Published Works | Jenseits von Gut und Böse | Beyond Good and Evil | Dual Text © The Nietzsche Channel

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Jenseits von Gut und Böse
Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.

1886.

Beyond Good and Evil
Prelude to a Philosophy of the Future.

1886.

I. Von den Vorurtheilen der Philosophen.

I. On the Prejudices of Philosophers.

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Der Wille zur Wahrheit, der uns noch zu manchem Wagnisse verführen wird, jene berühmte Wahrhaftigkeit, von der alle Philosophen bisher mit Ehrerbietung geredet haben: was für Fragen hat dieser Wille zur Wahrheit uns schon vorgelegt! Welche wunderlichen schlimmen fragwürdigen Fragen! Das ist bereits eine lange Geschichte,—und doch scheint es, dass sie kaum eben angefangen hat? Was Wunder, wenn wir endlich einmal misstrauisch werden, die Geduld verlieren, uns ungeduldig umdrehn? Dass wir von dieser Sphinx auch unserseits das Fragen lernen? Wer ist das eigentlich, der uns hier Fragen stellt? Was in uns will eigentlich "zur Wahrheit"?— In der that, wir machten langen Halt vor der Frage nach der Ursache dieses Willens,—bis wir, zuletzt, vor einer noch gründlicheren Frage ganz und gar stehen blieben. Wir fragten nach dem Werthe dieses Willens. Gesetzt, wir wollen Wahrheit: warum nicht lieber Unwahrheit? Und Ungewissheit? Selbst Unwissenheit?— Das Problem vom Werthe der Wahrheit trat vor uns hin,—oder waren wir's, die vor das Problem hin traten? Wer von uns ist hier Oedipus? Wer Sphinx? Es ist ein Stelldichein, wie es scheint, von Fragen und Fragezeichen.— Und sollte man's glauben, dass es uns schliesslich bedünken will, als sei das Problem noch nie bisher gestellt,—als sei es von uns zum ersten Male gesehn, in's Auge gefasst, gewagt? Denn es ist ein Wagnis dabei, und vielleicht giebt es kein grösseres. The will to truth that still seduces us to take so many risks, that famous truthfulness of which all philosophers so far have spoken with respect: what questions this will to truth has already laid before us! What strange, wicked, questionable questions! That is a long story even now—and yet it seems as if it has scarcely begun? Is it any wonder that we should finally become suspicious, lose patience, and turn away impatiently? That we should finally learn from this Sphinx to ask questions, too? Who is it really that puts questions to us here? What in us really wants "truth"?— Indeed we came to a long halt at the question about the cause of this will—until we finally came to a complete stop before a still more basic question. We asked about the value of this will. Suppose we want truth: why not rather untruth? And uncertainty? Even ignorance?— The problem of the value of truth came before us—or was it we who came before the problem? Who of us is Oedipus here? Who the Sphinx? It is a rendezvous, it seems, of questions and question marks.— And though it scarcely seems credible, it finally also seems to us as if the problem had never even been put so far—as if we were the first to see it, fix it with our eyes, risk it? For it does involve a risk, and perhaps there is none that is greater.

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"Wie könnte Etwas aus seinem Gegensatz entstehn? Zum Beispiel die Wahrheit aus dem Irrthume? Oder der Wille zur Wahrheit aus dem Willen zur Täuschung? Oder die selbstlose Handlung aus dem Eigennutze? Oder das reine sonnenhafte Schauen des Weisen aus der Begehrlichkeit? Solcherlei Entstehung ist unmöglich; wer davon träumt, ein Narr, ja Schlimmeres; die Dinge höchsten Werthes müssen einen anderen, eigenen Ursprung haben,—aus dieser vergänglichen verführerischen täuschenden geringen Welt, aus diesem Wirrsal von Wahn und Begierde sind sie unableitbar! Vielmehr im Schoosse des Sein's, im Unvergänglichen, im verborgenen Gotte, im 'Ding an sich'—da muss ihr Grund liegen, und sonst nirgendswo!"— Diese Art zu urtheilen macht das typische Vorurtheil aus, an dem sich die Metaphysiker aller Zeiten wieder erkennen lassen; diese Art von Werthschätzungen steht im Hintergrunde aller ihrer logischen Prozeduren; aus diesem ihrem "Glauben" heraus bemühn sie sich um ihr "Wissen," um Etwas, das feierlich am Ende als "die Wahrheit" getauft wird. Der Grundglaube der Metaphysiker ist der Glaube an die Gegensätze der Werthe. Es ist auch den Vorsichtigsten unter ihnen nicht eingefallen, hier an der Schwelle bereits zu zweifeln, wo es doch am nöthigsten war: selbst wenn sie sich gelobt hatten "de omnibus dubitandum." Man darf nämlich zweifeln, erstens, ob es Gegensätze überhaupt giebt, und zweitens, ob jene volksthümlichen Werthschätzungen und Werth-Gegensätze, auf welche die Metaphysiker ihr Siegel gedrückt haben, nicht vielleicht nur Vordergrunds-Schätzungen sind, nur vorläufige Perspektiven, vielleicht noch dazu aus einem Winkel heraus, vielleicht von Unten hinauf, Frosch-Perspektiven gleichsam, um einen Ausdruck zu borgen, der den Malern geläufig ist? Bei allem Werthe, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wäre möglich, dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Werth zugeschrieben werden müsste. Es wäre sogar noch möglich, dass was den Werth jener guten und verehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit jenen schlimmen, scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfängliche Weise verwandt, verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zu sein. Vielleicht!— Aber wer ist Willens, sich um solche gefährliche Vielleichts zu kümmern! Man muss dazu schon die Ankunft einer neuen Gattung von Philosophen abwarten, solcher, die irgend welchen anderen umgekehrten Geschmack und Hang haben als die bisherigen,—Philosophen des gefährlichen Vielleicht in jedem Verstande.— Und allen Ernstes gesprochen: ich sehe solche neue Philosophen heraufkommen.

"How could anything originate out of its opposite? For example, truth out of error? Or the will to truth out of the will to deception? Or selfless action out of self-interest? Or the pure sunlike gaze of the sage out of covetousness? Such origins are impossible; whoever dreams of them is a fool, even worse; the things of the highest value must have another, separate origin of their own—they cannot be derived from this transitory, seductive, deceptive, lowly world, from this turmoil of delusion and desire! Rather from the lap of being, the intransitory, the hidden god, the 'thing-in-itself '—there must be their basis, and nowhere else!"— This way of judging constitutes the typical prejudice by which the metaphysicians of all ages can be recognized; this kind of valuation looms in the background of all their logical procedures; it is on account of this "belief" that they trouble themselves about "knowledge," about something that is finally christened solemnly as "the truth." The fundamental belief of the metaphysicians is the belief in oppositions of values. It has not even occurred to the most cautious among them to raise doubts right here at the threshold where it is surely most necessary: even if they vowed to themselves, "de omnibus dubitandum" ["everything is to be doubted" (Descartes)]. For one may doubt, first, whether there are any opposites at all, and second, whether these popular valuations and opposite values on which the metaphysicians put their seal, are not perhaps merely foreground estimates, only provisional perspectives, perhaps even from some nook, perhaps from below, frog perspectives, as it were, to borrow an expression painters use? For all the value that the true, the truthful, the selfless may deserve, it would still be possible that a higher and more fundamental value for life might have to be ascribed to appearance, the will to deception, self-interest, and desire. It might even be possible that what constitutes the value of these good and revered things is precisely that they are insidiously related, tied to, and involved with these wicked, seemingly opposite things—maybe even one with them in essence. Perhaps!— But who has the will to concern himself with such dangerous Perhapses! For that we have to await the advent of a new species of philosophers, ones whose taste and inclination are somehow different and the reverse of those hitherto—philosophers of the dangerous Perhaps in every sense.— And in all seriousness: I see such new philosophers coming up.

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Nachdem ich lange genug den Philosophen zwischen die Zeilen und auf die Finger gesehn habe, sage ich mir: man muss noch den grössten Theil des bewussten Denkens unter die Instinkt-Thätigkeiten rechnen, und sogar im Falle des philosophischen Denkens; man muss hier umlernen, wie man in Betreff der Vererbung und des "Angeborenen" umgelernt hat. So wenig der Akt der Geburt in dem ganzen Vor- und Fortgange der Vererbung in Betracht kommt: ebenso wenig ist "Bewusstsein" in irgend einem entscheidenden Sinne dem Instinktiven entgegengesetzt,—das meiste bewusste Denken eines Philosophen ist durch seine Instinkte heimlich geführt und in bestimmte Bahnen gezwungen. Auch hinter aller Logik und ihrer anscheinenden Selbstherrlichkeit der Bewegung stehen Werthschätzungen, deutlicher gesprochen, physiologische Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben. Zum Beispiel, dass das Bestimmte mehr werth sei als das Unbestimmte, der Schein weniger werth als die "Wahrheit": dergleichen Schätzungen könnten, bei aller ihrer regulativen Wichtigkeit für uns, doch nur Vordergrunds-Schätzungen sein, eine bestimmte Art von niaiserie, wie sie gerade zur Erhaltung von Wesen, wie wir sind, noth thun mag. Gesetzt nämlich, dass nicht gerade der Mensch das "Maass der Dinge" ist .....

After having kept a sharp eye long enough on the philosophers and looked between their lines, I say to myself: the greatest part of conscious thinking must still be reckoned as instinctive activity, even in the case of philosophical thinking; we have to relearn here, as one has had to relearn about heredity and what is "innate." As the act of birth deserves no consideration in the whole process and procedure of heredity, so "being conscious" is not in any decisive sense the opposite of what is instinctive—most of the conscious thinking of a philosopher is secretly guided and forced into certain channels by his instincts. Behind all logic and its seeming sovereignty of movement, too, there stand valuations, or, more clearly, physiological demands for the preservation of a certain type of life. For example, that the definite should be worth more than the indefinite, and mere appearance worth less than "truth": such estimates might be, in spite of their regulative importance for us, nevertheless mere foreground estimates, a certain kind of niaiserie [Inanity. See footnote to §11] which may be necessary for the preservation of just such beings as we are. Supposing, that is, that not just man is the "measure of things" .....

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Die Falschheit eines Urtheils ist uns noch kein Einwand gegen ein Urtheil; darin klingt unsre neue Sprache vielleicht am fremdesten. Die Frage ist, wie weit es lebenfördernd, lebenerhaltend, Arterhaltend, vielleicht gar Art-züchtend ist; und wir sind grundsätzlich geneigt zu behaupten, dass die falschesten Urtheile (zu denen die synthetischen Urtheile a priori gehören) uns die unentbehrlichsten sind, dass ohne ein Geltenlassen der logischen Fiktionen, ohne ein Messen der Wirklichkeit an der rein erfundenen Welt des Unbedingten, Sich-selbst-Gleichen, ohne eine beständige Fälschung der Welt durch die Zahl der Mensch nicht leben könnte,—dass Verzichtleisten auf falsche Urtheile ein Verzichtleisten auf Leben, eine Verneinung des Lebens wäre. Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehn: das heisst freilich auf eine gefährliche Weise den gewohnten Werthgefühlen Widerstand leisten; und eine Philosophie, die das wagt, stellt sich damit allein schon jenseits von Gut und Böse.

The falseness of a judgment is for us not necessarily an objection to a judgment; in this respect our new language may sound strangest. The question is to what extent it is life-promoting, life-serving, species-preserving, perhaps even species-cultivating, and we are fundamentally inclined to claim that the falsest judgments (which include the synthetic judgments a priori) are the most indispensable for us, that without accepting the fictions of logic, without measuring reality against the purely invented world of the unconditional and self-identical, without a constant falsification of the world by means of numbers, man could not live—that renouncing false judgments would mean renouncing life and a denial of life. To recognize untruth as a condition of life: that certainly means resisting accustomed value feelings in a dangerous way; and a philosophy that risks this would by that token alone place itself beyond good and evil.

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Was dazu reizt, auf alle Philosophen halb misstrauisch, halb spöttisch zu blicken, ist nicht, dass man wieder und wieder dahinter kommt, wie unschuldig sie sind—wie oft und wie leicht sie sich vergreifen und verirren, kurz ihre Kinderei und Kindlichkeit—sondern dass es bei ihnen nicht redlich genug zugeht: während sie allesammt einen grossen und tugendhaften Lärm machen, sobald das Problem der Wahrhaftigkeit auch nur von ferne angerührt wird. Sie stellen sich sämmtlich, als ob sie ihre eigentlichen Meinungen durch die Selbstentwicklung einer kalten, reinen, göttlich unbekümmerten Dialektik entdeckt und erreicht hätten (zum Unterschiede von den Mystikern jeden Rangs, die ehrlicher als sie und tölpelhafter sind—diese reden von "Inspiration"—): während im Grunde ein vorweggenommener Satz, ein Einfall, eine "Eingebung," zumeist ein abstrakt gemachter und durchgesiebter Herzenswunsch von ihnen mit hinterher gesuchten Gründen vertheidigt wird:—sie sind allesammt Advokaten, welche es nicht heissen wollen, und zwar zumeist sogar verschmitzte Fürsprecher ihrer Vorurtheile, die sie "Wahrheiten" taufen—und sehr ferne von der Tapferkeit des Gewissens, das sich dies, eben dies eingesteht, sehr ferne von dem guten Geschmack der Tapferkeit, welche dies auch zu verstehen giebt, sei es um einen Feind oder Freund zu warnen, sei es aus Uebermuth und um ihrer selbst zu spotten. Die ebenso steife als sittsame Tartüfferie des alten Kant, mit der er uns auf die dialektischen Schleichwege lockt, welche zu seinem "kategorischen Imperativ" führen, richtiger verführen—dies Schauspiel macht uns Verwöhnte lächeln, die wir keine kleine Belustigung darin finden, den feinen Tücken alter Moralisten und Moralprediger auf die Finger zu sehn. Oder gar jener Hocuspocus von mathematischer Form, mit der Spinoza seine Philosophie—"die Liebe zu seiner Weisheit" zuletzt, das Wort richtig und billig ausgelegt—wie in Erz panzerte und maskirte, um damit von vornherein den Muth des Angreifenden einzuschüchtern, der auf diese unüberwindliche Jungfrau und Pallas Athene den Blick zu werfen wagen würde:—wie viel eigne Schüchternheit und Angreifbarkeit verräth diese Maskerade eines einsiedlerischen Kranken!

What provokes one to look at all philosophers half suspiciously, half mockingly, is not that one discovers again and again how innocent they are—how often and how easily they make mistakes and go astray, in short, their childishness and childlikeness—but that they are not honest enough in their work: although they make a lot of virtuous noise when the problem of truthfulness is touched even remotely. They all pose as if they had discovered and reached their real opinions through the self-development of a cold, pure, divinely unconcerned dialectic (as opposed to the mystics of every rank, who are more honest and doltish—they talk about "inspiration" ["Inspiration"]—): while at bottom it is an assumption, a hunch, indeed a kind of "inspiration" ["Eingebung"], most often a desire of the heart that has been filtered and made abstract that they defend with reasons they have sought after the fact:—they are all advocates who resent that name, and for the most part even wily spokesmen for their prejudices which they baptize "truths"—and very far from having the courage of the conscience that admits this, precisely this, to itself; very far from having the good taste of the courage which also lets this be known, whether to warn an enemy or friend, or, from exuberance, to mock itself. The equally stiff and decorous Tartuffery [like the hypocritical priest who is the eponymous hero of Molière's 1664 comedy Tartuffe.] of the old Kant as he lures us on the dialectical bypaths that lead to his "categorical imperative"—really lead astray and seduce—this spectacle makes us smile, as we are fastidious and find it quite amusing to watch closely the subtle tricks of old moralists and preachers of morals. Or consider the hocus-pocus of mathematical form with which Spinoza clad his philosophy—really "the love of his wisdom," to render that word fairly and squarely—in mail and mask, to strike terror at the very outset into the heart of any assailant who should dare to glance at that invincible maiden and Pallas Athena:—how much personal timidity and vulnerability this masquerade of a sick hermit betrays!

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Allmählich hat sich mir herausgestellt, was jede grosse Philosophie bisher war: nämlich das Selbstbekenntnis ihres Urhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter mémoires; insgleichen, dass die moralischen (oder unmoralischen) Absichten in jeder Philosophie den eigentlichen Lebenskeim ausmachten, aus dem jedesmal die ganze Pflanze gewachsen ist. In der That, man thut gut (und klug), zur Erklärung davon, wie eigentlich die entlegensten metaphysischen Behauptungen eines Philosophen zu Stande gekommen sind, sich immer erst zu fragen: auf welche Moral will es (will er—) hinaus? Ich glaube demgemäss nicht, dass ein "Trieb zur Erkenntniss" der Vater der Philosophie ist, sondern dass sich ein andrer Trieb, hier wie sonst, der Erkenntniss (und der Verkenntniss!) nur wie eines Werkzeugs bedient hat. Wer aber die Grundtriebe des Menschen darauf hin ansieht, wie weit sie gerade hier als inspirirende Genien (oder Dämonen und Kobolde—) ihr Spiel getrieben haben mögen, wird finden, dass sie Alle schon einmal Philosophie getrieben haben,—und dass jeder Einzelne von ihnen gerade sich gar zu gerne als letzten Zweck des Daseins und als berechtigten Herrn aller übrigen Triebe darstellen möchte. Denn jeder Trieb ist herrschsüchtig: und als solcher versucht er zu philosophiren.— Freilich: bei den Gelehrten, den eigentlich wissenschaftlichen Menschen, mag es anders stehn—"besser," wenn man will—, da mag es wirklich so Etwas wie einen Erkenntnisstrieb geben, irgend ein kleines unabhängiges Uhrwerk, welches, gut aufgezogen, tapfer darauf los arbeitet, ohne dass die gesammten übrigen Triebe des Gelehrten wesentlich dabei betheiligt sind. Die eigentlichen "Interessen" des Gelehrten liegen deshalb gewöhnlich ganz wo anders, etwa in der Familie oder im Gelderwerb oder in der Politik; ja es ist beinahe gleichgültig, ob seine kleine Maschine an diese oder jene Stelle der Wissenschaft gestellt wird, und ob der "hoffnungsvolle" junge Arbeiter aus sich einen guten Philologen oder Pilzekenner oder Chemiker macht:—es bezeichnet ihn nicht, dass er dies oder jenes wird. Umgekehrt ist an dem Philosophen ganz und gar nichts Unpersönliches; und insbesondere giebt seine Moral ein entschiedenes und entscheidendes Zeugniss dafür ab, wer er ist—das heisst, in welcher Rangordnung die innersten Triebe seiner Natur zu einander gestellt sind.

Gradually it has become clear to me what every great philosophy so far has been: namely, the personal confession of its author and a kind of involuntary and unconscious mémoires; also that the moral (or immoral) intentions in every philosophy constituted the real germ of life from which the whole plant had grown. Indeed, if one would explain how the abstrusest metaphysical claims of a philosopher really came about, it is always well (and wise) to ask first: at what morality does all this (does he—) aim? Accordingly, I do not believe that a "drive for knowledge" is the father of philosophy; but rather that another drive has, here as elsewhere employed knowledge (and mis-knowledge!) as a mere instrument. But anyone who considers the basic drives of man to see to what extent they may have been at play just here as in inspiring spirits (or demons and kobolds—), will find that all of them have done philosophy at some time—and that every single one of them would like only too well to represent just itself as the ultimate purpose of existence and the legitimate master [Herrn] of all the other drives. For every drive is domineering [herrschsüchtig]: and as such it attempts to philosophize.— To be sure: among scholars who are really scientific men things may be different—"better," if you like—, there you may really find something like a drive for knowledge, some small independent clockwork that, once well wound, works on vigorously without any essential participation from all the other drives of the scholar. The real "interests" of the scholar therefore lie usually somewhere else, in his family, say, or in making money, or in politics; indeed, it is almost a matter of total indifference whether his little machine is placed at this or that spot in science, and whether the "promising" young worker turns himself into a good philologist or an expert on fungi or a chemist:—it does not characterize him that he becomes this or that. In the philosopher conversely, there is nothing whatever that is impersonal; and above all his morality bears decided and decisive witness to who he is—that is, in what order of rank the innermost drives of his nature stand in relation to each other.

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Wie boshaft Philosophen sein können! Ich kenne nichts Giftigeres als den Scherz, den sich Epicur gegen Plato und die Platoniker erlaubte: er nannte sie Dionysiokolakes. Das bedeutet dem Wortlaute nach und im Vordergrunde "Schmeichler des Dionysios," also Tyrannen-Zubehör und Speichellecker; zu alledem will es aber noch sagen "das sind Alles Schauspieler, daran ist nichts Ächtes" (denn Dionysokolax war eine populäre Bezeichnung des Schauspielers). Und das Letztere ist eigentlich die Bosheit, welche Epicur gegen Plato abschoss: ihn verdross die grossartige Manier, das Sich-in-Scene-Setzen, worauf sich Plato sammt seinen Schülern verstand,—worauf sich Epicur nicht verstand! er, der alte Schulmeister von Samos, der in seinem Gärtchen zu Athen versteckt sass und dreihundert Bücher schrieb, wer weiss? vielleicht aus Wuth und Ehrgeiz gegen Plato?— Es brauchte hundert Jahre, bis Griechenland dahinter kam, wer dieser Gartengott Epicur gewesen war.— Kam es dahinter? —

How malicious philosophers can be! I know of nothing more venomous than the joke Epicurus permitted himself against Plato and the Platonists: he called them Dionysiokolakes. That means, literally and the foreground meaning, "flatterers of Dionysus," hence, tyrant's baggage and lickspittles; but in addition to this it also wants to say, "they are all actors, there is nothing genuine about them" (for Dionysokolax was a popular name for an actor). And the latter is really the malice that Epicurus aimed at Plato: he was peeved by the grandiose manner, the theatricality [Sich-in-Scene-Setzen: playing to the gallery] at which Plato and his disciples were so expert—at which Epicurus was not an expert! he, the old schoolmaster from Samos, who sat tucked away in his little garden in Athens and wrote three hundred books, who knows? perhaps from rage and ambition against Plato?— It took a hundred years until Greece found out who this garden god Epicurus had been.— Did they find out? —

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In jeder Philosophie giebt es einen Punkt, wo die "Überzeugung" des Philosophen auf die Bühne tritt: oder, um es in der Sprache eines alten Mysteriums zu sagen:

adventavit asinus
pulcher et fortissimus.

[Orientis partibus"; zitiert bei Georg Christoph Lichtenberg, Vermischte Schriften. Göttingen: Dieterich, 1867:5, 327 (Vgl. Göttingen: Dieterich, 1844:5, 327).]

There is a point in every philosophy when the philosopher's "conviction" steps onto the stage—or to use the language of an ancient Mystery:

adventavit asinus
pulcher et fortissimus.

[The ass entered / beautiful and most brave. From the 13th century song "Orientis partibus"; quoted in Nietzsche's copy of Georg Christoph Lichtenberg's Vermischte Schriften (Miscellaneous Writings). Göttingen: Dieterich, 1867:5, 327 (cf. Göttingen: Dieterich, 1844:5, 327).]

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"Gemäss der Natur" wollt ihr leben? Oh ihr edlen Stoiker, welche Betrügerei der Worte! Denkt euch ein Wesen, wie es die Natur ist, verschwenderisch ohne Maass, gleichgültig ohne Maass, ohne Absichten und Rücksichten, ohne Erbarmen und Gerechtigkeit, fruchtbar und öde und ungewiss zugleich, denkt euch die Indifferenz selbst als Macht—wie könntet ihr gemäss dieser Indifferenz leben? Leben—ist das nicht gerade ein Anders-sein-wollen, als diese Natur ist? Ist Leben nicht Abschätzen, Vorziehn, Ungerechtsein, Begrenzt-sein, Different-sein-wollen? Und gesetzt, euer Imperativ "gemäss der Natur leben" bedeute im Grunde soviel als "gemäss dem Leben leben"—wie könntet ihr's denn nicht? Wozu ein Princip aus dem machen, was ihr selbst seid und sein müsst?— In Wahrheit steht es ganz anders: indem ihr entzückt den Kanon eures Gesetzes aus der Natur zu lesen vorgebt, wollt ihr etwas Umgekehrtes, ihr wunderlichen Schauspieler und Selbst-Betrüger! Euer Stolz will der Natur, sogar der Natur, eure Moral, euer Ideal vorschreiben und einverleiben, ihr verlangt, dass sie "der Stoa gemäss" Natur sei und möchtet alles Dasein nur nach eurem eignen Bilde dasein machen—als eine ungeheure ewige Verherrlichung und Verallgemeinerung des Stoicismus! Mit aller eurer Liebe zur Wahrheit zwingt ihr euch so lange, so beharrlich, so hypnotisch-starr, die Natur falsch, nämlich stoisch zu sehn, bis ihr sie nicht mehr anders zu sehen vermögt,—und irgend ein abgründlicher Hochmuth giebt euch zuletzt noch die Tollhäusler-Hoffnung ein, dass, weil ihr euch selbst zu tyrannisiren versteht—Stoicismus ist Selbst-Tyrannei—, auch die Natur sich tyrannisiren lässt: ist denn der Stoiker nicht ein Stück Natur? ..... Aber dies ist eine alte ewige Geschichte: was sich damals mit den Stoikern begab, begiebt sich heute noch, sobald nur eine Philosophie anfängt, an sich selbst zu glauben. Sie schafft immer die Welt nach ihrem Bilde, sie kann nicht anders; Philosophie ist dieser tyrannische Trieb selbst, der geistigste Wille zur Macht, zur "Schaffung der Welt," zur causa prima.

You want to live "according to nature"? Oh you noble Stoics, what deceptive words these are! Imagine a being like nature, wasteful beyond measure, indifferent beyond measure, without purpose and consideration, without mercy and fairness, fertile and desolate and uncertain at the same time; imagine indifference itself as a power—how could you live according to this indifference? Living—is that not precisely wanting to be other than this nature? Is not living estimating, preferring, being unjust, being limited, wanting to be different? And supposing your imperative "live according to nature" meant at bottom as much as "live according to life"—how could you not do that? Why make a principle of what you yourselves are and must be?— In truth, the matter is altogether different: while you pretend rapturously to read the canon of your law in nature, you want something opposite, you strange actors and self-deceivers! Your pride wants to impose and incorporate your morality, your ideal onto nature, even onto nature, you demand that it be nature "according to the Stoa," and you would like all existence to exist only after your own image—as an immense eternal glorification and universalization of Stoicism! For all your love of truth, you have forced yourselves so long, so persistently, so rigidly and hypnotically to see nature falsely, namely stoically, that you are no longer able to see it differently—and some abysmal arrogance finally still inspires you with the insane hope that because you know how to tyrannize yourselves—Stoicism is self-tyranny—, nature, too, lets itself be tyrannized: is not the Stoic—a piece of nature? ..... But this is an old, eternal story: what formerly happened with the Stoics still happens today, as soon as any philosophy begins to believe in itself. It always creates the world in its own image, it cannot do otherwise; philosophy is this tyrannical drive itself, the most spiritual will to power, to the "creation of the world," to the causa prima [first cause].

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Der Eifer und die Feinheit, ich möchte sogar sagen: Schlauheit, mit denen man heute überall in Europa dem Probleme "von der wirklichen und der scheinbaren Welt" auf den Leib rückt, giebt zu denken und zu horchen; und wer hier im Hintergrunde nur einen "Willen zur Wahrheit" und nichts weiter hört, erfreut sich gewiss nicht der schärfsten Ohren. In einzelnen und seltenen Fällen mag wirklich ein solcher Wille zur Wahrheit, irgend ein ausschweifender und abenteuernder Muth, ein Metaphysiker-Ehrgeiz des verlornen Postens dabei betheiligt sein, der zuletzt eine Handvoll "Gewissheit" immer noch einem ganzen Wagen voll schöner Möglichkeiten vorzieht; es mag sogar puritanische Fanatiker des Gewissens geben, welche lieber noch sich auf ein sicheres Nichts als auf ein ungewisses Etwas sterben legen. Aber dies ist Nihilismus und Anzeichen einer verzweifelnden sterbensmüden Seele: wie tapfer auch die Gebärden einer solchen Tugend sich ausnehmen mögen. Bei den stärkeren, lebensvolleren, nach Leben noch durstigen Denkern scheint es aber anders zu stehen: indem sie Partei gegen den Schein nehmen und das Wort "perspektivisch" bereits mit Hochmuth aussprechen, indem sie die Glaubwürdigkeit ihres eigenen Leibes ungefähr so gering anschlagen wie die Glaubwürdigkeit des Augenscheins, welcher sagt "die Erde steht still," und dermaassen anscheinend gut gelaunt den sichersten Besitz aus den Händen lassen (denn was glaubt man jetzt sicherer als seinen Leib?) wer weiss, ob sie nicht im Grunde Etwas zurückerobern wollen, das man ehemals noch sicherer besessen hat, irgend Etwas vom alten Grundbesitz des Glaubens von Ehedem, vielleicht "die unsterbliche Seele," vielleicht "den alten Gott," kurz, Ideen, auf welchen sich besser, nämlich kräftiger und heiterer leben liess als auf den "modernen Ideen"? Es ist Misstrauen gegen diese modernen Ideen darin, es ist Unglauben an alles Das, was gestern und heute gebaut worden ist; es ist vielleicht ein leichter Überdruss und Hohn eingemischt, der das bric-à-brac von Begriffen verschiedenster Abkunft nicht mehr aushält, als welches sich heute der sogenannte Positivismus auf den Markt bringt, ein Ekel des verwöhnteren Geschmacks vor der Jahrmarkts-Buntheit und Lappenhaftigkeit aller dieser Wirklichkeits-Philosophaster [Anspielung auf Eugen Dühring (1833-1921).], an denen nichts neu und ächt ist als diese Buntheit. Man soll darin, wie mich dünkt, diesen skeptischen Anti-Wirklichen und Erkenntniss-Mikroskopikern von heute Recht geben: ihr Instinkt, welcher sie aus der modernen Wirklichkeit hinwegtreibt, ist unwiderlegt,—was gehen uns ihre rückläufigen Schleichwege an! Das Wesentliche an ihnen ist nicht, dass sie "zurück" wollen: sondern, dass sie—weg wollen. Etwas Kraft, Flug, Muth, Künstlerschaft mehr: und sie würden hinaus wollen,—und nicht zurück!—

The eagerness and subtlety—I might even say, shrewdness— with which the problem of "the real and the apparent world" is today attacked all over Europe makes one think and listen; and anyone who hears nothing in the background except a "will to truth," certainly does not have the sharpest of ears. In rare and particular instances it may really be the case that such a will to truth, some extravagant and adventurous courage, a metaphysician's ambition to hold a hopeless position, may participate and ultimately prefer even a handful of "certainty" to a entire wagonload of beautiful possibilities; there may actually be puritanical fanatics of conscience who even prefer to lie down and die on a certain nothing than an uncertain something. But this is nihilism and the sign of a despairing, mortally weary soul: however courageous the gestures of such a virtue may look. It seems, however, to be otherwise with stronger and livelier thinkers who are still eager for life. When they side against appearance, and speak of "perspective," with a new arrogance; when they rank the credibility of their own bodies about as low as the credibility of the visual evidence that "the earth stands still," and thus, apparently in good humor, let their securest possession go (for in what does one at present believe more firmly than in one's body?)—who knows if they are not trying at bottom to win back something that was formerly an even securer possession, something of the ancient domain of the faith of former times, perhaps the "immortal soul," perhaps "the old God," in short, ideas by which one could live better, that is to say, more vigorously and cheerfully than by "modern ideas"? There is mistrust of these modern ideas in this attitude, a disbelief in all that has been constructed yesterday and today; there is perhaps some slight admixture of satiety and scorn, unable to endure any longer the bric-a-brac of concepts of the most diverse origin, which is the form in which so-called positivism offers itself on the market today; a disgust of the more fastidious taste at the village-fair motleyness and patchiness of all these reality-philosophasters [allusion to Eugen Dühring, German positivist philosopher] in whom there is nothing new or genuine, except this motleyness. In this, it seems to me, we should agree with these skeptical anti-realists and knowledge microscopists of today: their instinct, which repels them from modern reality, is unrefuted—what do their retrograde bypaths concern us! The main thing about them is not that they wish to "go back": but that they wish to get—away. A little more strength, flight, courage, and artistic power: and they would want to rise—and not return! —

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Es scheint mir, dass man jetzt überall bemüht ist, von dem eigentlichen Einflusse, den Kant auf die deutsche Philosophie ausgeübt hat, den Blick abzulenken und namentlich über den Werth, den er sich selbst zugestand, klüglich hinwegzuschlüpfen. Kant war vor Allem und zuerst stolz auf seine Kategorientafel, er sagte mit dieser Tafel in den Händen: "das ist das Schwerste, was jemals zum Behufe der Metaphysik unternommen werden konnte."— Man verstehe doch dies "werden konnte"! er war stolz darauf, im Menschen ein neues Vermögen, das Vermögen zu synthetischen Urteilen a priori, entdeckt zu haben. Gesetzt, dass er sich hierin selbst betrog: aber die Entwicklung und rasche Blüthe der deutschen Philosophie hängt an diesem Stolze und an dem Wetteifer aller Jüngeren, womöglich noch Stolzeres zu entdecken—und jedenfalls "neue Vermögen"!— Aber besinnen wir uns: es ist an der Zeit. Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? fragte sich Kant,—und was antwortete er eigentlich? Vermöge eines Vermögens: leider aber nicht mit drei Worten, sondern so umständlich, ehrwürdig und mit einem solchen Aufwande von deutschem Tief- und Schnörkelsinne, dass man die lustige niaiserie allemande überhörte, welche in einer solchen Antwort steckt. Man war sogar ausser sich über dieses neue Vermögen, und der Jubel kam auf seine Höhe, als Kant auch noch ein moralisches Vermögen im Menschen hinzu entdeckte:—denn damals waren die Deutschen noch moralisch, und ganz und gar noch nicht "real-politisch."— Es kam der Honigmond der deutschen Philosophie; alle jungen Theologen des Tübinger Stifts giengen alsbald in die Büsche,—alle suchten nach "Vermögen." Und was fand man nicht Alles—in jener unschuldigen, reichen, noch jugendlichen Zeit des deutschen Geistes, in welche die Romantik, die boshafte Fee, hineinblies, hineinsang, damals, als man "finden" und "erfinden" noch nicht auseinander zu halten wusste! Vor Allem ein Vermögen für's "übersinnliche": Schelling taufte es die intellektuale Anschauung und kam damit den herzlichsten Gelüsten seiner im Grunde frommgelüsteten Deutschen entgegen. Man kann dieser ganzen übermüthigen und schwärmerischen Bewegung, welche Jugend war, so kühn sie sich auch in graue und greisenhafte Begriffe verkleidete, gar nicht mehr Unrecht thun, als wenn man sie ernst nimmt und gar etwa mit moralischer Entrüstung behandelt; genug, man wurde älter,—der Traum verflog. Es kam eine Zeit, wo man sich die Stirne rieb: man reibt sie sich heute noch. Man hatte geträumt: voran und zuerst—der alte Kant. "Vermöge eines Vermögens"—hatte er gesagt, mindestens gemeint. Aber ist denn das—eine Antwort? Eine Erklärung? Oder nicht vielmehr nur eine Wiederholung der Frage? Wie macht doch das Opium schlafen? "Vermöge eines Vermögens," nämlich der virtus dormitiva—antwortet jener Arzt bei Molière,

quia est in eo virtus dormitiva,
cujus est natura sensus assoupire.
[Voltaire: Le Malade imaginaire.]

Aber dergleichen Antworten gehören in die Komödie, und es ist endlich an der Zeit, die Kantische Frage "Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?" durch eine andre Frage zu ersetzen "warum ist der Glaube an solche Urtheile nöthig?"—nämlich zu begreifen, dass zum Zweck der Erhaltung von Wesen unsrer Art solche Urtheile als wahr geglaubt werden müssen; weshalb sie natürlich noch falsche Urtheile sein könnten! Oder, deutlicher geredet und grob und gründlich: synthetische Urtheile a priori sollten gar nicht "möglich sein": wir haben kein Recht auf sie, in unserm Munde sind es lauter falsche Urtheile. Nur ist allerdings der Glaube an ihre Wahrheit nöthig, als ein Vordergrunds-Glaube und Augenschein, der in die Perspektiven-Optik des Lebens gehört.— Um zuletzt noch der ungeheuren Wirkung zu gedenken, welche "die deutsche Philosophie"—man versteht, wie ich hoffe, ihr Anrecht auf Gänsefüsschen?—in ganz Europa ausgeübt hat, so zweifle man nicht, dass eine gewisse virtus dormitiva dabei betheiligt war: man war entzückt, unter edlen Müssiggängern, Tugendhaften, Mystikern, Künstlern, Dreiviertels-Christen und politischen Dunkelmännern aller Nationen, Dank der deutschen Philosophie, ein Gegengift gegen den noch übermächtigen Sensualismus zu haben, der vom vorigen Jahrhundert in dieses hinüberströmte, kurz—"sensus assoupire" .....

lt seems to me that today attempts are made everywhere to divert attention from the actual influence Kant exerted on German philosophy, and especially to ignore prudently the value he set upon himself. Kant was first and foremost proud of his table of categories; with that in his hand he said: "This is the most difficult thing that could ever be undertaken on behalf of metaphysics."— Let us only understand this "could be"! He was proud of having discovered a new faculty in man, the faculty for synthetic judgments a priori. Suppose he deceived himself in this matter; the development and rapid flourishing of German philosophy depended nevertheless on his pride, and on the eager rivalry of the younger generation to discover, if possible, something still prouder—at all events "new faculties"!— But let us reflect; it is high time to do so. "How are synthetic judgments a priori possible?" Kant asked himself—and what really is his answer? "By virtue of a faculty": but unfortunately not in five words, but so circumstantially, venerably, and with such a display of German profundity and curlicues that people simply failed to note the comical niaiserie allemande [German inanity. See footnote below.] involved in such an answer. People were actually beside themselves with delight over this new faculty, and the jubilation reached its climax when Kant further discovered a moral faculty in man—for at that time the Germans were still moral and not yet addicted to "Realpolitik" ["reality politics" (of Otto von Bismarck (1815-98))].— The honeymoon of German philosophy arrived; all the young theologians of the Tubingen seminary went into the bushes—all looking for "faculties." And what did they not find—in that innocent, rich, and still youthful period of the German spirit, to which romanticism, the malignant fairy, piped and sang, when one could not yet distinguish between "finding" and "inventing"! Above all, a faculty for the "surprasensible": Schelling christened it intellectual intuition, and thus gratified the most heartfelt cravings of the Germans, whose cravings were at bottom pious. One can do no greater wrong to the whole of this exuberant and enthusiastic movement, which was really youthfulness, however boldly it disguised itself in hoary and senile concepts, than to take it seriously or worse, to treat it with moral indignation; enough, one grew older—the dream vanished. A time came when people scratched their heads: they still scratch them today. One had been dreaming, and first and foremost—old Kant. "By virtue of a faculty"—he had said, or at least meant. But is that an answer? An explanation? Or is it not rather merely a repetition of the question? How does opium induce sleep? "By virtue of a faculty," namely the virtus dormitiva, replies the doctor in Moliere,

quia est in eo virtus dormitiva,
cujus est natura sensus assoupire.
["Because it contains a dormative virtue, / whose nature is to put the senses to sleep." Moliere (née Jean-Baptiste Poquelin, French actor and dramatist, 1622-73): Le Malade imaginaire.]

But such replies belong in comedy, and it is high time to replace the Kantian question, "How are synthetic judgments a priori possible?" by another question, "Why is belief in such judgments necessary?"—and to comprehend that such judgments must be believed to be true, for the sake of the preservation of creatures like ourselves; though they might, of course, be false judgments for all that! Or to speak more clearly and coarsely: synthetic judgments a priori should not "be possible" at all: we have no right to them, in our mouths they are nothing but false judgments. Only, of course, the belief in their truth is necessary, as a foreground belief and visual evidence belonging to the perspective optics of life.— Finally, to call to mind the enormous influence that "German philosophy"—its right to quotation marks is, I hope, understood?—has exercised throughout the whole of Europe, there is no doubt that a certain virtus dormitiva had a share in it: it was a delight to the noble idlers, the virtuous, the mystics, artists, three-quarter Christians, and political obscurantists of all nations, to find, thanks to German philosophy, an antidote to the still predominant sensualism which overflowed from the last century into this, in short—"sensus assoupire" .....

["niaiserie allemande" (German inanity) in Nietzsche's Library:

"niaiserie allemande"

Prosper Mérimée, Lettres à une inconnue. Précédées d'une étude sur Mérimée par H. Taine. Vol. 1. Paris: Michel Lévy Frères, 1874, 328:

"[Goethe's Wilhelm Meister] est un étrange livre, où les plus belles choses du monde alternent avec les enfantillages les plus ridicules. Dans tout ce qu’a fait Goethe, il y a un mélange de génie et de niaiserie allemande des plus singuliers: se moquait — il de lui-même ou des autres?" ([Goethe's Wilhelm Meister] is a strange book, where the most beautiful things in the world alternate with the most ridiculous childish behavior. In everything Goethe produces, there is the most remarkable mixture of genius and German inanity: poking fun at — himself or others?)

"Deutscher Niaiserie"

Arthur Schopenhauer, "Kritik der Kantischen Philosophie." In: Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 2, 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. Erster Band. Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält. Leipzig: Brockhaus, 1873, 508:

"Jedoch die größte Frechheit im Auftischen haaren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäuser vernommen hatte, trat endlich im Hegel auf und wurde das Werkzeug der plumpesten allgemeinen Mystifikation, die je gewesen, mit einem Erfolg, welcher der Nachwelt fabelhaft erscheinen und ein Denkmal Deutscher Niaiserie bleiben wird." (However, the greatest piece of impertinence in dishing out sheer nonsense, in combination with frantic tangles of meaningless words, the likes of which had been heard up to then only in madhouses, finally appeared in Hegel, and became the tool of the crudest general mystification that has ever been, with a result that will appear fabulous to posterity and remain a monument to German niaiserie.)]

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Was die materialistische Atomistik betrifft: so gehört dieselbe zu den bestwiderlegten Dingen, die es giebt; und vielleicht ist heute in Europa Niemand unter den Gelehrten mehr so ungelehrt, ihr ausser zum bequemen Hand- und Hausgebrauch (nämlich als einer Abkürzung der Ausdrucksmittel) noch eine ernstliche Bedeutung zuzumessen—Dank vorerst jenem Polen Boscovich, der, mitsammt dem Polen Kopernicus, bisher der grösste und siegreichste Gegner des Augenscheins war. Während nämlich Kopernicus uns überredet hat zu glauben, wider alle Sinne, dass die Erde nicht fest steht, lehrte Boscovich dem Glauben an das Letzte, was von der Erde "feststand," abschwören, dem Glauben an den "Stoff," an die "Materie," an das Erdenrest- und Klümpchen-Atom: es war der grösste Triumph über die Sinne, der bisher auf Erden errungen worden ist.— Man muss aber noch weiter gehn und auch dem "atomistischen Bedürfnisse," das immer noch ein gefährliches Nachleben führt, auf Gebieten, wo es Niemand ahnt, gleich jenem berühmteren "metaphysischen Bedürfnisse"—den Krieg erklären, einen schonungslosen Krieg auf's Messer:—man muss zunächst auch jener anderen und verhängnissvolleren Atomistik den Garaus machen, welche das Christenthum am besten und längsten gelehrt hat, der Seelen-Atomistik. Mit diesem Wort sei es erlaubt, jenen Glauben zu bezeichnen, der die Seele als etwas Unvertilgbares, Ewiges, Untheilbares, als eine Monade, als ein Atomon nimmt: diesen Glauben soll man aus der Wissenschaft hinausschaffen! Es ist, unter uns gesagt, ganz und gar nicht nöthig, "die Seele" selbst dabei los zu werden und auf eine der ältesten und ehrwürdigsten Hypothesen Verzicht zu leisten: wie es dem Ungeschick der Naturalisten zu begegnen pflegt, welche, kaum dass sie an "die Seele" rühren, sie auch verlieren. Aber der Weg zu neuen Fassungen und Verfeinerungen der Seelen-Hypothese steht offen: und Begriffe wie "sterbliche Seele" und "Seele als Subjekts-Vielheit" und "Seele als Gesellschaftsbau der Triebe und Affekte" wollen fürderhin in der Wissenschaft Bürgerrecht haben. Indem der neue Psycholog dem Aberglauben ein Ende bereitet, der bisher um die Seelen-Vorstellung mit einer fast tropischen Üppigkeit wucherte, hat er sich freilich selbst gleichsam in eine neue Oede und ein neues Misstrauen hinaus gestossen—es mag sein, dass die älteren Psychologen es bequemer und lustiger hatten—: zuletzt aber weiss er sich eben damit auch zum Erfinden verurtheilt—und, wer weiss? vielleicht zum Finden. —

As for materialistic atomism, it is one of the best refuted theories there are, and in Europe perhaps no one in the learned world is now so unscholarly as to attach serious significance to it for convenient household use (as an abbreviation of the means of expression) thanks chiefly to the Dalmatian Boscovich and the Pole Copernicus have been the greatest and most successful opponents of visual evidence so far. For while Copernicus has persuaded us to believe, contrary to all the senses, that the earth does not stand fast, Boscovich has taught us to abjure the belief in the last part of the earth that "stood fast"—the belief in "substance," in "matter," in the earth-residuum and particle-atom; it is the greatest triumph over the senses that has been gained on earth so far.— One must, however, go still further, and also declare war, relentless war unto death, against the "atomistic need" which still leads a dangerous afterlife in places where no one suspects it, just like the more celebrated "metaphysical need": one must also, first of all, give the finishing stroke to that other and more calamitous atomism which Christianity has taught best and longest, the soul atomism. Let it be permitted to designate by this expression the belief which regards the soul as something indestructible, eternal, indivisible, as a monad, as an atomon: this belief ought to be expelled from science! Between ourselves, it is not at all necessary to get rid of "the soul" at the same time, and thus to renounce one of the most ancient and venerable hypotheses—as happens frequently to clumsy naturalists who can hardly touch on "the soul" without immediately losing it. But the way is open for new versions and refinements of the soul-hypothesis; and such conceptions as "mortal soul," and "soul as subjective multiplicity," and "soul as social structure of the drives and affects" want henceforth to have citizens' rights in science. When the new psychologist puts an end to the superstitions which have so far flourished with almost tropical luxuriance around the idea of the soul, he practically exiles himself into a new desert and a new suspicion—it is possible that the older psychologists had a merrier and more comfortable time of it; eventually, however, he knows that he is thereby also condemned to invention [Erfinden]—and—who knows?—perhaps to discovery [Finden]. —

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Die Physiologen sollten sich besinnen, den Selbsterhaltungstrieb als kardinalen Trieb eines organischen Wesens anzusetzen. Vor Allem will etwas Lebendiges seine Kraft auslassen—Leben selbst ist Wille zur Macht—: die Selbsterhaltung ist nur eine der indirekten und häufigsten Folgen davon.— Kurz, hier wie überall, Vorsicht vor überflüssigen teleologischen Principien!—wie ein solches der Selbsterhaltungstrieb ist (man dankt ihn der Inconsequenz Spinoza's—). So nämlich gebietet es die Methode, die wesentlich Principien-Sparsamkeit sein muss.

Physiologists should think before putting down the instinct of self-preservation as the cardinal instinct of an organic being. A living thing seeks above all to discharge its strength—life itself is will to power—: self-preservation is only one of the indirect and most frequent results.— In short, here as everywhere else, let us beware of superfluous teleological principles!—one of which is the instinct of self-preservation (we owe it to Spinoza's inconsistency—). Thus method, which must be essentially economy of principles, demands it.

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Es dämmert jetzt vielleicht in fünf, sechs Köpfen, dass Physik auch nur eine Welt-Auslegung und -Zurechtlegung (nach uns! mit Verlaub gesagt) und nicht eine Welt-Erklärung ist: aber, insofern sie sich auf den Glauben an die Sinne stellt, gilt sie als mehr und muss auf lange hinaus noch als mehr, nämlich als Erklärung gelten. Sie hat Augen und Finger für sich, sie hat den Augenschein und die Handgreiflichkeit für sich: das wirkt auf ein Zeitalter mit plebejischem Grundgeschmack bezaubernd, überredend, überzeugend, —es folgt ja instinktiv dem Wahrheits-Kanon des ewig volksthümlichen Sensualismus. Was ist klar, was "erklärt"? Erst Das, was sich sehen und tasten lässt,—bis so weit muss man jedes Problem treiben. Umgekehrt: genau im Widerstreben gegen die Sinnenfälligkeit bestand der Zauber der platonischen Denkweise, welche eine vornehme Denkweise war,—vielleicht unter Menschen, die sich sogar stärkerer und anspruchsvollerer Sinne erfreuten, als unsre Zeitgenossen sie haben, aber welche einen höheren Triumph darin zu finden wussten, über diese Sinne Herr zu bleiben: und dies mittels blasser kalter grauer Begriffs-Netze, die sie über den bunten Sinnen-Wirbel—den Sinnen-Pöbel, wie Plato sagte [Leg. 689 a-b]—warfen. [Vgl. Gustav Teichmüller, Die wirkliche und die scheinbare Welt: Neue Grundlegung der Metaphysik. Breslau: Koebner, 1882:15.] Es war eine andre Art Genuss in dieser Welt-Überwältigung und Welt-Auslegung nach der Manier des Plato, als der es ist, welchen uns die Physiker von Heute anbieten, insgleichen die Darwinisten und Antitheologen unter den physiologischen Arbeitern, mit ihrem Princip der "kleinstmöglichen Kraft" und der grösstmöglichen Dummheit. "Wo der Mensch nichts mehr zu sehen und zu greifen hat, da hat er auch nichts mehr zu suchen"—das ist freilich ein anderer Imperativ als der Platonische, welcher aber doch für ein derbes arbeitsames Geschlecht von Maschinisten und Brückenbauern der Zukunft, die lauter grobe Arbeit abzuthun haben, gerade der rechte Imperativ sein mag.

It is perhaps just dawning on five or six minds that physics, too, is only an interpretation and exegesis of the world (to suit us, if I may say so!) and not a world-explanation; but insofar as it is based on belief in the senses, it is regarded as more, and for a long time to come must be regarded as more—namely, as an explanation. Eyes and fingers speak in its favor, visual evidence and palpableness do, too: this strikes an age with fundamentally plebeian tastes as fascinating, persuasive, and convincing—after all, it follows instinctively the canon of truth of eternally popular sensualism. What is clear, what is "explained"? Only what can be seen and felt—every problem has to be pursued to that point. Conversely, the charm of the Platonic way of thinking, which was a noble way of thinking, consisted precisely in resistance to obvious sense-evidence—perhaps among men who enjoyed even stronger and more demanding senses than our contemporaries, but who knew how to find a higher triumph in remaining masters of their senses: and this by means of pale, cold, gray concept nets which they threw over the motley whirl of the senses—the mob of the senses, as Plato said [Laws, 689 a-b]. [Cf. Gustav Teichmüller, Die wirkliche und die scheinbare Welt: Neue Grundlegung der Metaphysik. Breslau: Koebner, 1882:15.] In this overcoming of the world, and interpreting of the world in the manner of Plato, there was an enjoyment different from that which the physicists of today offer us, likewise the Darwinists and anti-teleologists among the workers in physiology, with their principle of the "smallest possible force" and the greatest possible stupidity. "Where man cannot find anything to see or to grasp, he has no further business"—that is certainly an imperative different from the Platonic one, but it may be the right imperative for a tough, industrious race of machinists and bridge-builders of the future, who have nothing but rough work to do.

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Um Physiologie mit gutem Gewissen zu treiben, muss man darauf halten, dass die Sinnesorgane nicht Erscheinungen sind im Sinne der idealistischen Philosophie: als solche könnten sie ja keine Ursachen sein! Sensualismus mindestens somit als regulative Hypothese, um nicht zu sagen als heuristisches Princip.— Wie? und Andere sagen gar, die Aussenwelt wäre das Werk unsrer Organe? Aber dann wäre ja unser Leib, als ein Stück dieser Aussenwelt, das Werk unsrer Organe! Aber dann wären ja unsre Organe selbst—das Werk unsrer Organe! Dies ist, wie mir scheint, eine gründliche reductio ad absurdum: gesetzt, dass der Begriff causa sui etwas gründlich Absurdes ist. Folglich ist die Aussenwelt nicht das Werk unsrer Organe—?

To study physiology with a clear conscience, one must insist that the sense organs are not phenomena in the sense of idealistic philosophy; as such they could not be causes! Sensualism, therefore, at least as a regulative hypothesis, if not as a heuristic principle.— What? And others even say that the external world is the work of our organs? But then our body, as a part of this external world, would be the work of our organs! But then our organs themselves would be—the work of our organs! It seems to me that this is a complete reductio ad absurdum [reduction to an absurdity (contradiction)]: assuming that the concept of a causa sui [cause of itself] is something fundamentally absurd. Consequently, is the external world not the work of our organs—?

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Es giebt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche glauben, dass es "unmittelbare Gewissheiten" gebe, zum Beispiel "ich denke," oder, wie es der Aberglaube Schopenhauer's war, "ich will": gleichsam als ob hier das Erkennen rein und nackt seinen Gegenstand zu fassen bekäme, als "Ding an sich," und weder von Seiten des Subjekts, noch von Seiten des Objekts eine Fälschung stattfände. Dass aber "unmittelbare Gewissheit," ebenso wie "absolute Erkenntniss" und "Ding an sich," eine contradictio in adjecto in sich schliesst, werde ich hundertmal wiederholen: man sollte sich doch endlich von der Verführung der Worte losmachen! Mag das Volk glauben, dass Erkennen ein zu Ende-Kennen sei, der Philosoph muss sich sagen: "wenn ich den Vorgang zerlege, der in dem Satz 'ich denke' ausgedrückt ist, so bekomme ich eine Reihe von verwegenen Behauptungen, deren Begründung schwer, vielleicht unmöglich ist,—zum Beispiel, dass ich es bin, der denkt, dass überhaupt ein Etwas es sein muss, das denkt, dass Denken eine Thätigkeit und Wirkung seitens eines Wesens ist, welches als Ursache gedacht wird, dass es ein 'Ich' giebt, endlich, dass es bereits fest steht, was mit Denken zu bezeichnen ist,—dass ich weiss , was Denken ist. Denn wenn ich nicht darüber mich schon bei mir entschieden hätte, wonach sollte ich abmessen, dass, was eben geschieht, nicht vielleicht 'Wollen' oder 'Fühlen' sei? Genug, jenes 'ich denke' setzt voraus, dass ich meinen augenblicklichen Zustand mit anderen Zuständen, die ich an mir kenne, vergleiche , um so festzusetzen, was er ist: wegen dieser Rückbeziehung auf anderweitiges 'Wissen' hat er für mich jedenfalls keine unmittelbare 'Gewissheit.'"— An Stelle jener "unmittelbaren Gewissheit," an welche das Volk im gegebenen Falle glauben mag, bekommt dergestalt der Philosoph eine Reihe von Fragen der Metaphysik in die Hand, recht eigentliche Gewissensfragen des Intellekts, welche heissen: "Woher nehme ich den Begriff Denken? Warum glaube ich an Ursache und Wirkung? Was giebt mir das Recht, von einem Ich, und gar von einem Ich als Ursache, und endlich noch von einem Ich als Gedanken-Ursache zu reden?" Wer sich mit der Berufung auf eine Art Intuition der Erkenntniss getraut, jene metaphysischen Fragen sofort zu beantworten, wie es Der thut, welcher sagt: "ich, denke, und weiss, dass dies wenigstens wahr, wirklich, gewiss ist"—der wird bei einem Philosophen heute ein Lächeln und zwei Fragezeichen bereit finden. "Mein Herr, wird der Philosoph vielleicht ihm zu verstehen geben, es ist unwahrscheinlich, dass Sie sich nicht irren: aber warum auch durchaus Wahrheit?" —

There are still harmless self-observers who believe that there are "immediate certainties"; for example, "I think," or as the superstition of Schopenhauer put it, "I will"; as though knowledge here got hold of its object purely and nakedly as "the thing in it self," without any falsification on the part of either the subject or the object. But that "immediate certainty," as well as "absolute knowledge" and the "thing in itself," involve a contradictio in adjecto [contradiction in terms]. I shall repeat a hundred times; we really ought to free ourselves from the seduction of words! Let the people suppose that knowledge means knowing things entirely; the philosopher must say to himself: "When I analyze the process that is expressed in this sentence, 'I think,' I find a whole series of daring assertions that would be difficult, perhaps impossible, to prove—for example, that it is I who think, that there must necessarily be something that thinks, that thinking is an activity and operation on the part of a being who is thought of as a cause, that there is an 'ego,' and, finally, that it is already determined what is to be designated by thinking—that I know what thinking is. For if I had not already decided within myself what it is, by what standard could I determine whether that which is just happening is not perhaps 'willing' or 'feeling'? In short, the assertion 'I think' assumes that I compare my state at the present moment with other states of myself which I know, in order to determine what it is; on account of this retrospective connection with further 'knowledge,' it has, at any rate, no immediate certainty for me."— In place of the "immediate certainty" in which the people may believe in the case at hand, the philosopher thus finds a series of metaphysical questions presented to him, truly searching questions of the intellect; to wit: "From where do I get the concept of thinking? Why do I believe in cause and effect? What gives me the right to speak of an ego, and even of an ego as cause, and finally of an ego as the cause of thought?" Whoever ventures to answer these metaphysical questions at once by an appeal to a sort of intuitive perception, like the person who says, "I think, and know that this, at least, is true, actual, and certain"—will encounter a smile and two question marks from a philosopher nowadays. "Sir," the philosopher will perhaps give him to understand, "it is probable that you are not mistaken; but why insist on the truth?" —

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Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Thatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird,—nämlich, dass ein Gedanke kommt, wenn "er" will, und nicht wenn "ich" will; so dass es eine Fälschung des Thatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt "ich" ist die Bedingung des Prädikats "denke." Es denkt: aber dass dies "es" gerade jenes alte berühmte "Ich" sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine "unmittelbare Gewissheit." Zuletzt ist schon mit diesem "es denkt" zu viel gethan: schon dies "es" enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schliesst hier nach der grammatischen Gewohnheit "Denken ist eine Thätigkeit, zu jeder Thätigkeit gehört Einer, der thätig ist, folglich—." Ungefähr nach dem gleichen Schema suchte die ältere Atomistik zu der "Kraft," die wirkt, noch jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der heraus sie wirkt, das Atom; strengere Köpfe lernten endlich ohne diesen "Erdenrest" auskommen, und vielleicht gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens der Logiker ohne jenes kleine "es" (zu dem sich das ehrliche alte Ich verflüchtigt hat) auszukommen.

With regard to the superstitions of logicians, I shall never tire of emphasizing a small terse fact, which these superstitious minds hate to concede—namely, that a thought comes when "it" wishes, and not when "I" wish, so that it is a falsification of the facts of the case to say that the subject "I" is the condition of the predicate "think." It thinks: but that this "it" is precisely the famous old "ego" is, to put it mildly, only a supposition, an assertion, and assuredly not an "immediate certainty." After all, one has even gone too far with this "it thinks"—even the "it" contains an interpretation of the process, and does not belong to the process itself. One infers here according to the grammatical habit "thinking is an activity; every activity requires an agent; consequently—." It was pretty much according to the same schema that the older atomism sought, besides the operating "power," that lump of matter in which it resides and out of which it operates, the atom; more rigorous minds, however, learned at last to get along without this "earth-residuum," and perhaps some day we shall accustom ourselves, including the logicians, to get along without the little "it" (which is all that is left of the honest little old ego).

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An einer Theorie ist wahrhaftig nicht ihr geringster Reiz, dass sie widerlegbar ist: gerade damit zieht sie feinere Köpfe an. Es scheint, dass die hundertfach widerlegte Theorie vom "freien Willen" ihre Fortdauer nur noch diesem Reize verdankt—: immer wieder kommt jemand und fühlt sich stark genug, sie zu widerlegen.

It is certainly not the least charm of a theory that it is refutable; it is precisely thereby that it attracts subtler minds. It seems that the hundred-times-refuted theory of a "free will" owes its persistence to this charm alone—: again and again someone comes along who feels he is strong enough to refute it.

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Die Philosophen pflegen vom Willen zu reden, wie als ob er die bekannteste Sache von der Welt sei; ja Schopenhauer gab zu verstehen, der Wille allein sei uns eigentlich bekannt, ganz und gar bekannt, ohne Abzug und Zuthat bekannt. Aber es dünkt mich immer wieder, dass Schopenhauer auch in diesem Falle nur gethan hat, was Philosophen eben zu thun pflegen: dass er ein Volks-Vorurtheil übernommen und übertrieben hat. Wollen scheint mir vor Allem etwas Complicirtes, Etwas, das nur als Wort eine Einheit ist,—und eben im Einen Worte steckt das Volks-Vorurtheil, das über die allzeit nur geringe Vorsicht der Philosophen Herr geworden ist. Seien wir also einmal vorsichtiger, seien wir "unphilosophisch"—, sagen wir: in jedem Wollen ist erstens eine Mehrheit von Gefühlen, nämlich das Gefühl des Zustandes, von dem weg, das Gefühl des Zustandes, zu dem hin, das Gefühl von diesem "weg" und "hin" selbst, dann noch ein begleitendes Muskelgefühl, welches, auch ohne dass wir "Arme und Beine" in Bewegung setzen, durch eine Art Gewohnheit, sobald wir "wollen," sein Spiel beginnt. Wie also Fühlen und zwar vielerlei Fühlen als Ingredienz des Willens anzuerkennen ist, so zweitens auch noch Denken: in jedem Willensakte giebt es einen commandirenden Gedanken;—und man soll ja nicht glauben, diesen Gedanken von dem "Wollen" abscheiden zu können, wie als ob dann noch Wille übrig bliebe! Drittens ist der Wille nicht nur ein Complex von Fühlen und Denken, sondern vor Allem noch ein Affekt: und zwar jener Affekt des Commando's. Das, was "Freiheit des Willens" genannt wird, ist wesentlich der Überlegenheits-Affekt in Hinsicht auf Den, der gehorchen muss: "ich bin frei, 'er' muss gehorchen"—dies Bewusstsein steckt in jedem Willen, und ebenso jene Spannung der Aufmerksamkeit, jener gerade Blick, der ausschliesslich Eins fixirt, jene unbedingte Werthschätzung "jetzt thut dies und nichts Anderes Noth," jene innere Gewissheit darüber, dass gehorcht werden wird, und was Alles noch zum Zustande des Befehlenden gehört. Ein Mensch, der will—, befiehlt einem Etwas in sich, das gehorcht oder von dem er glaubt, dass es gehorcht. Nun aber beachte man, was das Wunderlichste am Willen ist,—an diesem so vielfachen Dinge, für welches das Volk nur Ein Wort hat: insofern wir im gegebenen Falle zugleich die Befehlenden und Gehorchenden sind, und als Gehorchende die Gefühle des Zwingens, Drängens, Drückens, Widerstehens, Bewegens kennen, welche sofort nach dem Akte des Willens zu beginnen pflegen; insofern wir andererseits die Gewohnheit haben, uns über diese Zweiheit vermöge des synthetischen Begriffs "ich" hinwegzusetzen, hinwegzutäuschen, hat sich an das Wollen noch eine ganze Kette von irrthümlichen Schlüssen und folglich von falschen Werthschätzungen des Willens selbst angehängt,—dergestalt, dass der Wollende mit gutem Glauben glaubt, Wollen genüge zur Aktion. Weil in den allermeisten Fällen nur gewollt worden ist, wo auch die Wirkung des Befehls, also der Gehorsam, also die Aktion erwartet werden durfte, so hat sich der Anschein in das Gefühl übersetzt, als ob es da eine Nothwendigkeit von Wirkung gäbe; genug, der Wollende glaubt, mit einem ziemlichen Grad von Sicherheit, dass Wille und Aktion irgendwie Eins seien—, er rechnet das Gelingen, die Ausführung des Wollens noch dem Willen selbst zu und geniesst dabei einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt. "Freiheit des Willens"—das ist das Wort für jenen vielfachen Lust-Zustand des Wollenden, der befiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als Eins setzt,—der als solcher den Triumph über Widerstände mit geniesst, aber bei sich urtheilt, sein Wille selbst sei es, der eigentlich die Widerstände überwinde. Der Wollende nimmt dergestalt die Lustgefühle der ausführenden, erfolgreichen Werkzeuge, der dienstbaren "Unterwillen" oder Unter-Seelen—unser Leib ist ja nur ein Gesellschaftsbau vieler Seelen—zu seinem Lustgefühle als Befehlender hinzu. L'effet c'est moi: es begiebt sich hier, was sich in jedem gut gebauten und glücklichen Gemeinwesen begiebt, dass die regierende Klasse sich mit den Erfolgen des Gemeinwesens identificirt. Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Gehorchen, auf der Grundlage, wie gesagt, eines Gesellschaftsbaus vieler "Seelen": weshalb ein Philosoph sich das Recht nehmen sollte, Wollen an sich schon unter den Gesichtskreis der Moral zu fassen: Moral nämlich als Lehre von den Herrschafts-Verhältnissen verstanden, unter denen das Phänomen "Leben" entsteht. —

Philosophers are accustomed to speak of the will as if it were the best-known thing in the world; indeed, Schopenhauer has given us to understand that the will alone is really known to us, absolutely and completely known, without subtraction or addition. But again and again it seems to me that in this case, too, Schopenhauer only did what philosophers are in the habit of doing—he adopted a popular prejudice and exaggerated it. Willing seems to me to be above all something complicated, something that is a unit only as a word—and it is precisely in this one word that the popular prejudice lurks, which has defeated the always inadequate caution of philosophers. So let us for once be more cautious, let us be "unphilosophical"—, let us say: in all willing there is, first, a plurality of sensations, namely, the sensation of the state "away from which" the sensation of the state "towards which," the sensation of this "from" and "towards" themselves, and then also an accompanying muscular sensation, which, even without our putting into motion "arms and legs," begins its action by force of habit as soon as we "will" anything. Therefore just as sensations (and indeed many kinds of sensation) are to be recognized as ingredients of the will, so, secondly, should thinking also: in every act of the will there is a ruling thought—let us not imagine it possible to sever this thought from the "willing," as if any will would then remain over! Third, the will is not only a complex of sensation and thinking, but it is above all an affect, and specifically the affect of the command. That which is termed "freedom of the will" is essentially the affect of superiority in relation to him who must obey: "I am free, 'he' must obey"—this consciousness is inherent in every will; and equally so the straining of the attention, the straight look that fixes itself exclusively on one aim, the unconditional evaluation that "this and nothing else is necessary now," the inward certainty that obedience will be rendered—and whatever else belongs to the position of the commander. A man who wills—, commands something within himself that renders obedience, or that he believes renders obedience. But now let us notice what is strangest about the will—this manifold thing for which the people have only one word: inasmuch as in the given circumstances we are at the same time the commanding and the obeying parties, and as the obeying party we know the sensations of constraint, impulsion, pressure, resistance and motion, which usually begin immediately after the act of will, inasmuch as, on the other hand, we are accustomed to disregard this duality, and to deceive ourselves about it by means of the synthetic concept "I," a whole series of erroneous conclusions, and consequently of false evaluations of the will itself, has become attached to the act of willing—to such a degree that he who wills believes sincerely that willing suffices for action. Since in the great majority of cases there has been exercise of will only when the effect of the command—that is, obedience; that is, the action—was to be expected, the appearance has translated itself into the feeling, as if there were a necessity of effect. In short, he who wills believes with a fair amount of certainty that will and action are somehow one; he ascribes the success, the carrying out of the willing, to the will itself, and thereby enjoys an increase of the sensation of power which accompanies all success. "Freedom of the will"—that is the expression for the complex state of delight of the person exercising volition, who commands and at the same time identifies himself with the executor of the order—who, as such, enjoys also the triumph over obstacles, but thinks within himself that it was really his will itself that overcame them. In this way the person exercising volition adds the feeling of delight of his successful executive instruments, the useful "under-wills" or under-souls—indeed, our body is but a social structure composed of many souls—to his feelings of delight as commander. L'effet c'est moi [I am the effect]: what happens here is what happens in every well-constructed and happy commonwealth; namely, the governing class identifies itself with the successes of the commonwealth. In all willing it is absolutely a question of commanding and obeying, on the basis, as already said, of a social structure composed of many "souls." Hence a philosopher should claim the right to include willing as such within the sphere of morals—morals being understood as the doctrine of the relations of supremacy under which the phenomenon of "life" comes to be. —

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Dass die einzelnen philosophischen Begriffe nichts Beliebiges, nichts Für-sich-Wachsendes sind, sondern in Beziehung und Verwandtschaft zu einander emporwachsen, dass sie, so plötzlich und willkürlich sie auch in der Geschichte des Denkens anscheinend heraustreten, doch eben so gut einem Systeme angehören als die sämmtlichen Glieder der Fauna eines Erdtheils: das verräth sich zuletzt noch darin, wie sicher die verschiedensten Philosophen ein gewisses Grundschema von möglichen Philosophien immer wieder ausfüllen. Unter einem unsichtbaren Banne laufen sie immer von Neuem noch einmal die selbe Kreisbahn: sie mögen sich noch so unabhängig von einander mit ihrem kritischen oder systematischen Willen fühlen: irgend Etwas in ihnen führt sie, irgend Etwas treibt sie in bestimmter Ordnung hinter einander her, eben jene eingeborne Systematik und Verwandtschaft der Begriffe. Ihr Denken ist in der That viel weniger ein Entdecken, als ein Wiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernen uralten Gesammt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmals herausgewachsen sind:—Philosophiren ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges. Die wunderliche Familien-Ahnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophirens erklärt sich einfach genug. Gerade, wo Sprach-Verwandtschaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, dass, Dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik—ich meine Dank der unbewussten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen—von vornherein Alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit grosser Wahrscheinlichkeit anders "in die Welt" blicken und auf andern Pfaden zu finden sein, als Indogermanen oder Muselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werthurtheile und Rasse-Bedingungen.— So viel zur Zurückweisung von Locke's Oberflächlichkeit in Bezug auf die Herkunft der Ideen.

That individual philosophical concepts are not anything capricious or autonomously evolving, but grow up in connection and relationship with each other; that, however suddenly and arbitrarily they seem to appear in the history of thought, they nevertheless belong just as much to a system as all the members of the fauna of a continent—is betrayed in the end also by the fact that the most diverse philosophers keep filling in a definite fundamental scheme of possible philosophies. Under an invisible spell, they always revolve once more in the same orbit; however independent of each other they may feel themselves with their critical or systematic wills, something within them leads them, something impels them in a definite order, one after the other—to wit, the innate systematic structure and relationship of their concepts. Their thinking is, in fact, far less a discovery than a recognition, a remembering, a return and a homecoming to a remote, primordial, an inclusive household of the soul, out of which those concepts grew original:—philosophizing is to this extent a kind of atavism of the highest order. The strange family resemblance of all Indian, Greek, and German philosophizing is explained easily enough. Where there is affinity of languages, it cannot fail, owing to the common philosophy of grammar—I mean, owing to the unconscious domination and guidance by similar grammatical functions—that everything is prepared at the outset for a similar development and sequence of philosophical systems; just as the way seems barred against certain other possibilities of world-interpretation. It is highly probable that philosophers within the domain of the Ural-Altaic languages (where the concept of the subject is least developed) look otherwise "into the world," and will be found on paths of thought different from those of the Indo-Germanic peoples and the Muslims: the spell of certain grammatical functions is ultimately also the spell of physiological valuations and racial conditions.— So much by way of rejecting Locke's superficiality regarding the origin of ideas.

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Die causa sui ist der beste Selbst-Widerspruch, der bisher ausgedacht worden ist, eine Art logischer Nothzucht und Unnatur: aber der ausschweifende Stolz des Menschen hat es dahin gebracht, sich tief und schrecklich gerade mit diesem Unsinn zu verstricken. Das Verlangen nach "Freiheit des Willens," in jenem metaphysischen Superlativ-Verstande, wie er leider noch immer in den Köpfen der Halb-Unterrichteten herrscht, das Verlangen, die ganze und letzte Verantwortlichkeit für seine Handlungen selbst zu tragen und Gott, Welt, Vorfahren, Zufall, Gesellschaft davon zu entlasten, ist nämlich nichts Geringeres, als eben jene causa sui zu sein und, mit einer mehr als Münchhausen'schen Verwegenheit, sich selbst aus dem Sumpf des Nichts an den Haaren in's Dasein zu ziehn. Gesetzt, Jemand kommt dergestalt hinter die bäurische Einfalt dieses berühmten Begriffs "freier Wille" und streicht ihn aus seinem Kopfe, so bitte ich ihn nunmehr, seine "Aufklärung" noch um einen Schritt weiter zu treiben und auch die Umkehrung jenes Unbegriffs "freier Wille" aus seinem Kopfe zu streichen: ich meine den "unfreien Willen," der auf einen Missbrauch von Ursache und Wirkung hinausläuft. Man soll nicht "Ursache" und "Wirkung" fehlerhaft verdinglichen, wie es die Naturforscher thun (und wer gleich ihnen heute im Denken naturalisirt—) gemäss der herrschenden mechanistischen Tölpelei, welche die Ursache drücken und stossen lässt, bis sie "Wirkt"; man soll sich der "Ursache," der "Wirkung" eben nur als reiner Begriffe bedienen, das heisst als conventioneller Fiktionen zum Zweck der Bezeichnung, der Verständigung, nicht der Erklärung. Im "An-sich" giebt es nichts von "Causal-Verbänden," von "Nothwendigkeit," von "psychologischer Unfreiheit," da folgt nicht "die Wirkung auf die Ursache," das regiert kein "Gesetz." Wir sind es, die allein die Ursachen, das Nacheinander, das Für-einander, die Relativität, den Zwang, die Zahl, das Gesetz, die Freiheit, den Grund, den Zweck erdichtet haben; und wenn wir diese Zeichen-Welt als "an sich" in die Dinge hineindichten, hineinmischen, so treiben wir es noch einmal, wie wir es immer getrieben haben, nämlich mythologisch. Der "unfreie Wille" ist Mythologie: im wirklichen Leben handelt es sich nur um starken und schwachen Willen.— Es ist fast immer schon ein Symptom davon, wo es bei ihm selber mangelt, wenn ein Denker bereits in aller "Causal-Verknüpfung" und "psychologischer Nothwendigkeit" etwas von Zwang, Noth, Folgen-Müssen, Druck, Unfreiheit herausfühlt: es ist verrätherisch, gerade so zu fühlen,—die Person verräth sich. Und überhaupt wird, wenn ich recht beobachtet habe, von zwei ganz entgegengesetzten Seiten aus, aber immer auf eine tief persönliche Weise die "Unfreiheit des Willens" als Problem gefasst: die Einen wollen um keinen Preis ihre "Verantwortlichkeit," den Glauben an sich, das persönliche Anrecht auf ihr Verdienst fahren lassen (die eitlen Rassen gehören dahin—); die Anderen wollen umgekehrt nichts verantworten, an nichts schuld sein und verlangen, aus einer innerlichen Selbst-Verachtung heraus, sich selbst irgend wohin abwälzen zu können. Diese Letzteren pflegen sich, wenn sie Bücher schreiben, heute der Verbrecher anzunehmen; eine Art von socialistischem Mitleiden ist ihre gefälligste Verkleidung. Und in der That, der Fatalismus der Willensschwachen verschönert sich erstaunlich, wenn er sich als "la religion de la souffrance humaine" einzuführen versteht: es ist sein "guter Geschmack." [Vgl. Paul Bourget, Un crime d'amour. Paris: Lemerre, 1886, 298-299: "Et il éprouva qu'une chose venait de naître en lui, avec laquelle il pourrait toujours trouver des raisons de vivre et d'agir: la religion de la souffrance humaine."]

The causa sui [cause of itself] is the best self-contradiction that has been conceived so far, it is a sort of rape and perversion of logic; but the extravagant pride of man has managed to entangle itself profoundly and frightfully with just this nonsense. The desire for "freedom of the will" in the superlative metaphysical sense, which still holds sway, unfortunately, in the minds of the half-educated; the desire to bear the entire and ultimate responsibility for one's actions oneself, and to absolve God, the world, ancestors, chance, and society involves nothing less than to be precisely this causa sui and, with more than Munchhausen's audacity, to pull oneself up into existence by the hair, out of the swamps of nothingness. Suppose someone were thus to see through the boorish simplicity of this celebrated concept of "free will" and put it out of his head altogether, l beg of him to carry his "enlightenment" a step further, and so put out of his head the contrary of this monstrous conception of "free will": I mean "unfree will," which amounts to a misuse of cause and effect. One should not wrongly reify "cause" and "effect" as the natural scientists do (and whoever, like them, now "naturalizes" in his thinking—), according to the prevailing mechanical doltishness which makes the cause press and push until it "effects" its end; one should use "cause" and "effect" only as pure concepts, that is to say, as conventional fictions for the purpose of designation and communication—not for explanation. In the "in itself" there is nothing of "causal connections," of "necessity," or of "psychological non-freedom"; there the effect does not follow the cause, there is no rule of "law." It is we alone who have devised cause, sequence, for-each-other, relativity, constraint, number, law, freedom, motive, and purpose; and when we project and mix this symbol world into things as if it existed "in itself," we act once more as we have always acted, namely mythologically. The "unfree will" is mythology: in real life it is only a matter of strong and weak wills.— It is almost always a symptom of what is lacking in himself when a thinker senses in every "causal connection" and "psychological necessity" something of constraint, need, compulsion to obey, pressure, and unfreedom; it is suspicious to have such feelings—that person betrays himself. And in general, if I have observed correctly, the "unfreedom of the will" is regarded as a problem from two entirely opposite standpoints, but always in a profoundly personal manner: some will not give up their "responsibility," their belief in themselves, the personal right to their merits at any price (the vain races belong to this class—); others, on the contrary, do not wish to be answerable for anything, or blamed for anything, and owing to an inward self-contempt, seek to shift the blame for themselves somewhere else. The latter, when they write books, are in the habit today of taking the side of criminals; a sort of socialist pity is their most attractive disguise. And as a matter of fact, the fatalism of the weak-willed embellishes itself surprisingly when it can pose as "la religion de la souffrance humaine": that is its "good taste." ["The religion of human suffering." From the last line of Paul Bourget's novel, Un crime d'amour. Paris: Lemerre, 1886, 298-299: "Et il éprouva qu'une chose venait de naître en lui, avec laquelle il pourrait toujours trouver des raisons de vivre et d'agir: la religion de la souffrance humaine." (And he felt that a thing had just been born in him, with which he could always find reasons for living and acting: the religion of human suffering.)]

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Man vergebe es mir als einem alten Philologen, der von der Bosheit nicht lassen kann, auf schlechte Interpretations-Künste den Finger zu legen: aber jene "Gesetzmässigkeit der Natur," von der ihr Physiker so stolz redet, wie als ob— —besteht nur Dank eurer Ausdeutung und schlechten "Philologie,"—sie ist kein Thatbestand, kein "Text," vielmehr nur eine naiv-humanitäre Zurechtmachung und Sinnverdrehung, mit der ihr den demokratischen Instinkten der modernen Seele sattsam entgegenkommt! "Überall Gleichheit vor dem Gesetz,—die Natur hat es darin nicht anders und nicht besser als wir": ein artiger Hintergedanke, in dem noch einmal die pöbelmännische Feindschaft gegen alles Bevorrechtete und Selbstherrliche, insgleichen ein zweiter und feinerer Atheismus verkleidet liegt. "Ni dieu, ni maître"—so wollt auch ihr's: und darum "hoch das Naturgesetz"!—nicht wahr? Aber, wie gesagt, das ist Interpretation, nicht Text; und es könnte Jemand kommen, der, mit der entgegengesetzten Absicht und Interpretationskunst, aus der gleichen Natur und im Hinblick auf die gleichen Erscheinungen, gerade die tyrannisch-rücksichtenlose und unerbittliche Durchsetzung von Machtansprüchen herauszulesen verstünde,—ein Interpret, der die Ausnahmslosigkeit und Unbedingtheit in allem "Willen zur Macht" dermaassen euch vor Augen stellte, dass fast jedes Wort und selbst das Wort "Tyrannei" schliesslich unbrauchbar oder schon als schwächende und mildernde Metapher—als zu menschlich—erschiene; und der dennoch damit endete, das Gleiche von dieser Welt zu behaupten, was ihr behauptet, nämlich dass sie einen "nothwendigen" und "berechenbaren" Verlauf habe, aber nicht, weil Gesetze in ihr herrschen, sondern weil absolut die Gesetze fehlen, und jede Macht in jedem Augenblicke ihre letzte Consequenz zieht. Gesetzt, dass auch dies nur Interpretation ist—und ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden?—nun, um so besser.—

Forgive me as an old philologist who cannot desist from the malice of putting his finger on bad modes of interpretation: but "nature's conformity to law," of which you physicists talk so proudly as though— —why, it exists only owing to your interpretation and bad "philology"—it is no matter of fact, no "text," but rather only a naively humanitarian emendation and perversion of meaning, with which you make abundant concessions to the democratic instincts of the modern soul! "Everywhere equality before the law; nature is no different in that respect, no better off than we are": a fine instance of ulterior motivation, in which the plebeian antagonism to everything privileged and autocratic as well as a second and more refined atheism are disguised once more. "Ni Dieu, ni maitre" ["Neither God nor Master." Title of a journal edited by French communist and revolutionary Louis Auguste Blanqui (1805-81), et. al.: Ni Dieu ni Maître. Paris: 1880-81.]—that is what you, too, want; and therefore "cheers for the law of nature"!—is it not so? But as said above, that is interpretation, not text; and somebody might come along who, with opposite intentions and modes of interpretation, could read out of the same "nature" and with regard to the same phenomena rather the tyrannically inconsiderate and relentless enforcement of claims of power—an interpreter who would picture the unexceptional and unconditional aspects of all "will to power" so vividly that almost every word, even the word "tyranny" itself, would eventually sound unsuitable, or a weakening and attenuating metaphor—being too human—but he might, nevertheless, end by asserting the same about this world as you do, namely, that it has a "necessary" and "calculable" course, not because laws obtain in it, but because they are absolutely lacking, and every power draws its ultimate consequences at every moment. Supposing that this also is only interpretation—and you will be eager enough to make this objection?—well then, so much the better. —

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Die gesammte Psychologie ist bisher an moralischen Vorurtheilen und Befürchtungen hängen geblieben: sie hat sich nicht in die Tiefe gewagt. Dieselbe als Morphologie und Entwicklungslehre des Willens zur Macht zufassen, wie ich sie fasse—daran hat noch Niemand in seinen Gedanken selbst gestreift: sofern es nämlich erlaubt ist, in dem, was bisher geschrieben wurde, ein Symptom von dem, was bisher verschwiegen wurde, zu erkennen. Die Gewalt der moralischen Vorurtheile ist tief in die geistigste, in die anscheinend kälteste und voraussetzungsloseste Welt gedrungen—und, wie es sich von selbst versteht, schädigend, hemmend, blendend, verdrehend. Eine eigentliche Physio-Psychologie hat mit unbewussten Widerständen im Herzen des Forschers zu kämpfen, sie hat "das Herz" gegen sich: schon eine Lehre von der gegenseitigen Bedingtheit der "guten" und der "schlimmen" Triebe, macht, als feinere Immoralität, einem noch kräftigen und herzhaften Gewissen Noth und Überdruss,—noch mehr eine Lehre von der Ableitbarkeit aller guten Triebe aus den schlimmen. Gesetzt aber, Jemand nimmt gar die Affekte Hass, Neid, Habsucht, Herrschsucht als lebenbedingende Affekte, als Etwas, das im Gesammt-Haushalte des Lebens grundsätzlich und grundwesentlich vorhanden sein muss, folglich noch gesteigert werden muss, falls das Leben noch gesteigert werden soll,—der leidet an einer solchen Richtung seines Urtheils wie an einer Seekrankheit. Und doch ist auch diese Hypothese bei weitem nicht die peinlichste und fremdeste in diesem ungeheuren fast noch neuen Reiche gefährlicher Erkenntnisse:—und es giebt in der That hundert gute Gründe dafür, dass Jeder von ihm fernbleibt, der es—kann! Andrerseits: ist man einmal mit seinem Schiffe hierhin verschlagen, nun! wohlan! jetzt tüchtig die Zähne zusammengebissen! die Augen aufgemacht! die Hand fest am Steuer!—wir fahren geradewegs über die Moral weg, wir erdrücken, wir zermalmen vielleicht dabei unsren eignen Rest Moralität, indem wir dorthin unsre Fahrt machen und wagen,—aber was liegt an uns! Niemals noch hat sich verwegenen Reisenden und Abenteurern eine tiefere Welt der Einsicht eröffnet: und der Psychologe, welcher dergestalt "Opfer bringt"—es ist nicht das sacrifizio dell'intelletto, im Gegentheil!—wird zum Mindesten dafür verlangen dürfen, dass die Psychologie wieder als Herrin der Wissenschaften anerkannt werde, zu deren Dienste und Vorbereitung die übrigen Wissenschaften da sind. Denn Psychologie ist nunmehr wieder der Weg zu den Grundproblemen.

All psychology so far has got stuck in moral prejudices and fears; it has not dared to descend into the depths. To understand it as morphology and the doctrine of the development of the will to power, as I do—nobody has yet come close to doing this even in thought— insofar as it is permissible to recognize in what has been written so far a symptom of what has so far been kept silent. The power of moral prejudices has penetrated deeply into the most spiritual world, which would seem to be the coldest and most devoid of presuppositions, and has obviously operated in an injurious, inhibiting, blinding, and distorting manner. A proper physio-psychology has to contend with unconscious resistance in the heart of the investigator, it has "the heart" against it: even a doctrine of the reciprocal dependence of the "good" and the "wicked" drives, causes (as refined immorality) distress and aversion in a still hale and hearty conscience—still more so, a doctrine of the derivation of good impulses from wicked ones. If, however, a person should regard even the affects of hatred, envy, covetousness, and the lust to rule as conditions of life, as factors which, fundamentally and essentially must be present in the general economy of life (and must, there, be further enhanced if life is to be further enhanced)—he will suffer from such a view of things as from seasickness. And yet even this hypothesis is far from being the strangest and most painful in this immense and almost new domain of dangerous insights:—and there are in fact a hundred good reasons why everyone should keep away from it who—can! On the other hand: if one has once drifted there with one's bark, well! All right! Let us clench our teeth! Let us open our eyes and keep our hand firm on the helm! We sail right over morality, we crush, we destroy perhaps the remains of our own morality by daring to make our voyage there—but what matter are we! Never yet did a profounder world of insight reveal itself to daring travelers and adventurers, and the psychologist who thus "makes a sacrifice"—it is not the sacrifizio dell' intelletto [sacrifice of the intellect], on the contrary!—will at least be entitled to demand in return that psychology shall be recognized again as the queen of the sciences, for whose service and preparation the other sciences exist. For psychology is now again the path to the fundamental problems.

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