My soul, a stringed instrument,
Sang to itself, invisibly touched,
A secret gondola song,
Vibrating with vivid bliss.
— Did anyone hear it? ...
[cf. Ecce Homo, "Why I Am So Clever," 7.]
|
Wagner als Gefahr |
Wagner as a Danger |
1
[vgl. Vermischte Meinungen und Sprüche, 134] |
1
[cf. Mixed
Opinions and Maxims, 134] |
Die Absicht, welche die
neuere Musik in dem verfolgt, was jetzt, sehr stark, aber
undeutlich, "unendliche Melodie" genannt wird,
kann man sich dadurch klar machen, dass man in's
Meer geht, allmählich den sicheren Schritt auf dem
Grunde verliert und sich endlich dem Elemente auf Gnade
und Ungnade übergiebt: man soll schwimmen. In der
älteren Musik musste man, im zierlichen oder feierlichen
oder feurigen Hin und Wieder, Schneller und Langsamer,
etwas ganz Anderes, nämlich tanzen. Das hierzu
nöthige Maass, das Einhalten bestimmter gleich wiegender
Zeit- und Kraftgrade erzwang von der Seele des Hörers
eine fortwährende Besonnenheit,—auf dem
Widerspiele dieses kühleren Luftzuges, welcher von der
Besonnenheit herkam, und des durchwärmten Athems der
Begeisterung ruhte der Zauber aller guten
Musik.— Richard Wagner wollte eine andre Art
Bewegung,—er warf die physiologische Voraussetzung
der bisherigen Musik um. Schwimmen, Schweben—nicht
mehr Gehn, Tanzen ... Vielleicht ist damit das
Entscheidende gesagt. Die "unendliche Melodie" will
eben alle Zeit- und Kraft-Ebenmässigkeit brechen, sie
verhöhnt sie selbst mitunter,—sie hat ihren
Reichthum der Erfindung gerade in dem, was einem älteren
Ohre als rhythmische Paradoxie und Lästerung klingt. Aus
einer Nachahmung, aus einer Herrschaft eines solchen
Geschmacks entstünde eine Gefahr für die Musik, wie sie
grösser gar nicht gedacht werden kann—die
vollkommne Entartung des rhythmischen Gefühls, das Chaos
an Stelle des Rhythmus ... Die Gefahr kommt auf die
Spitze, wenn sich eine solche Musik immer enger an eine
ganz naturalistische, durch kein Gesetz der Plastik
beherrschte Schauspielerei und Gebärdenkunst anlehnt,
die Wirkung will, nichts mehr ... Das espressivo
um jeden Preis und die Musik im Dienste, in der Sklaverei
der Attitüde—das ist das Ende ... |
The intention pursued by recent music
with what is now vigorously, but not at all clearly,
called "infinite melody," can be clarified by
an illustration. One walks into the sea, gradually loses
one's secure footing, and finally surrenders oneself
to the elements without reservation: one must swim.
In older music, what one had to do in the dainty, or
solemn, or fiery back and forth, quicker and slower, was
something quite different, namely, to dance. The
measure required for this, the maintenance of certain
equally balanced units of time and force, demanded
continual wariness of the listener's
soul—and on the counterplay of this cooler breeze
that came from wariness and the warm breath of enthusiasm
rested the magic of all good music. Richard
Wagner wanted a different kind of movement; he overthrew
the physiological presupposition of previous music.
Swimming, floating—no longer walking and dancing ...
Perhaps the decisive point has now been stated. The
"infinite melody" seeks deliberately
to break all evenness of time and force and even scorns
it occasionally; the wealth of its invention lies
precisely in that which to an older ear sounds like a
rhythmic paradox and blasphemy. The imitation or
domination of such a taste would result in a danger to
music which cannot be exaggerated: the complete
degeneration of rhythmic feeling, chaos in place
of rhythm ... This danger reaches its climax when such
music leans more and more heavily on a wholly
naturalistic style of acting and gestures, which is no
longer dominated by any law of plasticity and wants
effect, nothing more ... Espressivo at any
price, and music in the service, the slavery, of
poses—that is the end ... |
2
[vgl. Der Wanderer und sein Schatten, 165] |
2
[cf. The
Wanderer and His Shadow, 165] |
Wie? wäre es wirklich
die erste Tugend eines Vortrags, wie es die
Vortragskünstler der Musik jetzt zu glauben scheinen,
unter allen Umständen ein hautrelief zu erreichen, das
nicht mehr zu überbieten ist? Ist dies zum Beispiel, auf
Mozart angewendet, nicht die eigentliche Sünde wider den
Geist Mozart's, den heiteren, schwärmerischen,
zärtlichen, verliebten Geist Mozart's, der zum
Glück kein Deutscher war, und dessen Ernst ein gütiger,
ein goldener Ernst ist und nicht der Ernst eines
deutschen Biedermanns ... Geschweige denn der Ernst des
"steinernen Gastes" ... Aber ihr meint, alle
Musik sei Musik des "steinernen Gastes,"—alle
Musik müsse aus der Wand hervorspringen und den Hörer
bis in seine Gedärme hinein schütteln? ... So erst wirke
die Musik!— Auf wen wird da gewirkt? Auf
Etwas, worauf ein vornehmer Künstler niemals
wirken soll,—auf die Masse! auf die Unreifen! auf
die Blasierten! auf die Krankhaften! auf die Idioten! auf
Wagnerianer! ... |
What? Should it really be the supreme
virtue of a performance, as the virtuosos of musical
performance now seem to believe, that one must under all
circumstances achieve an hautrelief which is
simply unsurpassable? Is not this, when applied to
Mozart, for example, the true sin against the spirit of
Mozart—the cheerful, enthusiastic, tender, enamored
spirit of Mozart, who was happily no German and whose
seriousness is a gracious, a golden, seriousness and not
the seriousness of a German Philistine? ... Not to speak
of the seriousness of the "Stone Guest" [an allusion to Mozart's Don Giovanni] ... But apparently you
think all music is like the music of the
"Stone Guest"—all music must leap
out of the wall and shake the listener to his very
intestines ... Only then you consider music effective!
But on whom are such effects achieved? On those
whom a noble artist should never impress: on the
mass! on the immature! on the blasé! on the sick! on the
idiots! on Wagnerians! ... |
Eine Musik ohne Zukunft
[vgl. Vermischte Meinungen und Sprüche, 171] |
A Music Without a Future
[cf. Mixed
Opinions and Maxims, 171] |
Die Musik kommt von
allen Künsten, die auf dem Boden einer bestimmten Cultur
aufzuwachsen wissen, als die letzte aller Pflanzen zum
Vorschein, vielleicht weil sie die innerlichste ist und
folglich am spätesten anlangt,—im Herbst und im
Abblühen der jedesmal zu ihr gehörenden Cultur. Erst in
der Kunst der Niederländer Meister fand die Seele des
christlichen Mittelalters ihren Ausklang,—ihre
Ton-Baukunst ist die nachgeborne aber echt- und
ebenbürtige Schwester der Gotik. Erst in Händel's
Musik erklang das Beste aus Luther's und seiner
Verwandten Seele, der jüdisch-heroische Zug, welcher der
Reformation einen Zug der Grösse gab—das alte
Testament Musik geworden, nicht das neue. Erst
Mozart gab dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten und der
Kunst Racine's und Claude Lorrain's in klingendem
Golde heraus; erst in Beethoven's und Rossini's
Musik sang sich das achtzehnte Jahrhundert aus, das
Jahrhundert der Schwärmerei, der zerbrochnen Ideale und
des flüchtigen Glücks. Jede wahrhafte, jede
originale Musik ist Schwanengesang.— Vielleicht,
dass auch unsre letzte Musik, so sehr sie herrscht und
herrschsüchtig ist, bloss noch eine kurze Spanne Zeit
vor sich hat: denn sie entsprang einer Cultur deren Boden
im raschen Absinken begriffen ist,—einer alsbald versunkenen
Cultur. Ein gewisser Katholicismus des Gefühls und eine
Lust an irgend welchem alt-heimischen sogenannten
"nationalen" Wesen und Unwesen sind ihre
Voraussetzungen. Wagner's Aneignung alter Sagen und
Lieder, in denen das gelehrte Vorurtheil etwas
Germanisches par excellence zu sehn gelehrt
hatte—heute lachen wir darüber—, die
Neubeseelung dieser skandinavischen Unthiere mit einem
Durst nach verzückter Sinnlichkeit und
Entsinnlichung—dieses ganze Nehmen und Geben
Wagner's in Hinsicht auf Stoffe, Gestalten,
Leidenschaften und Nerven spricht deutlich auch den Geist
seiner Musik aus, gesetzt, dass diese selbst, wie
jede Musik, nicht unzweideutig von sich zu reden wüsste:
denn die Musik ist ein Weib ... Man darf sich
über diese Sachlage nicht dadurch beirren lassen, dass
wir augenblicklich gerade in der Reaktion innerhalb
der Reaktion leben. Das Zeitalter der nationalen Kriege,
des ultramontanen Martyriums, dieser ganze Zwischenakts-Charakter,
der den Zuständen Europa's jetzt eignet, mag in der
That einer solchen Kunst, wie der Wagner's, zu einer
plötzlichen Glorie verhelfen, ohne ihr damit Zukunft
zu verbürgen. Die Deutschen selber haben keine Zukunft
... |
Music makes its appearance as the last
plant among all the arts which grow on the soil of a
particular culture—perhaps because it is the most
inward and hence arrives last, in the fall, when the
culture which belongs to it is fading. Only in the art of
the Dutch masters did the soul of the Christian Middle
Ages attain its last vibrations: their tone architecture
is the posthumous, but legitimate and equal sister of the
Gothic. Only in Handel's music did there resound
what was best in the souls of Luther and those related to
him, the Jewish heroic trait that gave the Reformation a
trait of greatness—the Old Testament become music, not
the New. Only Mozart transformed the age of Louis XIV and
the art of Racine and Claude Lorrain into ringing
gold; only in the music of Beethoven and Rossini did the
eighteenth century sing itself out—the century of
enthusiasm, of broken ideals, and of evanescent
happiness. All true, all original music, is a swan song.
Perhaps our latest music too, however dominant and
domineering it is, has but a short span of tune ahead of
it: for it developed out of a culture whose soil is
rapidly sinking—a culture which will soon have sunk
out of sight. A certain catholicism of feeling and a
delight in some old indigenous, so-called
"national" sense and nonsense are its
presuppositions. Wagner's appropriation of old sagas
and songs, which scholarly prejudice had held up as
something Teutonic par excellence—today we laugh at
that—his reanimation of those Scandinavian monsters
with a thirst for ecstatic sensuality and
desensualization—this whole give-and-take of Wagner
concerning materials, figures, passions, and nerves
clearly expresses the spirit of his music too,
supposing that this, like any music, could not speak of
itself except ambiguously: for music is a woman ... We
must not allow ourselves to be deceived about this state
of affairs simply because at the moment we happen to live
in a period of reaction within reaction. The age of
national wars, of ultramontane martyrdom, this whole entr'acte
character of the current situation in Europe may indeed
help such an art as Wagner's to a sudden glory,
without thereby guaranteeing it a future. The
Germans themselves have no future ... |
Wir Antipoden
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, 370] |
We Antipodes
[cf. The Joyful
Science, 370] |
Man erinnert sich
vielleicht, zum Mindesten unter meinen Freunden, dass ich
Anfangs mit einigen Irrthümern und Überschätzungen und
jedenfalls als Hoffender auf diese moderne Welt
losgegangen bin. Ich verstand—wer weiss, auf welche
persönlichen Erfahrungen hin? den philosophischen
Pessimismus des neunzehnten Jahrhunderts als Symptom
einer höheren Kraft des Gedankens, einer siegreichen
Fülle des Lebens, als diese in der Philosophie
Hume's, Kant's und Hegel's zum Ausdruck
gekommen war,—ich nahm die tragische
Erkenntniss als den schönsten Luxus unsrer Cultur, als
deren kostbarste, vornehmste, gefährlichste Art
Verschwendung, aber immerhin, auf Grund ihres
Überreichthums, als ihren erlaubten Luxus.
Desgleichen deutete ich mir die Musik Wagner's
zurecht zum Ausdruck einer dionysischen Mächtigkeit der
Seele, in ihr glaubte ich das Erdbeben zu hören, mit dem
eine von Alters her aufgestaute Urkraft von Leben sich
endlich Luft macht, gleichgültig dagegen, ob Alles, was
sich heute Cultur nennt, damit in's Wackeln geräth.
Man sieht, was ich verkannte, man sieht insgleichen,
womit ich Wagnern und Schopenhauern beschenkte—mit
mir ... Jede Kunst, jede Philosophie darf als Heil- und
Hülfsmittel des wachsenden oder des niedergehenden
Lebens angesehn werden: sie setzen immer Leiden und
Leidende voraus. Aber es giebt zweierlei Leidende, einmal
die an der Überfülle des Lebens Leidenden,
welche eine dionysische Kunst wollen und ebenso eine
tragische Einsicht und Aussicht auf das Leben—und
sodann die an der Verarmung des Lebens Leidenden,
die Ruhe, Stille, glattes Meer oder aber den
Rausch, den Krampf, die Betäubung von Kunst und
Philosophie verlangen. Die Rache am Leben selbst—die
wollüstigste Art Rausch für solche Verarmte! ... Dem
Doppel-Bedürfniss der Letzteren entspricht ebenso Wagner
wie Schopenhauer—sie verneinen das Leben, sie
verleumden es, damit sind sie meine Antipoden.— Der
Reichste an Lebensfülle, der dionysische Gott und
Mensch, kann sich nicht nur den Anblick des
Fürchterlichen und des Fragwürdigen gönnen, sondern
selbst die furchtbare That und jeden Luxus von
Zerstörung, Zersetzung, Verneinung,—bei ihm
erscheint das Böse, Sinnlose und Hässliche gleichsam
erlaubt, wie es der Natur erlaubt erscheint, in Folge
eines Überschusses von zeugenden, wiederherstellenden
Kräften, welche aus jeder Wüste noch ein üppiges
Fruchtland zu schaffen vermag. Umgekehrt würde der
Leidendste, Lebensärmste, am meisten die Milde,
Friedlichkeit und Güte nöthig haben—das, was heute
Humanität genannt wird—im Denken sowohl wie im
Handeln, womöglich einen Gott, der ganz eigentlich ein
Gott für Kranke, ein Heiland ist, ebenso auch die
Logik, die begriffliche Verständlichkeit des Daseins
selbst für Idioten—die typischen
"Freigeister," wie die "Idealisten"
und "schönen Seelen," sind alle
décadents—kurz, eine gewisse warme,
furchtabwehrende Enge und Einschliessung in optimistische
Horizonte, die Verdummung erlaubt ... Dergestalt
lernte ich allmählich Epikur begreifen, den Gegensatz
eines dionysischen Griechen, insgleichen den Christen,
der in der That nur eine Art Epikureer ist und mit seinem
"der Glaube macht selig" dem Prinzip des
Hedonismus so weit wie möglich folgt—bis
über jede intellektuelle Rechtschaffenheit hinweg ...
Wenn ich Etwas vor allen Psychologen voraus habe, so ist
es das, dass mein Blick geschärfter ist für jene
schwierigste und verfänglichste Art des Rückschlusses,
in der die meisten Fehler gemacht werden—des
Rückschlusses vom Werk auf den Urheber, von der That auf
den Thäter, vom Ideal auf Den, der es nöthig
hat, von jeder Denk- und Wertungsweise auf das dahinter
kommandierende Bedürfniss.— In Hinsicht auf
Artisten jeder Art bediene ich mich jetzt dieser
Hauptunterscheidung: ist hier der Hass gegen das
Leben oder der Überfluss an Leben schöpferisch
geworden? In Goethe zum Beispiel wurde der Überfluss
schöpferisch, in Flaubert der Hass: Flaubert, eine
Neuausgabe Pascal's, aber als Artist, mit dem
Instinkt-Urtheil aus dem Grunde: "Flaubert est
toujours haïssable, l'homme
n'est rien, l'oeuvre est tout"
... Er torturirte sich, wenn er dichtete, ganz wie Pascal
sich torturirte, wenn er dachte—sie empfanden beide
unegoistisch ... "Selbstlosigkeit"—das
décadence-Prinzip, der Wille zum Ende in der Kunst
sowohl wie in der Moral.— |
It may perhaps be recalled, at least
among my friends, that at first I approached the modern
world with a few errors and overestimations, in any case,
full of hopes. I understood—who knows on
the basis of what personal experiences?—the
philosophic pessimism of the nineteenth century as a
symptom of a greater strength of thought, of a more
triumphant fullness of life, than had found expression in
the philosophy of Hume, Kant, and Hegel: I took tragic
insight for the most beautiful luxury of our culture, for
its most precious, noblest, most dangerous kind of
squandering—but nevertheless, in view of its
excessive wealth, as a permissible luxury.
Similarly, I interpreted Wagner's music as an
expression of a Dionysian power of the soul; I believed I
heard in it the earthquake with which a primordial force
of life, dammed up from time immemorial, finally vents
itself, indifferent to the possibility that everything
that calls itself culture today might start tottering. It
is plain what I misunderstood in, equally plain what I read
into, Wagner and Schopenhauer—myself ... Every
art, every philosophy, may be considered a remedy and aid
in the service of either growing or declining life: it
always presupposes suffering and sufferers. But there are
two kinds of sufferers: first, those who suffer from the
overfullness of life and want a Dionysian art as well as
a tragic insight and outlook on life—and then those
who suffer from the impoverishment of life and
demand of art and philosophy, calm, stillness, smooth
seas, or, on the other hand, frenzy, convulsion,
and anesthesia. Revenge against life itself—the most
voluptuous kind of frenzy for those so impoverished! ...
Wagner responds to this dual need of the latter no less
than Schopenhauer: they negate life, they slander it,
hence they are my antipodes. He that is richest in the
fullness of life, the Dionysian god and man, can afford
not only the sight of the terrible and the questionable,
but even the terrible deed and any luxury of destruction,
decomposition, and negation: in his case, what is evil,
senseless, and ugly seems, as it were, permissible, as it
seems permissible in nature, because of an excess of
procreating, restoring powers which can yet turn every
desert into luxurious farm land. Conversely, those who
suffer most and are poorest in life would need mildness,
peacefulness, and goodness most—what is today called
humaneness—in thought as well as in deed, and, if
possible, a god who would be truly a god for the sick, a
healer and savior; also logic, the
conceptual understandability of existence even for
idiots—the typical "free spirits," like
the "idealists" and "beautiful
souls," are all decadents—in short, a certain
warm, fear-repulsing narrowness and enclosure within
optimistic horizons which permit hebetation ...
Thus I gradually learned to understand Epicurus, the
opposite of a Dionysian Greek; also the Christian, who
is, in fact, only a kind of Epicurean, and, with his
"faith makes blessed," follows the
principle of hedonism as far as possible, far
beyond any intellectual integrity ... If there is
anything in which I am ahead of all psychologists, it is
that my eye is sharper for that most difficult and
captious kind of backward inference in which the
most mistakes are made: the backward inference from the
work to the maker, from the deed to the doer, from the
ideal to him who needs it, from every way of
thinking and valuing to the want behind it that
prompts it.— Regarding artists of all kinds, I now
avail myself of this main distinction: is it the hatred
against life or the excess of life which has
here become creative? In Goethe, for example, the excess
became creative; in Flaubert, hatred: Flaubert—a new
edition of Pascal, but as an artist, with the instinctive
judgment deep down: "Flaubert est toujours haïssable, l'homme n'est
rien, l'oeuvre est tout" ... ["Flaubert is always hateful, man is nothing, work is everything." Cf. Paul Bourget, Essais de psychologie contemporaine, 114: "Aussi Flaubert est-il l’homme de lettres de ce siècle qui a le moins souvent écrit la syllabe je à la tête de sa phrase, cette syllabe dont l’égoïsme tyrannique révoltait déjà Pascal: 'Le moi est haïssable,' dit un fragment célèbre des Pensées." Allusion to Blaise Pascal, Pensées: "Le moi est haïssable. Vous, Miton, le couvrez; vous ne l'ôtez pas pour cela: vous êtes donc toujours haïssable."] He tortured himself when he wrote, just as
Pascal tortured himself when he thought; they were both
unegoistic. "Selflessness"—the principle
of decadence, the will to the end, in art as well as in
morals. — |
Wohin Wagner gehört
[vgl. Jenseits von Gut und Böse, 254] |
Where Wagner Belongs
[cf. Beyond Good and Evil, 254] |
Auch jetzt noch ist
Frankreich der Sitz der geistigsten und raffinirtesten
Cultur Europa's und die hohe Schule des
Geschmacks: aber man muss dies "Frankreich des
Geschmacks" zu finden wissen. Die Norddeutsche
Zeitung zum Beispiel, oder wer in ihr sein Mundstück
hat, sieht in den Franzosen
"Barbaren,"—ich für meine Person suche
den schwarzen Erdtheil, wo man "die
Sklaven" befreien sollte, in der Nähe der
Norddeutschen ... Wer zu jenem Frankreich gehört,
hält sich gut verborgen: es mag eine kleine Zahl sein,
in denen es leibt und lebt, dazu vielleicht Menschen,
welche nicht auf den kräftigsten Beinen stehn, zum Theil
Fatalisten, Verdüsterte, Kranke, zum Theil Verzärtelte
und Verkünstelte, Solche, welche den Ehrgeiz
haben, künstlich zu sein,—aber sie haben alles Hohe
und Zarte, was jetzt in der Welt noch übrig ist, in
ihrem Besitz. In diesem Frankreich des Geistes, welches
auch das Frankreich des Pessimismus ist, ist heute schon
Schopenhauer mehr zu Hause, als er es je in Deutschland
war; sein Hauptwerk zwei Mal bereits übersetzt, das
zweite Mal ausgezeichnet, so dass ich es jetzt vorziehe,
Schopenhauer französisch zu lesen (—er war ein Zufall
unter Deutschen, wie ich ein solcher Zufall bin—die
Deutschen haben keine Finger für uns, sie haben
überhaupt keine Finger, sie haben bloss Tatzen). Gar
nicht zu reden von Heinrich Heine—l'adorable>
Heine sagt man in Paris—, der den tieferen und
seelenvolleren Lyrikern Frankreichs längst in Fleisch
und Blut übergegangen ist. Was wüsste deutsches
Hornvieh mit den délicatesses einer solchen Natur
anzufangen!— Was endlich Richard Wagner angeht: so
greift man mit Händen, nicht vielleicht mit Fäusten,
dass Paris der eigentliche Boden für Wagner ist:
je mehr sich die französische Musik nach den
Bedürfnissen der "âme moderne"
gestaltet, um so mehr wird sie wagnerisiren,—sie
thut es schon jetzt genug.— Man darf sich hierüber
nicht durch Wagner selber irre führen lassen—es war
eine wirkliche Schlechtigkeit Wagners, Paris 1871 in
seiner Agonie zu verhöhnen ... In Deutschland ist Wagner
trotzdem bloss ein Missverständniss: wer wäre
unfähiger, Etwas von Wagner zu verstehn, als zum
Beispiel der junge Kaiser?— Die Thatsache bleibt
für jeden Kenner der europäischen Cultur-Bewegung
nichtsdestoweniger gewiss, dass die französische
Romantik und Richard Wagner auf's Engste zu einander
gehören. Allesammt beherrscht von der Literatur bis in
ihre Augen und Ohren—die ersten Künstler
Europa's von weltliterarischer
Bildung—meistens sogar selber Schreibende,
Dichtende, Vermittler und Vermischer der Sinne und
Künste, allesammt Fanatiker des Ausdrucks, grosse
Entdecker im Reiche des Erhabenen, auch des Hässlichen
und Grässlichen, noch grössere Entdecker im Effekte, in
der Schaustellung, in der Kunst der Schauläden,
allesammt Talente weit über ihr Genie hinaus—, Virtuosen
durch und durch, mit unheimlichen Zugängen zu Allem, was
verführt, lockt, zwingt, umwirft, geborne Feinde der
Logik und der geraden Linie, begehrlich nach dem Fremden,
dem Exotischen, dem Ungeheuren, allen Opiaten der Sinne
und des Verstandes. Im ganzen eine verwegen-wagende,
prachtvoll-gewaltsame, hochfliegende und hoch
emporreissende Art von Künstlern, welche ihrem
Jahrhundert—es ist das Jahrhundert der Masse—den
Begriff "Künstler" erst zu lehren hatte. Aber krank
... |
Even now France is still the seat of
the most spiritual and refined culture in Europe and the
foremost school of taste: but one must know where to find
this "France of taste." The Norddeutsche
Zeitung, for example, or whoever uses this newspaper as a
mouthpiece, considers the French "barbarians";
I, for my own part, look for the Dark Continent,
where the "slaves" ought to be freed, in the
vicinity of the North Germans ... Whoever belongs to that
France keeps himself well concealed: it may be a small
number in whom it lives and continues, and at that,
perhaps human beings who are not among the sturdiest:
partly fatalists, somber and sick, partly pampered and
artificial, such as have the ambition to be
artificial—but they possess everything high and
delicate that is still left in this world. In this France
of the spirit, which is also the France of pessimism,
Schopenhauer is even now more at home than he has ever
been in Germany; his main work has already been
translated twice, the second time excellently, so that I
now prefer to read Schopenhauer in French (he was an accident
among Germans, as I am such an accident; the Germans have
no fingers for us, they have no fingers altogether, they
have only paws). Not to speak of Heinrich Heine—l'adorable Heine,
they say in Paris—who has long become part of the very flesh and
blood of the more profound and soulful lyrical poets in France. How could
German oxen be anything but dumfounded by the
délicatesses of such a nature!— As regards Richard
Wagner, finally, it is so plain that one could grasp it
with the hands, though perhaps not with fists, that Paris
is the real soil for Wagner: the more French music
develops according to the needs of the "âme
moderne," the more it will Wagnerize—in fact, that is what it is doing even
now. We must not let ourselves be led astray about this
by Wagner himself: it was real badness in Wagner
to mock Paris in its agony in 1871 ... In Germany, Wagner
is nevertheless merely a misunderstanding: who could be
more incapable of understanding Wagner than, for example,
the young Kaiser? It remains a certain fact for anyone
familiar with European cultural movements that French
romanticism and Richard Wagner belong together most
closely. All dominated by literature right into their
eyes and ears—the first artists in Europe to have an
education in world literature—in most
cases, themselves writers, poets, mediators, and mixers
of the senses and the arts; all fanatics of expression,
great discoverers in the realm of the sublime, also of
the ugly and the horrible, still greater dicoverers in
the sphere of effects and spectacular displays, in the
art of display windows; all talents far beyond their
genius—virtuosos through and through, with
uncanny access to everything that seduces, lures, forces,
overthrows, born enemies of logic and of the straight
line, covetous of the strange, the exotic, the
tremendous, and all opiates of the senses and the
understanding. On the whole, an audaciously daring,
magnificently violent, high-soaring, and high-sweeping
type of artist, they alone have taught their
century—it is the century of the mass—the
concept of the "artist." But sick ... |
Wagner als Apostel der Keuschheit |
Wagner as the Apostle of Chastity |
1
[vgl. Jenseits von Gut und Böse, 256] |
1
[cf. Beyond Good and Evil, 256] |
— Ist das noch deutsch?
Aus deutschen Herzen kam dies schwüle Kreischen?
Und deutschen Leibs ist dies Sich-selbst-Zerfleischen?
Deutsch ist dies Priester-Hände-Spreizen,
Dies weihrauchdüftelnde Sinne-Reizen?
Und deutsch dies Stürzen, Stocken, Taumeln,
Dies zuckersüsse Bimbambaumeln?
Dies Nonnen-Äugeln, Ave-Glockenbimmeln,
Dies ganze falsch verzückte Himmel-Überhimmeln? ...
|
— Is
this still German?
Out of a German heart, this torrid screeching?
A German body, this self-laceration?
German, this priestly-affectation,
This incense-smelling lurid-preaching?
German, this plunging, halting, reeling,
This sugar-sweetish bim-bam pealing?
This nunnish-ogling, Ave-leavening,
This whole falsely ecstatic heaven over-heavening? ... |
— Ist das noch deutsch?
Erwägt! Noch steht ihr an der Pforte ...
Denn was ihr hört, ist Rom,—Roms Glaube
ohne Worte! |
Is this
still German?
Consider! Stay! You are perplexed? ...
That which you hear is Rome—Rome's faith
without the text! |
2
[vgl. Zur Genealogie der Moral, 3:2] |
2
[cf. On the
Genealogy of Morality, 3:2] |
Zwischen Sinnlichkeit
und Keuschheit giebt es keinen notwendigen Gegensatz;
jede gute Ehe, jede eigentliche Herzensliebschaft ist
über diesen Gegensatz hinaus. Aber in jenem Falle, wo es
wirklich diesen Gegensatz giebt, braucht es zum Glück
noch lange kein tragischer Gegensatz zu sein. Dies
dürfte wenigstens für alle wohlgerathneren,
wohlgemutheren Sterblichen gelten, welche fern davon
sind, ihr labiles Gleichgewicht zwischen Engel und petite
bête ohne Weiteres zu den Gegengründen des Daseins zu
rechnen,—die Feinsten, die Hellsten, gleich Hafis,
gleich Goethe, haben darin sogar einen
Reiz mehr gesehn ... Solche Widersprüche gerade
verführen zum Dasein ... Andrerseits versteht es sich
nur zu gut, dass, wenn einmal die verunglückten Thiere
der Circe dazu gebracht werden, die Keuschheit anzubeten,
sie in ihr nur ihren Gegensatz sehn und anbeten
werden—oh mit was für einem tragischen Gegrunz und
Eifer! man kann es sich denken—jenen peinlichen und
vollkommen überflüssigen Gegensatz, den Richard Wagner
unbestreitbar am Ende seines Lebens noch hat in Musik
setzen und auf die Bühne bringen wollen. Wozu doch?
wie man billig fragen darf. |
There is no necessary opposition
between sensuality and chastity; every good marriage,
every love affair, that comes from the heart is beyond
this opposition. But in a case in which this opposition
really exists, fortunately it need by no means be a
tragic opposition. This would seem to hold at least for
all the better turned out, more cheerful mortals, who are
far from counting their labile balance between angel and petite
bête [animal] as necessarily among the objections to
existence: the finest, the brightest, like Hafiz, like
Goethe, have even considered this one attraction more ...
Such contradictions actually seduce to existence ... On
the other hand, it is only too easy to understand that,
should those whom misfortune has changed into the animals
of Circe ever be brought to the point of adoring
chastity, they will see only their own opposite in it and
will adore it—oh, with what tragic grunting
and fervor one can imagine! And at the end of his life
Richard Wagner undeniably wanted to set this embarrassing
and perfectly superfluous opposition to music and produce
it on the stage. Why? we are entitled to ask. |
3
[vgl. Zur Genealogie der Moral, 3:3] |
3
[cf. On the
Genealogy of Morality, 3:3] |
Dabei ist freilich jene
andre Frage nicht zu umgehn, was ihn eigentlich jene
männliche (ach, so unmännliche) "Einfalt vom
Lande" angieng, jener arme Teufel und Naturbursch
Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen Mitteln
schliesslich katholisch gemacht wird—wie? war dieser
Parsifal überhaupt ernst gemeint? Denn dass man
über ihn gelacht hat, möchte ich am wenigsten
bestreiten, Gottfried Keller auch nicht ... Man möchte
es nämlich wünschen, dass der Wagnersche Parsifal
heiter gemeint sei, gleichsam als Schlussstück und
Satyrdrama, mit dem der Tragiker Wagner gerade auf eine
ihm gebührende und würdige Weise von uns, auch von
sich, vor Allem von der Tragödie habe Abschied
nehmen wollen, nämlich mit einem Excess höchster und
muthwilligster Parodie auf das Tragische selbst, auf den
ganzen schauerlichen Erden-Ernst und Erden-Jammer von
Ehedem, auf die endlich überwundene dümmste Form
in der Widernatur des asketischen Ideals. Der Parsifal
ist ja ein Operetten-Stoff par excellence ... Ist der
Parsifal Wagner's sein heimliches
Überlegenheits-Lachen über sich selber, der Triumph
seiner letzten höchsten Künstler-Freiheit,
Künstler-Jenseitigkeit—Wagner, der über sich zu lachen
weiss? ... Man möchte es, wie gesagt, wünschen: denn
was würde der ernstgemeinte Parsifal sein? Hat
man wirklich nöthig, in ihm (wie man sich gegen mich
ausgedrückt hat) "die Ausgeburt eines toll
gewordnen Hasses auf Erkenntniss, Geist und
Sinnlichkeit" zu sehn? einen Fluch auf Sinne und
Geist in Einem Hass und Athem? eine Apostasie und
Umkehr zu christlich-krankhaften und obskurantistischen
Idealen? Und zuletzt gar ein Sich-selbst-Verneinen,
Sich-selbst-Durchstreichen von Seiten eines Künstlers,
der bis dahin mit aller Macht seines Willen auf das
Umgekehrte, auf höchste Vergeistigung und Versinnlichung
seiner Kunst ausgewesen war? Und nicht nur seiner Kunst,
auch seines Lebens? Man erinnere sich, wie begeistert
seiner Zeit Wagner in den Fusstapfen des Philosophen
Feuerbach gegangen ist. Feuerbach's Wort von der
"gesunden Sinnlichkeit"—das klang in den
dreissiger und vierziger Jahren Wagnern gleich vielen
Deutschen—sie nannten sich die jungen
Deutschen—wie das Wort der Erlösung. Hat er
schliesslich darüber umgelernt? Da es zum
Mindesten scheint, dass er zuletzt den Willen hatte,
darüber umzulehren? ... Ist der Hass auf das
Leben bei ihm Herr geworden, wie bei Flaubert? ...
Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht,
der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen
des Lebens, ein schlechtes Werk.— Die Predigt
der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: ich
verachte Jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat
auf die Sittlichkeit empfindet.— |
At this point, of course, we cannot
escape another question: What could that male (yet so
unmasculine) "innocence from the country,"
really be to him, that poor devil and child of nature,
Parsifal, whom Wagner finally makes a Catholic by such
captious means? How now? Was this Parsifal meant at all seriously?
For, that he has been laughed at, I would
certainly be in no position to dispute, nor would
Gottfried Keller ... I should really wish that the
Wagnerian Parsifal were intended as a prank—as the
epilogue and satyr play, as it were, with which the
tragedian Wagner wanted to say farewell in a fitting
manner worthy of himself—to us, to himself, and
above all to tragedy, with an excessive,
sublimely wanton parody on the tragic itself, on all the
former horrid earthly seriousness and earthly misery, on
the most stupid form, overcome at long last, of
the anti-nature of the ascetic ideal. After all, Parsifal
is operetta material par excellence ... Is Wagner's
Parsifal his secretly superior laughter at himself, the
triumph of his ultimate artistic freedom, his artistic non
plus ultra—Wagner able to laugh at himself? ...
Clearly, one should wish that; for what would Parsifal
amount to if intended as a serious piece? Must
we really see in it (as somebody has expressed it against
me) "the abortion gone mad of a hatred of knowledge,
spirit, and sensuality"? A curse on the senses and
the spirit in a single hatred and breath? An
apostasy and reversion to sickly Christian and
obscurantist ideals? And in the end even self-abnegation,
a self-crossing-out on the part of an artist who had
previously aimed at the very opposite of this, striving
with all the power of his will to achieve the highest
spiritualization and sensualization in his art? And not
only in his art, but also in his life. We should remember
how enthusiastically Wagner once followed in the
footsteps of the philosopher Feuerbach. In the thirties
and forties, Feuerbach's slogan of "healthy
sensuality" sounded to Wagner, as to many other
Germans—they called themselves the young
Germans—like the words of redemption. Had he learned
differently in the end? For it seems, at least, that he
finally had the will to teach differently ...
Did the hatred against life become dominant in
him, as in Flaubert? ... For Parsifal is a work of
perfidy, of vindictiveness, of a secret attempt to poison
the presuppositions of life—a bad work. The
preaching of chastity remains an incitement to
anti-nature: I despise everyone who does not experience
Parsifal as an attempted assassination of basic ethics.— |
Wie ich von Wagner loskam
[vgl. Vermischte Meinungen und Sprüche, Vorrede zur 2. Aufl., 3-4] |
How I Broke Away From Wagner
[cf. Mixed
Opinions and Maxims, Preface to the 2d ed., 3-4] |
1 |
1 |
Schon im Sommer 1876, mitten in der Zeit der
ersten Festspiele, nahm ich bei mir von Wagner Abschied.
Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in
Deutschland war, condescendirte er Schritt für Schritt
zu Allem, was ich verachte—selbst zum Antisemitismus
... Es war in der That damals die höchste Zeit, Abschied
zu nehmen: alsbald schon bekam ich den Beweis dafür.
Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit
ein morsch gewordner, verzweifelnder décadent, sank
plötzlich, hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen
Kreuze nieder... Hat denn kein Deutscher für dies
schauerliche Schauspiel damals Augen im Kopfe, Mitgefühl
in seinem Gewissen gehabt? War ich der Einzige, der an
ihm—litt?— Genug, mir selbst gab das
unerwartete Ereigniss wie ein Blitz Klarheit über den
Ort, den ich verlassen hatte—und auch jenen
nachträglichen Schauder, den Jeder empfindet, der
unbewusst durch eine ungeheure Gefahr gelaufen ist. Als
ich allein weiter gieng, zitterte ich; nicht lange darauf
war ich krank, mehr als krank, nämlich müde,—müde
aus der unaufhaltsamen Enttäuschung über Alles, was uns
modernen Menschen zur Begeisterung übrig blieb, über
die allerorts vergeudete Kraft, Arbeit, Hoffnung,
Jugend, Liebe, müde aus Ekel vor der ganzen
idealistischen Lügnerei und Gewissens-Verweichlichung,
die hier wieder einmal den Sieg über Einen der
Tapfersten davongetragen hatte; müde endlich, und nicht
am wenigsten, aus dem Gram eines unerbittlichen
Argwohns—dass ich nunmehr verurtheilt sei, tiefer zu
misstrauen, tiefer zu verachten, tiefer allein zu
sein als je vorher. Denn ich hatte Niemanden gehabt
als Richard Wagner ... Ich war immer verurtheilt zu Deutschen ... |
By the summer of 1876, during the time of the first Festspiele,
I said farewell to Wagner in my heart. I suffer no
ambiguity; and since Wagner had moved to Germany, he had
condescended step by step to everything I
despise—even to anti-Semitism ... It was indeed high
time to say farewell: soon after, I received the proof.
Richard Wagner, apparently most triumphant, but in truth
a decaying and despairing decadent, suddenly sank down,
helpless and broken, before the Christian cross ... Did
no German have eyes in his head or pity in his conscience
for this horrid spectacle? Was I the only one whom it pained?—
Enough; this unexpected event struck me like lightning
and gave me clarity about the place I had left—and
also that shudder which everybody feels after he has
unconsciously passed through a tremendous danger. As I
proceeded alone I trembled; not long after, I was sick,
more than sick, namely, weary—weary from the
inevitable disappointment about everything that is left
to us modem men for enthusiasm, about the universally wasted
energy, work, hope, youth, love—weary from nausea at
the whole idealistic lie and pampering of the conscience,
which had here triumphed once again over one of the
bravest—weary, finally and not least of all, from
the grief aroused by an inexorable suspicion that I was
henceforth sentenced to mistrust more profoundly, to
despise more profoundly, to be more profoundly alone
than ever before. For I had had nobody except Richard
Wagner ... I have always been sentenced
to Germans ... |
2 |
2 |
Einsam nunmehr und schlimm misstrauisch gegen
mich, nahm ich, nicht ohne Ingrimm, damals Partei gegen
mich und für Alles, was gerade mir wehthat und
hart fiel: so fand ich den Weg zu jenem tapferen
Pessimismus wieder, der der Gegensatz aller
idealistischen Verlogenheit ist, und auch, wie mir
scheinen will, den Weg zu mir,—zu meiner
Aufgabe ... Jenes verborgene und herrische Etwas, für
das wir lange keinen Namen haben, bis es sich endlich als
unsre Aufgabe erweist,—dieser Tyrann in uns nimmt
eine schreckliche Wiedervergeltung für jeden Versuch,
den wir machen, ihm auszuweichen oder zu entschlüpfen,
für jede vorzeitige Bescheidung, für jede Gleichsetzung
mit solchen, zu denen wir nicht gehören, für jede noch
so achtbare Thätigkeit, falls sie uns von unsrer
Hauptsache ablenkt,—ja für jede Tugend selbst,
welche uns gegen die Härte der eigensten
Verantwortlichkeit schützen möchte. Krankheit ist jedes
Mal die Antwort, wenn wir an unsrem Recht auf unsre
Aufgabe zweifeln wollen, wenn wir anfangen, es uns
irgendworin leichter zu machen. Sonderbar und furchtbar
zugleich! Unsre Erleichterungen sind es, die wir
am härtesten büssen müssen! Und wollen wir hinterdrein
zur Gesundheit zurück, so bleibt uns keine Wahl:
wir müssen uns schwerer belasten, als wir je
vorher belastet waren ... |
Lonely henceforth and badly mistrustful of myself, I then took
sides, not without indignation, against myself
and for everything that hurt and was hard just
for me: thus I found the way again to that courageous
pessimism which is the opposite of an idealistic
mendaciousness, and also, it seems to me, the way to myself,
to my task ... That hidden and masterful
something for which we long do not have a name, until
finally it proves itself to be our task—this tyrant
in us wreaks horrible revenge for every attempt we make
to dodge or escape it, for every premature resignation,
for every acceptance of equality with those among whom we
do not belong, for every activity, however respectable,
which distracts us from our main cause—indeed, for
every virtue which would protect us from the hardness of
our innernost responsibility. Every time, sickness is the
response when we want to doubt our right to our
task, when we begin to make things easier for ourselves
in any way. Strange and at the same time terrible! It is
the easing of our burden which we must atone
most harshly! And if we want to return to health
afterward, we have no choice: we must assume a heavier
burden than we ever carried before ... |
Der Psycholog nimmt das Wort
[vgl. Jenseits von Gut und Böse, 269-270] |
The Psychologist Speaks Up
[cf. Beyond Good and Evil, 269-270] |
1 |
1 |
Je mehr ein Psycholog, ein geborner, ein
unvermeidlicher Psycholog und Seelen-Errather, sich den
ausgesuchteren Fällen und Menschen zukehrt, um so
grösser wird seine Gefahr, am Mitleiden zu ersticken. Er
hat Härte und Heiterkeit nöthig, mehr als ein
andrer Mensch. Die Verderbniss, das Zugrundegehn der
höheren Menschen ist nämlich die Regel: es ist
schrecklich, eine solche Regel immer vor Augen zu haben.
Die vielfache Marter des Psychologen, der dies
Zugrundegehn entdeckt hat, der diese gesammte innere
"Heillosigkeit" des höheren Menschen, dies
ewige "Zu spät!" in jedem Sinne erst einmal
und dann fast immer wieder entdeckt durch die
ganze Geschichte hindurch—kann vielleicht eines
Tages die Ursache davon werden, dass er selber verdirbt
... Man wird fast bei jedem Psychologen eine
verrätherische Vorneigung zum Umgang mit alltäglichen
und wohlgeordneten Menschen wahrnehmen: daran verräth
sich, dass er immer einer Heilung bedarf, dass er eine
Art Sucht und Vergessen braucht, weg von dem, was ihm
seine Einblicke, Einschnitte, was ihm sein Handwerk
aufs Gewissen gelegt hat. Die Furcht vor seinem
Gedächtniss ist ihm zu eigen. Er kommt vor dem Urtheile
Anderer leicht zum Verstummen, er hört mit einem
unbewegten Gesichte zu, wie dort verehrt, bewundert,
geliebt, verklärt wird, wo er gesehn hat—,
oder er verbirgt noch sein Verstummen, indem er irgend
einer Vordergrunds-Meinung ausdrücklich zustimmt.
Vielleicht geht die Paradoxie seiner Lage so weit ins
Schauerliche, dass die "Gebildeten" gerade
dort, wo er das grosse Mitleiden neben der grossen
Verachtung gelernt hat, ihrerseits die grosse
Verehrung lernen ... Und wer weiss, ob sich nicht in
allen grossen Fällen eben nur Dies begab,—dass man
einen Gott anbetete und dass der Gott nur ein armes
Opferthier war ... Der Erfolg war immer der
grösste Lügner—und auch das Werk, die
That ist ein Erfolg ... Der grosse
Staatsmann, der Eroberer, der Entdecker ist in seine
Schöpfungen verkleidet, versteckt, bis ins Unerkennbare;
das Werk, das des Künstlers, des Philosophen, erfindet
erst den, welcher es geschaffen hat, geschaffen haben soll
... Die "grossen Männer," wie sie verehrt
werden, sind kleine schlechte Dichtungen
hinterdrein,—in der Welt der historischen Werthe herrscht
die Falschmünzerei ... |
The more a psychologist—a born and inevitable psychologist and
unriddler of souls—applies himself to the more
exquisite cases and human beings, the greater becomes the
danger that he might suffocate of pity. He needs
hardness and cheerfulness more than anyone else. For the
corruption, the destruction of the higher men is the
rule: it is temble constantly to have such a rule before
one's eyes. The manifold torture of the psychologist
who has discovered this corruption, who discovers this
whole inner "haplessness" of the higher man,
this eternal "Too late!" in every sense, first
in one case and then almost always again through
the whole of history—one day this may perhaps bring
about his own corruption ... In almost every
psychologist one will perceive a telltale preference for
association with everyday, well ordered people: this
reveals that he always requires a cure, that he needs a
kind of escape and forgetting, away from all that with
which his insights, his incisions, his craft,
burden his conscience. He is characterized by fear of his
memory. He is easily silenced by the judgments of others;
he listens with an immobile face as they venerate,
admire, love, and transfigure where he has seen—or
he even conceals his silence by explicitly agreeing with
some foreground opinion. Perhaps the paradox of his
situation is so horrible that the "educated,"
on their part, learn the greatest veneration precisely
where he has learned the greatest pity coupled
with the greatest contempt ... And who knows
whether what happened in all great cases was not simply
this—that one adored a god, and that the god was
merely a poor sacrificial animal ... Success has
always been the greatest liar—and the work,
the deed too, is a success ... The great
statesman, the conqueror, the discoverer is disguised by
his creations, concealed beyond recognition; it is the
work, of the artist as of the philosophers, that
invents—the man who has created it, who is supposed
to have created it ... "Great men," as they are
venerated, are subsequent pieces of wretched minor
fiction: in the world of historical values, counterfeit rules
... |
2 |
2 |
— Diese grossen Dichter zum Beispiel, diese
Byron, Musset, Poe, Leopardi, Kleist, Gogol—ich wage
es nicht, viel grössere Namen zu nennen, aber ich meine
sie—wie sie nun einmal sind, sein müssen: Menschen
des Augenblicks, sinnlich, absurd, fünffach, im
Misstrauen und Vertrauen leichtfertig und plötzlich; mit
Seelen, an denen gewöhnlich irgend ein Bruch verhehlt
werden soll; oft mit ihren Werken Rache nehmend für eine
innere Besudelung, oft mit ihren Aufflügen Vergessenheit
suchend vor einem allzutreuen Gedächtniss, Idealisten
aus der Nähe des Sumpfes—welche Marter sind
diese grossen Künstler und überhaupt die sogenannten
höheren Menschen für den, der sie erst errathen hat ...
Wir sind alle Fürsprecher des Mittelmässigen ... Es ist
begreiflich, dass sie gerade vom Weibe, das
hellseherisch ist in der Welt des Leidens und leider auch
weit über seine Kräfte hinaus hülf- und
rettungssüchtig, so leicht jene Ausbrüche von
unbegrenztem Mitleide erfahren, welche die Menge, vor
Allem die verehrende Menge mit neugierigen und
selbstgefälligen Deutungen überhäuft ... Dies
Mitleiden täuscht sich regelmässig über seine Kraft:
das Weib möchte glauben, dass Liebe Alles
vermöge,—es ist sein eigentlicher Aberglaube.
Ach, der Wissende des Herzen erräth, wie arm, hülflos,
anmaasslich, fehlgreifend auch die beste,
tiefste Liebe ist—wie sie eher noch zerstört
als rettet .... |
— Those great poets, for example, men like Byron, Musset,
Poe, Leopardi, Kleist, Gogol—I do not dare mention
far greater names, but I mean them—are and must be
men of the moment, sensual, absurd, fivefold,
irresponsible, and sudden in mistrust and trust; with
souls in which they must usually conceal some fracture;
often taking revenge with their works for some inner
contamination, often seeking with their high flights to
escape into forgetfulness from an all-too-faithful
memory; idealists from the vicinity of swamps—what
torture are these great artists and all the so-called
higher men for him who has guessed their true nature! ...
We are all advocates of the mediocre ... It is easy to
understand that it is woman—clairvoyant in
the world of suffering, and, unfortunately, also desirous
far beyond her strength to help and to save who so
readily accords these men those outbreaks of infinite
pity on which the mass, particularly the venerating mass,
then lavish inquisitive and self-satisfied
interpretations ... This pity regularly deceives itself
about its own strength: woman would like to believe that
love can achieve everything—it is her
characteristic superstition. Alas, whoever knows
the heart will guess how poor, helpless, arrogant, and
mistaken is even the best, the profoundest love—how
it even destroys rather than saves .... |
3 |
3 |
— Der geistige Ekel und Hochmuth
jedes Menschen, der tief gelitten hat—es
bestimmt beinahe die Rangordnung, wie tief Einer
leiden kann—, seine schaudernde Gewissheit, von der
er ganz durchtränkt und gefärbt ist, vermöge seines
Leidens mehr zu wissen, als die Klügsten und
Weisesten wissen könnten, in vielen fernen entsetzlichen
Welten bekannt und einmal zu Hause gewesen zu sein, von
denen "ihr Nichts wisst" ..., dieser
geistige schweigende Hochmuth, dieser Stolz des
Auserwählten der Erkenntniss, des
"Eingeweihten," des beinahe Geopferten findet
alle Arten von Verkleidung nöthig, um sich vor der
Berührung mit zudringlichen und mitleidigen Händen und
überhaupt vor Allem, was nicht seines Gleichen im
Schmerz ist, zu schützen. Das tiefe Leiden macht
vornehm; es trennt.— Eine der feinsten
Verkleidungs-Formen ist der Epicureismus und eine gewisse
fürderhin zur Schau getragne Tapferkeit des Geschmacks,
welche das Leiden leichtfertig nimmt und sich gegen alles
Traurige und Tiefe zur Wehre setzt. Es giebt
"heitere Menschen," welche sich der Heiterkeit
bedienen, weil sie um ihretwillen missverstanden
werden,—sie wollen missverstanden sein. Es
giebt "wissenschaftliche Geister," welche sich
der Wissenschaft bedienen, weil dieselbe einen heiteren
Anschein giebt und weil Wissenschaftlichkeit darauf
schliessen lässt, dass der Mensch oberflächlich
ist—sie wollen zu einem falschen Schlusse
verführen ... Es giebt freie freche Geister, welche
verbergen und verleugnen möchte<n>, dass sie im
Grunde zerbrochne unheilbare Herzen sind—es ist der
Fall Hamlets: und dann kann die Narrheit selbst die Maske
für ein unseliges allzugewisses Wissen sein.
— |
— The spiritual nausea and haughtiness of every human being who
has suffered deeply—how deeply one can suffer almost
determines the order of rank—his shuddering
certainty, which permeates and colors him through and
through, that by virtue of his suffering he knows
more than the cleverest and wisest could possibIy
know, and that he knows his way and has once been at home
in many distant, terrifying worlds of which "you
know nothing" ... this spiritual and silent
haughtiness, this pride of the elect of cognition, of the
"initiated," of the almost sacrificed, finds
all kinds of disguise necessary to protect itself against
contact with officious and pitying hands, and against
everything that is not a peer in suffering. Deep
suffering makes noble; it separates.— One of the
finest disguises is Epicureanism, and a certain
ostentatious courage of taste which takes suffering
glibly and wards off everything sad and deep. There are
"cheerful people" who employ cheerfulness in
order to be misunderstood—they want
to be misunderstood. There are "scientific
spirits" who employ science because it gives a
cheerful appearance, and because scientism suggests that
a man is superficial—they want to seduce
others to such a false inference ... There are free,
impudent spirits who would like to conceal and deny that
at bottom they are broken, incurable hearts—the case
of Hamlet: and then even foolishness can be the mask for
an unblessed all-too-certain certainty. — |
Epilog
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, Vorrede zur 2. Aufl., 3-4] |
Epilogue
[cf. The Joyful Science, Preface to the 2d ed., 3-4] |
1 |
1 |
Ich habe mich oft gefragt, ob ich den schwersten
Jahren meines Leben nicht tiefer verpflichtet bin als
irgend welchen anderen. So wie meine innerste Natur es
mich lehrt, ist alles Nothwendige, aus der Höhe gesehn
und im Sinne einer grossen Ökonomie, auch das
Nützliche an sich,—mann soll es nicht nur tragen,
man soll es lieben ... Amor fati: das ist
meine innerste Natur.— Und was mein langes Siechthum
angeht, verdanke ich ihm nicht unsängliche viel mehr als
meiner Gesundheit? Ich verdanke ihm eine höhere Gesundheit,
eine solche, welche stärker wird von Allem, was sie
nicht umbringt!— Ich verdanke ihr auch meine
Philosophie ... Erst der grosse Schmerz ist der
letzte Befreier des Geistes, als der Lehrmeister des grossen
Verdachts, der aus jedem U ein X macht, ein echtes
rechtes X, das heisst den vorletzten Buchstaben
vor dem letzten ... Erst der grosse Schmerz, jener lange
langsame Schmerz, in dem wir gleichsam wie mit grünem
Holze verbrannt werden, der sich Zeit nimmt—, zwingt
uns Philosophen in unsre letzte Tiefe zu steigen und
alles Vertrauen, alles Gutmüthige, Verschleiernde,
Milde, Mittlere, wohin wir vielleicht vordem unsre
Menschlichkeit gesetzt haben, von uns zu thun. Ich
zweifle, ob ein solcher Schmerz "verbessert":
aber ich weiss, dass er uns vertieft ... Sei es
nun, dass wir ihm unsern Stolz, unsern Hohn, unsre
Willenskraft entgegenstellen lernen, und es dem Indianer
gleichthun, der, wie schlimm auch gepeinigt, sich an
seinem Peiniger durch die Bosheit seiner Zunge schadlos
hält; sei es, dass wir uns vor dem Schmerz in jenes
Nichts zurückziehn, in das stumme, starre, taube
Sich-Ergeben, Sich-Vergessen, Sich-Auslöschen: man kommt
aus solchen langen gefährlichen Übungen der Herrschaft
über sich als ein andrer Mensch heraus, mit einigen
Fragezeichen mehr,—vor Allem mit dem Willen,
fürderhin mehr, tiefer, strenger, härter, böser,
stiller zu fragen als je bisher auf Erden gefragt worden
ist ... Das Vertrauen zum Leben ist dahin; das Leben
selber wurde ein Problem.— Möge man ja nicht
glauben, dass Einer damit nothwendig zum Düsterling, zur
Schleiereule geworden sei! Selbst die Liebe zum Leben ist
noch möglich,—nur liebt man anders ... Es
ist die Liebe zu einem Weibe, das uns Zweifel macht ... |
I have often asked myself whether I am not more heavily
obligated to the hardest years of my life than to any
others. As my inmost nature teaches me, whatever is
necessary as seen from the heights and in the sense.of a
great economy—is also the useful par excellence: one
should not only bear it, one should love it. Amor
fati [love of fate]: that is my inmost nature. And as for my long
sickness, do I not owe it indescnbably more than I owe to
my health? I owe it a higher health—one which is
made stronger by whatever does not kill it!— I
also owe my philosophy to it ... Only great pain is
the ultimate liberator of the spirit, as the teacher of great
suspicion which turns every U into an X,
a real, genuine X, that is, the letter before
the penultirnate one. Only great pain, that long, slow
pain in which we are burned with green wood, as it
were—pain which takes its time only this forces us
philosophers to descend into our ultimate depths and to
put away all trust, all good-naturedness, all that would
veil, all mildness, all that is medium things in which
formerly we may have found our humanity. I doubt that
such a pain makes us "better," but I know that
it makes us more profound ... Whether we learn
to pit our pride, our scorn, our will power against it,
equaling the American Indian who, however tortured, evens
the score with his torturer by the malice of his tongue;
or whether we withdraw from pain into that Nothing, into
mute, rigid, deaf resignation, self-forgetting,
self-extinction: out of such long and dangerous exercises
of self-mastery one emerges as a different person, with a
few more question marks—above all, with the will
to question more persistently, more deeply, severely,
harshly, evilly, and quietly than has ever been
questioned on this earth before. The trust in life is
gone; life itself has become a problem. Yet one
should not jump to the conclusion that with all this a
man has necessarily become dusky, a barn owl! Even the
love of life is still possible—only, one loves
differently ... It is the love for a woman who raises
doubts in us ... |
2 |
2 |
Am Seltsamsten ist Eins: man hat hinterdrein
einen andren Geschmack—einen zweiten
Geschmack. Aus solchen Abgründen, auch aus dem Abgrund
des grossen Verdachts kommt man neugeboren
zurück, gehäutet, kitzlicher, boshafter, mit einem
feineren Geschmack für die Freude, mit einer zarteren
Zunge für alle guten Dinge, mit lustigeren Sinnen, mit
einer zweiten gefährlicheren Unschuld in der Freude,
kindlicher zugleich und hundert Mal raffinirter als man
je vordem gewesen war. Moral: man ist nicht ungestraft
der tiefste Geist aller Jahrtausende,—man ist es
auch nicht unbelohnt ... Ich gebe sofort eine
Probe. |
What is strangest is this: afterward one has a different
taste—a second taste. Out of such abysses, also out
of the abyss of great suspicion, one returns newborn,
having shed one's skin, more ticklish and sarcastic,
with a more delicate taste for joy, with a more tender
tongue for all good things, with gayer senses, with a
second dangerous innocence in joy, more childlike and yet
a hundred tunes more subtle than one has ever been
before. Moral: one pays a price for being the most profound mind of all millennia—one is rewarded for it too ... I give an example forthwith. |
Oh wie Einem nunmehr der Genuss zuwider ist, der
grobe dumpfe braune Genuss, wie ihn sonst die
Geniessenden, unsre "Gebildeten," unsre Reichen
und Regierenden verstehn! Wie boshaft wir nunmehr dem
grossen Jahrmarkts-Bumbum zuhören, mit dem sich der
"gebildete" Mensch und Grosstädter heute durch
Kunst, Buch und Musik zu "geistigen Genüssen,"
unter Mithülfe geistiger Getränke, nothzüchtigen
lässt! Wie uns jetzt der Theaterschrei der Leidenschaft
in den Ohren wehthut, wie unserm Geschmacke der ganze
romantische Aufruhr und Sinnen-Wirrwarr, den der
gebildete Pöbel liebt, sammt seinen Aspirationen nach
dem Erhabenen, Gehobenen, Verschrobenen fremd geworden
ist! Nein, wenn wir Genesenden eine Kunst noch brauchen,
so ist es eine andre Kunst—eine spöttische,
leichte, flüchtige, göttlich unbehelligte, göttlich
künstliche Kunst, welche wie eine reine Flamme in einen
unbewölkten Himmel hineinlodert! Vor Allem: eine Kunst
für Künstler, nur für Künstler! Wir verstehn
uns hinterdrein besser auf das, was dazu zuerst noththut,
die Heiterkeit, jede Heiterkeit, meine Freunde!
... Wir wissen Einiges jetzt zu gut, wir Wissenden: oh
wie wir nunmehr lernen, gut zu vergessen, gut nicht-zu
wissen, als Künstler! ... Und was unsre Zukunft
betrifft: man wird uns schwerlich wieder auf den Pfaden
jener ägyptischen Jünglinge finden, welche Nachts
Tempel unsicher machen, Bildsäulen umarmen und durchaus
Alles, was mit guten Gründen versteckt gehalten wird,
entschleiern, aufdecken, in helles Licht stellen wollen.
Nein, dieser schlechte Geschmack, dieser Wille zur
Wahrheit, zur "Wahrheit um jeden Preis," dieser
Jünglings-Wahsinn in der Liebe zur Wahrheit—ist uns
verleidet: dazu sind wir zu erfahren, zu ernst, zu
lustig, zu gebrannt, zu tief ... Wir glauben nicht
mehr daran, dass Wahrheit noch Wahrheit bleibt, wenn man
ihr die Schleier abzieht,—wir haben genug
gelebt, um dies zu glauben ... Heute gilt es uns als eine
Sache der Schicklichkeit, dass man nicht Alles nackt
sehn, nicht bei Allem dabei sein, nicht Alles verstehn
und "wissen" wolle. Tout comprendre—c'est tout mépriser ...
"Ist es wahr, dass der liebe Gott überall zugegen
ist? fragte ein kleines Mädchen seine Mutter: aber ich
finde das unanständig"—ein Wink für
Philosophen! ... Man sollte die Scham besser in
Ehren halten, mit der sich die Natur hinter Räthsel und
bunte Ungewissheiten versteckt hat. Vielleicht ist die
Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht
sehn zu lassen? ... Vielleicht ist ihr Name,
griechisch zu reden, Baubo? ... Oh diese Griechen!
sie verstanden sich darauf, zu leben! Dazu thut
noth, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut
stehn zu bleiben, den Schein anzubeten, an Formen, an
Töne, an Worte, an den ganzen Olymp des Scheins
zu glauben! Diese Griechen waren oberflächlich—aus
Tiefe ... Und kommen wir nicht eben darauf zurück,
wir Waghalse des Geistes, die wir die höchste und
gefährlichste Spitze des gegenwärtigen Gedankens
erklettert und von da aus umgesehn haben, die wir von da
aus hinabgesehn haben? Sind wir nicht eben
darin—Griechen? Anbeter der Formen, der Töne, der
Worte? Eben darum—Künstler? ... |
How repulsive pleasure is now, that crude, musty, brown
pleasure as it is understood by those who like pleasure,
our "educated" people, our rich people, and our
rulers! How sarcastically we listen now to the big
county-fair boom-boom with which the "educated"
person and city dweller today permits art, books, and
music to rape him and provide "spiritual
pleasures"—with the aid of spirituous liquors!
How the theatrical scream of passion now hurts our ears,
how strange to our taste the whole romantic uproar and
tumult of the senses have become, which the educated
rabble loves, and all its aspirations after the elevated,
inflated, and exaggerated! No, if we who have recovered
still need art, it is another kind of art—a mocking,
light, fleeting, divinely untroubled, divinely artificial
art, which, like a pure flame, licks into unclouded
skies! Above all, an art for artists, for artists only!
We know better afterward what above all is needed for
this: cheerfulness, any cheerfulness, my friends! ...
There are a few things we now know too well, we knowing
ones: oh, how we learn now to forget well, and to be good
at not knowing, as artists! ... And as for our
future, one will hardly find us again on the paths of
those Egyptian youths who endanger temples by night,
embrace statues, and want by all means to unveil,
uncover, and put into a bright light whatever is kept
concealed for good reasons. No, this bad taste, this will
to truth, to "truth at any price," this
youthful madness in the love of truth, have lost their
charm for us: for that we are too experienced, too
serious, too gay, too burned, too deep. We no longer
believe that truth remains truth when the veils are
withdrawn; we have lived enough not to believe this.
Today we consider it a matter of decency not to wish to
see everything naked, or to be present at everything, or
to understand and "know" everything. Tout comprendre—c'est tout mépriser [To understand all—is
to despise all] ... "Is it true that God is present everywhere?" a little girl
asked her mother; "I think that's indecent"—a hint for philosophers! ... One
should have more respect for the bashfulness with which
nature has hidden behind riddles and iridescent
uncertainties. Perhaps truth is a woman who has reasons
for not letting us see her reasons? Perhaps her name
is—to speak Greek—Baubo? Oh, those
Greeks! They knew how to live! What is required for that
is to stop courageously at the surface, the fold, the
skin, to adore appearance, to believe in forms, tones,
words, in the whole Olympus of appearance! Those Greeks
were superficial—out of profundity ... And
is not this precisely what we are again coming back to,
we daredevils of the spirit who have climbed the highest
and most dangerous peak of present thought and looked
around from up there—we who have looked down
from there? Are we not, precisely in this respect,
Greeks? Adorers of forrns, of tones, of words? And
therefore—artists? |
Von der Armuth des Reichsten
[aus: Dionysos-Dithyramben] |
On the Poverty of the Richest
[from: Dionysus-Dithyrambs] |
Zehn Jahre
dahin,
kein Tropfen erreichte mich,
kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe
ein regenloses Land ...
Nun bitte ich meine Weisheit,
nicht geizig zu werden in dieser Dürre:
ströme selber über, träufle selber Thau
sei selber Regen der vergilbten Wildniss! |
For ten years now
No drop has reached me,
No humid wind, no dew of love
A rainless land
Now I beseech my wisdom
Not to become miserly in this drought:
Pour out of me, my trickling dew,
My own rain for the yellowed desert! |
Einst hiess ich die
Wolken
fortgehn von meinen Bergen,
einst sprach ich "mehr Licht, ihr
Dunklen!"
Heut locke ich sie, dass sie kommen:
macht dunkel um mich mit euren Eutern!
ich will euch melken,
ihr Kühe der Höhe!
Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe
ströme ich über das Land. |
Once I commanded the
clouds
To move away from my mountains
Once I spoke, "More light, for your shady
places!"
Today, I entice them so that they come:
Give shade to me with your udders!
I want to milk
You cows on high!
Milkwarm wisdom, sweet dew of love
I pour over the land. |
Fort, fort, ihr
Wahrheiten,
die ihr düster blickt!
Nicht will ich auf meinen Bergen
herbe ungeduldige Wahrheiten sehn.
Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit,
von der Sonne gesüsst, von der Liebe
gebräunt,
eine reife Wahrheit breche ich allein vom
Baum. |
Begone, begone,
truths
That gloomily watch over you!
I do not want to see on my mountains
Bitter impatient truths.
Today the truth approaches
Me with a gilded smile
Sweetened by the sun, from bronzed love
I break off only a ripe truth from the
tree. |
Heut strecke ich die
Hand aus
nach den Locken des Zufalls,
klug genug, den Zufall
einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten.
Heut will ich gastfreundlich sein
gegen Unwillkommnes,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht
stachlicht sein
Zarathustra ist kein Igel. |
Today I stretch out
my hand
To the curls of chance,
Clever enough
To lead chance along like a child, to outfox it.
Today I want to be hospitable
To the unwelcome,
I don't even want to be sharp against destiny
Zarathustra is not a hedgehog. |
Meine Seele,
unersättlich mit ihrer Zunge,
an alle guten und schlimmen Dinge hat sie schon
geleckt,
in jede Tiefe tauchte sie hinab.
Aber immer gleich dem Korke,
immer schwimmt sie wieder obenauf,
sie gaukelt wie öl über braune Meere:
dieser Seele halber heisst man mich den
Glücklichen. |
My soul,
Insatiable with its tongue,
Has already licked all the good and bad things,
It has dived down into every depth
But ever like a cork,
It always floats again to the top,
It flits about like oil over brown seas:
Thanks to this soul one calls me the happy one. |
Wer sind mir Vater
und Mutter?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss
und Mutter das stille Lachen?
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund
mich Räthselthier,
mich Lichtunhold,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra? |
Who are father and
mother to me?
Is not my father the prince of superabundance
And my mother tranquil laughter?
Did not these two in bond of marriage create
Me, animal of enigmas,
Me, unfriendly light,
Me, prodigal of all wisdom, Zarathustra? |
Krank heute vor
Zärtlichkeit,
ein Thauwind,
sitzt Zarathustra wartend, wartend auf seinen
Bergen,
im eignen Safte
süss geworden und gekocht,
unterhalb seines Gipfels,
unterhalb seines Eises,
müde und selig,
ein Schaffender an seinem siebenten Tag. |
Suffering today from
tenderness,
A thawing wind,
Zarathustra waits seated, waits in his mountains
In his own juice
Becoming sweet and stewed,
Underneath his summit,
Underneath his ice,
Weary and blissful,
A creator on his seventh day. |
Still!
Eine Wahrheit wandelt über mir
einer Wolke gleich,
mit unsichtbaren Blitzen trifft sie mich.
Auf breiten langsamen Treppen
steigt ihr Glück zu mir:
komm, komm, geliebte Wahrheit! |
Hush!
A truth glides over me
Like a cloud
It strikes me with invisible lightning.
Its happiness climbs slowly
Unto me by broad stairs:
Come, come, beloved truth! |
Still!
Meine Wahrheit ists!
Aus zögernden Augen,
aus sammtenen Schaudern
trifft mich ihr Blick,
lieblich, bös, ein Mädchenblick ...
Sie errieth meines Glückes Grund,
sie errieth michha! was sinnt sie
aus?
Purpurn lauert ein Drache
im Abgrunde ihres Mädchenblicks. |
Hush!
It's my truth!
From demurring eyes,
From velvet shudderings
Its glance strikes at me,
Charming, evil, the glance of a girl ...
She found the base of my happiness
She found meha! how did she
figure it out?
A crimson dragon lurks
Within the abyss of her girl-glance. |
Still! Meine
Wahrheit redet! |
Hush! My truth speaks!
|
Wehe dir,
Zarathustra!
Du siehst aus, wie Einer,
der Gold verschluckt hat:
man wird dir noch den Bauch aufschlitzen! ... |
Dear you,
Zarathustra!
You look like one
Who has swallowed gold:
One day they must slit open your belly! .... |
Zu reich bist du,
du Verderber Vieler!
Zu Viele machst du neidisch,
zu Viele machst du arm ...
Mir selber wirft dein Licht Schatten,
es fröstelt mich: geh weg, du Reicher,
geh, Zarathustra, weg aus deiner Sonne! ... |
You are too rich,
You corruptor of many!
You make too many envious,
You make too many poor ...
I am cast into shadow by your light
I shiver: go away, you rich one,
Go, Zarathustra, away from your sun! .. |
Du möchtest
schenken, wegschenken deinen Überfluss,
aber du selber bist der überflüssigste.
Sei klug, du Reicher!
Verschenke dich selber erst, oh
Zarathustra! |
You would like to
give, give away your superabundance,
But you yourself are the superfluous one!
Be clever, you rich one!
First give away yourself, oh Zarathustra! |
Zehn Jahre
dahin,
und kein Tropfen erreichte dich?
Kein feuchter Wind? kein Thau der Liebe?
Aber wer sollte dich auch lieben,
du überreicher?
Dein Glück macht rings trocken,
macht arm an Liebe
ein regenloses Land ... |
For ten years now
And no drop has reached you?
No humid wind? no dew of love?
But who ought to love thee as well,
You over-rich-one?
Your happiness creates nothing but aridity,
Makes a dearth of love
A rainless land ... |
Niemand dankt dir
mehr,
du aber dankst jedem,
der von dir nimmt:
daran erkenne ich dich,
du überreicher,
du Ärmster aller Reichen! |
No one thanks you
any longer,
But you thank everyone
Who takes from you:
Hence,
Over-rich-one,
I see you as the poorest of all the rich
ones! |
Du opferst dich,
dich quält dein Reichthum,
du giebst dich ab,
du schonst dich nicht, du liebst dich nicht:
die grosse Qual zwingt dich allezeit,
die Qual übervoller Scheuern, übervollen
Herzens
aber Niemand dankt dir mehr ... |
You sacrifice
yourself, your wealth torments you,
You give away yourself,
You don't take care of yourself, you don't love
yourself;
Great agony always compels you,
The agony of an overflowing barn, an overabundant
heart;
But no one thanks you any longer ... |
Du musst ärmer
werden,
weiser Unweiser!
willst du geliebt sein.
Man liebt nur die Leidenden,
man giebt Liebe nur dem Hungernden:
verschenke dich selber erst, oh
Zarathustra! |
You must become poorer,
Unwise wise one!
If you wish to be loved.
One loves only the suffering man,
One gives love only to the hungry man:
First give away yourself, oh Zarathustra! |
Ich bin deine
Wahrheit ... |
I am your
truth ... |
|