COPYRIGHT NOTICE: The content of this website, including text and images, is the property of The Nietzsche Channel. Reproduction in any form is strictly prohibited. © The Nietzsche Channel. Ecce Homo Wie man wird, was man ist. 1888. Götzen-Dämmerung. Wie man mit dem Hammer philosophirt.
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Diese Schrift von noch
nicht 150 Seiten, heiter und
verhängnissvoll im Ton, ein Dämon,
welcher lacht , das Werk von so
wenig Tagen, dass ich Anstand nehme, ihre
Zahl zu nennen, ist unter Büchern
überhaupt die Ausnahme: es giebt nichts
Substanzenreicheres, Unabhängigeres,
Umwerfenderes,Böseres. Will man
sich kurz einen Begriff davon geben, wie
vor mir Alles auf dem Kopfe stand, so
mache man den Anfang mit dieser Schrift.
Das, was Götze auf dem Titelblatt
heisst, ist ganz einfach das, was bisher
Wahrheit genannt wurde. Götzen-Dämmerungauf
deutsch: es geht zu Ende mit der alten
Wahrheit ...
2
Es
giebt keine Realität, keine
"Idealität," die in dieser
Schrift nicht berührt würde (
berührt: was für ein vorsichtiger
Euphemismus! ...) Nicht bloss die ewigen
Götzen, auch die allerjüngsten,
folglich altersschwächsten. Die
"modernen Ideen" zum Beispiel.
Ein grosser Wind bläst zwischen den
Bäumen, und überall fallen Früchte
niederWahrheiten. Es ist die
Verschwendung eines allzureichen Herbstes
darin: man stolpert über Wahrheiten, man
tritt selbst einige todt,es sind
ihrer zu viele ...
Was
man aber in die Hände bekommt, das ist
nichts Fragwürdiges mehr, das sind
Entscheidungen. Ich erst habe den
Maassstab für "Wahrheiten" in
der Hand, ich kann erst
entscheiden. Wie als ob in mir ein zweites
Bewusstsein gewachsen wäre, wie als
ob sich in mir "der Wille" ein
Licht angezündet hätte über die schiefe
Bahn, auf der er bisher abwärts lief ...
Die schiefe Bahnman nannte
sie den Weg zur "Wahrheit." ...
Es ist zu Ende mit allem "dunklen
Drang," der gute Mensch
gerade war sich am wenigsten des rechten
Wegs bewusst ... [Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, 328-329: "Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, / Ist sich des rechten Weges wohl bewußt".] Und allen Ernstes,
Niemand wusste vor mir den rechten Weg,
den Weg aufwärts: erst von mir an
giebt es wieder Hoffnungen, Aufgaben,
vorzuschreibende Wege der Culturich
bin deren froher Botschafter ... Eben
damit bin ich auch ein Schicksal.
3
Unmittelbar nach
Beendigung des eben genannten Werks und
ohne auch nur einen Tag zu verlieren,
griff ich die ungeheure Aufgabe der Umwerthung
an, in einem souverainen Gefühl von
Stolz, dem Nichts gleichkommt, jeden
Augenblick meiner Unsterblichkeit gewiss
und Zeichen für Zeichen mit der
Sicherheit eines Schicksals in eherne
Tafeln grabend. Das Vorwort entstand am
3. September 1888: als ich Morgens, nach
dieser Niederschrift, ins Freie trat,
fand ich den schönsten Tag vor mir, den
das Oberengadin mir je gezeigt hatdurchsichtig,
glühend in den Farben, alle Gegensätze,
alle Mitten zwischen Eis und Süden in
sich schliessend. Erst am 20.
September verliess ich Sils-Maria, durch
Überschwemmungen zurückgehalten,
Zuletzt bei weitem der einzige Gast
dieses wunderbaren Orts, dem meine
Dankbarkeit das Geschenk eines
unsterblichen Namens machen will. Nach
einer Reise mit Zwischenfällen, sogar
mit einer Lebensgefahr im überschwemmten
Como, das ich erst tief in der Nacht
erreichte, kam ich am Nachmittag des 21.
in Turin an, meinem bewiesenen
Ort, meiner Residenz von nun an. Ich nahm
die gleiche Wohnung wieder, die ich im
Frühjahr innegehabt hatte, via Carlo
Alberto 6, III, gegenüber dem mächtigen
palazzo Carignano, in dem Vittore
Emanuele geboren ist, mit dem Blick auf
die piazza Carlo Alberto und drüber
hinaus aufs Hügelland. Ohne Zögern und
ohne mich einen Augenblick abziehn zu
lassen, gieng ich wieder an die Arbeit:
es war nur das letzte Viertel des Werks
noch abzuthun. Am 30, September grosser
Sieg; Beendigung der Umwerthung;
Müssiggang eines Gottes am Po entlang.
Am gleichen Tage schrieb ich noch das Vorwort
zur "Götzen-Dämmerung," deren
Druckbogen zu corrigiren meine Erholung
im September gewesen war. Ich habe
nie einen solchen Herbst erlebt, auch nie
Etwas der Art auf Erden für möglich
gehalten,ein Claude Lorrain ins
Unendliche gedacht, jeder Tag von
gleicher unbändiger Vollkommenheit.
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