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Der Fall Wagner
Ein Musikanten-Problem.1888.
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The
Case of Wagner
A Musician's Problem.1888.
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Vorwort
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Preface
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Ich mache mir eine
kleine Erleichterung. Es ist nicht nur die reine
Bosheit, wenn ich in dieser Schrift Bizet auf
Kosten Wagner's lobe. Ich bringe unter vielen
Spässen eine Sache vor, mit der nicht zu spassen
ist. Wagnern den Rücken zu kehren war für mich
ein Schicksal; irgend Etwas nachher wieder gern
zu haben ein Sieg. Niemand war vielleicht
gefährlicher mit der Wagnerei verwachsen,
Niemand hat sich härter gegen sie gewehrt,
Niemand sich mehr gefreut, von ihr los zu sein.
Eine lange Geschichte! Will man ein Wort
dafür? Wenn ich Moralist wäre, wer weiss,
wie ich's nennen würde! Vielleicht Selbstüberwindung.
Aber der Philosoph liebt die Moralisten nicht ...
er liebt auch die schönen Worte nicht .... |
I have granted
myself some small relief. It is not merely pure
malice when I praise Bizet in this essay at the
expense of Wagner. Interspersed with many jokes,
I bring up a matter that is no joke. To turn my
back on Wagner was for me a fate; to like
anything at all again after that, a triumph.
Perhaps nobody was more dangerously bound up with
Wagnerizing, nobody tried harder to resist it,
nobody was happier to be rid of it. A long story!
You want a word for it? If I were a
moralist, who knows what I might call it! Perhaps
self-overcoming. But the philosopher
has no love for moralists ... neither does he
love pretty words .... |
Was verlangt ein
Philosoph am ersten und letzten von sich? Seine
Zeit in sich zu überwinden, "zeitlos"
zu werden. Womit also hat er seinen härtesten
Strauss zu bestehn? Mit dem, worin gerade er das
Kind seiner Zeit ist. Wohlan! Ich bin so gut wie
Wagner das Kind dieser Zeit, will sagen ein décadent:
nur dass ich das begriff, nur dass ich mich
dagegen wehrte. Der Philosoph in mir wehrte sich
dagegen. |
What does a
philosopher demand of himself first and last? To
overcome his time in himself, to become
"timeless." With what must he therefore
engage in the hardest combat? With whatever marks
him as the child of his time. Well, then! I am,
no less than Wagner, a child of this time, that
is, a décadent: but I comprehended this,
I resisted it. The philosopher in me resisted. |
Was mich am tiefsten
beschäftigt hat, das ist in der That das Problem
der décadence,ich habe Gründe dazu
gehabt. "Gut und Böse" ist nur eine
Spielart jenes Problems. Hat man sich für die
Abzeichen des Niedergangs ein Auge gemacht, so
versteht man auch die Moral,man versteht,
was sich unter ihren heiligsten Namen und
Werthformeln versteckt: das verarmte
Leben, der Wille zum Ende, die grosse Müdigkeit.
Moral verneint das Leben ... Zu einer
solchen Aufgabe war mir eine Selbstdisciplin von
Nöthen:Partei zu nehmen gegen alles
Kranke an mir, eingerechnet Wagner, eingerechnet
Schopenhauer, eingerechnet die ganze moderne
"Menschlichkeit." Eine tiefe
Entfremdung, Erkältung, Ernüchterung gegen
alles Zeitliche, Zeitgemässe: und als höchsten
Wunsch das Auge Zarathustra's, ein Auge,
das die ganze Thatsache Mensch aus ungeheurer
Ferne übersieht,unter sich sieht
... Einem solchen Zielewelches Opfer wäre
ihm nicht gemäss? welche
"Selbst-Überwindung"! welche
"Selbst-Verleugnung"! |
Nothing has
preoccupied me more profoundly than the problem
of décadence,I had reasons. "Good and
evil" is merely a variation of that problem.
Once one has developed a keen eye for the
symptoms of decline, one understands morality
too,one understands what is hiding under
its most sacred names and value formulas: impoverished
life, the will to the end, the great weariness.
Morality negates life ... For such a task
I required a special self-discipline:to
take sides against everything sick in me,
including Wagner, including Schopenhauer,
including all modern "humaneness."
A profound estrangement, cold, sobering up,
against everything that is of this time,
everything timely: and most desirable of all, the
eye of Zarathustra, an eye that beholds
the whole fact of man at a tremendous distance,below
... For such a goalwhat sacrifice would not
be fitting? what "self-overcoming"!
what "self-denial"! |
Mein grösstes
Erlebniss war eine Genesung. Wagner
gehört bloss zu meinen Krankheiten. |
My greatest
experience was a recovery. Wagner is
merely one of my sicknesses. |
Nicht dass ich gegen
diese Krankheit undankbar sein möchte. Wenn ich
mit dieser Schrift den Satz aufrecht halte, dass
Wagner schädlich ist, so will ich nicht
weniger aufrecht halten, wem er trotzdem
unentbehrlich istdem Philosophen. Sonst
kann man vielleicht ohne Wagner auskommen: dem
Philosophen aber steht es nicht frei, Wagner's zu
entrathen. Er hat das schlechte Gewissen seiner
Zeit zu sein,dazu muss er deren bestes
Wissen haben. Aber wo fände er für das
Labyrinth der modernen Seele einen eingeweihteren
Führer, einen beredteren Seelenkündiger als
Wagner? Durch Wagner redet die Modernität ihre intimste
Sprache: sie verbirgt weder ihr Gutes, noch ihr
Böses, sie hat alle Scham vor sich verlernt. Und
umgekehrt: man hat beinahe eine Abrechnung über
den Werth des Modernen gemacht, wenn man
über Gut und Böse bei Wagner mit sich im Klaren
ist. Ich verstehe es vollkommen, wenn heut
ein Musiker sagt "ich hasse Wagner, aber ich
halte keine andre Musik mehr aus." Ich
würde aber auch einen Philosophen verstehn, der
erklärte: "Wagner resümirt die
Modernität. Es hilft nichts, man muss erst
Wagnerianer sein ..." |
Not that I wish to
be ungrateful to this sickness. When in this
essay I assert the proposition that Wagner is harmful,
I wish no less to assert for whom he is
nevertheless indispensablefor the
philosopher. Others may be able to get along
without Wagner; but the philosopher is not free
to do without Wagner. He has to be the bad
conscience of his time,for that he needs to
understand it best. But confronted with the
labyrinth of the modern soul, where could he find
a guide more initiated, a more eloquent prophet
of the soul, than Wagner? Through Wagner
modernity speaks most intimately:
concealing neither its good nor its evil, having
forgotten all sense of shame. And conversely: one
has almost completed an account of the value
of what is modern once one has gained clarity
about what is good and evil in Wagner. I
understand perfectly when a musician says today:
"I hate Wagner, but I can no longer endure
any other music." But I would also
understand a philosopher who would declare:
"Wagner sums up modernity. There is
no way out, one must first become a Wagnerian
..." |
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