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Nietzsche contra Wagner
Aktenstücke eines Psychologen.

1888.

Nietzsche contra Wagner
Out of the Files of a Psychologist.

1888.

Vorwort

Foreword

Die folgenden Capitel sind sämmtlich aus meinen älteren Schriften nicht ohne Vorsicht ausgewählt—einige gehn bis auf 1877 zurück—, verdeutlicht vielleicht hier und da, vor Allem verkürzt. Sie werden, hintereinander gelesen, weder über Richard Wagner, noch über mich einen Zweifel lassen: wir sind Antipoden. Man wird auch noch Andres dabei begreifen: zum Beispiel, dass dies ein Essay für Psychologen ist, aber nicht für Deutsche ... Ich habe meine Leser überall, in Wien, in St. Petersburg, in Kopenhagen und Stockholm, in Paris, in New York—ich habe sie nicht in Europa's Flachland Deutschland ... Und ich hätte vielleicht auch den Herrn Italiänern ein Wort ins Ohr zu sagen, die ich liebe, ebensosehr als ich ... Quousque tandem, Crispi ... Triple alliance: mit dem "Reich" macht ein intelligentes Volk immer nur eine mésalliance ...

All of the following chapters have been selected, not without caution, from my older writings—some go back all the way to 1877—perhaps clarified here and there, above all, shortened. Read consecutively, they will leave no doubt either about Richard Wagner or about me: we are antipodes. Yet other things will also become clear, for example, that this is an essay for psychologists, but not for Germans ... I have my readers everywhere, in Vienna, in St. Petersburg, in Copenhagen and Stockholm, in Paris, in New York—I do not have them in Germany, Europe's lowland ... And perhaps I could also say a word in the ear of my good Italians, whom I love, just as much as myself ... Quousque tandem, Crispi [How far, for heaven's sake, Crispi. Francesco Crispi (1818-1901): Italian prime minister (1887-91; 1893-96).] ... Triple alliance: with the "Reich" an intelligent people can only enter a mésalliance ...

Friedrich Nietzsche
Turin, Weihnachten 1888

Friedrich Nietzsche
Turin, Christmas 1888

Wo ich bewundere
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, 87]

Where I Admire
[cf. The Joyful Science, 87]

Ich glaube, dass die Künstler oft nicht wissen, was sie am besten können: sie sind zu eitel dazu. Ihr Sinn ist auf etwas Stolzeres gerichtet, als diese kleinen Pflanzen zu sein scheinen, welche neu, seltsam und schön, in wirklicher Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen wissen. Das letzthin Gute ihres eignen Gartens und Weinbergs wird von ihnen obenhin abgeschätzt, und ihre Liebe und ihre Einsicht sind nicht gleichen Ranges. Da ist ein Musiker, der mehr als irgend ein Musiker seine Meisterschaft darin hat, die Töne aus dem Reich leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch dem stummen Elend Sprache zu geben. Niemand kommt ihm gleich in den Farben des späten Herbstes, dem unbeschreiblich rührenden Glück eines letzten, allerletzten, allerkürzesten Geniessens, er kennt einen Klang für jene heimlich-unheimlichen Mitternächte der Seele, wo Ursache und Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein scheinen und jeden Augenblick Etwas "aus dem Nichts" entstehen kann. Er schöpft am glücklichsten von allen aus dem untersten Grunde des menschlichen Glücks und gleichsam aus dessen ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten Tropfen zu guter- und böserletzt mit den süssesten zusammengelaufen sind. Er kennt jenes müde Sich Schieben der Seele, die nicht mehr springen und fliegen, ja nicht mehr gehen kann; er hat den scheuen Blick des verhehlten Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens ohne Geständniss; ja als Orpheus alles heimlichen Elends ist er grösser als irgend Einer, und manches ist durch ihn überhaupt erst der Kunst hinzugefügt worden, was bisher unausdrücklich und selbst der Kunst unwürdig erschien—die cynischen Revolten zum Beispiel, deren nur der Leidendste fähig ist, insgleichen manches ganz Kleine und Mikroskopische der Seele, gleichsam die Schuppen ihrer amphibischen Natur—, ja er ist der Meister des ganz Kleinen. Aber er will es nicht sein! Sein Charakter liebt vielmehr die grossen Wände und die verwegene Wandmalerei! ... Es entgeht ihm, dass sein Geist einen andren Geschmack und Hang—eine entgegengesetzte Optik—hat und am liebsten still in den Winkeln zusammengestürzter Häuser sitzt: da, verborgen, sich selber verborgen, malt er seine eigentlichen Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind, oft nur Einen Takt lang,—da erst wird er ganz gut, gross und vollkommen, da vielleicht allein.— Wagner ist Einer, der tief gelitten hat—sein Vorrang vor den übrigen Musikern.— Ich bewundere Wagner in Allem, worin er sich in Musik setzt. —

I believe that artists often do not know what they can do best: they are too vain. They are intent on something prouder than these small plants seem to be which grow on their soil, new, strange and beautiful, in real perfection. What is ultimately good in their own garden and vineyard they esteem lightly, and their love and insight are not equal. There is a musician who, more than any other musician, is a master at finding the tones in the realm of suffering, depressed, and tortured souls, at giving language even to mute misery. None can equal him in the colors of late fall, oh the indescribably moving happiness of the last, truly last, truly shortest joy; he knows a sound for those quiet, disquieting midnights of the soul, where cause and effect seem to be out of joint and where at any moment something might originate "out of nothing." He draws most happily of all out of the profoundest depth of human happiness, and, as it were, out of its drained goblet, where the bitterest and most repulsive drops have finally and evilly run together with the sweetest. He knows that weariness of the soul which drags itself, unable to leap or fly any more, even to walk; he masters the shy glance of concealed pain, of understanding without comfort, of the farewell without confession; indeed, as the Orpheus of all secret misery he is greater than any, and some things have been added to the realm of art by him alone, things that had hitherto seemed inexpressible and even unworthy of art—the cynical rebellion, for example, of which only those are capable who suffer most bitterly, also some very minute and microscopic aspects of the soul, as it were the scales of its amphibian nature—indeed, he is the master of the very minute. But he does not want to be that! His character prefers large walls and audacious frescoes! ... It escapes him that his spirit has a different taste and inclination—the opposite perspective—and prefers to sit quietly in the nooks of collapsed houses: there, hidden, hidden from himself, he paints his real masterpieces, all of which are very short, often only one beat long—only then does he become wholly good, great, and perfect, perhaps there alone.— Wagner is one who has suffered deeply—that is his distinction above other musicians.— I admire Wagner wherever he puts himself into music. —

Wo ich Einwände mache
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, 368]

Where I Offer Objections
[cf. The Joyful Science, 368]

Damit ist nicht gesagt, dass ich diese Musik für gesund halte, am wenigsten gerade da, wo sie von Wagner redet. Meine Einwände gegen die Musik Wagner's sind physiologische Einwände: wozu dieselben erst noch unter ästhetische Formeln verkleiden? Ästhetik ist ja nichts als eine angewandte Physiologie.— Meine "Thatsache," mein "petit fait vrai" ist, dass ich nicht mehr leicht atme, wenn diese Musik erst auf mich wirkt; dass alsbald mein Fuss gegen sie böse wird und revoltirt: er hat das Bedürfniss nach Takt, Tanz, Marsch—nach Wagner's Kaisermarsch kann nicht einmal der junge deutsche Kaiser marschieren—, er verlangt von der Musik vorerst die Entzückungen, welche in gutem Gehn, Schreiten, Tanzen liegen. Protestirt aber nicht auch mein Magen? mein Herz? mein Blutlauf? betrübt sich nicht mein Eingeweide? Werde ich nicht unversehens heiser dabei ... Um Wagner zu hören, brauche ich Pastilles Gérandel ... Und so frage ich mich: was will eigentlich mein ganzer Leib von der Musik überhaupt? Denn es giebt keine Seele ... Ich glaube, seine Erleichterung: wie als ob alle animalischen Funktionen durch leichte, kühne, ausgelassne, selbstgewisse Rhythmen beschleunigt werden sollten; wie als ob das eherne, das bleierne Leben durch goldene zärtliche ölgleiche Melodien seine Schwere verlieren sollte. Meine Schwermuth will in den Verstecken und Abgründen der Vollkommenheit ausruhn: dazu brauche ich Musik. Aber Wagner macht krank.— Was geht mich das Theater an? Was die Krämpfe seiner "sittlichen" Ekstasen, an denen das Volk—und wer ist nicht "Volk"!—seine Genugtuung hat! Was der ganze Gebärden-Hokuspokus des Schauspielers!— Man sieht, ich bin wesentlich antitheatralisch geartet, ich habe gegen das Theater, diese Massen-Kunst par excellence, den tiefen Hohn auf dem Grunde meiner Seele, den jeder Artist heute hat. Erfolg auf dem Theater—damit sinkt man in meiner Achtung bis auf Nimmer-wieder-sehn; Misserfolg—da spitze ich die Ohren und fange an zu achten ... Aber Wagner war umgekehrt, neben dem Wagner, der die einsamste Musik gemacht hat, die es giebt, wesentlich noch Theatermensch und Schauspieler, der begeistertste Mimomane, den es vielleicht gegeben hat, auch noch als Musiker ... Und, beiläufig gesagt, wenn es Wagner's Theorie gewesen ist "das Drama ist der Zweck, die Musik ist immer nur das Mittel"—, seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende, "die Attitüde ist der Zweck; das Drama, auch die Musik, ist immer nur ihr Mittel." Die Musik als Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen Gebärde und Schauspieler-Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Dran nur eine Gelegenheit zu vielen interessanten Attitüden!— Er hatte, neben allen andren Instinkten, die kommandierenden Instinkte eines grossen Schauspielers in Allem und Jedem: und, wie gesagt, auch als Musiker.— Dies machte ich einmal, nicht ohne Mühe, einem Wagnerianer pur sang klar,—Klarheit und Wagnerianer! ich sage kein Wort mehr. Es gab Gründe, noch hinzuzufügen "seien Sie doch ein wenig ehrlicher gegen sich selbst! wir sind ja nicht in Bayreuth. In Bayreuth ist man nur als Masse ehrlich, als Einzelner lügt man, belügt man sich. Man lässt sich selbst zu Hause, wenn man nach Bayreuth geht, man verzichtet auf das Recht der eignen Zunge und Wahl, auf seinen Geschmack, selbst auf seine Tapferkeit, wie man sie zwischen den eignen vier Wänden gegen Gott und Welt hat und übt. In das Theater bringt Niemand die feinsten Sinne seiner Kunst mit, am wenigsten der Künstler, der für das Theater arbeitet,—es fehlt die Einsamkeit, alles Vollkommne verträgt keine Zeugen ... Im Theater wird man Volk, Heerde, Weib, Pharisäer, Stimmvieh, Patronatsherr, Idiot—Wagnerianer: da unterliegt auch noch das persönlichste Gewissen dem nivellirenden Zauber der grossen Zahl, da regiert der Nachbar, da wird man Nachbar ..."

This does not mean that I consider this music healthy—least of all precisely where it speaks of Wagner. My objections to the music of Wagner are physiological objections: why should I trouble to dress them up in aesthetic formulas? After all, aesthetics is nothing but a kind of applied physiology.— My "fact," my "petit fait vrai," is that I no longer breathe easily when this music begins to affect me; that my foot soon resents it and rebels: my foot feels the need for rhythm, dance, march—to Wagner's "Kaisermarsch" not even the young German Kaiser could march—it demands of music first of all those delights which are found in good walking, striding, dancing. But does not my stomach protest too? my heart? my circulation? Are not my entrails saddened? Do I not suddenly become hoarse? ... To listen to Wagner I need pastilles Gérandel [A medicated lozenge for the treatment of respiratory ailments, invented and manufactured by Auguste Arthur Gérandel, a French pharmacist from Sainte-Menehould. The lozenge was made from diluted pine tar, and flavored with sugar and anise. It was so popular that it led to the arrests of many grocers who illegally sold the product. Cf. 12-30-1888 draft of letter to Heinrich Köselitz.] ... And so I ask myself: What is it that my whole body really expects of music? For there is no soul ... I believe, its own ease: as if all animal functions should be quickened by easy, bold, exuberant, self-assured rhythms; as if iron, leaden life should lose its gravity through golden, tender, oil-smooth melodies. My melancholy wants to rest in the hiding-places and abysses of perfection: that is why I need music. But Wagner makes sick.— What is the theater to me? What, the convulsions of his "moral" ecstasies which give the people—and who is not "people"!—satisfaction! What, the whole gesture hocus-pocus of the actor! It is plain that I am essentially anti-theatrical: confronted with the theater, this mass art par excellence, I feel that profound scorn at the bottom of my soul which every artist today feels. Success in the theater—with that one drops in my respect forever; failure—I prick up my ears and begin to respect ... But Wagner was the other way around; besides the Wagner who made the loneliest music in existence, he was essentially also a man of the theater and an actor, the most enthusiastic mimomaniac, perhaps, who ever existed, even as a musician ... And, incidentally, if it was Wagner's theory that "the drama is the end, the music is always a mere means," his practice was always, from beginning to end, "the pose is the end; the drama, also the music, is always merely its means." Music as a means to clarify, strengthen, and lend inward dimension to the dramatic gesture and the actor's appeal to the senses—and the Wagnerian drama, a mere occasion for many interesting poses! Besides all other instincts, he had the commanding instincts of a great actor in absolutely everything: and, as already mentioned, also as a musician.— Once there was a Wagnerian pur sang [pure-blooded] to whom I made this clear, not without trouble—clarity and Wagnerian! Not another word is needed. There were reasons then for adding: "Do be a little more honest with yourself! After all, we are not in Bayreuth. In Bayreuth one is honest only in the mass; as an individual one lies, one lies to oneself. One leaves oneself at home when one goes to Bayreuth; one renounces the right to one's own tongue and choice, to one's taste, even to one's courage as one has it and exercises it between one's own four walls against both God and world. No one brings along the finest senses of his art to the theater, least of all the artist who works for the theater—solitude is lacking; whatever is perfect suffers no witnesses ... In the theater one becomes people, herd, female, Pharisee, voting cattle, patron, idiot—Wagnerian: even the most personal conscience is vanquished by the leveling magic of the great number; the neighbor reigns, one becomes a mere neighbor ..."

Intermezzo

Intermezzo

— Ich sage noch ein Wort für die ausgesuchtesten Ohren: was ich eigentlich von der Musik will. Dass sie heiter und tief ist, wie ein Nachmittag im Oktober. Dass sie eigen, ausgelassen, zärtlich, ein kleines süsses Weib von Niedertracht und Anmuth ist ... Ich werde nie zulassen, dass ein Deutscher wissen könne, was Musik ist. Was man deutsche Musiker nennt, die grössten voran, sind Ausländer, Slaven, Croaten, Italiäner, Niederländer—oder Juden; im andren Falle Deutsche der starken Rasse, ausgestorbene Deutsche, wie Heinrich Schütz, Bach und Händel. Ich selbst bin immer noch Pole genug, um gegen Chopin den Rest der Musik hinzugeben: ich nehme, aus drei Gründen, Wagner's Siegfried-Idyll aus, vielleicht auch Liszt, der die vornehmen Orchester-Accente vor allen Musikern voraus hat; zuletzt noch Alles, was jenseits der Alpen gewachsen ist—diesseits ... Ich würde Rossini nicht zu missen wissen, noch weniger meinen Süden in der Musik, die Musik meines Venediger maëstro Pietro Gasti. Und wenn ich jenseits der Alpen sage, sage ich eigentlich nur Venedig. Wenn ich ein andres Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig. Ich weiss keinen Unterschied zwischen Thränen und Musik zu machen, ich weiss das Glück, den Süden nicht ohne Schauder von Furchtsamkeit zu denken.

— To the most exceptional of my readers I should like to say just a word as to what I really demand of music. It should be cheerful and yet profound, like an October afternoon. It should be unique, wanton, and tender, and like a dainty, sweet woman in roguishness and grace ... I shall never admit that a German can understand what music is. Those musicians, the greatest of them, who are called German, are all foreigners, Slavs, Croats, Italians, Dutchmen—or Jews; or else, Germans of a strong race, extinct Germans, like Heinrich Schütz, Bach, and Handel. I myself have still enough of the Pole in me to let all other music go, if only Chopin is left to me: for three reasons I exclude Wagner's Siegfried Idyll, and perhaps also a few things of Liszt, who excelled all other musicians in the noble accent of his orchestration; and finally everything that has come from beyond the Alps—this side of the Alps. I would not know how to dispense with Rossini, and still less with my southern counterpart in music, my Venetian maestro, Pietro Gasti. And when I say beyond the Alps, I really mean only Venice. Seeking to find another word for music, I inevitably come back to Venice. I do not know how to make a distinction between tears and music, I do not know how to think of joy, or of the south, without a shudder of fear.

An der Brücke stand
jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
goldener Tropfen quoll's
über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik—
trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...

Not long ago, I stood at
The bridge in the brown night.
From afar came a song:
Its golden drop welled
On the shimmering surface.
Gondolas, lights, music —
Drunken it swam out into the dusk ...

Meine Seele, ein Saitenspiel,
sang sich, unsichtbar berührt,
heimlich ein Gondellied dazu,
zitternd vor bunter Seligkeit.
— Hörte Jemand ihr zu? ...
[vgl. Ecce Homo, "Warum ich so klug bin," 7.]

My soul, a stringed instrument,
Sang to itself, invisibly touched,
A secret gondola song,
Vibrating with vivid bliss.
— Did anyone hear it? ...
[cf. Ecce Homo, "Why I Am So Clever," 7.]

Wagner als Gefahr

Wagner as a Danger

1
[vgl. Vermischte Meinungen und Sprüche, 134]

1
[cf. Mixed Opinions and Maxims, 134]

Die Absicht, welche die neuere Musik in dem verfolgt, was jetzt, sehr stark, aber undeutlich, "unendliche Melodie" genannt wird, kann man sich dadurch klar machen, dass man in's Meer geht, allmählich den sicheren Schritt auf dem Grunde verliert und sich endlich dem Elemente auf Gnade und Ungnade übergiebt: man soll schwimmen. In der älteren Musik musste man, im zierlichen oder feierlichen oder feurigen Hin und Wieder, Schneller und Langsamer, etwas ganz Anderes, nämlich tanzen. Das hierzu nöthige Maass, das Einhalten bestimmter gleich wiegender Zeit- und Kraftgrade erzwang von der Seele des Hörers eine fortwährende Besonnenheit,—auf dem Widerspiele dieses kühleren Luftzuges, welcher von der Besonnenheit herkam, und des durchwärmten Athems der Begeisterung ruhte der Zauber aller guten Musik.— Richard Wagner wollte eine andre Art Bewegung,—er warf die physiologische Voraussetzung der bisherigen Musik um. Schwimmen, Schweben—nicht mehr Gehn, Tanzen ... Vielleicht ist damit das Entscheidende gesagt. Die "unendliche Melodie" will eben alle Zeit- und Kraft-Ebenmässigkeit brechen, sie verhöhnt sie selbst mitunter,—sie hat ihren Reichthum der Erfindung gerade in dem, was einem älteren Ohre als rhythmische Paradoxie und Lästerung klingt. Aus einer Nachahmung, aus einer Herrschaft eines solchen Geschmacks entstünde eine Gefahr für die Musik, wie sie grösser gar nicht gedacht werden kann—die vollkommne Entartung des rhythmischen Gefühls, das Chaos an Stelle des Rhythmus ... Die Gefahr kommt auf die Spitze, wenn sich eine solche Musik immer enger an eine ganz naturalistische, durch kein Gesetz der Plastik beherrschte Schauspielerei und Gebärdenkunst anlehnt, die Wirkung will, nichts mehr ... Das espressivo um jeden Preis und die Musik im Dienste, in der Sklaverei der Attitüde—das ist das Ende ...

The intention pursued by recent music with what is now vigorously, but not at all clearly, called "infinite melody," can be clarified by an illustration. One walks into the sea, gradually loses one's secure footing, and finally surrenders oneself to the elements without reservation: one must swim. In older music, what one had to do in the dainty, or solemn, or fiery back and forth, quicker and slower, was something quite different, namely, to dance. The measure required for this, the maintenance of certain equally balanced units of time and force, demanded continual wariness of the listener's soul—and on the counterplay of this cooler breeze that came from wariness and the warm breath of enthusiasm rested the magic of all good music. Richard Wagner wanted a different kind of movement; he overthrew the physiological presupposition of previous music. Swimming, floating—no longer walking and dancing ... Perhaps the decisive point has now been stated. The "infinite melody" seeks deliberately to break all evenness of time and force and even scorns it occasionally; the wealth of its invention lies precisely in that which to an older ear sounds like a rhythmic paradox and blasphemy. The imitation or domination of such a taste would result in a danger to music which cannot be exaggerated: the complete degeneration of rhythmic feeling, chaos in place of rhythm ... This danger reaches its climax when such music leans more and more heavily on a wholly naturalistic style of acting and gestures, which is no longer dominated by any law of plasticity and wants effect, nothing more ... Espressivo at any price, and music in the service, the slavery, of poses—that is the end ...

2
[vgl. Der Wanderer und sein Schatten, 165]

2
[cf. The Wanderer and His Shadow, 165]

Wie? wäre es wirklich die erste Tugend eines Vortrags, wie es die Vortragskünstler der Musik jetzt zu glauben scheinen, unter allen Umständen ein hautrelief zu erreichen, das nicht mehr zu überbieten ist? Ist dies zum Beispiel, auf Mozart angewendet, nicht die eigentliche Sünde wider den Geist Mozart's, den heiteren, schwärmerischen, zärtlichen, verliebten Geist Mozart's, der zum Glück kein Deutscher war, und dessen Ernst ein gütiger, ein goldener Ernst ist und nicht der Ernst eines deutschen Biedermanns ... Geschweige denn der Ernst des "steinernen Gastes" ... Aber ihr meint, alle Musik sei Musik des "steinernen Gastes,"—alle Musik müsse aus der Wand hervorspringen und den Hörer bis in seine Gedärme hinein schütteln? ... So erst wirke die Musik!— Auf wen wird da gewirkt? Auf Etwas, worauf ein vornehmer Künstler niemals wirken soll,—auf die Masse! auf die Unreifen! auf die Blasierten! auf die Krankhaften! auf die Idioten! auf Wagnerianer! ...

What? Should it really be the supreme virtue of a performance, as the virtuosos of musical performance now seem to believe, that one must under all circumstances achieve an hautrelief which is simply unsurpassable? Is not this, when applied to Mozart, for example, the true sin against the spirit of Mozart—the cheerful, enthusiastic, tender, enamored spirit of Mozart, who was happily no German and whose seriousness is a gracious, a golden, seriousness and not the seriousness of a German Philistine? ... Not to speak of the seriousness of the "Stone Guest" [an allusion to Mozart's Don Giovanni] ... But apparently you think all music is like the music of the "Stone Guest"—all music must leap out of the wall and shake the listener to his very intestines ... Only then you consider music effective! But on whom are such effects achieved? On those whom a noble artist should never impress: on the mass! on the immature! on the blasé! on the sick! on the idiots! on Wagnerians! ...

Eine Musik ohne Zukunft
[vgl. Vermischte Meinungen und Sprüche, 171]

A Music Without a Future
[cf. Mixed Opinions and Maxims, 171]

Die Musik kommt von allen Künsten, die auf dem Boden einer bestimmten Cultur aufzuwachsen wissen, als die letzte aller Pflanzen zum Vorschein, vielleicht weil sie die innerlichste ist und folglich am spätesten anlangt,—im Herbst und im Abblühen der jedesmal zu ihr gehörenden Cultur. Erst in der Kunst der Niederländer Meister fand die Seele des christlichen Mittelalters ihren Ausklang,—ihre Ton-Baukunst ist die nachgeborne aber echt- und ebenbürtige Schwester der Gotik. Erst in Händel's Musik erklang das Beste aus Luther's und seiner Verwandten Seele, der jüdisch-heroische Zug, welcher der Reformation einen Zug der Grösse gab—das alte Testament Musik geworden, nicht das neue. Erst Mozart gab dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten und der Kunst Racine's und Claude Lorrain's in klingendem Golde heraus; erst in Beethoven's und Rossini's Musik sang sich das achtzehnte Jahrhundert aus, das Jahrhundert der Schwärmerei, der zerbrochnen Ideale und des flüchtigen Glücks. Jede wahrhafte, jede originale Musik ist Schwanengesang.— Vielleicht, dass auch unsre letzte Musik, so sehr sie herrscht und herrschsüchtig ist, bloss noch eine kurze Spanne Zeit vor sich hat: denn sie entsprang einer Cultur deren Boden im raschen Absinken begriffen ist,—einer alsbald versunkenen Cultur. Ein gewisser Katholicismus des Gefühls und eine Lust an irgend welchem alt-heimischen sogenannten "nationalen" Wesen und Unwesen sind ihre Voraussetzungen. Wagner's Aneignung alter Sagen und Lieder, in denen das gelehrte Vorurtheil etwas Germanisches par excellence zu sehn gelehrt hatte—heute lachen wir darüber—, die Neubeseelung dieser skandinavischen Unthiere mit einem Durst nach verzückter Sinnlichkeit und Entsinnlichung—dieses ganze Nehmen und Geben Wagner's in Hinsicht auf Stoffe, Gestalten, Leidenschaften und Nerven spricht deutlich auch den Geist seiner Musik aus, gesetzt, dass diese selbst, wie jede Musik, nicht unzweideutig von sich zu reden wüsste: denn die Musik ist ein Weib ... Man darf sich über diese Sachlage nicht dadurch beirren lassen, dass wir augenblicklich gerade in der Reaktion innerhalb der Reaktion leben. Das Zeitalter der nationalen Kriege, des ultramontanen Martyriums, dieser ganze Zwischenakts-Charakter, der den Zuständen Europa's jetzt eignet, mag in der That einer solchen Kunst, wie der Wagner's, zu einer plötzlichen Glorie verhelfen, ohne ihr damit Zukunft zu verbürgen. Die Deutschen selber haben keine Zukunft ...

Music makes its appearance as the last plant among all the arts which grow on the soil of a particular culture—perhaps because it is the most inward and hence arrives last, in the fall, when the culture which belongs to it is fading. Only in the art of the Dutch masters did the soul of the Christian Middle Ages attain its last vibrations: their tone architecture is the posthumous, but legitimate and equal sister of the Gothic. Only in Handel's music did there resound what was best in the souls of Luther and those related to him, the Jewish heroic trait that gave the Reformation a trait of greatness—the Old Testament become music, not the New. Only Mozart transformed the age of Louis XIV and the art of Racine and Claude Lorrain into ringing gold; only in the music of Beethoven and Rossini did the eighteenth century sing itself out—the century of enthusiasm, of broken ideals, and of evanescent happiness. All true, all original music, is a swan song. Perhaps our latest music too, however dominant and domineering it is, has but a short span of tune ahead of it: for it developed out of a culture whose soil is rapidly sinking—a culture which will soon have sunk out of sight. A certain catholicism of feeling and a delight in some old indigenous, so-called "national" sense and nonsense are its presuppositions. Wagner's appropriation of old sagas and songs, which scholarly prejudice had held up as something Teutonic par excellence—today we laugh at that—his reanimation of those Scandinavian monsters with a thirst for ecstatic sensuality and desensualization—this whole give-and-take of Wagner concerning materials, figures, passions, and nerves clearly expresses the spirit of his music too, supposing that this, like any music, could not speak of itself except ambiguously: for music is a woman ... We must not allow ourselves to be deceived about this state of affairs simply because at the moment we happen to live in a period of reaction within reaction. The age of national wars, of ultramontane martyrdom, this whole entr'acte character of the current situation in Europe may indeed help such an art as Wagner's to a sudden glory, without thereby guaranteeing it a future. The Germans themselves have no future ...

Wir Antipoden
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, 370]

We Antipodes
[cf. The Joyful Science, 370]

Man erinnert sich vielleicht, zum Mindesten unter meinen Freunden, dass ich Anfangs mit einigen Irrthümern und Überschätzungen und jedenfalls als Hoffender auf diese moderne Welt losgegangen bin. Ich verstand—wer weiss, auf welche persönlichen Erfahrungen hin? den philosophischen Pessimismus des neunzehnten Jahrhunderts als Symptom einer höheren Kraft des Gedankens, einer siegreichen Fülle des Lebens, als diese in der Philosophie Hume's, Kant's und Hegel's zum Ausdruck gekommen war,—ich nahm die tragische Erkenntniss als den schönsten Luxus unsrer Cultur, als deren kostbarste, vornehmste, gefährlichste Art Verschwendung, aber immerhin, auf Grund ihres Überreichthums, als ihren erlaubten Luxus. Desgleichen deutete ich mir die Musik Wagner's zurecht zum Ausdruck einer dionysischen Mächtigkeit der Seele, in ihr glaubte ich das Erdbeben zu hören, mit dem eine von Alters her aufgestaute Urkraft von Leben sich endlich Luft macht, gleichgültig dagegen, ob Alles, was sich heute Cultur nennt, damit in's Wackeln geräth. Man sieht, was ich verkannte, man sieht insgleichen, womit ich Wagnern und Schopenhauern beschenkte—mit mir ... Jede Kunst, jede Philosophie darf als Heil- und Hülfsmittel des wachsenden oder des niedergehenden Lebens angesehn werden: sie setzen immer Leiden und Leidende voraus. Aber es giebt zweierlei Leidende, einmal die an der Überfülle des Lebens Leidenden, welche eine dionysische Kunst wollen und ebenso eine tragische Einsicht und Aussicht auf das Leben—und sodann die an der Verarmung des Lebens Leidenden, die Ruhe, Stille, glattes Meer oder aber den Rausch, den Krampf, die Betäubung von Kunst und Philosophie verlangen. Die Rache am Leben selbst—die wollüstigste Art Rausch für solche Verarmte! ... Dem Doppel-Bedürfniss der Letzteren entspricht ebenso Wagner wie Schopenhauer—sie verneinen das Leben, sie verleumden es, damit sind sie meine Antipoden.— Der Reichste an Lebensfülle, der dionysische Gott und Mensch, kann sich nicht nur den Anblick des Fürchterlichen und des Fragwürdigen gönnen, sondern selbst die furchtbare That und jeden Luxus von Zerstörung, Zersetzung, Verneinung,—bei ihm erscheint das Böse, Sinnlose und Hässliche gleichsam erlaubt, wie es der Natur erlaubt erscheint, in Folge eines Überschusses von zeugenden, wiederherstellenden Kräften, welche aus jeder Wüste noch ein üppiges Fruchtland zu schaffen vermag. Umgekehrt würde der Leidendste, Lebensärmste, am meisten die Milde, Friedlichkeit und Güte nöthig haben—das, was heute Humanität genannt wird—im Denken sowohl wie im Handeln, womöglich einen Gott, der ganz eigentlich ein Gott für Kranke, ein Heiland ist, ebenso auch die Logik, die begriffliche Verständlichkeit des Daseins selbst für Idioten—die typischen "Freigeister," wie die "Idealisten" und "schönen Seelen," sind alle décadents—kurz, eine gewisse warme, furchtabwehrende Enge und Einschliessung in optimistische Horizonte, die Verdummung erlaubt ... Dergestalt lernte ich allmählich Epikur begreifen, den Gegensatz eines dionysischen Griechen, insgleichen den Christen, der in der That nur eine Art Epikureer ist und mit seinem "der Glaube macht selig" dem Prinzip des Hedonismus so weit wie möglich folgt—bis über jede intellektuelle Rechtschaffenheit hinweg ... Wenn ich Etwas vor allen Psychologen voraus habe, so ist es das, dass mein Blick geschärfter ist für jene schwierigste und verfänglichste Art des Rückschlusses, in der die meisten Fehler gemacht werden—des Rückschlusses vom Werk auf den Urheber, von der That auf den Thäter, vom Ideal auf Den, der es nöthig hat, von jeder Denk- und Wertungsweise auf das dahinter kommandierende Bedürfniss.— In Hinsicht auf Artisten jeder Art bediene ich mich jetzt dieser Hauptunterscheidung: ist hier der Hass gegen das Leben oder der Überfluss an Leben schöpferisch geworden? In Goethe zum Beispiel wurde der Überfluss schöpferisch, in Flaubert der Hass: Flaubert, eine Neuausgabe Pascal's, aber als Artist, mit dem Instinkt-Urtheil aus dem Grunde: "Flaubert est toujours haïssable, l'homme n'est rien, l'oeuvre est tout" ... Er torturirte sich, wenn er dichtete, ganz wie Pascal sich torturirte, wenn er dachte—sie empfanden beide unegoistisch ... "Selbstlosigkeit"—das décadence-Prinzip, der Wille zum Ende in der Kunst sowohl wie in der Moral.—

It may perhaps be recalled, at least among my friends, that at first I approached the modern world with a few errors and overestimations, in any case, full of hopes. I understood—who knows on the basis of what personal experiences?—the philosophic pessimism of the nineteenth century as a symptom of a greater strength of thought, of a more triumphant fullness of life, than had found expression in the philosophy of Hume, Kant, and Hegel: I took tragic insight for the most beautiful luxury of our culture, for its most precious, noblest, most dangerous kind of squandering—but nevertheless, in view of its excessive wealth, as a permissible luxury. Similarly, I interpreted Wagner's music as an expression of a Dionysian power of the soul; I believed I heard in it the earthquake with which a primordial force of life, dammed up from time immemorial, finally vents itself, indifferent to the possibility that everything that calls itself culture today might start tottering. It is plain what I misunderstood in, equally plain what I read into, Wagner and Schopenhauer—myself ... Every art, every philosophy, may be considered a remedy and aid in the service of either growing or declining life: it always presupposes suffering and sufferers. But there are two kinds of sufferers: first, those who suffer from the overfullness of life and want a Dionysian art as well as a tragic insight and outlook on life—and then those who suffer from the impoverishment of life and demand of art and philosophy, calm, stillness, smooth seas, or, on the other hand, frenzy, convulsion, and anesthesia. Revenge against life itself—the most voluptuous kind of frenzy for those so impoverished! ... Wagner responds to this dual need of the latter no less than Schopenhauer: they negate life, they slander it, hence they are my antipodes. He that is richest in the fullness of life, the Dionysian god and man, can afford not only the sight of the terrible and the questionable, but even the terrible deed and any luxury of destruction, decomposition, and negation: in his case, what is evil, senseless, and ugly seems, as it were, permissible, as it seems permissible in nature, because of an excess of procreating, restoring powers which can yet turn every desert into luxurious farm land. Conversely, those who suffer most and are poorest in life would need mildness, peacefulness, and goodness most—what is today called humaneness—in thought as well as in deed, and, if possible, a god who would be truly a god for the sick, a healer and savior; also logic, the conceptual understandability of existence even for idiots—the typical "free spirits," like the "idealists" and "beautiful souls," are all decadents—in short, a certain warm, fear-repulsing narrowness and enclosure within optimistic horizons which permit hebetation ... Thus I gradually learned to understand Epicurus, the opposite of a Dionysian Greek; also the Christian, who is, in fact, only a kind of Epicurean, and, with his "faith makes blessed," follows the principle of hedonism as far as possible, far beyond any intellectual integrity ... If there is anything in which I am ahead of all psychologists, it is that my eye is sharper for that most difficult and captious kind of backward inference in which the most mistakes are made: the backward inference from the work to the maker, from the deed to the doer, from the ideal to him who needs it, from every way of thinking and valuing to the want behind it that prompts it.— Regarding artists of all kinds, I now avail myself of this main distinction: is it the hatred against life or the excess of life which has here become creative? In Goethe, for example, the excess became creative; in Flaubert, hatred: Flaubert—a new edition of Pascal, but as an artist, with the instinctive judgment deep down: "Flaubert est toujours haïssable, l'homme n'est rien, l'oeuvre est tout" ... ["Flaubert is always hateful, man is nothing, work is everything." Cf. Paul Bourget, Essais de psychologie contemporaine, 114: "Aussi Flaubert est-il l’homme de lettres de ce siècle qui a le moins souvent écrit la syllabe je à la tête de sa phrase, cette syllabe dont l’égoïsme tyrannique révoltait déjà Pascal: 'Le moi est haïssable,' dit un fragment célèbre des Pensées." Allusion to Blaise Pascal, Pensées: "Le moi est haïssable. Vous, Miton, le couvrez; vous ne l'ôtez pas pour cela: vous êtes donc toujours haïssable."] He tortured himself when he wrote, just as Pascal tortured himself when he thought; they were both unegoistic. "Selflessness"—the principle of decadence, the will to the end, in art as well as in morals. —

Wohin Wagner gehört
[vgl. Jenseits von Gut und Böse, 254]

Where Wagner Belongs
[cf. Beyond Good and Evil, 254]

Auch jetzt noch ist Frankreich der Sitz der geistigsten und raffinirtesten Cultur Europa's und die hohe Schule des Geschmacks: aber man muss dies "Frankreich des Geschmacks" zu finden wissen. Die Norddeutsche Zeitung zum Beispiel, oder wer in ihr sein Mundstück hat, sieht in den Franzosen "Barbaren,"—ich für meine Person suche den schwarzen Erdtheil, wo man "die Sklaven" befreien sollte, in der Nähe der Norddeutschen ... Wer zu jenem Frankreich gehört, hält sich gut verborgen: es mag eine kleine Zahl sein, in denen es leibt und lebt, dazu vielleicht Menschen, welche nicht auf den kräftigsten Beinen stehn, zum Theil Fatalisten, Verdüsterte, Kranke, zum Theil Verzärtelte und Verkünstelte, Solche, welche den Ehrgeiz haben, künstlich zu sein,—aber sie haben alles Hohe und Zarte, was jetzt in der Welt noch übrig ist, in ihrem Besitz. In diesem Frankreich des Geistes, welches auch das Frankreich des Pessimismus ist, ist heute schon Schopenhauer mehr zu Hause, als er es je in Deutschland war; sein Hauptwerk zwei Mal bereits übersetzt, das zweite Mal ausgezeichnet, so dass ich es jetzt vorziehe, Schopenhauer französisch zu lesen (—er war ein Zufall unter Deutschen, wie ich ein solcher Zufall bin—die Deutschen haben keine Finger für uns, sie haben überhaupt keine Finger, sie haben bloss Tatzen). Gar nicht zu reden von Heinrich Heine—l'adorable> Heine sagt man in Paris—, der den tieferen und seelenvolleren Lyrikern Frankreichs längst in Fleisch und Blut übergegangen ist. Was wüsste deutsches Hornvieh mit den délicatesses einer solchen Natur anzufangen!— Was endlich Richard Wagner angeht: so greift man mit Händen, nicht vielleicht mit Fäusten, dass Paris der eigentliche Boden für Wagner ist: je mehr sich die französische Musik nach den Bedürfnissen der "âme moderne" gestaltet, um so mehr wird sie wagnerisiren,—sie thut es schon jetzt genug.— Man darf sich hierüber nicht durch Wagner selber irre führen lassen—es war eine wirkliche Schlechtigkeit Wagners, Paris 1871 in seiner Agonie zu verhöhnen ... In Deutschland ist Wagner trotzdem bloss ein Missverständniss: wer wäre unfähiger, Etwas von Wagner zu verstehn, als zum Beispiel der junge Kaiser?— Die Thatsache bleibt für jeden Kenner der europäischen Cultur-Bewegung nichtsdestoweniger gewiss, dass die französische Romantik und Richard Wagner auf's Engste zu einander gehören. Allesammt beherrscht von der Literatur bis in ihre Augen und Ohren—die ersten Künstler Europa's von weltliterarischer Bildung—meistens sogar selber Schreibende, Dichtende, Vermittler und Vermischer der Sinne und Künste, allesammt Fanatiker des Ausdrucks, grosse Entdecker im Reiche des Erhabenen, auch des Hässlichen und Grässlichen, noch grössere Entdecker im Effekte, in der Schaustellung, in der Kunst der Schauläden, allesammt Talente weit über ihr Genie hinaus—, Virtuosen durch und durch, mit unheimlichen Zugängen zu Allem, was verführt, lockt, zwingt, umwirft, geborne Feinde der Logik und der geraden Linie, begehrlich nach dem Fremden, dem Exotischen, dem Ungeheuren, allen Opiaten der Sinne und des Verstandes. Im ganzen eine verwegen-wagende, prachtvoll-gewaltsame, hochfliegende und hoch emporreissende Art von Künstlern, welche ihrem Jahrhundert—es ist das Jahrhundert der Masse—den Begriff "Künstler" erst zu lehren hatte. Aber krank ...

Even now France is still the seat of the most spiritual and refined culture in Europe and the foremost school of taste: but one must know where to find this "France of taste." The Norddeutsche Zeitung, for example, or whoever uses this newspaper as a mouthpiece, considers the French "barbarians"; I, for my own part, look for the Dark Continent, where the "slaves" ought to be freed, in the vicinity of the North Germans ... Whoever belongs to that France keeps himself well concealed: it may be a small number in whom it lives and continues, and at that, perhaps human beings who are not among the sturdiest: partly fatalists, somber and sick, partly pampered and artificial, such as have the ambition to be artificial—but they possess everything high and delicate that is still left in this world. In this France of the spirit, which is also the France of pessimism, Schopenhauer is even now more at home than he has ever been in Germany; his main work has already been translated twice, the second time excellently, so that I now prefer to read Schopenhauer in French (he was an accident among Germans, as I am such an accident; the Germans have no fingers for us, they have no fingers altogether, they have only paws). Not to speak of Heinrich Heine—l'adorable Heine, they say in Paris—who has long become part of the very flesh and blood of the more profound and soulful lyrical poets in France. How could German oxen be anything but dumfounded by the délicatesses of such a nature!— As regards Richard Wagner, finally, it is so plain that one could grasp it with the hands, though perhaps not with fists, that Paris is the real soil for Wagner: the more French music develops according to the needs of the "âme moderne," the more it will Wagnerize—in fact, that is what it is doing even now. We must not let ourselves be led astray about this by Wagner himself: it was real badness in Wagner to mock Paris in its agony in 1871 ... In Germany, Wagner is nevertheless merely a misunderstanding: who could be more incapable of understanding Wagner than, for example, the young Kaiser? It remains a certain fact for anyone familiar with European cultural movements that French romanticism and Richard Wagner belong together most closely. All dominated by literature right into their eyes and ears—the first artists in Europe to have an education in world literature—in most cases, themselves writers, poets, mediators, and mixers of the senses and the arts; all fanatics of expression, great discoverers in the realm of the sublime, also of the ugly and the horrible, still greater dicoverers in the sphere of effects and spectacular displays, in the art of display windows; all talents far beyond their genius—virtuosos through and through, with uncanny access to everything that seduces, lures, forces, overthrows, born enemies of logic and of the straight line, covetous of the strange, the exotic, the tremendous, and all opiates of the senses and the understanding. On the whole, an audaciously daring, magnificently violent, high-soaring, and high-sweeping type of artist, they alone have taught their century—it is the century of the mass—the concept of the "artist." But sick ...

Wagner als Apostel der Keuschheit

Wagner as the Apostle of Chastity

1
[vgl. Jenseits von Gut und Böse, 256]

1
[cf. Beyond Good and Evil, 256]

— Ist das noch deutsch?
Aus deutschen Herzen kam dies schwüle Kreischen?
Und deutschen Leibs ist dies Sich-selbst-Zerfleischen?
Deutsch ist dies Priester-Hände-Spreizen,
Dies weihrauchdüftelnde Sinne-Reizen?
Und deutsch dies Stürzen, Stocken, Taumeln,
Dies zuckersüsse Bimbambaumeln?
Dies Nonnen-Äugeln, Ave-Glockenbimmeln,
Dies ganze falsch verzückte Himmel-Überhimmeln? ...

— Is this still German?
Out of a German heart, this torrid screeching?
A German body, this self-laceration?
German, this priestly-affectation,
This incense-smelling lurid-preaching?
German, this plunging, halting, reeling,
This sugar-sweetish bim-bam pealing?
This nunnish-ogling, Ave-leavening,
This whole falsely ecstatic heaven over-heavening? ...

— Ist das noch deutsch?
Erwägt! Noch steht ihr an der Pforte ...
Denn was ihr hört, ist Rom,—Roms Glaube ohne Worte!

Is this still German?
Consider! Stay! You are perplexed? ...
That which you hear is Rome—Rome's faith without the text!

2
[vgl. Zur Genealogie der Moral, 3:2]

2
[cf. On the Genealogy of Morality, 3:2]

Zwischen Sinnlichkeit und Keuschheit giebt es keinen notwendigen Gegensatz; jede gute Ehe, jede eigentliche Herzensliebschaft ist über diesen Gegensatz hinaus. Aber in jenem Falle, wo es wirklich diesen Gegensatz giebt, braucht es zum Glück noch lange kein tragischer Gegensatz zu sein. Dies dürfte wenigstens für alle wohlgerathneren, wohlgemutheren Sterblichen gelten, welche fern davon sind, ihr labiles Gleichgewicht zwischen Engel und petite bête ohne Weiteres zu den Gegengründen des Daseins zu rechnen,—die Feinsten, die Hellsten, gleich Hafis, gleich Goethe, haben darin sogar einen Reiz mehr gesehn ... Solche Widersprüche gerade verführen zum Dasein ... Andrerseits versteht es sich nur zu gut, dass, wenn einmal die verunglückten Thiere der Circe dazu gebracht werden, die Keuschheit anzubeten, sie in ihr nur ihren Gegensatz sehn und anbeten werden—oh mit was für einem tragischen Gegrunz und Eifer! man kann es sich denken—jenen peinlichen und vollkommen überflüssigen Gegensatz, den Richard Wagner unbestreitbar am Ende seines Lebens noch hat in Musik setzen und auf die Bühne bringen wollen. Wozu doch? wie man billig fragen darf.

There is no necessary opposition between sensuality and chastity; every good marriage, every love affair, that comes from the heart is beyond this opposition. But in a case in which this opposition really exists, fortunately it need by no means be a tragic opposition. This would seem to hold at least for all the better turned out, more cheerful mortals, who are far from counting their labile balance between angel and petite bête [animal] as necessarily among the objections to existence: the finest, the brightest, like Hafiz, like Goethe, have even considered this one attraction more ... Such contradictions actually seduce to existence ... On the other hand, it is only too easy to understand that, should those whom misfortune has changed into the animals of Circe ever be brought to the point of adoring chastity, they will see only their own opposite in it and will adore it—oh, with what tragic grunting and fervor one can imagine! And at the end of his life Richard Wagner undeniably wanted to set this embarrassing and perfectly superfluous opposition to music and produce it on the stage. Why? we are entitled to ask.

3
[vgl. Zur Genealogie der Moral, 3:3]

3
[cf. On the Genealogy of Morality, 3:3]

Dabei ist freilich jene andre Frage nicht zu umgehn, was ihn eigentlich jene männliche (ach, so unmännliche) "Einfalt vom Lande" angieng, jener arme Teufel und Naturbursch Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen Mitteln schliesslich katholisch gemacht wird—wie? war dieser Parsifal überhaupt ernst gemeint? Denn dass man über ihn gelacht hat, möchte ich am wenigsten bestreiten, Gottfried Keller auch nicht ... Man möchte es nämlich wünschen, dass der Wagnersche Parsifal heiter gemeint sei, gleichsam als Schlussstück und Satyrdrama, mit dem der Tragiker Wagner gerade auf eine ihm gebührende und würdige Weise von uns, auch von sich, vor Allem von der Tragödie habe Abschied nehmen wollen, nämlich mit einem Excess höchster und muthwilligster Parodie auf das Tragische selbst, auf den ganzen schauerlichen Erden-Ernst und Erden-Jammer von Ehedem, auf die endlich überwundene dümmste Form in der Widernatur des asketischen Ideals. Der Parsifal ist ja ein Operetten-Stoff par excellence ... Ist der Parsifal Wagner's sein heimliches Überlegenheits-Lachen über sich selber, der Triumph seiner letzten höchsten Künstler-Freiheit, Künstler-Jenseitigkeit—Wagner, der über sich zu lachen weiss? ... Man möchte es, wie gesagt, wünschen: denn was würde der ernstgemeinte Parsifal sein? Hat man wirklich nöthig, in ihm (wie man sich gegen mich ausgedrückt hat) "die Ausgeburt eines toll gewordnen Hasses auf Erkenntniss, Geist und Sinnlichkeit" zu sehn? einen Fluch auf Sinne und Geist in Einem Hass und Athem? eine Apostasie und Umkehr zu christlich-krankhaften und obskurantistischen Idealen? Und zuletzt gar ein Sich-selbst-Verneinen, Sich-selbst-Durchstreichen von Seiten eines Künstlers, der bis dahin mit aller Macht seines Willen auf das Umgekehrte, auf höchste Vergeistigung und Versinnlichung seiner Kunst ausgewesen war? Und nicht nur seiner Kunst, auch seines Lebens? Man erinnere sich, wie begeistert seiner Zeit Wagner in den Fusstapfen des Philosophen Feuerbach gegangen ist. Feuerbach's Wort von der "gesunden Sinnlichkeit"—das klang in den dreissiger und vierziger Jahren Wagnern gleich vielen Deutschen—sie nannten sich die jungen Deutschen—wie das Wort der Erlösung. Hat er schliesslich darüber umgelernt? Da es zum Mindesten scheint, dass er zuletzt den Willen hatte, darüber umzulehren? ... Ist der Hass auf das Leben bei ihm Herr geworden, wie bei Flaubert? ... Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk.— Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: ich verachte Jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sittlichkeit empfindet.—

At this point, of course, we cannot escape another question: What could that male (yet so unmasculine) "innocence from the country," really be to him, that poor devil and child of nature, Parsifal, whom Wagner finally makes a Catholic by such captious means? How now? Was this Parsifal meant at all seriously? For, that he has been laughed at, I would certainly be in no position to dispute, nor would Gottfried Keller ... I should really wish that the Wagnerian Parsifal were intended as a prank—as the epilogue and satyr play, as it were, with which the tragedian Wagner wanted to say farewell in a fitting manner worthy of himself—to us, to himself, and above all to tragedy, with an excessive, sublimely wanton parody on the tragic itself, on all the former horrid earthly seriousness and earthly misery, on the most stupid form, overcome at long last, of the anti-nature of the ascetic ideal. After all, Parsifal is operetta material par excellence ... Is Wagner's Parsifal his secretly superior laughter at himself, the triumph of his ultimate artistic freedom, his artistic non plus ultra—Wagner able to laugh at himself? ... Clearly, one should wish that; for what would Parsifal amount to if intended as a serious piece? Must we really see in it (as somebody has expressed it against me) "the abortion gone mad of a hatred of knowledge, spirit, and sensuality"? A curse on the senses and the spirit in a single hatred and breath? An apostasy and reversion to sickly Christian and obscurantist ideals? And in the end even self-abnegation, a self-crossing-out on the part of an artist who had previously aimed at the very opposite of this, striving with all the power of his will to achieve the highest spiritualization and sensualization in his art? And not only in his art, but also in his life. We should remember how enthusiastically Wagner once followed in the footsteps of the philosopher Feuerbach. In the thirties and forties, Feuerbach's slogan of "healthy sensuality" sounded to Wagner, as to many other Germans—they called themselves the young Germans—like the words of redemption. Had he learned differently in the end? For it seems, at least, that he finally had the will to teach differently ... Did the hatred against life become dominant in him, as in Flaubert? ... For Parsifal is a work of perfidy, of vindictiveness, of a secret attempt to poison the presuppositions of life—a bad work. The preaching of chastity remains an incitement to anti-nature: I despise everyone who does not experience Parsifal as an attempted assassination of basic ethics.—

Wie ich von Wagner loskam
[vgl. Vermischte Meinungen und Sprüche, Vorrede zur 2. Aufl., 3-4]

How I Broke Away From Wagner
[cf. Mixed Opinions and Maxims, Preface to the 2d ed., 3-4]

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1

Schon im Sommer 1876, mitten in der Zeit der ersten Festspiele, nahm ich bei mir von Wagner Abschied. Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, condescendirte er Schritt für Schritt zu Allem, was ich verachte—selbst zum Antisemitismus ... Es war in der That damals die höchste Zeit, Abschied zu nehmen: alsbald schon bekam ich den Beweis dafür. Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordner, verzweifelnder décadent, sank plötzlich, hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze nieder... Hat denn kein Deutscher für dies schauerliche Schauspiel damals Augen im Kopfe, Mitgefühl in seinem Gewissen gehabt? War ich der Einzige, der an ihm—litt?— Genug, mir selbst gab das unerwartete Ereigniss wie ein Blitz Klarheit über den Ort, den ich verlassen hatte—und auch jenen nachträglichen Schauder, den Jeder empfindet, der unbewusst durch eine ungeheure Gefahr gelaufen ist. Als ich allein weiter gieng, zitterte ich; nicht lange darauf war ich krank, mehr als krank, nämlich müde,—müde aus der unaufhaltsamen Enttäuschung über Alles, was uns modernen Menschen zur Begeisterung übrig blieb, über die allerorts vergeudete Kraft, Arbeit, Hoffnung, Jugend, Liebe, müde aus Ekel vor der ganzen idealistischen Lügnerei und Gewissens-Verweichlichung, die hier wieder einmal den Sieg über Einen der Tapfersten davongetragen hatte; müde endlich, und nicht am wenigsten, aus dem Gram eines unerbittlichen Argwohns—dass ich nunmehr verurtheilt sei, tiefer zu misstrauen, tiefer zu verachten, tiefer allein zu sein als je vorher. Denn ich hatte Niemanden gehabt als Richard Wagner ... Ich war immer verurtheilt zu Deutschen ...

By the summer of 1876, during the time of the first Festspiele, I said farewell to Wagner in my heart. I suffer no ambiguity; and since Wagner had moved to Germany, he had condescended step by step to everything I despise—even to anti-Semitism ... It was indeed high time to say farewell: soon after, I received the proof. Richard Wagner, apparently most triumphant, but in truth a decaying and despairing decadent, suddenly sank down, helpless and broken, before the Christian cross ... Did no German have eyes in his head or pity in his conscience for this horrid spectacle? Was I the only one whom it pained?— Enough; this unexpected event struck me like lightning and gave me clarity about the place I had left—and also that shudder which everybody feels after he has unconsciously passed through a tremendous danger. As I proceeded alone I trembled; not long after, I was sick, more than sick, namely, weary—weary from the inevitable disappointment about everything that is left to us modem men for enthusiasm, about the universally wasted energy, work, hope, youth, love—weary from nausea at the whole idealistic lie and pampering of the conscience, which had here triumphed once again over one of the bravest—weary, finally and not least of all, from the grief aroused by an inexorable suspicion that I was henceforth sentenced to mistrust more profoundly, to despise more profoundly, to be more profoundly alone than ever before. For I had had nobody except Richard Wagner ... I have always been sentenced to Germans ...

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Einsam nunmehr und schlimm misstrauisch gegen mich, nahm ich, nicht ohne Ingrimm, damals Partei gegen mich und für Alles, was gerade mir wehthat und hart fiel: so fand ich den Weg zu jenem tapferen Pessimismus wieder, der der Gegensatz aller idealistischen Verlogenheit ist, und auch, wie mir scheinen will, den Weg zu mir,—zu meiner Aufgabe ... Jenes verborgene und herrische Etwas, für das wir lange keinen Namen haben, bis es sich endlich als unsre Aufgabe erweist,—dieser Tyrann in uns nimmt eine schreckliche Wiedervergeltung für jeden Versuch, den wir machen, ihm auszuweichen oder zu entschlüpfen, für jede vorzeitige Bescheidung, für jede Gleichsetzung mit solchen, zu denen wir nicht gehören, für jede noch so achtbare Thätigkeit, falls sie uns von unsrer Hauptsache ablenkt,—ja für jede Tugend selbst, welche uns gegen die Härte der eigensten Verantwortlichkeit schützen möchte. Krankheit ist jedes Mal die Antwort, wenn wir an unsrem Recht auf unsre Aufgabe zweifeln wollen, wenn wir anfangen, es uns irgendworin leichter zu machen. Sonderbar und furchtbar zugleich! Unsre Erleichterungen sind es, die wir am härtesten büssen müssen! Und wollen wir hinterdrein zur Gesundheit zurück, so bleibt uns keine Wahl: wir müssen uns schwerer belasten, als wir je vorher belastet waren ...

Lonely henceforth and badly mistrustful of myself, I then took sides, not without indignation, against myself and for everything that hurt and was hard just for me: thus I found the way again to that courageous pessimism which is the opposite of an idealistic mendaciousness, and also, it seems to me, the way to myself, to my task ... That hidden and masterful something for which we long do not have a name, until finally it proves itself to be our task—this tyrant in us wreaks horrible revenge for every attempt we make to dodge or escape it, for every premature resignation, for every acceptance of equality with those among whom we do not belong, for every activity, however respectable, which distracts us from our main cause—indeed, for every virtue which would protect us from the hardness of our innernost responsibility. Every time, sickness is the response when we want to doubt our right to our task, when we begin to make things easier for ourselves in any way. Strange and at the same time terrible! It is the easing of our burden which we must atone most harshly! And if we want to return to health afterward, we have no choice: we must assume a heavier burden than we ever carried before ...

Der Psycholog nimmt das Wort
[vgl. Jenseits von Gut und Böse, 269-270]

The Psychologist Speaks Up
[cf. Beyond Good and Evil, 269-270]

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Je mehr ein Psycholog, ein geborner, ein unvermeidlicher Psycholog und Seelen-Errather, sich den ausgesuchteren Fällen und Menschen zukehrt, um so grösser wird seine Gefahr, am Mitleiden zu ersticken. Er hat Härte und Heiterkeit nöthig, mehr als ein andrer Mensch. Die Verderbniss, das Zugrundegehn der höheren Menschen ist nämlich die Regel: es ist schrecklich, eine solche Regel immer vor Augen zu haben. Die vielfache Marter des Psychologen, der dies Zugrundegehn entdeckt hat, der diese gesammte innere "Heillosigkeit" des höheren Menschen, dies ewige "Zu spät!" in jedem Sinne erst einmal und dann fast immer wieder entdeckt durch die ganze Geschichte hindurch—kann vielleicht eines Tages die Ursache davon werden, dass er selber verdirbt ... Man wird fast bei jedem Psychologen eine verrätherische Vorneigung zum Umgang mit alltäglichen und wohlgeordneten Menschen wahrnehmen: daran verräth sich, dass er immer einer Heilung bedarf, dass er eine Art Sucht und Vergessen braucht, weg von dem, was ihm seine Einblicke, Einschnitte, was ihm sein Handwerk aufs Gewissen gelegt hat. Die Furcht vor seinem Gedächtniss ist ihm zu eigen. Er kommt vor dem Urtheile Anderer leicht zum Verstummen, er hört mit einem unbewegten Gesichte zu, wie dort verehrt, bewundert, geliebt, verklärt wird, wo er gesehn hat—, oder er verbirgt noch sein Verstummen, indem er irgend einer Vordergrunds-Meinung ausdrücklich zustimmt. Vielleicht geht die Paradoxie seiner Lage so weit ins Schauerliche, dass die "Gebildeten" gerade dort, wo er das grosse Mitleiden neben der grossen Verachtung gelernt hat, ihrerseits die grosse Verehrung lernen ... Und wer weiss, ob sich nicht in allen grossen Fällen eben nur Dies begab,—dass man einen Gott anbetete und dass der Gott nur ein armes Opferthier war ... Der Erfolg war immer der grösste Lügner—und auch das Werk, die That ist ein Erfolg ... Der grosse Staatsmann, der Eroberer, der Entdecker ist in seine Schöpfungen verkleidet, versteckt, bis ins Unerkennbare; das Werk, das des Künstlers, des Philosophen, erfindet erst den, welcher es geschaffen hat, geschaffen haben soll ... Die "grossen Männer," wie sie verehrt werden, sind kleine schlechte Dichtungen hinterdrein,—in der Welt der historischen Werthe herrscht die Falschmünzerei ...

The more a psychologist—a born and inevitable psychologist and unriddler of souls—applies himself to the more exquisite cases and human beings, the greater becomes the danger that he might suffocate of pity. He needs hardness and cheerfulness more than anyone else. For the corruption, the destruction of the higher men is the rule: it is temble constantly to have such a rule before one's eyes. The manifold torture of the psychologist who has discovered this corruption, who discovers this whole inner "haplessness" of the higher man, this eternal "Too late!" in every sense, first in one case and then almost always again through the whole of history—one day this may perhaps bring about his own corruption ... In almost every psychologist one will perceive a telltale preference for association with everyday, well ordered people: this reveals that he always requires a cure, that he needs a kind of escape and forgetting, away from all that with which his insights, his incisions, his craft, burden his conscience. He is characterized by fear of his memory. He is easily silenced by the judgments of others; he listens with an immobile face as they venerate, admire, love, and transfigure where he has seen—or he even conceals his silence by explicitly agreeing with some foreground opinion. Perhaps the paradox of his situation is so horrible that the "educated," on their part, learn the greatest veneration precisely where he has learned the greatest pity coupled with the greatest contempt ... And who knows whether what happened in all great cases was not simply this—that one adored a god, and that the god was merely a poor sacrificial animal ... Success has always been the greatest liar—and the work, the deed too, is a success ... The great statesman, the conqueror, the discoverer is disguised by his creations, concealed beyond recognition; it is the work, of the artist as of the philosophers, that invents—the man who has created it, who is supposed to have created it ... "Great men," as they are venerated, are subsequent pieces of wretched minor fiction: in the world of historical values, counterfeit rules ...

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— Diese grossen Dichter zum Beispiel, diese Byron, Musset, Poe, Leopardi, Kleist, Gogol—ich wage es nicht, viel grössere Namen zu nennen, aber ich meine sie—wie sie nun einmal sind, sein müssen: Menschen des Augenblicks, sinnlich, absurd, fünffach, im Misstrauen und Vertrauen leichtfertig und plötzlich; mit Seelen, an denen gewöhnlich irgend ein Bruch verhehlt werden soll; oft mit ihren Werken Rache nehmend für eine innere Besudelung, oft mit ihren Aufflügen Vergessenheit suchend vor einem allzutreuen Gedächtniss, Idealisten aus der Nähe des Sumpfes—welche Marter sind diese grossen Künstler und überhaupt die sogenannten höheren Menschen für den, der sie erst errathen hat ... Wir sind alle Fürsprecher des Mittelmässigen ... Es ist begreiflich, dass sie gerade vom Weibe, das hellseherisch ist in der Welt des Leidens und leider auch weit über seine Kräfte hinaus hülf- und rettungssüchtig, so leicht jene Ausbrüche von unbegrenztem Mitleide erfahren, welche die Menge, vor Allem die verehrende Menge mit neugierigen und selbstgefälligen Deutungen überhäuft ... Dies Mitleiden täuscht sich regelmässig über seine Kraft: das Weib möchte glauben, dass Liebe Alles vermöge,—es ist sein eigentlicher Aberglaube. Ach, der Wissende des Herzen erräth, wie arm, hülflos, anmaasslich, fehlgreifend auch die beste, tiefste Liebe ist—wie sie eher noch zerstört als rettet ....

— Those great poets, for example, men like Byron, Musset, Poe, Leopardi, Kleist, Gogol—I do not dare mention far greater names, but I mean them—are and must be men of the moment, sensual, absurd, fivefold, irresponsible, and sudden in mistrust and trust; with souls in which they must usually conceal some fracture; often taking revenge with their works for some inner contamination, often seeking with their high flights to escape into forgetfulness from an all-too-faithful memory; idealists from the vicinity of swamps—what torture are these great artists and all the so-called higher men for him who has guessed their true nature! ... We are all advocates of the mediocre ... It is easy to understand that it is woman—clairvoyant in the world of suffering, and, unfortunately, also desirous far beyond her strength to help and to save who so readily accords these men those outbreaks of infinite pity on which the mass, particularly the venerating mass, then lavish inquisitive and self-satisfied interpretations ... This pity regularly deceives itself about its own strength: woman would like to believe that love can achieve everything—it is her characteristic superstition. Alas, whoever knows the heart will guess how poor, helpless, arrogant, and mistaken is even the best, the profoundest love—how it even destroys rather than saves ....

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3

— Der geistige Ekel und Hochmuth jedes Menschen, der tief gelitten hat—es bestimmt beinahe die Rangordnung, wie tief Einer leiden kann—, seine schaudernde Gewissheit, von der er ganz durchtränkt und gefärbt ist, vermöge seines Leidens mehr zu wissen, als die Klügsten und Weisesten wissen könnten, in vielen fernen entsetzlichen Welten bekannt und einmal zu Hause gewesen zu sein, von denen "ihr Nichts wisst" ..., dieser geistige schweigende Hochmuth, dieser Stolz des Auserwählten der Erkenntniss, des "Eingeweihten," des beinahe Geopferten findet alle Arten von Verkleidung nöthig, um sich vor der Berührung mit zudringlichen und mitleidigen Händen und überhaupt vor Allem, was nicht seines Gleichen im Schmerz ist, zu schützen. Das tiefe Leiden macht vornehm; es trennt.— Eine der feinsten Verkleidungs-Formen ist der Epicureismus und eine gewisse fürderhin zur Schau getragne Tapferkeit des Geschmacks, welche das Leiden leichtfertig nimmt und sich gegen alles Traurige und Tiefe zur Wehre setzt. Es giebt "heitere Menschen," welche sich der Heiterkeit bedienen, weil sie um ihretwillen missverstanden werden,—sie wollen missverstanden sein. Es giebt "wissenschaftliche Geister," welche sich der Wissenschaft bedienen, weil dieselbe einen heiteren Anschein giebt und weil Wissenschaftlichkeit darauf schliessen lässt, dass der Mensch oberflächlich ist—sie wollen zu einem falschen Schlusse verführen ... Es giebt freie freche Geister, welche verbergen und verleugnen möchte<n>, dass sie im Grunde zerbrochne unheilbare Herzen sind—es ist der Fall Hamlets: und dann kann die Narrheit selbst die Maske für ein unseliges allzugewisses Wissen sein. —

— The spiritual nausea and haughtiness of every human being who has suffered deeply—how deeply one can suffer almost determines the order of rank—his shuddering certainty, which permeates and colors him through and through, that by virtue of his suffering he knows more than the cleverest and wisest could possibIy know, and that he knows his way and has once been at home in many distant, terrifying worlds of which "you know nothing" ... this spiritual and silent haughtiness, this pride of the elect of cognition, of the "initiated," of the almost sacrificed, finds all kinds of disguise necessary to protect itself against contact with officious and pitying hands, and against everything that is not a peer in suffering. Deep suffering makes noble; it separates.— One of the finest disguises is Epicureanism, and a certain ostentatious courage of taste which takes suffering glibly and wards off everything sad and deep. There are "cheerful people" who employ cheerfulness in order to be misunderstood—they want to be misunderstood. There are "scientific spirits" who employ science because it gives a cheerful appearance, and because scientism suggests that a man is superficial—they want to seduce others to such a false inference ... There are free, impudent spirits who would like to conceal and deny that at bottom they are broken, incurable hearts—the case of Hamlet: and then even foolishness can be the mask for an unblessed all-too-certain certainty. —

Epilog
[vgl. Die fröhliche Wissenschaft, Vorrede zur 2. Aufl., 3-4]

Epilogue
[cf. The Joyful Science, Preface to the 2d ed., 3-4]

1

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Ich habe mich oft gefragt, ob ich den schwersten Jahren meines Leben nicht tiefer verpflichtet bin als irgend welchen anderen. So wie meine innerste Natur es mich lehrt, ist alles Nothwendige, aus der Höhe gesehn und im Sinne einer grossen Ökonomie, auch das Nützliche an sich,—mann soll es nicht nur tragen, man soll es lieben ... Amor fati: das ist meine innerste Natur.— Und was mein langes Siechthum angeht, verdanke ich ihm nicht unsängliche viel mehr als meiner Gesundheit? Ich verdanke ihm eine höhere Gesundheit, eine solche, welche stärker wird von Allem, was sie nicht umbringt!— Ich verdanke ihr auch meine Philosophie ... Erst der grosse Schmerz ist der letzte Befreier des Geistes, als der Lehrmeister des grossen Verdachts, der aus jedem U ein X macht, ein echtes rechtes X, das heisst den vorletzten Buchstaben vor dem letzten ... Erst der grosse Schmerz, jener lange langsame Schmerz, in dem wir gleichsam wie mit grünem Holze verbrannt werden, der sich Zeit nimmt—, zwingt uns Philosophen in unsre letzte Tiefe zu steigen und alles Vertrauen, alles Gutmüthige, Verschleiernde, Milde, Mittlere, wohin wir vielleicht vordem unsre Menschlichkeit gesetzt haben, von uns zu thun. Ich zweifle, ob ein solcher Schmerz "verbessert": aber ich weiss, dass er uns vertieft ... Sei es nun, dass wir ihm unsern Stolz, unsern Hohn, unsre Willenskraft entgegenstellen lernen, und es dem Indianer gleichthun, der, wie schlimm auch gepeinigt, sich an seinem Peiniger durch die Bosheit seiner Zunge schadlos hält; sei es, dass wir uns vor dem Schmerz in jenes Nichts zurückziehn, in das stumme, starre, taube Sich-Ergeben, Sich-Vergessen, Sich-Auslöschen: man kommt aus solchen langen gefährlichen Übungen der Herrschaft über sich als ein andrer Mensch heraus, mit einigen Fragezeichen mehr,—vor Allem mit dem Willen, fürderhin mehr, tiefer, strenger, härter, böser, stiller zu fragen als je bisher auf Erden gefragt worden ist ... Das Vertrauen zum Leben ist dahin; das Leben selber wurde ein Problem.— Möge man ja nicht glauben, dass Einer damit nothwendig zum Düsterling, zur Schleiereule geworden sei! Selbst die Liebe zum Leben ist noch möglich,—nur liebt man anders ... Es ist die Liebe zu einem Weibe, das uns Zweifel macht ...

I have often asked myself whether I am not more heavily obligated to the hardest years of my life than to any others. As my inmost nature teaches me, whatever is necessary as seen from the heights and in the sense.of a great economy—is also the useful par excellence: one should not only bear it, one should love it. Amor fati [love of fate]: that is my inmost nature. And as for my long sickness, do I not owe it indescnbably more than I owe to my health? I owe it a higher health—one which is made stronger by whatever does not kill it!— I also owe my philosophy to it ... Only great pain is the ultimate liberator of the spirit, as the teacher of great suspicion which turns every U into an X, a real, genuine X, that is, the letter before the penultirnate one. Only great pain, that long, slow pain in which we are burned with green wood, as it were—pain which takes its time only this forces us philosophers to descend into our ultimate depths and to put away all trust, all good-naturedness, all that would veil, all mildness, all that is medium things in which formerly we may have found our humanity. I doubt that such a pain makes us "better," but I know that it makes us more profound ... Whether we learn to pit our pride, our scorn, our will power against it, equaling the American Indian who, however tortured, evens the score with his torturer by the malice of his tongue; or whether we withdraw from pain into that Nothing, into mute, rigid, deaf resignation, self-forgetting, self-extinction: out of such long and dangerous exercises of self-mastery one emerges as a different person, with a few more question marks—above all, with the will to question more persistently, more deeply, severely, harshly, evilly, and quietly than has ever been questioned on this earth before. The trust in life is gone; life itself has become a problem. Yet one should not jump to the conclusion that with all this a man has necessarily become dusky, a barn owl! Even the love of life is still possible—only, one loves differently ... It is the love for a woman who raises doubts in us ...

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2

Am Seltsamsten ist Eins: man hat hinterdrein einen andren Geschmack—einen zweiten Geschmack. Aus solchen Abgründen, auch aus dem Abgrund des grossen Verdachts kommt man neugeboren zurück, gehäutet, kitzlicher, boshafter, mit einem feineren Geschmack für die Freude, mit einer zarteren Zunge für alle guten Dinge, mit lustigeren Sinnen, mit einer zweiten gefährlicheren Unschuld in der Freude, kindlicher zugleich und hundert Mal raffinirter als man je vordem gewesen war. Moral: man ist nicht ungestraft der tiefste Geist aller Jahrtausende,—man ist es auch nicht unbelohnt ... Ich gebe sofort eine Probe.

What is strangest is this: afterward one has a different taste—a second taste. Out of such abysses, also out of the abyss of great suspicion, one returns newborn, having shed one's skin, more ticklish and sarcastic, with a more delicate taste for joy, with a more tender tongue for all good things, with gayer senses, with a second dangerous innocence in joy, more childlike and yet a hundred tunes more subtle than one has ever been before. Moral: one pays a price for being the most profound mind of all millennia—one is rewarded for it too ... I give an example forthwith.

Oh wie Einem nunmehr der Genuss zuwider ist, der grobe dumpfe braune Genuss, wie ihn sonst die Geniessenden, unsre "Gebildeten," unsre Reichen und Regierenden verstehn! Wie boshaft wir nunmehr dem grossen Jahrmarkts-Bumbum zuhören, mit dem sich der "gebildete" Mensch und Grosstädter heute durch Kunst, Buch und Musik zu "geistigen Genüssen," unter Mithülfe geistiger Getränke, nothzüchtigen lässt! Wie uns jetzt der Theaterschrei der Leidenschaft in den Ohren wehthut, wie unserm Geschmacke der ganze romantische Aufruhr und Sinnen-Wirrwarr, den der gebildete Pöbel liebt, sammt seinen Aspirationen nach dem Erhabenen, Gehobenen, Verschrobenen fremd geworden ist! Nein, wenn wir Genesenden eine Kunst noch brauchen, so ist es eine andre Kunst—eine spöttische, leichte, flüchtige, göttlich unbehelligte, göttlich künstliche Kunst, welche wie eine reine Flamme in einen unbewölkten Himmel hineinlodert! Vor Allem: eine Kunst für Künstler, nur für Künstler! Wir verstehn uns hinterdrein besser auf das, was dazu zuerst noththut, die Heiterkeit, jede Heiterkeit, meine Freunde! ... Wir wissen Einiges jetzt zu gut, wir Wissenden: oh wie wir nunmehr lernen, gut zu vergessen, gut nicht-zu wissen, als Künstler! ... Und was unsre Zukunft betrifft: man wird uns schwerlich wieder auf den Pfaden jener ägyptischen Jünglinge finden, welche Nachts Tempel unsicher machen, Bildsäulen umarmen und durchaus Alles, was mit guten Gründen versteckt gehalten wird, entschleiern, aufdecken, in helles Licht stellen wollen. Nein, dieser schlechte Geschmack, dieser Wille zur Wahrheit, zur "Wahrheit um jeden Preis," dieser Jünglings-Wahsinn in der Liebe zur Wahrheit—ist uns verleidet: dazu sind wir zu erfahren, zu ernst, zu lustig, zu gebrannt, zu tief ... Wir glauben nicht mehr daran, dass Wahrheit noch Wahrheit bleibt, wenn man ihr die Schleier abzieht,—wir haben genug gelebt, um dies zu glauben ... Heute gilt es uns als eine Sache der Schicklichkeit, dass man nicht Alles nackt sehn, nicht bei Allem dabei sein, nicht Alles verstehn und "wissen" wolle. Tout comprendre—c'est tout mépriser ... "Ist es wahr, dass der liebe Gott überall zugegen ist? fragte ein kleines Mädchen seine Mutter: aber ich finde das unanständig"—ein Wink für Philosophen! ... Man sollte die Scham besser in Ehren halten, mit der sich die Natur hinter Räthsel und bunte Ungewissheiten versteckt hat. Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehn zu lassen? ... Vielleicht ist ihr Name, griechisch zu reden, Baubo? ... Oh diese Griechen! sie verstanden sich darauf, zu leben! Dazu thut noth, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehn zu bleiben, den Schein anzubeten, an Formen, an Töne, an Worte, an den ganzen Olymp des Scheins zu glauben! Diese Griechen waren oberflächlich—aus Tiefe ... Und kommen wir nicht eben darauf zurück, wir Waghalse des Geistes, die wir die höchste und gefährlichste Spitze des gegenwärtigen Gedankens erklettert und von da aus umgesehn haben, die wir von da aus hinabgesehn haben? Sind wir nicht eben darin—Griechen? Anbeter der Formen, der Töne, der Worte? Eben darum—Künstler? ...

How repulsive pleasure is now, that crude, musty, brown pleasure as it is understood by those who like pleasure, our "educated" people, our rich people, and our rulers! How sarcastically we listen now to the big county-fair boom-boom with which the "educated" person and city dweller today permits art, books, and music to rape him and provide "spiritual pleasures"—with the aid of spirituous liquors! How the theatrical scream of passion now hurts our ears, how strange to our taste the whole romantic uproar and tumult of the senses have become, which the educated rabble loves, and all its aspirations after the elevated, inflated, and exaggerated! No, if we who have recovered still need art, it is another kind of art—a mocking, light, fleeting, divinely untroubled, divinely artificial art, which, like a pure flame, licks into unclouded skies! Above all, an art for artists, for artists only! We know better afterward what above all is needed for this: cheerfulness, any cheerfulness, my friends! ... There are a few things we now know too well, we knowing ones: oh, how we learn now to forget well, and to be good at not knowing, as artists! ... And as for our future, one will hardly find us again on the paths of those Egyptian youths who endanger temples by night, embrace statues, and want by all means to unveil, uncover, and put into a bright light whatever is kept concealed for good reasons. No, this bad taste, this will to truth, to "truth at any price," this youthful madness in the love of truth, have lost their charm for us: for that we are too experienced, too serious, too gay, too burned, too deep. We no longer believe that truth remains truth when the veils are withdrawn; we have lived enough not to believe this. Today we consider it a matter of decency not to wish to see everything naked, or to be present at everything, or to understand and "know" everything. Tout comprendre—c'est tout mépriser [To understand all—is to despise all] ... "Is it true that God is present everywhere?" a little girl asked her mother; "I think that's indecent"—a hint for philosophers! ... One should have more respect for the bashfulness with which nature has hidden behind riddles and iridescent uncertainties. Perhaps truth is a woman who has reasons for not letting us see her reasons? Perhaps her name is—to speak Greek—Baubo? Oh, those Greeks! They knew how to live! What is required for that is to stop courageously at the surface, the fold, the skin, to adore appearance, to believe in forms, tones, words, in the whole Olympus of appearance! Those Greeks were superficial—out of profundity ... And is not this precisely what we are again coming back to, we daredevils of the spirit who have climbed the highest and most dangerous peak of present thought and looked around from up there—we who have looked down from there? Are we not, precisely in this respect, Greeks? Adorers of forrns, of tones, of words? And therefore—artists?

Von der Armuth des Reichsten
[aus: Dionysos-Dithyramben]

On the Poverty of the Richest
[from: Dionysus-Dithyrambs]

Zehn Jahre dahin—,
kein Tropfen erreichte mich,
kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe
— ein regenloses Land ...
Nun bitte ich meine Weisheit,
nicht geizig zu werden in dieser Dürre:
ströme selber über, träufle selber Thau
sei selber Regen der vergilbten Wildniss!
For ten years now —
No drop has reached me,
No humid wind, no dew of love —
A rainless land —
Now I beseech my wisdom
Not to become miserly in this drought:
Pour out of me, my trickling dew,
My own rain for the yellowed desert!
Einst hiess ich die Wolken
fortgehn von meinen Bergen,—
einst sprach ich "mehr Licht, ihr Dunklen!"
Heut locke ich sie, dass sie kommen:
macht dunkel um mich mit euren Eutern!
— ich will euch melken,
ihr Kühe der Höhe!
Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe
ströme ich über das Land.
Once I commanded the clouds
To move away from my mountains —
Once I spoke, "More light, for your shady places!"
Today, I entice them so that they come:
Give shade to me with your udders! —
I want to milk
You cows on high!
Milkwarm wisdom, sweet dew of love
I pour over the land.
Fort, fort, ihr Wahrheiten,
die ihr düster blickt!
Nicht will ich auf meinen Bergen
herbe ungeduldige Wahrheiten sehn.
Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit,
von der Sonne gesüsst, von der Liebe gebräunt,—
eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum.
Begone, begone, truths
That gloomily watch over you!
I do not want to see on my mountains
Bitter impatient truths.
Today the truth approaches
Me with a gilded smile
Sweetened by the sun, from bronzed love —
I break off only a ripe truth from the tree.
Heut strecke ich die Hand aus
nach den Locken des Zufalls,
klug genug, den Zufall
einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten.
Heut will ich gastfreundlich sein
gegen Unwillkommnes,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht stachlicht sein
— Zarathustra ist kein Igel.
Today I stretch out my hand
To the curls of chance,
Clever enough
To lead chance along like a child, to outfox it.
Today I want to be hospitable
To the unwelcome,
I don't even want to be sharp against destiny —
Zarathustra is not a hedgehog.
Meine Seele,
unersättlich mit ihrer Zunge,
an alle guten und schlimmen Dinge hat sie schon geleckt,
in jede Tiefe tauchte sie hinab.
Aber immer gleich dem Korke,
immer schwimmt sie wieder obenauf,
sie gaukelt wie öl über braune Meere:
dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen.
My soul,
Insatiable with its tongue,
Has already licked all the good and bad things,
It has dived down into every depth
But ever like a cork,
It always floats again to the top,
It flits about like oil over brown seas:
Thanks to this soul one calls me the happy one.
Wer sind mir Vater und Mutter?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss
und Mutter das stille Lachen?
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund
mich Räthselthier,
mich Lichtunhold,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra?
Who are father and mother to me?
Is not my father the prince of superabundance
And my mother tranquil laughter?
Did not these two in bond of marriage create
Me, animal of enigmas,
Me, unfriendly light,
Me, prodigal of all wisdom, Zarathustra?
Krank heute vor Zärtlichkeit,
ein Thauwind,
sitzt Zarathustra wartend, wartend auf seinen Bergen,—
im eignen Safte
süss geworden und gekocht,
unterhalb seines Gipfels,
unterhalb seines Eises,
müde und selig,
ein Schaffender an seinem siebenten Tag.
Suffering today from tenderness,
A thawing wind,
Zarathustra waits seated, waits in his mountains —
In his own juice
Becoming sweet and stewed,
Underneath his summit,
Underneath
his ice,
Weary and blissful,
A creator on his seventh day.
— Still!
Eine Wahrheit wandelt über mir
einer Wolke gleich,—
mit unsichtbaren Blitzen trifft sie mich.
Auf breiten langsamen Treppen
steigt ihr Glück zu mir:
komm, komm, geliebte Wahrheit!
Hush!
A truth glides over me
Like a cloud —
It strikes me with invisible lightning.
Its happiness climbs slowly
Unto me by broad stairs:
Come, come, beloved truth!
— Still!
Meine Wahrheit ists!
Aus zögernden Augen,
aus sammtenen Schaudern
trifft mich ihr Blick,
lieblich, bös, ein Mädchenblick ...
Sie errieth meines Glückes Grund,
sie errieth mich—ha! was sinnt sie aus? —
Purpurn lauert ein Drache
im Abgrunde ihres Mädchenblicks.
Hush!
It's my truth!
From demurring eyes,
From velvet shudderings
Its glance strikes at me,
Charming, evil, the glance of a girl ...
She found the base of my happiness
She found me—ha! how did she figure it out? —
A crimson dragon lurks
Within the abyss of her girl-glance.
— Still! Meine Wahrheit redet! Hush! My truth speaks!
Wehe dir, Zarathustra!
Du siehst aus, wie Einer,
der Gold verschluckt hat:
man wird dir noch den Bauch aufschlitzen! ...
Dear you, Zarathustra!
You look like one
Who has swallowed gold:
One day they must slit open your belly! ....
Zu reich bist du,
du Verderber Vieler!
Zu Viele machst du neidisch,
zu Viele machst du arm ...
Mir selber wirft dein Licht Schatten—,
es fröstelt mich: geh weg, du Reicher,
geh, Zarathustra, weg aus deiner Sonne! ...
You are too rich,
You corruptor of many!
You make too many envious,
You make too many poor ...
I am cast into shadow by your light —
I shiver: go away, you rich one,
Go, Zarathustra, away from your sun! ..
Du möchtest schenken, wegschenken deinen Überfluss,
aber du selber bist der überflüssigste.
Sei klug, du Reicher!
Verschenke dich selber erst, oh Zarathustra!
You would like to give, give away your superabundance,
But you yourself are the superfluous one!
Be clever, you rich one!
First give away yourself, oh Zarathustra!
Zehn Jahre dahin—,
und kein Tropfen erreichte dich?
Kein feuchter Wind? kein Thau der Liebe?
Aber wer sollte dich auch lieben,
du überreicher?
Dein Glück macht rings trocken,
macht arm an Liebe
— ein regenloses Land ...
For ten years now —
And no drop has reached you?
No humid wind? no dew of love?
But who ought to love thee as well,
You over-rich-one?
Your happiness creates nothing but aridity,
Makes a dearth of love —
A rainless land ...
Niemand dankt dir mehr,
du aber dankst jedem,
der von dir nimmt:
daran erkenne ich dich,
du überreicher,
du Ärmster aller Reichen!
No one thanks you any longer,
But you thank everyone
Who takes from you:
Hence,
Over-rich-one,
I see you as the poorest of all the rich ones!
Du opferst dich, dich quält dein Reichthum—,
du giebst dich ab,
du schonst dich nicht, du liebst dich nicht:
die grosse Qual zwingt dich allezeit,
die Qual übervoller Scheuern, übervollen Herzens —
aber Niemand dankt dir mehr ...
You sacrifice yourself, your wealth torments you,
You give away yourself,
You don't take care of yourself, you don't love yourself;
Great agony always compels you,
The agony of an overflowing barn, an overabundant heart;
But no one thanks you any longer ...
Du musst ärmer werden,
weiser Unweiser!
willst du geliebt sein.
Man liebt nur die Leidenden,
man giebt Liebe nur dem Hungernden:
verschenke dich selber erst, oh Zarathustra!
You must become poorer,
Unwise wise one!
If you wish to be loved.
One loves only the suffering man,
One gives love only to the hungry man:
First give away yourself, oh Zarathustra!
— Ich bin deine Wahrheit ... — I am your truth ...
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