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Morgenröthe Gedanken über die moralischen Vorurtheile1881. |
Dawn Thoughts on the prejudices of morality.1881. |
Vorrede (1887) |
Preface (1887) |
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In
diesem Buche findet man einen
"Unterirdischen" an der Arbeit, einen
Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden. Man sieht
ihn, vorausgesetzt, dass man Augen für solche
Arbeit der Tiefe hat , wie er langsam,
besonnen, mit sanfter Unerbittlichkeit vorwärts
kommt, ohne dass die Noth sich allzusehr
verriethe, welche jede lange Entbehrung von Licht
und Luft mit sich bringt; man könnte ihn selbst
bei seiner dunklen Arbeit zufrieden nennen.
Scheint es nicht, dass irgend ein Glaube ihn
führt, ein Trost entschädigt? Dass er
vielleicht seine eigne lange Finsterniss haben
will, sein Unverständliches, Verborgenes,
Räthselhaftes, weil er weiss, was er auch haben
wird: seinen eignen Morgen, seine eigne
Erlösung, seine eigne Morgenröthe? ...
Gewiss, er wird zurückkehren: fragt ihn nicht,
was er da unten will, er wird es euch selbst
schon sagen, dieser scheinbare Trophonios und
Unterirdische, wenn er erst wieder "Mensch
geworden" ist. Man verlernt gründlich das
Schweigen, wenn man so lange, wie er, Maulwurf
war, allein war |
In this book you will find an "underground man" at work, a driller, miner, and underminer. [In late 1886/early 1887, Nietzsche had read a French translation of Fyodor Dostoevsky's 1864 novel Notes from the Underground (L'esprit souterrain, traduit et adapté par E. Halpérine et Ch. Morice, Paris, 1886). See the entry for Dostoevsky in Nietzsche's Library.] You will see him, provided that you have eyes for such work of the depths —, how he goes forward, slowly, calmly, with gentle inexorability, without revealing too much of the hardship that is the product of every long deprivation of light and air; you might even call him content with his work in the dark. Does it not seem that some faith is leading him on, some consolation compensating him? That he perhaps might want to have his own protracted darkness, want to be someone incomprehensible, hidden, enigmatic, because he knows what he will also acquire: his own morning, his own redemption, his own dawn? ... Of course, he will return: do not ask him what he wants down there, he will tell you himself, this seeming Trophonius and underground man, once he has "become man" again. One completely unlearns silence when one has been a mole, all alone, for as long as him — — [The source of Nietzsche's book title, Dawn, may lie in his reference to Trophonius, although it's more likely that this 1887 reference merely accentuates the 1881 title. Plutarch, in his De genio Socratis (On the Sign of Socrates), relates the story of Timarchus and his descent into the cave of the oracle of Trophonius. Afterwards, Timarchus "arose at dawn with a radiant countenance." (In German: Plutarch, "Der Schutzgeist des Sokrates." In: Werke. Bd. 33, 1818.) In addition, cf. Pausanius, Description of Greece, IX, 39, 5-14. See the entries for Plutarch and Pausanius in Nietzsche's Library.] |
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In
der That, meine geduldigen Freunde, ich will es
euch sagen, was ich da unten wollte, hier in
dieser späten Vorrede, welche leicht hätte ein
Nachruf, eine Leichenrede werden können: denn
ich bin zurück gekommen und ich bin davon
gekommen. Glaubt ja nicht, dass ich euch zu dem
gleichen Wagnisse auffordern werde! Oder auch nur
zur gleichen Einsamkeit! Denn wer auf solchen
eignen Wegen geht, begegnet Niemandem: das
bringen die "eignen Wege" mit sich.
Niemand kommt, ihm dabei zu helfen; mit Allem,
was ihm von Gefahr, Zufall, Bosheit und
schlechtem Wetter zustösst, muss er allein
fertig werden. Er hat eben seinen Weg für
sich und, wie billig, seine Bitterkeit,
seinen gelegentlichen Verdruss an diesem
"für sich": wozu es zum Beispiel
gehört, zu wissen, dass selbst seine Freunde
nicht errathen können, wo er ist, wohin er geht,
dass sie sich bisweilen fragen werden "wie?
geht er überhaupt? hat er noch einen
Weg?" Damals unternahm ich Etwas, das
nicht Jedermanns Sache sein dürfte: ich stieg in
die Tiefe, ich bohrte in den Grund, ich begann
ein altes Vertrauen zu untersuchen und
anzugraben, auf dem wir Philosophen seit ein paar
Jahrtausenden wie auf dem sichersten Grunde zu
bauen pflegten, immer wieder, obwohl jedes
Gebäude bisher einstürzte ich begann unser Vertrauen
zur Moral zu untergraben. Aber ihr versteht
mich nicht? |
In fact, my patient friends, I'll tell you what I was doing down there, here in this late preface, which could easily have become an obituary, a funeral oration: for I have gotten back and — have gotten away. Do not think that I would call on you to be just as daring! Or even to have the same solitude! For whoever goes his own way in this fashion encounters no one: that's what happens when taking one's "own way." No one comes along to help him; with all that befalls him from threats, accidents, malice and bad weather, he alone must be ready. He has just his own way for himself — and, as is only fair, his own bitterness, his own occasional frustration with this "for himself": including, for example, knowing that even his friends are unable to guess where and whither he is going, that they will sometimes ask themselves, "What? Is he going at all? Does he still have — a way?" — At that time I undertook something that might not be to everyone's taste: I descended into the depths, I drilled into the ground, I began to investigate and to excavate an ancient faith upon which we philosophers have been accustomed to build for a few thousand years, as if upon firm ground — again and again, even though every building up to now has collapsed. I began to undermine our faith in morality. But you do not understand me? |
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Es
ist bisher am schlechtesten über Gut und Böse
nachgedacht worden: es war dies immer eine zu
gefährliche Sache. Das Gewissen, der gute Ruf,
die Hölle, unter Umständen selbst die Polizei
erlaubten und erlauben keine Unbefangenheit; in
Gegenwart der Moral soll eben, wie
Angesichts jeder Autorität, nicht gedacht, noch
weniger geredet werden: hier wird gehorcht!
So lang die Welt steht, war noch keine Autorität
Willens, sich zum Gegenstand der Kritik nehmen zu
lassen; und gar die Moral kritisiren, die Moral
als Problem, als problematisch nehmen: wie? war
das nicht ist das
nicht unmoralisch? Aber die Moral
gebietet nicht nur über jede Art von
Schreckmitteln, um sich kritische Hände und
Folterwerkzeuge vom Leibe zu halten: ihre
Sicherheit liegt noch mehr in einer gewissen
Kunst der Bezauberung, auf die sie sich
versteht, sie weiss zu
"begeistern." Es gelingt ihr, oft mit
einem einzigen Blicke, den kritischen Willen zu
lähmen, sogar zu sich hinüberzulocken, ja es
giebt Fälle, wo sie ihn gegen sich selbst zu
kehren weiss: so dass er sich dann, gleich dem
Skorpione, den Stachel in den eignen Leib sticht.
Die Moral versteht sich eben von Alters her auf
jede Teufelei von Ueberredungskunst: es giebt
keinen Redner, auch heute noch, der sie nicht um
ihre Hülfe angienge (man höre zum Beispiel
selbst unsere Anarchisten reden: wie moralisch
reden sie, um zu überreden! Zuletzt heissen sie
sich selbst noch gar "die Guten und
Gerechten.") Die Moral hat sich eben von
jeher, so lange auf Erden geredet und überredet
worden ist, als die grösste Meisterin der
Verführung bewiesen und, was uns
Philosophen angeht, als die eigentliche Circe
der Philosophen. Woran liegt es doch, dass
von Plato ab alle philosophischen Baumeister in
Europa umsonst gebaut haben? Dass Alles
einzufallen droht oder schon in Schutt liegt, was
sie selber ehrlich und ernsthaft für aere
perennius hielten? Oh wie falsch ist die
Antwort, welche man jetzt noch auf diese Frage
bereit hält, "weil von ihnen Allen die
Voraussetzung versäumt war, die Prüfung des
Fundamentes, eine Kritik der gesammten
Vernunft" jene verhängnissvolle
Antwort Kant's, der damit uns moderne Philosophen
wahrhaftig nicht auf einen festeren und weniger
trüglichen Boden gelockt hat! ( und
nachträglich gefragt, war es nicht etwas
sonderbar, zu verlangen, dass ein Werkzeug seine
eigne Trefflichkeit und Tauglichkeit kritisiren
solle? dass der Intellekt selbst seinen Werth,
seine Kraft, seine Grenzen "erkennen"
solle? war es nicht sogar ein wenig
widersinnig? ) Die richtige Antwort wäre
vielmehr gewesen, dass alle Philosophen unter der
Verführung der Moral gebaut haben, auch
Kant , dass ihre Absicht scheinbar auf
Gewissheit, auf "Wahrheit," eigentlich
aber auf "majestätische sittliche
Gebäude" ausgieng: um uns noch einmal
der unschuldigen Sprache Kant's zu bedienen, der
es als seine eigne "nicht so glänzende,
aber doch auch nicht verdienstlose" Aufgabe
und Arbeit bezeichnet, "den Boden zu jenen
majestätischen sittlichen Gebäuden eben und
baufest zu machen" (Kritik der reinen
Vernunft II, S. 257). Ach, es
ist ihm damit nicht gelungen, im
Gegentheil! wie man heute sagen muss. Kant
war mit einer solchen schwärmerischen Absicht
eben der rechte Sohn seines Jahrhunderts, das
mehr als jedes andere das Jahrhundert der
Schwärmerei genannt werden darf: wie er es,
glücklicher Weise, auch in Bezug auf dessen
werthvollere Seiten geblieben ist (zum Beispiel
mit jenem guten Stück Sensualismus, den er in
seine Erkenntnisstheorie hinübernahm). Auch ihn
hatte die Moral-Tarantel Rousseau gebissen, auch
ihm lag der Gedanke des moralischen Fanatismus
auf dem Grunde der Seele, als dessen Vollstrecker
sich ein andrer Jünger Rousseau's fühlte und
bekannte, nämlich Robespierre, "de
fonder sur la terre l'empire de la sagesse, de la
justice et de la vertu" (Rede vom 7.
Juni 1794). Andererseits konnte man
es, mit einem solchen Franzosen-Fanatismus im
Herzen, nicht unfranzösischer, nicht tiefer,
gründlicher, deutscher treiben wenn das
Wort "deutsch" in diesem Sinne heute
noch erlaubt ist als es Kant getrieben hat:
um Raum für sein "moralisches
Reich" zu schaffen, sah er sich genöthigt,
eine unbeweisbare Welt anzusetzen, ein logisches
"Jenseits," dazu eben hatte er
seine Kritik der reinen Vernunft nöthig! Anders
ausgedrückt: er hätte sie nicht nöthig
gehabt, wenn ihm nicht Eins wichtiger als
Alles gewesen wäre, das "moralische
Reich" unangreifbar, lieber noch ungreifbar
für die Vernunft zu machen, er empfand eben
die Angreifbarkeit einer moralischen Ordnung der
Dinge von Seiten der Vernunft zu stark! Denn
Angesichts von Natur und Geschichte, Angesichts
der gründlichen Unmoralität von Natur
und Geschichte war Kant, wie jeder gute Deutsche
von Alters her, Pessimist; er glaubte an die
Moral, nicht weil sie durch Natur und Geschichte
bewiesen wird, sondern trotzdem dass ihr durch
Natur und Geschichte beständig widersprochen
wird. Man darf sich vielleicht, um dies
"trotzdem dass" zu verstehen, an etwas
Verwandtes bei Luther erinnern, bei jenem andern
grossen Pessimisten, der es einmal mit der ganzen
Lutherischen Verwegenheit seinen Freunden zu
Gemüthe führte: "wenn man durch Vernunft
es fassen könnte, wie der Gott gnädig und
gerecht sein könne, der so viel Zorn und Bosheit
zeigt, wozu brauchte man dann den Glauben?"
Nichts nämlich hat von jeher einen tieferen
Eindruck auf die deutsche Seele gemacht, Nichts
hat sie mehr "versucht," als diese
gefährlichste aller Schlussfolgerungen, welche
jedem rechten Romanen eine Sünde wider den Geist
ist: credo quia absurdum
est: mit ihr tritt die deutsche Logik
zuerst in der Geschichte des christlichen Dogma's
auf; aber auch heute noch, ein Jahrtausend
später, wittern wir Deutschen von heute, späte
Deutsche in jedem Betrachte Etwas von
Wahrheit, von Möglichkeit der Wahrheit
hinter dem berühmten realdialektischen
Grund-Satze, mit welchem Hegel seiner Zeit dem
deutschen Geiste zum Sieg über Europa
verhalf "der Widerspruch bewegt die
Welt, alle Dinge sind sich selbst
widersprechend" : wir sind eben, sogar
bis in die Logik hinein, Pessimisten. |
Up to now, it is good and evil that has been reflected on in the worst way: this was always too dangerous a subject. Conscience, good reputation, hell, in certain circumstances even the police, have not and do not permit impartiality; in the presence of morality, as in the face of all authority, one is not even supposed to think, let alone speak: here one shall — obey! As long as the world has existed, no authority has even been willing to permit itself to be the object of criticism; and to criticize morality at all — to take up morality as a problem, as problematic: what? was that not — is that not — immoral? — But morality has at its disposal not just any kind of scarecrow to keep critical hands and instruments of torture away from its body: it's security lies even more in a certain art of enchantment at which it is skilled, — it knows how to "inspire." It often succeeds in paralyzing the critical will with a single glance, even enticing it over to itself, indeed there are cases in which it knows how to turn it against itself: so that it then, like the scorpion, stings its own body. Morality has for ages been acquainted with every devilish trick of the art of persuasion: there is no orator, even today, who does not engage with it for assistance (just listen, for example, to our anarchists: how morally they speak in order to persuade! In the end, they sometimes even call themselves "the good and the just"). As long as there has been discourse and persuasion on earth, morality has just shown itself to be the greatest mistress of seduction — and, as far as we philosophers are concerned, the actual Circe of philosophers. Yet why is it that, from Plato onwards, every philosophical architect in Europe has built in vain? That everything which they themselves honestly and earnestly considered as aere perennius is under threat of collapsing or already lies in ruins? [Cf. Horace, Odes 3.30: "Exegi monumentum aere perennius" (I have finished a monument more enduring than bronze). In, e.g., Nietzsche's copy of Horace in Latin/German trans. Horace, Theodor Obbarius, hrsg., Horatii Opera Omnia. Pars I. Odarum et Epodorum Libri. Horaz' sämmtliche Werke. 1. Theil. Oden und Epoden. Paderborn: Schöningh, 1872, 91.] Oh how false is the answer, which even today one still has at the ready, to that question, "because they had all neglected the presupposition of it, the examination of the foundation, a critique of reason as a whole" — that fateful answer of Kant, which has actually not thereby enticed us modern philosophers to firmer and less treacherous ground! (— and then asked wasn't it somewhat odd to require that a tool should criticize its own excellence and suitability? that the intellect itself should "recognize" its value, its power, its limits? was it not even a little absurd? —) The correct answer would rather have been that all philosophers have built under the seduction of morality, even Kant —, that their apparent intention was to aim at certainty, at "truth," but in reality at "majestic moral edifices": to use once again Kant's innocent language, who describes it as his own "not so glittering, but yet also not undeserving" task and work to level and solidify the ground for these majestic moral edifices" (Critique of Pure Reason II, S. 257). [Nietzsche refers to Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. In: Sämmtliche Werke. Hrsg. von Karl Rosenkranz und Friedrich Wilhelm Schubert. Bd. 2. Leipzig: Voss, 1838, 257.] Alas, he did not succeed with this, on the contrary! — as we have to admit today. With such an enthusiastic aim, Kant was just the true son of his century, which more than any other can be called the century of enthusiasm: as he fortunately remained, including in regard to its more valuable aspects (for example, with that good piece of sensism [Sensualismus], which he took over into his theory of knowledge). He too had been bitten by the moral tarantula Rousseau, he too was suited to the idea of moral fanaticism in the depths of his soul, as its executor, another disciple of Rousseau, was and had confessed, namely Robespierre, "de fonder sur la terre l'empire de la sagesse, de la justice et de la vertu" (speech of June 7, 1794). ["To found the empire of wisdom, justice and virtue on earth." Nietzsche quotes from Edmond Scherer, Etudes sur la littérature contemporaine. Bd. 8. Paris: 1885, 79.] On the other hand, with such French fanaticism in his heart, one could not cultivate it in a less French, less profound, more thorough, more German way — if the word "German" is still permitted in this sense today — than Kant has: in order to create room for his "moral empire," he was compelled to recognize an undemonstrable world, a logical "beyond," — and that's why he needed his Critique of Pure Reason! In other words: he would not have needed it, if one thing would not have been more important than everything, to make that "moral empire" unassailable, even more to make it incomprehensible to reason, — for he felt the moral order of things was just too vulnerable to reason! For in the face of nature and history, in the face of the thorough immorality of nature and history, Kant was, like any good German from time immemorial, a pessimist; he believed in morality, not because it is demonstrated by nature and history, but in spite of the fact that it is consistently contradicted by nature and history. In order to understand this "in spite of the fact that," you may perhaps remember something similar in Luther, that other great pessimist who with all of his Lutheran audacity once conveyed to his friends: "If one could grasp by reason how God could be merciful and just and show so much wrath and malice, then what would one need of faith?" [Nietzsche quotes from the German translation of William Hartpole Lecky's History of the Rise and Influence of the Spirit of Rationalism in Europe. See his annotated copy of Geschichte des Ursprungs und Einflusses der Aufklärung in Europa. Deutsch von Dr. H. Jolowicz. Bd. 1. Leipzig: Winter, 1873, 301. See New Sources of Nietzsche's Reading: William Edward Hartpole Lecky in Nietzsche's Library.] For nothing has for ages made a deeper impression upon the German soul, nothing has "tempted" it more than this most dangerous of all conclusions, which to every real Roman was a sin against the spirit: credo quia absurdum est [I believe it because it is absurd]:— with it German logic first entered the history of Christian dogma; but even today, a thousand years later, we Germans of today, late Germans in every respect — still sense something of the truth, of the possibility of the truth behind the celebrated real-dialectical principle, with which Hegel in his day helped the German spirit to conquer Europe — "contradiction moves the world; all things contradict themselves" —: we are just, even in logic as well, pessimists. [Nietzsche quotes Friedrich Reiff, Über die Hegel'sche Dialektik. Tübingen: Laupp, 1866, 6. See New Sources of Nietzsche's Reading: Jakob Friedrich Reiff. In: Nietzsche's Library.] |
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Aber nicht die logischen Werthurtheile sind die untersten und gründlichsten, zu denen die Tapferkeit unsers Argwohns hinunterkann: das Vertrauen auf die Vernunft, mit dem die Gültigkeit dieser Urtheile steht und fällt, ist, als Vertrauen, ein moralisches Phänomen ... Vielleicht hat der deutsche
Pessimismus seinen letzten Schritt noch zu thun?
Vielleicht muss er noch Ein Mal auf eine
furchtbare Weise sein Credo und sein Absurdum
neben einander stellen? Und wenn dies Buch
bis in die Moral hinein, bis über das Vertrauen
zur Moral hinweg pessimistisch ist, sollte
es nicht gerade damit ein deutsches Buch sein?
Denn es stellt in der That einen Widerspruch dar
und fürchtet sich nicht davor: in ihm wird der
Moral das Vertrauen gekündigt warum doch? Aus
Moralität! Oder wie sollen wir's heissen,
was sich in ihm in uns begiebt?
denn wir würden unsrem Geschmacke nach
bescheidenere Worte vorziehn. Aber es ist kein
Zweifel, auch zu uns noch redet ein "du
sollst," auch wir noch gehorchen einem
strengen Gesetze über uns, und dies ist die
letzte Moral, die sich auch uns noch hörbar
macht, die auch wir noch zu leben wissen,
hier, wenn irgend worin, sind auch wir noch Menschen
des Gewissens: dass wir nämlich nicht wieder
zurückwollen in Das, was uns als überlebt und
morsch gilt, in irgend etwas
"Unglaubwürdiges," heisse es nun Gott,
Tugend, Wahrheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe;
dass wir uns keine Lügenbrücken zu alten
Idealen gestatten; dass wir von Grund aus Allem
feind sind, was in uns vermitteln und mischen
möchte; feind jeder jetzigen Art Glauben und
Christlichkeit; feind dem Halb- und Halben aller
Romantik und Vaterländerei; feind auch der
Artisten-Genüsslichkeit,
Artisten-Gewissenlosigkeit, welche uns überreden
möchte, da anzubeten, wo wir nicht mehr
glauben denn wir sind Artisten ; feind,
kurzum, dem ganzen europäischen Femininismus
(oder Idealismus, wenn man's lieber hört), der
ewig "hinan zieht" und ewig gerade
damit "herunter bringt": allein
als Menschen dieses Gewissens fühlen wir
uns noch verwandt mit der deutschen
Rechtschaffenheit und Frömmigkeit von
Jahrtausenden, wenn auch als deren fragwürdigste
und letzte Abkömmlinge, wir Immoralisten, wir
Gottlosen von heute, ja sogar, in gewissem
Verstande, als deren Erben, als Vollstrecker
ihres innersten Willens, eines pessimistischen
Willens, wie gesagt, der sich davor nicht
fürchtet, sich selbst zu verneinen, weil er mit Lust
verneint! In uns vollzieht sich, gesetzt, dass
ihr eine Formel wollt, die
Selbstaufhebung der Moral. — — |
Logical value judgments, however, are not the deepest and most fundamental to which the courage of our distrust can descend: the faith in reason, with which the validity of these judgments stands or falls, is, as faith, a moral phenomenon ... Perhaps German pessimism has yet to take its last step? Perhaps it once again has to set its credo and its absurdum beside each other in a terrible manner? And if this book is pessimistic in regard to morality, to the point of being beyond faith in morality, — should it not for this very reason be a German book? For, in fact, it portrays a contradiction and does not fear it: in it the faith in morality is withdrawn — but why? Out of morality! Or what should we call it, that which is going on within it — in us? for our taste prefers more modest expressions. But there is no doubt that a "thou shalt" still speaks to us as well, we too still obey a strict law above us, — and this is the ultimate morality, which still makes itself audible to us, which we too know how to live; here, if anywhere at all, we are still men of conscience: namely in that we do not want to return to that which we deem to be outlived and decayed, to anything "beyond belief," ["Unglaubwürdiges"] be it called god, virtue, truth, justice, charity; that we do not permit ourselves any bridge-of-lies to ancient ideals; [Cf. "Nur Narr! Nur Dichter!" (Only Fool! Only Poet!): "Nur Narr! Nur Dichter! / Nur Buntes redend, / aus Narrenlarven bunt herausredend, / herumsteigend auf lügnerischen Wortbrücken, ..." (Only fool! Only poet! / Merely speaking colorfully, / From fools' masks shouting colorfully, / Climbing about on deceptive word-bridges, ...). In: Dionysos-Dithyramben (Dionysus-Dithyrambs).] that we are thoroughly hostile to everything that wants to mediate and meddle with us; [Cf. Also sprach Zarathustra, 3. "Vor Sonnen-Aufgang": "Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen." (We are aggrieved by these mediators and meddlers, the passing clouds: these half-and-halves that have learned neither to bless nor to curse thoroughly.) Also see Nachlass, Sommer 1883 13[13].] hostile to every kind of faith and Christianness existing today; hostile to the half-and-halves of all romanticism and fatherlandishness; hostile too to the contentedness and lack of conscience of artists which would like to persuade us to worship where we no longer believe — for we are artists —; hostile, in short, to all of European feminism (or idealism, if one prefers that word), which is forever "drawing one upward" [Cf. Johann Wolfgang von Goethe, Faust, 12110f: ""Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan." (The Eternal-Feminine / Draws us upward.) In: Goethe's sämmtliche Werke in vierzig Bänden. Bd. 12. Stuttgart; Augsburg: Cotta, 1856, 310.] and precisely for this reason forever "bringing one down": — only as men of this conscience do we still feel ourselves related to the German righteousness and piety of millennia, even if as its most questionable and final descendants, we immoralists, we godless men of today, and even, in some sense as its heirs, as the executors of its innermost will, a pessimistic will, as I said, which is not afraid of denying itself, because it denies with joy! In us is being fulfilled, supposing that you want a formula, — the self-cancellation of morality. — — |
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Zuletzt aber: wozu müssten wir Das, was wir
sind, was wir wollen und nicht wollen, so laut
und mit solchem Eifer sagen? Sehen wir es
kälter, ferner, klüger, höher an, sagen wir
es, wie es unter uns gesagt werden darf, so
heimlich, dass alle Welt es überhört, dass alle
Welt uns überhört! Vor Allem sagen wir
es langsam ... Diese Vorrede kommt spät,
aber nicht zu spät, was liegt im Grunde an
fünf, sechs Jahren? Ein solches Buch, ein
solches Problem hat keine Eile; überdies sind
wir Beide Freunde des lento, ich
ebensowohl als mein Buch. Man ist nicht umsonst
Philologe gewesen, man ist es vielleicht noch das
will sagen, ein Lehrer des langsamen
Lesens: endlich schreibt man auch langsam.
Jetzt gehört es nicht nur zu meinen
Gewohnheiten, sondern auch zu meinem
Geschmacke einem boshaften Geschmacke
vielleicht? Nichts mehr zu schreiben, womit
nicht jede Art Mensch, die "Eile hat,"
zur Verzweiflung gebracht wird. Philologie
nämlich ist jene ehrwürdige Kunst, welche von
ihrem Verehrer vor Allem Eins heischt, bei Seite
gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam
werden , als eine Goldschmiedekunst und
-kennerschaft des Wortes, die lauter feine
vorsichtige Arbeit abzuthun hat und Nichts
erreicht, wenn sie es nicht lento
erreicht. Gerade damit aber ist sie heute
nöthiger als je, gerade dadurch zieht sie und
bezaubert sie uns am stärksten, mitten in einem
Zeitalter der "Arbeit," will sagen: der
Hast, der unanständigen und schwitzenden
Eilfertigkeit, das mit Allem gleich "fertig
werden" will, auch mit jedem alten und neuen
Buche: sie selbst wird nicht so leicht
irgend womit fertig, sie lehrt gut lesen,
das heisst langsam, tief, rück- und vorsichtig,
mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Thüren,
mit zarten Fingern und Augen lesen ... Meine
geduldigen Freunde, dies Buch wünscht sich nur
vollkommene Leser und Philologen: lernt
mich gut lesen! |
— But, in the end, why do we have to say so loudly and with so much fervor what we are, what we want and do not want? Let us view it more coldly, from a distance, more wisely, from a height, let us say it as it would be said among ourselves, so secretly that the whole world does not hear about it, that the whole world does not hear us! Above all, let us say it slowly ... This preface is late but not too late: what, ultimately, do five or six years matter? Such a book, such a problem is in no hurry; moreover, we are both friends of the lento, I just as much as my book. [Cf. Jenseits von Gute und Böse (Beyond Good and Evil), §256: "... eines vornehmen tempo, eines lento ..." (... a noble tempo, a lento ...).] It is not for nothing that one has been a philologist, perhaps one is still a philologist, that is to say, a teacher of slow reading: — in the end one also writes slowly. Now it is not only my habit, but also my taste — a malicious taste, perhaps? — no longer to write anything which does not bring every kind of person who "is in a hurry" to despair. For philology is that venerable art which demands of its devotees one thing above all, to go aside, to take one's time, become silent, become slow — for a goldsmith's art and connoisseurship of the word, which has nothing but delicate, cautious work to do, achieves nothing if it does not achieve it lento. But for precisely this reason it is more necessary than ever today, by precisely this means does it entice and enchant us the most, in the midst of an age of "work," that is to say: an age of hurry, of indecent and perspiring haste, which wants everything "to get done" at once, including every old or new book: — it itself does not so easily get anything done, it teaches to read well, which means slowly, deeply, carefully and considerately, with reservations, with doors left open, with delicate fingers and eyes ... My patient friends, this book wants for itself nothing but perfect readers and philologists: learn to read me well! — |
Ruta bei Genua,
im Herbst des Jahres 1886. |
Ruta near Genoa,
in the autumn of the year 1886. |
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