Published Works | Der Fall Wagner | The Case of Wagner | Dual Text: Teil 3 / Part 3 © The Nietzsche Channel
Der Fall Wagner
Vorwort
Teil 1Teil 2
Teil 3Teil 4
Teil 5Teil 6
Teil 7Teil 8
Teil 9Teil 10
Teil 11Teil 12
Nachschrift
Zweite Nachschrift
Epilog
 
 
The Case of Wagner
Preface
Part 1Part 2
Part 3Part 4
Part 5Part 6
Part 7Part 8
Part 9Part 10
Part 11Part 12
Postscript
Second Postscript
Epilogue
 

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Der Fall Wagner
Ein Musikanten-Problem.

1888.

The Case of Wagner
A Musician's Problem.

1888.

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Sie sehen bereits, wie sehr mich diese Musik verbessert?— Il faut méditerraniser la musique: ich habe Gründe zu dieser Formel (Jenseits von Gut und Böse, S. 220 255]). Die Rückkehr zur Natur, Gesundheit, Heiterkeit, Jugend, Tugend!— Und doch war ich Einer der corruptesten Wagnerianer ... Ich war im Stande, Wagnern ernst zu nehmen ... Ah dieser alte Zauberer! was hat er uns Alles vorgemacht! Das Erste, was seine Kunst uns anbietet, ist ein Vergrösserungsglas: man sieht hinein, man traut seinen Augen nicht—Alles wird gross, selbst Wagner wird gross ... Was für eine kluge Klapperschlange! Das ganze Leben hat sie uns von "Hingebung," von "Treue," von "Reinheit" vorgeklappert, mit einem Lobe auf die Keuschheit zog sie sich aus der verderbten Welt zurück!— Und wir haben's ihr geglaubt ...

You begin to see how much this music improves me?— Il faut méditerraniser la musique [music should be Mediterraneanized]: I have reasons for this formula (Beyond Good and Evil, p. 220 255]). The return to nature, health, cheerfulness, youth, virtue!— And yet I was one of the most corrupted Wagnerians ... I was capable of taking Wagner seriously ... Ah this old magician! how much he imposed upon us! The first thing his art offers us is a magnifying glass: one looks through it, one does not trust one's own eyes—everything looks big, even Wagner ... What a clever rattlesnake! It has filled our whole life with its rattling about "devotion," about "loyalty," about "purity," with its praise of chastity it withdrew from the corrupted world!— And we believed it in all these things ...

— Aber Sie hören mich nicht? Sie ziehen selbst das Problem Wagner's dem Bizet's vor? Auch ich unterschätze es nicht, es hat seinen Zauber. Das Problem der Erlösung ist selbst ein ehrwürdiges Problem. Wagner hat über Nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgend wer will bei ihm immer erlöst sein: bald ein Männlein, bald ein Fräulein —dies ist sein Problem.— Und wie reich er sein Leitmotiv variirt! Welche seltenen, welche tiefsinnigen Ausweichungen! Wer lehrte es uns, wenn nicht Wagner, dass die Unschuld mit Vorliebe interessante Sünder erlöst? (der Fall im Tannhäuser) Oder dass selbst der ewige Jude erlöst wird, sesshaft wird, wenn er sich verheirathet? (der Fall im Fliegenden Holländer) Oder dass alte verdorbene Frauenzimmer es vorziehn, von keuschen Jünglingen erlöst zu werden? (der Fall Kundry) Oder dass schöne Mädchen am liebsten durch einen Ritter erlöst werden, der Wagnerianer ist? (der Fall in den Meistersingern) Oder dass auch verheirathete Frauen gerne durch einen Ritter erlöst werden? (der Fall Isoldens) Oder dass "der alte Gott," nachdem er sich moralisch in jedem Betracht compromittirt hat, endlich durch einen Freigeist und Immoralisten erlöst wird? (der Fall im "Ring") Bewundern Sie in Sonderheit diesen letzten Tiefsinn! Verstehn Sie ihn? Ich—hüte mich, ihn zu verstehn ... Dass man noch andre Lehren aus den genannten Werken ziehn kann, möchte ich eher beweisen als bestreiten. Dass man durch ein Wagnerisches Ballet zur Verzweiflung gebracht werden kann—und zur Tugend! (nochmals der Fall Tannhäusers) Dass es von den schlimmsten Folgen sein kann, wenn man nicht zur rechten Zeit zu Bett geht (nochmals der Fall Lohengrins). Dass man nie zu genau wissen soll, mit wem man sich eigentlich verheiratet (zum dritten Mal der Fall Lohengrins)—Tristan und Isolde verherrlichen den vollkommnen Ehegatten, der, in einem gewissen Falle, nur Eine Frage hat: "aber warum habt ihr mir das nicht eher gesagt? Nichts einfacher als das!" Antwort:

— But you do not hear me? You, too, prefer Wagner's problem to Bizet's? I, too, do not underestimate it, it has it's peculiar magic. The problem of redemption is certainly a venerable problem. There is nothing about which Wagner has thought more deeply than redemption: his opera is the opera of redemption. Somebody or other always wants to be redeemed in his work: one moment a young man, the next a young woman—this is his problem.— And how richly he varies his leitmotif! What rare, what profound modulations [Ausweichungen]! Who if not Wagner would teach us that innocence has a preference for redeeming interesting sinners? (The case in Tannhäuser.) Or that even the eternal Jew is redeemed, settles down, when he marries? (The case in the Flying Dutchman.) Or that old corrupted females prefer to be redeemed by chaste young men? (The case of Kundry.) Or that beautiful maidens love best to be redeemed by a knight who is a Wagnerian? (The case in the Meistersinger.) Or that even married women like to be redeemed by a knight? (The case of Isolde.) Or that "the old God," after having compromised himself morally in every respect, is at last redeemed by a free spirit and immoralist? (The case in the "Ring.") Admire especially this last profundity! Do you understand it? I—guard against understanding it ... That it is possible to draw yet other lessons from the works above mentioned, I am much more ready to prove than to dispute. That one may be driven by a Wagnerian ballet to desperation—and to virtue! (Once again the case in Tannhäuser.) That not going to bed at the right time may be followed by the worst consequences (once again the case of Lohengrin). That one can never be too sure of the spouse one actually marries (for the third time, the case of Lohengrin).— Tristan and Isolde glorifies the perfect husband who, in a certain case, can ask only one question: "But why have you not told me this before? Nothing could be simpler than that!" Answer:

"Das kann ich dir nicht sagen;
und was du frägst,
das kannst du nie erfahren."

"That I cannot tell you;
and what you ask,
that you will never learn."

Der Lohengrin enthält eine feierliche In-Acht-Erklärung des Forschens und Fragens. Wagner vertritt damit den christlichen Begriff "du sollst und musst glauben." Es ist ein Verbrechen am Höchsten, am Heiligsten, wissenschaftlich zu sein ... Der fliegende Holländer predigt die erhabne Lehre, dass das Weib auch den Unstätesten festmacht, Wagnerisch geredet, "erlöst." Hier gestatten wir uns eine Frage. Gesetzt nämlich, dies wäre wahr, wäre es damit auch schon wünschenswerth?— Was wird aus dem "ewigen Juden," den ein Weib anbetet und festmacht? Er hört bloss auf, ewig zu sein; er verheirathet sich, er geht uns Nichts mehr an.— In's Wirkliche übersetzt: die Gefahr der Künstler, der Genie's—und das sind ja die "ewigen Juden"—liegt im Weibe: die anbetenden Weiber sind ihr Verderb. Fast Keiner hat Charakter genug, um nicht verdorben—"erlöst" zu werden, wenn er sich als Gott behandelt fühlt:—er condescendirt alsbald zum Weibe.— Der Mann ist feige vor allem Ewig-Weiblichen: das wissen die Weiblein.— In vielen Fällen der weiblichen Liebe, und vielleicht gerade in den berühmtesten, ist Liebe nur ein feinerer Parasitismus, ein Sich-Einnisten in eine fremde Seele, mitunter selbst in ein fremdes Fleisch—ach! wie sehr immer auf "des Wirthes" Unkosten! — —

Lohengrin contains a solemn ban upon all investigation and questioning. In this way Wagner stood for the Christian concept, "Thou must and shalt believe." It is a crime against the highest and the holiest to be scientific ... The Flying Dutchman preaches the sublime doctrine that woman makes even the most restless man stable [das Weib auch den Unstätesten festmacht], to put it in Wagnerian terms, "redeems." Here we venture to ask a question. Supposing that this were true, would it therefore be desirable?— What becomes of the "eternal Jew" whom a female adores and makes stable [festmacht]? He merely ceases to be eternal; he marries, he concerns us no longer.— Translated into reality: the danger for the artist, for the genius—and these are of course the "eternal Jews"—resides in the female: adoring females are their ruin. Scarcely anyone has sufficient character not to be corrupted—"redeemed" when he finds himself treated as a God:—he then immediately condescends to the female.— Man is cowardly in the face of all that is eternally feminine: the little women know that.— In many cases of woman's love, and perhaps precisely in the most famous ones, love is no more than a refined form of parasitism, a making one's nest in another's soul, sometimes even in another's flesh—oh! how constantly at the expense of the "host"! — —

Man kennt das Schicksal Goethe's im moralinsauren altjungfernhaften Deutschland. Er war den Deutschen immer anstössig, er hat ehrliche Bewunderer nur unter Jüdinnen gehabt. Schiller, der "edle" Schiller, der ihnen mit grossen Worten um die Ohren schlug,—der war nach ihrem Herzen. Was warfen sie Goethen vor? Den "Berg der Venus"; und dass er venetianische Epigramme gedichtet habe. Schon Klopstock hielt ihm eine Sittenpredigt; es gab eine Zeit, wo Herder, wenn er von Goethe sprach, mit Vorliebe das Wort "Priap" gebrauchte. Selbst der Wilhelm Meister galt nur als Symptom des Niedergangs, als moralisches "Auf-den-Hund-Kommen." Die "Menagerie von zahmem Vieh," die "Nichtswürdigkeit" des Helden darin erzürnte zum Beispiel Niebuhrn: der endlich in eine Klage ausbricht, welche Biterolf hätte absingen können: "Nichts macht leicht einen schmerzlicheren Eindruck, als wenn ein grosser Geist sich seiner Flügel beraubt und seine Virtuosität in etwas weit Geringerem sucht, indem er dem Höheren entsagt" ... Vor Allem aber war die höhere Jungfrau empört: alle kleinen Höfe, alle Art "Wartburg" in Deutschland bekreuzte sich vor Goethe, vor dem "unsauberen Geist" in Goethe.— Diese Geschichte hat Wagner in Musik gesetzt. Er erlöst Goethe, das versteht sich von selbst; aber so, dass er, mit Klugheit, zugleich die Partei der höheren Jungfrau nimmt. Goethe wird gerettet:—ein Gebet rettet ihn, eine höhere Jungfrau zieht ihn hinan ...

We know the fate of Goethe in old-maidish moraline-corroded Germany. He was always offensive to Germans, he found honest admirers only among Jewesses. Schiller, "noble" Schiller, who cried grand words into their ears—he was after their own heart. What did they reproach Goethe with? With the "Mount of Venus"; and with having composed Venetian epigrams. Even Klopstock preached him a moral sermon; there was a time when Herder was fond of using the word "Priapus" when he spoke of Goethe. Even Wilhelm Meister was only considered as a symptom of decline, as a moral "going to the dogs." The "menagerie of tame cattle," the "worthlessness" of the hero in this book revolted, for example, Niebuhr: who finally burst out in a lament which Biterolf might well have sung: "Nothing so easily makes a painful impression as when a great mind deprives itself of its wings and strives for its virtuosity in something greatly inferior, while it renounces the higher" ... But the most indignant of all was the higher maiden: all small courts, all kinds of "Wartburgs" in Germany made the sign of the cross at the sight of Goethe, at the "unclean spirit" in Goethe.— This history was what Wagner set to music. He redeems Goethe, that goes without saying; but he does so in such a clever way that he also takes the side of the higher maiden. Goethe gets redeemed:—a prayer redeems him, a higher maiden draws him upward ...

— Was Goethe über Wagner gedacht haben würde?— Goethe hat sich einmal die Frage vorgelegt, was die Gefahr sei, die über allen Romantikern schwebe: das Romantiker-Verhängniss. Seine Antwort ist: "am Wiederkäuen sittlicher und religiöser Absurditäten zu ersticken." [Goethes Brief an Karl Friedrich Zelter vom 20.10.1831: "so erstickte doch Friedrich Schlegel am Wiederkäuen sittlicher und religiöser Absurditäten, die er auf seinem unbehaglichen Lebensgange gern mitgeteilt und ausgebreitet hätte; deshalb er sich in den Katholizismus flüchtete."] Kürzer: Parsifal— — Der Philosoph macht dazu noch einen Epilog. Heiligkeit—das Letzte vielleicht, was Volk und Weib von höheren Werthen noch zu Gesicht bekommt, der Horizont des Ideals für Alles, was von Natur myops ist. Unter Philosophen aber, wie jeder Horizont, ein blosses Nichtverständniss, eine Art Torschluss vor dem, wo ihre Welt erst beginnt—ihre Gefahr, ihr Ideal, ihre Wünschbarkeit ... Höflicher gesagt: la philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la sainteté.—

— What Goethe might have thought of Wagner?— Goethe once asked himself what danger threatened all romantics: the fatality of romanticism. His answer was: "suffocating of the rumination of moral and religious absurdities." [Goethe, Letter to Karl Friedrich Zelter, Oct. 20, 1831: "Friedrich Schlegel finally suffocated from his rumination of ethical and religious absurdities which he would have liked to spread during the course of his uncomfortable life, wherefore he fled into Catholicism."] In brief: Parsifal— — The philosopher adds an epilogue to this. Holiness—perhaps the last thing the people and women still get to see of higher values, the horizon of the ideal for all who are by nature myopic. But among philosophers this is, like every horizon, a mere case of lack of understanding, a sort of shutting the gate at the point where their world only begins—their danger, their ideal, their desirability ... To say it more politely: la philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la sainteté.— [Philosophy is not suited for the masses. What they need is holiness. From Ernst Renan's Histoire des origines du Christianisme. Livre premier. Vie de Jésus. Paris: Michel Lévy fréres: 1867, 467-468: "Par notre extrême délicatesse dans l'emploi des moyens de conviction, par notre sincérité absolue et notre amour désintéressé de l'idée pure, nous avons fondé, nous tous qui avons voué notre vie à la science, un nouvel idéal de moralité. Mais les appréciations de l'histoire générale ne doivent pas se renfermer dans des considérations de mérite personnel. Marc-Aurèle et ses nobles maîtres ont été sans action durable sur le monde. Marc-Aurèle laisse après lui des livres délicieux, un fils exécrable, un monde qui s'en va. Jésus reste pour l'humanité un principe inépuisable de renaissances morales. La philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la sainteté. Un Apollonis de Tyane, avec sa légende miraculous, devait avoir plus de succès qu'un Socrate, avec sa froide raison. 'Socrate,' disait-on, laisse les hommes sur la terre, Apollonius les transporte au ciel; Socrate n'est qu'un sage, Apollonius est un dieu.' La religion, jusqu'à nos jours, n'a pas existé sans une part d'ascétime, de piété, de merveilleux. Quand on voulet, après les Antonins, faire une religion de la philosphie, il fallut transformer les philosophes en saints, écrire la 'Vie édifiante' de Pythagore et de Plotin, leur prêter une légende, des vertus d'abstinence et de contemplation, des pouvoirs surnaturels, sans lesquels on ne trouvait près du siècle ni créance ni autorité." (By our extreme delicacy in the use of means of conviction, by our absolute sincerity and our disinterested love of the pure idea, we have founded—all we who have devoted our lives to science—a new ideal of morality. But the judgment of general history ought not to be restricted to considerations of personal merit. Marcus Aurelius and his noble teachers have had no permanent influence on the world. Marcus Aurelius left behind him delightful books, an execrable son, and a decaying nation. Jesus remains an inexhaustible principle of moral regeneration for humanity. Philosophy is not suited for the masses. What they need is holiness. An Apollonius of Tyana, with his miraculous legend, is necessarily more successful than a Socrates with his cold reason. 'Socrates,' it was said, 'leaves men on the earth, Apollonius transports them to heaven; Socrates is but a sage, Apollonius is a god.' [Philostratus, Life of Apollonius, i. 2, vii. 11, viii. 8, Unspius, Lives of the Sophists, 454, 500.] Religion, so far, has not existed without a share of asceticism, of piety, of the marvelous. When it was wished, after the Antonines, to make a religion of philosophy, it was requisite to transform the philosophers into saints, to write the 'edifying life' of Pythagoras or Plotinus, to attribute to them a legend, virtues of abstinence and contemplation, supernatural powers, without which neither credence nor authority were found in that age.) Cf. Nachlass, November 1887—März 1888 11 [402].]
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