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Der Fall Wagner
Ein Musikanten-Problem.1888.
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The
Case of Wagner
A Musician's Problem.1888.
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Sie sehen bereits, wie sehr mich diese Musik verbessert?— Il faut méditerraniser la musique: ich habe Gründe zu dieser Formel (Jenseits von Gut und Böse, S. 220 [§255]). Die Rückkehr zur Natur, Gesundheit, Heiterkeit, Jugend, Tugend!— Und doch war ich Einer der corruptesten Wagnerianer ... Ich war im Stande, Wagnern ernst zu nehmen ... Ah dieser alte Zauberer! was hat er uns Alles vorgemacht! Das Erste, was seine Kunst uns anbietet, ist ein Vergrösserungsglas: man sieht hinein, man traut seinen Augen nicht—Alles wird gross, selbst Wagner wird gross ... Was für eine kluge Klapperschlange! Das ganze Leben hat sie uns von "Hingebung," von "Treue," von "Reinheit" vorgeklappert, mit einem Lobe auf die Keuschheit zog sie sich aus der verderbten Welt zurück!— Und wir haben's ihr geglaubt ... |
You begin to see how much this
music improves me?— Il faut
méditerraniser la musique [music should be
Mediterraneanized]:
I have reasons for this formula (Beyond Good and Evil, p. 220 [§255]). The return to nature, health, cheerfulness, youth, virtue!— And yet I was one of the most
corrupted Wagnerians ... I was capable of taking Wagner
seriously ... Ah this old magician! how much he imposed
upon us! The first thing his art offers us is a
magnifying glass: one looks through it, one does not
trust one's own eyes—everything looks big, even
Wagner ... What a clever rattlesnake! It has filled
our whole life with its rattling about
"devotion," about "loyalty," about
"purity," with its praise of chastity it
withdrew from the corrupted world!— And we
believed it in all these things ... |
— Aber Sie hören mich nicht? Sie ziehen selbst das Problem Wagner's dem Bizet's vor? Auch ich unterschätze es nicht, es hat seinen Zauber. Das Problem der Erlösung ist selbst ein ehrwürdiges Problem. Wagner hat über Nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgend wer will bei ihm immer erlöst sein: bald ein Männlein, bald ein Fräulein —dies ist sein Problem.— Und wie reich er sein Leitmotiv variirt! Welche seltenen, welche tiefsinnigen Ausweichungen! Wer lehrte es uns, wenn nicht Wagner, dass die Unschuld mit Vorliebe interessante Sünder erlöst? (der Fall im Tannhäuser) Oder dass selbst der ewige Jude erlöst wird, sesshaft wird, wenn er sich verheirathet? (der Fall im Fliegenden Holländer) Oder dass alte verdorbene Frauenzimmer es vorziehn, von keuschen Jünglingen erlöst zu werden? (der Fall Kundry) Oder dass schöne Mädchen am liebsten durch einen Ritter erlöst werden, der Wagnerianer ist? (der Fall in den Meistersingern) Oder dass auch verheirathete Frauen gerne durch einen Ritter erlöst werden? (der Fall Isoldens) Oder dass "der alte Gott," nachdem er sich moralisch in jedem Betracht compromittirt hat, endlich durch einen Freigeist und Immoralisten erlöst wird? (der Fall im "Ring") Bewundern Sie in Sonderheit diesen letzten Tiefsinn! Verstehn Sie ihn? Ich—hüte mich, ihn zu verstehn ... Dass man noch andre Lehren aus den genannten Werken ziehn kann, möchte ich eher beweisen als bestreiten. Dass man durch ein Wagnerisches Ballet zur Verzweiflung gebracht werden kann—und zur Tugend! (nochmals der Fall Tannhäusers) Dass es von den schlimmsten Folgen sein kann, wenn man nicht zur rechten Zeit zu Bett geht (nochmals der Fall Lohengrins). Dass man nie zu genau wissen soll, mit wem man sich eigentlich verheiratet (zum dritten Mal der Fall Lohengrins)—Tristan und Isolde verherrlichen den vollkommnen Ehegatten, der, in einem gewissen Falle, nur Eine Frage hat: "aber warum habt ihr mir das nicht eher gesagt? Nichts einfacher als das!" Antwort: | — But you do not hear me?
You, too, prefer Wagner's problem to
Bizet's? I, too, do not underestimate it, it has
it's peculiar magic. The problem of redemption is
certainly a venerable problem. There is nothing about
which Wagner has thought more deeply than redemption: his
opera is the opera of redemption. Somebody or other
always wants to be redeemed in his work: one moment a
young man, the next a young woman—this is his
problem.— And how richly he varies his
leitmotif! What rare, what profound modulations [Ausweichungen]! Who if
not Wagner would teach us that innocence has a preference
for redeeming interesting sinners? (The case in
Tannhäuser.) Or that even the eternal Jew is redeemed, settles
down, when he marries? (The case in the Flying
Dutchman.) Or that old corrupted females prefer to be
redeemed by chaste young men? (The case of Kundry.) Or
that beautiful maidens love best to be redeemed by a
knight who is a Wagnerian? (The case in the
Meistersinger.) Or that even married women like to be
redeemed by a knight? (The case of Isolde.) Or that
"the old God," after having compromised himself
morally in every respect, is at last redeemed by a free
spirit and immoralist? (The case in the
"Ring.") Admire especially this last
profundity! Do you understand it? I—guard against
understanding it ... That it
is possible to draw yet other lessons from the works
above mentioned, I am much more ready to prove than to
dispute. That one may be driven by a Wagnerian ballet to
desperation—and to virtue! (Once again the
case in Tannhäuser.) That not going to bed at the right
time may be followed by the worst consequences (once
again the case of Lohengrin). That one can never be too
sure of the spouse one actually marries (for the third
time, the case of Lohengrin).— Tristan and Isolde
glorifies the perfect husband who, in a certain case, can
ask only one question: "But why have you not told me
this before? Nothing could be simpler than that!"
Answer: |
"Das kann ich dir nicht sagen; und was du frägst, das kannst du nie erfahren."
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"That I cannot tell you;
and what you ask,
that you will never learn."
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Der Lohengrin enthält eine feierliche In-Acht-Erklärung des Forschens und Fragens. Wagner vertritt damit den christlichen Begriff "du sollst und musst glauben." Es ist ein Verbrechen am Höchsten, am Heiligsten, wissenschaftlich zu sein ... Der fliegende Holländer predigt die erhabne Lehre, dass das Weib auch den Unstätesten festmacht, Wagnerisch geredet, "erlöst." Hier gestatten wir uns eine Frage. Gesetzt nämlich, dies wäre wahr, wäre es damit auch schon wünschenswerth?— Was wird aus dem "ewigen Juden," den ein Weib anbetet und festmacht? Er hört bloss auf, ewig zu sein; er verheirathet sich, er geht uns Nichts mehr an.— In's Wirkliche übersetzt: die Gefahr der Künstler, der Genie's—und das sind ja die "ewigen Juden"—liegt im Weibe: die anbetenden Weiber sind ihr Verderb. Fast Keiner hat Charakter genug, um nicht verdorben—"erlöst" zu werden, wenn er sich als Gott behandelt fühlt:—er condescendirt alsbald zum Weibe.— Der Mann ist feige vor allem Ewig-Weiblichen: das wissen die Weiblein.— In vielen Fällen der weiblichen Liebe, und vielleicht gerade in den berühmtesten, ist Liebe nur ein feinerer Parasitismus, ein Sich-Einnisten in eine fremde Seele, mitunter selbst in ein fremdes Fleisch—ach! wie sehr immer auf "des Wirthes" Unkosten! — — |
Lohengrin contains a solemn ban upon all investigation
and questioning. In this way Wagner stood for the
Christian concept, "Thou must and shalt
believe." It is a crime against the highest and the
holiest to be scientific ... The Flying Dutchman preaches
the sublime doctrine that woman makes even the most
restless man stable [das
Weib auch den Unstätesten festmacht], to put it
in Wagnerian terms, "redeems." Here we venture
to ask a question. Supposing that this were true, would
it therefore be desirable?— What becomes of the
"eternal Jew" whom a female adores and makes
stable [festmacht]?
He merely ceases to be eternal; he marries, he concerns
us no longer.— Translated into reality: the danger
for the artist, for the genius—and these are of
course the "eternal Jews"—resides in the
female: adoring females are their ruin. Scarcely
anyone has sufficient character not to be
corrupted—"redeemed" when he finds himself
treated as a God:—he then immediately condescends
to the female.— Man is cowardly in the face of all
that is eternally feminine: the little women know
that.— In many cases of woman's love, and
perhaps precisely in the most famous ones, love is no
more than a refined form of parasitism, a making
one's nest in another's soul, sometimes even in
another's flesh—oh! how constantly at the
expense of the "host"! — — |
Man kennt das Schicksal Goethe's im moralinsauren altjungfernhaften Deutschland. Er war den Deutschen immer anstössig, er hat ehrliche Bewunderer nur unter Jüdinnen gehabt. Schiller, der "edle" Schiller, der ihnen mit grossen Worten um die Ohren schlug,—der war nach ihrem Herzen. Was warfen sie Goethen vor? Den "Berg der Venus"; und dass er venetianische Epigramme gedichtet habe. Schon Klopstock hielt ihm eine Sittenpredigt; es gab eine Zeit, wo Herder, wenn er von Goethe sprach, mit Vorliebe das Wort "Priap" gebrauchte. Selbst der Wilhelm Meister galt nur als Symptom des Niedergangs, als moralisches "Auf-den-Hund-Kommen." Die "Menagerie von zahmem Vieh," die "Nichtswürdigkeit" des Helden darin erzürnte zum Beispiel Niebuhrn: der endlich in eine Klage ausbricht, welche Biterolf hätte absingen können: "Nichts macht leicht einen schmerzlicheren Eindruck, als wenn ein grosser Geist sich seiner Flügel beraubt und seine Virtuosität in etwas weit Geringerem sucht, indem er dem Höheren entsagt" ... Vor Allem aber war die höhere Jungfrau empört: alle kleinen Höfe, alle Art "Wartburg" in Deutschland bekreuzte sich vor Goethe, vor dem "unsauberen Geist" in Goethe.— Diese Geschichte hat Wagner in Musik gesetzt. Er erlöst Goethe, das versteht sich von selbst; aber so, dass er, mit Klugheit, zugleich die Partei der höheren Jungfrau nimmt. Goethe wird gerettet:—ein Gebet rettet ihn, eine höhere Jungfrau zieht ihn hinan ... | We know the fate of Goethe in old-maidish
moraline-corroded Germany. He was always offensive to
Germans, he found honest admirers only among Jewesses.
Schiller, "noble" Schiller, who cried grand
words into their ears—he was after their own
heart. What did they reproach Goethe with? With the
"Mount of Venus"; and with having composed
Venetian epigrams. Even Klopstock preached him a moral
sermon; there was a time when Herder was fond of using
the word "Priapus" when he spoke of Goethe.
Even Wilhelm Meister was only considered as a symptom of
decline, as a moral "going to the dogs." The
"menagerie of tame cattle," the
"worthlessness" of the hero in this book
revolted, for example, Niebuhr: who finally burst out in
a lament which Biterolf might well have sung:
"Nothing so easily makes a painful impression as
when a great mind deprives itself of its wings and
strives for its virtuosity in something greatly inferior,
while it renounces the higher" ... But the
most indignant of all was the higher maiden: all small
courts, all kinds of "Wartburgs" in Germany
made the sign of the cross at the sight of Goethe, at the
"unclean spirit" in Goethe.— This
history was what Wagner set to music. He redeems
Goethe, that goes without saying; but he does so in such
a clever way that he also takes the side of the higher
maiden. Goethe gets redeemed:—a
prayer redeems him, a higher maiden draws him upward
... |
— Was Goethe über Wagner gedacht haben würde?— Goethe hat sich einmal die Frage vorgelegt, was die Gefahr sei, die über allen Romantikern schwebe: das Romantiker-Verhängniss. Seine Antwort ist: "am Wiederkäuen sittlicher und religiöser Absurditäten zu ersticken." [Goethes Brief an Karl Friedrich Zelter vom 20.10.1831: "so erstickte doch Friedrich Schlegel am Wiederkäuen sittlicher und religiöser Absurditäten, die er auf seinem unbehaglichen Lebensgange gern mitgeteilt und ausgebreitet hätte; deshalb er sich in den Katholizismus flüchtete."] Kürzer: Parsifal— — Der Philosoph macht dazu noch einen Epilog. Heiligkeit—das Letzte vielleicht, was Volk und Weib von höheren Werthen noch zu Gesicht bekommt, der Horizont des Ideals für Alles, was von Natur myops ist. Unter Philosophen aber, wie jeder Horizont, ein blosses Nichtverständniss, eine Art Torschluss vor dem, wo ihre Welt erst beginnt—ihre Gefahr, ihr Ideal, ihre Wünschbarkeit ... Höflicher gesagt: la philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la sainteté.— | — What Goethe might have
thought of Wagner?— Goethe once asked himself what
danger threatened all romantics: the fatality of
romanticism. His answer was: "suffocating of the
rumination of moral and religious absurdities." [Goethe, Letter to Karl
Friedrich Zelter, Oct. 20, 1831: "Friedrich Schlegel
finally suffocated from his rumination of ethical and
religious absurdities which he would have liked to spread
during the course of his uncomfortable life, wherefore he
fled into Catholicism."] In brief: Parsifal— — The philosopher
adds an epilogue to this. Holiness—perhaps
the last thing the people and women still get to see of
higher values, the horizon of the ideal for all who are
by nature myopic. But among philosophers this is, like
every horizon, a mere case of lack of understanding, a
sort of shutting the gate at the point where their
world only begins—their danger, their
ideal, their desirability ... To say it more
politely: la philosophie ne suffit pas au grand
nombre. Il lui faut la sainteté.— [Philosophy is not suited for
the masses. What they need is holiness. From Ernst
Renan's Histoire des origines du Christianisme. Livre premier. Vie de Jésus. Paris: Michel Lévy fréres: 1867, 467-468: "Par notre
extrême délicatesse dans l'emploi des moyens de
conviction, par notre sincérité absolue et notre amour
désintéressé de l'idée pure, nous avons fondé,
nous tous qui avons voué notre vie à la science, un
nouvel idéal de moralité. Mais les appréciations de
l'histoire générale ne doivent pas se renfermer
dans des considérations de mérite personnel.
Marc-Aurèle et ses nobles maîtres ont été sans action
durable sur le monde. Marc-Aurèle laisse après lui des
livres délicieux, un fils exécrable, un monde qui
s'en va. Jésus reste pour l'humanité un
principe inépuisable de renaissances morales. La
philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la
sainteté. Un Apollonis de Tyane, avec sa légende
miraculous, devait avoir plus de succès qu'un
Socrate, avec sa froide raison. 'Socrate,'
disait-on, laisse les hommes sur la terre, Apollonius les
transporte au ciel; Socrate n'est qu'un sage,
Apollonius est un dieu.' La religion, jusqu'à
nos jours, n'a pas existé sans une part
d'ascétime, de piété, de merveilleux. Quand on
voulet, après les Antonins, faire une religion de la
philosphie, il fallut transformer les philosophes en
saints, écrire la 'Vie édifiante' de
Pythagore et de Plotin, leur prêter une légende, des
vertus d'abstinence et de contemplation, des
pouvoirs surnaturels, sans lesquels on ne trouvait près
du siècle ni créance ni autorité." (By our
extreme delicacy in the use of means of conviction, by
our absolute sincerity and our disinterested love of the
pure idea, we have founded—all we who have devoted
our lives to science—a new ideal of morality. But
the judgment of general history ought not to be
restricted to considerations of personal merit. Marcus
Aurelius and his noble teachers have had no permanent
influence on the world. Marcus Aurelius left behind him
delightful books, an execrable son, and a decaying
nation. Jesus remains an inexhaustible principle of moral
regeneration for humanity. Philosophy is not suited for
the masses. What they need is holiness. An Apollonius of
Tyana, with his miraculous legend, is necessarily more
successful than a Socrates with his cold reason.
'Socrates,' it was said, 'leaves men on
the earth, Apollonius transports them to heaven; Socrates
is but a sage, Apollonius is a god.' [Philostratus, Life
of Apollonius, i. 2, vii. 11, viii. 8, Unspius, Lives
of the Sophists, 454, 500.] Religion, so far, has not
existed without a share of asceticism, of piety, of the
marvelous. When it was wished, after the Antonines, to
make a religion of philosophy, it was requisite to
transform the philosophers into saints, to write the
'edifying life' of Pythagoras or Plotinus, to
attribute to them a legend, virtues of abstinence and
contemplation, supernatural powers, without which neither
credence nor authority were found in that age.) Cf. Nachlass,
November 1887—März 1888 11 [402].] |
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