Published Works | Der Fall Wagner | The Case of Wagner | Dual Text: Vorwort / Preface © The Nietzsche Channel
Der Fall Wagner
Vorwort
Teil 1Teil 2
Teil 3Teil 4
Teil 5Teil 6
Teil 7Teil 8
Teil 9Teil 10
Teil 11Teil 12
Nachschrift
Zweite Nachschrift
Epilog
 
 
The Case of Wagner
Preface
Part 1Part 2
Part 3Part 4
Part 5Part 6
Part 7Part 8
Part 9Part 10
Part 11Part 12
Postscript
Second Postscript
Epilogue
 

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Der Fall Wagner
Ein Musikanten-Problem.

1888.

The Case of Wagner
A Musician's Problem.

1888.

Vorwort

Preface

Ich mache mir eine kleine Erleichterung. Es ist nicht nur die reine Bosheit, wenn ich in dieser Schrift Bizet auf Kosten Wagner's lobe. Ich bringe unter vielen Spässen eine Sache vor, mit der nicht zu spassen ist. Wagnern den Rücken zu kehren war für mich ein Schicksal; irgend Etwas nachher wieder gern zu haben ein Sieg. Niemand war vielleicht gefährlicher mit der Wagnerei verwachsen, Niemand hat sich härter gegen sie gewehrt, Niemand sich mehr gefreut, von ihr los zu sein. Eine lange Geschichte!— Will man ein Wort dafür?— Wenn ich Moralist wäre, wer weiss, wie ich's nennen würde! Vielleicht Selbstüberwindung.— Aber der Philosoph liebt die Moralisten nicht ... er liebt auch die schönen Worte nicht ....

I have granted myself some small relief. It is not merely pure malice when I praise Bizet in this essay at the expense of Wagner. Interspersed with many jokes, I bring up a matter that is no joke. To turn my back on Wagner was for me a fate; to like anything at all again after that, a triumph. Perhaps nobody was more dangerously bound up with Wagnerizing, nobody tried harder to resist it, nobody was happier to be rid of it. A long story!— You want a word for it?— If I were a moralist, who knows what I might call it! Perhaps self-overcoming.— But the philosopher has no love for moralists ... neither does he love pretty words ....

Was verlangt ein Philosoph am ersten und letzten von sich? Seine Zeit in sich zu überwinden, "zeitlos" zu werden. Womit also hat er seinen härtesten Strauss zu bestehn? Mit dem, worin gerade er das Kind seiner Zeit ist. Wohlan! Ich bin so gut wie Wagner das Kind dieser Zeit, will sagen ein décadent: nur dass ich das begriff, nur dass ich mich dagegen wehrte. Der Philosoph in mir wehrte sich dagegen.

What does a philosopher demand of himself first and last? To overcome his time in himself, to become "timeless." With what must he therefore engage in the hardest combat? With whatever marks him as the child of his time. Well, then! I am, no less than Wagner, a child of this time, that is, a décadent: but I comprehended this, I resisted it. The philosopher in me resisted.

Was mich am tiefsten beschäftigt hat, das ist in der That das Problem der décadence,—ich habe Gründe dazu gehabt. "Gut und Böse" ist nur eine Spielart jenes Problems. Hat man sich für die Abzeichen des Niedergangs ein Auge gemacht, so versteht man auch die Moral,—man versteht, was sich unter ihren heiligsten Namen und Werthformeln versteckt: das verarmte Leben, der Wille zum Ende, die grosse Müdigkeit. Moral verneint das Leben ... Zu einer solchen Aufgabe war mir eine Selbstdisciplin von Nöthen:—Partei zu nehmen gegen alles Kranke an mir, eingerechnet Wagner, eingerechnet Schopenhauer, eingerechnet die ganze moderne "Menschlichkeit."— Eine tiefe Entfremdung, Erkältung, Ernüchterung gegen alles Zeitliche, Zeitgemässe: und als höchsten Wunsch das Auge Zarathustra's, ein Auge, das die ganze Thatsache Mensch aus ungeheurer Ferne übersieht,—unter sich sieht ... Einem solchen Ziele—welches Opfer wäre ihm nicht gemäss? welche "Selbst-Überwindung"! welche "Selbst-Verleugnung"!

Nothing has preoccupied me more profoundly than the problem of décadence,—I had reasons. "Good and evil" is merely a variation of that problem. Once one has developed a keen eye for the symptoms of decline, one understands morality too,—one understands what is hiding under its most sacred names and value formulas: impoverished life, the will to the end, the great weariness. Morality negates life ... For such a task I required a special self-discipline:—to take sides against everything sick in me, including Wagner, including Schopenhauer, including all modern "humaneness."— A profound estrangement, cold, sobering up, against everything that is of this time, everything timely: and most desirable of all, the eye of Zarathustra, an eye that beholds the whole fact of man at a tremendous distance,—below ... For such a goal—what sacrifice would not be fitting? what "self-overcoming"! what "self-denial"!

Mein grösstes Erlebniss war eine Genesung. Wagner gehört bloss zu meinen Krankheiten.

My greatest experience was a recovery. Wagner is merely one of my sicknesses.

Nicht dass ich gegen diese Krankheit undankbar sein möchte. Wenn ich mit dieser Schrift den Satz aufrecht halte, dass Wagner schädlich ist, so will ich nicht weniger aufrecht halten, wem er trotzdem unentbehrlich ist—dem Philosophen. Sonst kann man vielleicht ohne Wagner auskommen: dem Philosophen aber steht es nicht frei, Wagner's zu entrathen. Er hat das schlechte Gewissen seiner Zeit zu sein,—dazu muss er deren bestes Wissen haben. Aber wo fände er für das Labyrinth der modernen Seele einen eingeweihteren Führer, einen beredteren Seelenkündiger als Wagner? Durch Wagner redet die Modernität ihre intimste Sprache: sie verbirgt weder ihr Gutes, noch ihr Böses, sie hat alle Scham vor sich verlernt. Und umgekehrt: man hat beinahe eine Abrechnung über den Werth des Modernen gemacht, wenn man über Gut und Böse bei Wagner mit sich im Klaren ist.— Ich verstehe es vollkommen, wenn heut ein Musiker sagt "ich hasse Wagner, aber ich halte keine andre Musik mehr aus." Ich würde aber auch einen Philosophen verstehn, der erklärte: "Wagner resümirt die Modernität. Es hilft nichts, man muss erst Wagnerianer sein ..."

Not that I wish to be ungrateful to this sickness. When in this essay I assert the proposition that Wagner is harmful, I wish no less to assert for whom he is nevertheless indispensable—for the philosopher. Others may be able to get along without Wagner; but the philosopher is not free to do without Wagner. He has to be the bad conscience of his time,—for that he needs to understand it best. But confronted with the labyrinth of the modern soul, where could he find a guide more initiated, a more eloquent prophet of the soul, than Wagner? Through Wagner modernity speaks most intimately: concealing neither its good nor its evil, having forgotten all sense of shame. And conversely: one has almost completed an account of the value of what is modern once one has gained clarity about what is good and evil in Wagner.— I understand perfectly when a musician says today: "I hate Wagner, but I can no longer endure any other music." But I would also understand a philosopher who would declare: "Wagner sums up modernity. There is no way out, one must first become a Wagnerian ..."

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