Published Works | Der Fall Wagner | The Case of Wagner | Dual Text: Teil 10 / Part 10 © The Nietzsche Channel
Der Fall Wagner
Vorwort
Teil 1Teil 2
Teil 3Teil 4
Teil 5Teil 6
Teil 7Teil 8
Teil 9Teil 10
Teil 11Teil 12
Nachschrift
Zweite Nachschrift
Epilog
 
 
The Case of Wagner
Preface
Part 1Part 2
Part 3Part 4
Part 5Part 6
Part 7Part 8
Part 9Part 10
Part 11Part 12
Postscript
Second Postscript
Epilogue
 

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Der Fall Wagner
Ein Musikanten-Problem.

1888.

The Case of Wagner
A Musician's Problem.

1888.

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Anbei noch ein Wort über die Schriften Wagner's: sie sind, unter Anderem, eine Schule der Klugheit. Das System von Prozeduren, das Wagner handhabt, ist auf hundert andre Fälle anzuwenden,—wer Ohren hat, der höre. Vielleicht habe ich einen Anspruch auf öffentliche Erkenntlichkeit, wenn ich den drei werthvollsten Prozeduren einen präcisen Ausdruck gebe.

And now just a word about Wagner's writings: they are among other things a school of shrewdness. The system of procedures of which Wagner dispose, might be applied to a hundred other cases—he that has ears to hear let him hear. Perhaps I may lay claim to some public acknowledgment, if I put three of the most valuable of these procedures into a precise form.

Alles, was Wagner nicht kann, ist verwerflich.
Wagner könnte noch Vieles: aber er will es nicht,—aus Rigorosität im Princip.
Alles, was Wagner kann, wird ihm Niemand nachmachen, hat ihm Keiner vorgemacht, soll ihm Keiner nachmachen ... Wagner ist göttlich ...
Everything that Wagner cannot do is bad.
Wagner could do much more than he does; but his strong principles prevent him.
Everything that Wagner can do, no one will ever be able to do after him, no one has ever done before him, and no one must ever do after him. Wagner is godly ...

Diese drei Sätze sind die Quintessenz von Wagner's Litteratur; der Rest ist—"Litteratur."

These three propositions are the quintessence of Wagner's literature; the rest is—"literature."

— Nicht jede Musik hat bisher Litteratur nöthig gehabt: man thut gut, hier nach dem zureichenden Grund zu suchen. Ist es, dass Wagner's Musik zu schwer verständlich ist? Oder fürchtete er das Umgekehrte, dass man sie zu leicht versteht,—dass man sie nicht schwer genug versteht?— Thatsächlich hat er sein ganzes Leben Einen Satz wiederholt: dass seine Musik nicht nur Musik bedeute! Sondern mehr! Sondern unendlich viel mehr! ... "Nicht nur Musik"—so redet kein Musiker. Nochmals gesagt, Wagner konnte nicht aus dem Ganzen schaffen, er hatte gar keine Wahl, er musste Stückwerk machen, "Motive," Gebärden, Formeln, Verdopplungen und Verhundertfachungen, er blieb Rhetor als Musiker—er musste grundsätzlich deshalb das "es bedeutet" in den Vordergrund bringen. "Die Musik ist immer nur ein Mittel": das war seine Theorie, das war vor Allem die einzige ihm überhaupt mögliche Praxis. [Vgl. Richard Wagner, "Oper und Drama." In: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Bd. 3. Leipzig: Fritzsch, 1872: 282. Vgl. Kritik Schopenhauers, in Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 2, 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. Erster Band. Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält. Leipzig: Brockhaus, 1873: 309.] Aber so denkt kein Musiker.— Wagner hatte Litteratur nöthig, um alle Welt zu überreden, seine Musik ernst zu nehmen, tief zu nehmen, "weil sie Unendliches bedeute"; er war zeitlebens der Commentator der "Idee."—Was bedeutet Elsa? Aber kein Zweifel: Elsa ist "der unbewusste Geist des Volks" (—"mit dieser Erkenntniss wurde ich nothwendig zum vollkommnen Revolutionär"—). [Vgl. Richard Wagner, "Eine Mittheilung an meine Freunde." In: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Bd. 4. Leipzig: Fritzsch, 1872: 368 f. "Elsa ist das Unbewußte, Unwillkürliche, in welchem das bewußte, willkürliche Wesen Lohengrin's sich zu erlösen sehnt; dieses Verlangen ist aber selbst wiederum das unbewußte Nothwendige, Unwillkürliche im Lohengrin, durch das er dem Wesen Elsa's sich verwandt fühlt. [....] Elsa, das Weib,—das bisher von mir unverstandene und nun verstandene Weib,—diese nothwendigste Wesenäußerung der reinsten sinnlichen Unwillkür,—hat mich zum vollständigen Revolutionär gemacht. Sie war der Geist des Volkes, nach dem ich auch als künstlerischer Mensch zu meiner Erlösung verlangte."]

— Not every kind of music hitherto has been in need of literature; and it were well, to try and discover the actual reason of this. Is it perhaps that Wagner's music is too difficult to understand? Or did he fear precisely the reverse—that it was too easy—that people might not understand it with sufficient difficulty?— As a matter of fact, his whole life long, he did nothing but repeat one proposition: that his music did not mean music alone! But something more! Something immeasurably more! ... "Not music aloneno musician would speak in this way. I repeat, Wagner could not create things as a whole; he had no choice, he was obliged to create things in bits, with "motives," attitudes, formulae, duplications, and hundreds of repetitions, he remained a rhetorician in music—and that is why he was at bottom forced to press "this means" into the foreground. "Music can never be anything else than a means": this was his theory, but above all it was the only practice that lay open to him. [Cf. Richard Wagner, "Oper und Drama." In: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Bd. 3. Leipzig: Fritzsch, 1872: 282. Cf. Schopenhauer's criticism, in Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 2, 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. Erster Band. Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält. Leipzig: Brockhaus, 1873: 309. "Hieraus entspringt es, daß unsere Phantasie so leicht durch sie erregt wird und nun versucht, jene ganz unmittelbar zu uns redende, unsichtbare und doch so lebhaft bewegte Geisterwelt zu gestalten und sie mit Fleisch und Bein zu bekleiden, also dieselbe in einem analogen Beispiel zu verkörpern. Dies ist der Ursprung des Gesanges mit Worten und endlich der Oper,—deren Text eben deshalb diese untergeordnete Stellung nie verlassen sollte, um sich zur Hauptsache und die Musik zum bloßen Mittel ihres Ausdrucks zu machen, als welches ein großer Mißgriff und eine arge Verkehrtheit ist. Denn überall drückt die Musik nur die Quintessenz des Lebens und seiner Vorgänge aus, nie diese selbst, deren Unterschiede daher auf jene nicht allemal einfließen." (Hence it arises that our imagination is so easily stirred by music, and tries to shape that invisible, yet vividly aroused, spirit-world that speaks to us directly, to clothe it with flesh and bone, and thus to embody it in an analagous example. This is the origin of the song with words, and finally of the opera. For this reason they should never forsake that suboridinate position in order to make themselves the chief thing, and the music a mere means of expressing the song, since this is a great misconception and an utter absurdity. Everywhere music expresses only the quintessence of life and of its events, never these themselves, and therefore their differences do not always influence it. — Trans. by Eric F. J. Payne, The World as Will and Representation, Vol. I, §52. New York: Dover, 1958: 261.)] No musician however thinks in this way.— Wagner was in need of literature, in order to persuade the whole world to take his music seriously, profoundly, "because it meant an infinity of things," all his life he was the commentator of the "Idea."— What does Elsa stand for? But without doubt, Elsa is "the unconscious mind of the people" (—"when I realized this, I naturally became a thorough revolutionist"—). [Cf. Richard Wagner, "A Communication to my Friends." In: Richard Wagner's Prose Works. Vol. 1. London: Kegan Paul, Trench, Trübner & Co., 1895: 346-348. "Elsa is the Unconscious, the Undeliberate (Unwillkürliche), into which Lohengrin's conscious, deliberate (willkürliche) being yearns to be redeemed; but this yearning, again, is itself the unconscious, undeliberate Necessity in Lohengrin, whereby he feels himself akin to Elsa's being. [....] Elsa, the Woman,—Woman hitherto un-understood by me, and understood at last,—that most positive expression of the purest instinct of the senses, —made me a Revolutionary at one blow. She was the Spirit of the Folk, for whose redeeming hand I too, as artist-man, was longing."]

Erinnern wir uns, dass Wagner in der Zeit, wo Hegel und Schelling die Geister verführten, jung war; dass er errieth, dass er mit Händen griff, was allein der Deutsche ernst nimmt—"die Idee," will sagen Etwas, das dunkel, ungewiss, ahnungsvoll ist; dass Klarheit unter Deutschen ein Einwand, Logik eine Widerlegung ist. Schopenhauer hat, mit Härte, die Epoche Hegel's und Schelling's der Unredlichkeit geziehn—mit Härte, auch mit Unrecht: er selbst, der alte pessimistische Falschmünzer, hat es in Nichts "redlicher" getrieben als seine berühmteren Zeitgenossen. Lassen wir die Moral aus dem Spiele: Hegel ist ein Geschmack ... Und nicht nur ein deutscher, sondern ein europäischer Geschmack!— Ein Geschmack, den Wagner begriff!—dem er sich gewachsen fühlte! den er verewigt hat!— Er machte bloss die Nutzanwendung auf die Musik—er erfand sich einen Stil, der "Unendliches bedeutet,"—er wurde der Erbe Hegel's ... Die Musik als "Idee" — —

Do not forget that, when Hegel and Schelling were misleading the minds of Germany, Wagner was still young: that he guessed, or rather fully grasped, that the only thing which Germans take seriously is—"the idea"—that is to say, something obscure, uncertain, wonderful; that among Germans lucidity is an objection, logic a refutation. Schopenhauer rigorously pointed out the dishonesty of Hegel's and Schelling's age—rigorously, but also unjustly, for he himself, the pessimistic old counterfeiter, was in no way more "honest" than his more famous contemporaries. But let us leave morality out of the question, Hegel is a matter of taste .... And not only of German but of European taste! ... A taste which Wagner understood!—which he felt equal to! which he has immortalized!— All he did was to apply it to music—he invented a style for himself, which might mean an "infinity of things"—he was Hegel's heir .... Music as "Idea." —

Und wie man Wagnern verstand!— Dieselbe Art Mensch, die für Hegel geschwärmt, schwärmt heute für Wagner; in seiner Schule schreibt man sogar Hegelisch!— Vor Allen verstand ihn der deutsche Jüngling. Die zwei Worte "unendlich" und "Bedeutung" genügten bereits: ihm wurde dabei auf eine unvergleichliche Weise wohl. Es ist nicht die Musik, mit der Wagner sich die Jünglinge erobert hat, es ist die "Idee":—es ist das Räthselreiche seiner Kunst, ihr Versteckspielen unter hundert Symbolen, ihre Polychromie des Ideals, was diese Jünglinge zu Wagner führt und lockt; es ist Wagner's Genie der Wolkenbildung, sein Greifen, Schweifen und Streifen durch die Lüfte, sein Überall und Nirgendswo, genau Dasselbe, womit sie seiner Zeit Hegel verführt und verlockt hat!— Inmitten von Wagner's Vielheit, Fülle und Willkür sind sie wie bei sich selbst gerechtfertigt—"erlöst" —. Sie hören mit Zittern, wie in seiner Kunst die grossen Symbole aus vernebelter Ferne mit sanftem Donner laut werden; sie sind nicht ungehalten, wenn es zeitweilig grau, grässlich und kalt in ihr zugeht. Sind sie doch sammt und sonders, gleich Wagnern selbst, verwandt mit dem schlechten Wetter, dem deutschen Wetter! Wotan ist ihr Gott: aber Wotan ist der Gott des schlechten Wetters ... Sie haben Recht, diese deutschen Jünglinge, so wie sie nun einmal sind: wie könnten sie vermissen, was wir Anderen, was wir Halkyonier bei Wagnern vermissen—la gaya scienza [die fröhliche Wissenschaft]; die leichten Füsse; Witz, Feuer, Anmuth; die grosse Logik; den Tanz der Sterne; die übermüthige Geistigkeit; die Lichtschauder des Südens; das glatte Meer—Vollkommenheit ...

And how well Wagner was understood!— The same kind of man who used to gush over Hegel, now gushes over Wagner, in his school they even write Hegelian [i.e., obscurely]. Above all, German youths understand him. The two words "infinite" and "meaning" were really sufficient: they induced a state of incomparable well-being in them. It was not with his music that Wagner conquered young men, it was with the "idea":—it is the enigmatic character of his art, its playing hide-and-seek behind a hundred symbols, its polychromy of the ideal that leads and lures these youths to Wagner; it is Wagner's genius for shaping clouds, his whirling, hurling, and twirling through the air, his everywhere and nowhere, the very same means by which Hegel formerly seduced and lured them!— In the midst of Wagner's multiplicity, abundance, and arbitrariness they feel as if justified in their own eyes—"redeemed"—. Trembling, they hear how the great symbols approach from foggy distances to resound in his art with muted thunder; they are not impatient when at times things are gray, gruesome, and cold. After all, they are, without exception, like Wagner himself, related to such bad weather, German weather! Wotan is their god: but Wotan is the god of bad weather ... They are quite right, these German youths, considering what they are like: how could they miss what we others, we halcyons, miss in Wagner—la gaya scienza [the joyful science]; light feet; wit, fire, grace; the great logic; the dance of the stars; the exuberant spirituality; the southern shivers of light; the smooth sea—perfection ...

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