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The Will to Power
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Sommer 1887 8 [1-8]

8 [1]

Das Problem der Wahrheit.

Das Bedürfniß nach Glauben ist der größte Hemmschuh der Wahrhaftigkeit.

Der Wille zur Wahrheit

Die Falschheit.

Die unbewußte Falschheit.

Jeder souveräne Instinkt hat die anderen zu seinen Werkzeugen, Hofstaat, Schmeichlern: er läßt sich nie bei seinem häßlichen Namen nennen: und er duldet keine anderen Lobsprüche, bei denen er nicht indirekt mit gelobt wird.

Um jeden souveränen Instinkt herum krystallisirt sich alles Loben und Tadeln überhaupt zu einer festen Ordnung und Etiquette.

Dies die Eine Ursache der Falschheit.

Jeder nach Herrschaft strebende, aber unter einem Joch befindliche Instinkt, braucht für sich, zur Unterstützung seines Selbstgefühls, zur Stärkung, alle schönen Namen und anerkannten Werthe: so daß er sich hervor wagt zumeist unter dem Namen des von ihm bekämpften “Herren,” von dem er frei werden will. (Z.B. unter der Herrschaft christlicher Werthe die fleischliche Begierde oder die Machtbegierde)

Dies die andere Ursache der Falschheit.

In beiden Fällen herrscht vollkommene Naivetät: die Falschheit tritt nicht ins Bewußtsein. Es ist ein Zeichen von gebrochenem Instinkt, wenn der Mensch das Treibende und dessen “Ausdruck” (“die Maske”) getrennt sieht—ein Zeichen von Selbstwiderspruch, und viel weniger siegreich. Die absolute Unschuld in der Gebärde, im Wort, im Affekt, das “gute Gewissen” in der Falschheit, die Sicherheit, mit der man nach den größten und prachtvollsten Worten und Stellungen faßt—Alles nothwendig zum Siege.

Im anderen Falle: bei extremer Hellsichtigkeit bedarf es Genie des Schauspielers und ungeheure Zucht in der Selbstbeherrschung, um zu siegen. Deshalb Priester die geschicktesten bewußten Heuchler; sodann Fürsten, denen ihr Rang und ihre Abkunft eine Art von Schauspielerei großzüchtet. Drittens Gesellschafts-Menschen, Diplomaten. Viertens Frauen.

Grundgedanke: Die Falschheit erscheint so tief, so allseitig, der Wille ist dergestalt gegen das direkte Sichselbst-Erkennen und Bei-Namen-nennen gerichtet, daß die Vermuthung sehr große Wahrscheinlichkeit hat: Wahrheit, Wille zur Wahrheit sei eigentlich etwas ganz Andres und auch nur eine Verkleidung.



Die Sinnlichkeit in ihren Verkleidungen

als Idealismus (“Plato”), der Jugend eigen, dieselbe Art von Hohlspiegel-Bild schaffend, wie die Geliebte im Speziellen erscheint, eine Inkrustation Vergrößerung Verklärung, Unendlichkeit um jedes Ding legend

in der Religion der Liebe: “ein schöner junger Mann, ein schönes Weib,” irgendwie göttlich, ein Bräutigam, eine Braut der Seele

in der Kunst, als “schmückende” Gewalt: wie der Mann das Weib sieht, indem er ihr gleichsam alles zum Präsent macht, was es von Vorzügen giebt, so legt die Sinnlichkeit des Künstlers in Ein Objekt, was er sonst noch ehrt und hochhält—dergestalt vollendet er ein Objekt (“idealisirt” es)

Das Weib, unter dem Bewußtsein, was der Mann in Bezug auf das Weib empfindet, kommt dessen Bemühen nach Idealisirung entgegen, indem es sich schmückt, schön geht, tanzt, zarte Gedanken äußert: insgleichen übt sie Scham, Zurückhaltung, Distanz—mit dem Instinkt dafür, daß damit das idealisirende Vermögen des Mannes wächst. (—Bei der ungeheuren Feinheit des weiblichen Instinkts bleibt die Scham keineswegs bewußte Heuchelei: sie erräth, daß gerade die naive wirkliche Schamhaftigkeit den Mann am meisten verführt und zur Überschätzung drängt. Darum ist das Weib naiv—aus Feinheit des Instinkts, welcher ihr die Nützlichkeit des Unschuldig-seins anräth. Ein willentliches Die-Augen-über-sich-geschlossen-halten ...

Überall, wo die Verstellung stärker wirkt, wenn sie unbewußt ist, wird sie unbewußt.



zur Genesis der Kunst. Jenes Vollkommen-machen, Vollkommen-sehen, welches dem mit geschlechtlichen Kräften überladenen cerebralen System zu eigen ist (der Abend zusammen mit der Geliebten, die kleinsten Zufälligkeiten verklärt, das Leben eine Abfolge sublimer Dinge, “das Unglück des unglücklich-Liebenden mehr werth als irgend etwas”): andrerseits wirkt jedes Vollkommene und Schöne als unbewußte Erinnerung jenes verliebten Zustandes und seiner Art zu sehen—jede Vollkommenheit, die ganze Schönheit der Dinge erweckt durch contiguity die aphrodisische Seligkeit wieder. Physiologisch: der schaffende Instinkt des Künstlers und die Vertheilung des semen ins Blut ... Das Verlangen nach Kunst und Schönheit ist ein indirektes Verlangen nach den Entzückungendes Geschlechtstriebes, welche er dem Cerebrum mittheilt. Die vollkommen gewordene Welt, durch “Liebe” ...

Der “Heerdentrieb” in seiner Verkleidung
 
Der Lügen- und Verstellungstrieb am Künstler hervorbrechend
 
Der contemplative Trieb in seiner Verkleidung.
 
Die Grausamkeit in ihrer Verkleidung
 
Krankheit und Entartung in ihren Verkleidungen
 
Das Alter in seiner Verkleidung
(als Nihilism
(als Wiederkehr jugendlicher und vererbter Werthe
—die   Spannkraft   des   Intellekts   und   Charakters   ist   gebrochen      z.B.  R[ichard]    W[agner]
 
 
Die Verkleidung der vis inertiae

8 [2]

Zur Psychologie der Metaphysik

Diese Welt ist scheinbar—folglich giebt es eine wahre Welt.

Diese Welt ist bedingt—folglich giebt es eine unbedingte Welt.

Diese Welt ist widerspruchsvoll—folglich giebt es eine widerspruchslose Welt.

Diese Welt ist werdend—folglich giebt es eine seiende Welt.

Lauter falsche Schlüsse (blindes Vertrauen in die Vernunft: wenn A ist, so muß auch sein Gegensatz-Begriff B sein)

Zu diesen Schlüssen inspirirt das Leiden: im Grunde sind es Wünsche, es möchte eine solche Welt geben; ebenfalls drückt sich der Haß gegen eine Welt, die leiden macht, darin aus, daß eine andere imaginirt wird, eine werthvolle: das Ressentiment der Metaphysiker gegen das wirkliche ist hier schöpferisch.

Zweite Reihe von Fragen: wozu Leiden? ... und hier ergiebt sich ein Schluß auf das Verhältniß der wahren Welt zu unsrer scheinbaren, wandelbaren, leidenden und widerspruchsvollen.

1) Leiden als Folge des Irrthums: wie ist Irrthum möglich?

2) Leiden als Folge von Schuld: wie ist Schuld möglich?

(—lauter Erfahrungen aus der Natursphäre oder der Gesellschaft universalisirt und ins “An-sich” projicirt)

Wenn aber die bedingte Welt ursächlich von der unbedingten bedingt ist, so muß die Freiheit zum Irrthum und zur Schuld mit von ihr bedingt sein: und wieder fragt man wozu? ... Die Welt des Scheins, des Werdens, des Widerspruchs, des Leidens ist also gewollt: wozu?

Der Fehler dieser Schlüsse: zwei gegensätzliche Begriffe sind gebildet,—weil dem einen von ihnen eine Realität entspricht, “muß” auch dem anderen eine Realität entsprechen. “Woher sollte man sonst dessen Gegenbegriff haben?”— Vernunft somit als eine Offenbarungs-Quelle über Ansich-Seiendes.

Aber die Herkunft jener Gegensätze braucht nicht nothwendig auf eine übernatürliche Quelle der Vernunft zurückzugehen: es genügt die wahre Genesis der Begriffe dagegen zu stellen:—diese stammt aus der praktischen Sphäre, aus der Nützlichkeitssphäre und hat eben daher ihren starken Glauben (man geht daran zu Grunde, wenn man nicht gemäß dieser Vernunft schließt: aber damit ist das nicht “bewiesen,” was sie behauptet)

Die Präokkupation durch das Leiden bei den Metaphysikern: ist ganz naiv. “Ewige Seligkeit”: psychologischer Unsinn. Tapfere und schöpferische Menschen fassen Lust und Leid nie als letzte Werthfragen,—es sind Begleit-Zustände, man muß Beides wollen, wenn man etwas erreichen will.— Darin drückt sich etwas Müdes und Krankes an den Metaphysikern und Religiösen aus, daß sie Lust- und Leidprobleme im Vordergrunde sehen. Auch die Moral hat nur deshalb für sie solche Wichtigkeit, weil sie als wesentliche Bedingung in Hinsicht auf Abschaffung des Leidens gilt.

Insgleichen die Präokkupation durch Schein und Irrthum: Ursache von Leiden, Aberglaube, daß das Glück mit der Wahrheit verbunden sei (Verwechslung: das Glück in der “Gewißheit,” im “Glauben”)

8 [3]

zu “homines religiosi”

Was bedeuten asketische Ideale?

Vorform der noch neuen contemplativen Lebensweise, extrem, um Respekt zu finden und sich selbst Respekt zu machen (gegen das “schlechte Gewissen” der Inaktivität) deren Bedingungen werden gesucht

ein Sinn für Reinlichkeit der Seele, barock ausgedrückt

ein Zuchthäusler-Zustand (eine Menge Delikatessen sich vorbereitend), als Remedur für eine überwilde Begehrlichkeit (welche den “Verleitungen” aus dem Wege geht)—als Haß gegen Sinne, Leben sich äußernd.

eine Verarmung des Lebens, ein Bedürfniß nach Indolenz, Ruhe. Kunstgriff des Fakirs. “Alter”

eine krankhafte Verletzlichkeit, Empfindsamkeit, etwas Alt-Jüngferliches, das dem Leben aus dem Wege geht: mitunter eine falsch geleitete Erotik und Hysterie der “Liebe”

Kritik der Demuth (“der absolute Gehorsam”) mitunter der Instinkt der Macht, nach absoluten “Werkzeugen” zu suchen oder als Werkzeug am meisten zu erreichen. Die Klugheit daran, die Faulheit (ebenso wie in Armut und Keuschheit)

Kritik der Armuth (die scheinbare Verzichtleistung und die Concurrenz, als Klugheitsmittel auf dem Wege zur Herrschaft.

Kritik der Keuschheit. Nützlichkeit: sie giebt Zeit, Unabhängigkeit—intellekt[uelle] Verwöhnung, die es unter Weibchen nicht aushält—Familien sind große Schwatznester. [Sie] erhält Kraft, hält manche Krankheit fern. Freiheit von Weib und Kind hält eine Menge Versuchungen fern (Luxus, Servilität gegen Macht, Einordnung



Ein Mensch in dem sich die geheimnißreiche Vielheit und Fülle der Natur auswirkt, eine Synthesis des Furchtbaren und des Entzückenden, etwas Versprechendes, etwas Mehr-Wissendes, etwas Mehr-könnendes. Das asketische Ideal drückt immer ein Mißrathen aus, eine Entbehrung, einen physiologischen Widerspruch. Es macht nachdenklich, daß eigentlich nur diese Asketen-Species Priester den gegenwärtigen Menschen noch bekannt ist: es ist ein Ausdruck von Entartung und Mißrathensein des Menschen überhaupt.— Und wie wir von romantischen Künstlern reden, so dürfte man sagen, daß uns eigentlich nur der romantische Priester bekannt ist—daß an sich der klassische Priester möglich ist, daß er wahrscheinlich auch dagewesen ist. Stelle man sich mit dieser Möglichkeit eines kl[assischen] Pr[iesters] vor Plato im museo Borbonico Neapels: die Archäologen sind ungewiß, ob es nicht ein bärtiger Dionysos sei. Das soll uns gleichgültig sein: gewiß ist, daß man hier einen priesterlichen Typus voraussetzt,—keinen asketischen Typus ...



Der Priester des Christenthums repräsentirt die Widernatur, die Macht der Weisheit und der Güte, aber die widernatürliche Macht und die widernatürliche Weisheit, die widernatürliche Güte: die Feindschaft gegen die Macht, die Erkenntniß und die — — —



die Macht als Wunder-Macht
die Weisheit als Wider-Vernunft
die Liebe als Wider-Geschlechtlichkeit



der Haß gegen die Mächtigen der Erde und ein versteckter grundsätzlicher Wettkampf und Wettstreit—man will die Seele, man läßt ihnen den Leib —

der Haß gegen den Geist, den Stolz, den Muth, die Freiheit, Ausgelassenheit des Geistes

der Haß gegen die Sinne, gegen die Freuden der Sinne, gegen die Freude überhaupt und eine Todfeindschaft gegen die Sinnlichkeit und Geschlechtlichkeit



das christliche Priesterthum hat es auf dem Gewissen—der verleumderische und schnöde Wille zum Mißverständniß mit dem der Geschlechtlichkeit in den Culten und Mysterien von den Anfängen ...



der christliche Priester ist von Anfang an der Todfeind der Sinnlichkeit: man kann sich keinen größeren Gegensatz denken, als die unschuldig ahnungsvolle und feierliche Haltung, mit der z.B. in den ehrwürdigsten Frauenkulten Athens die Gegenwart der geschlechtlichen Symbole [empfunden wurde]. Der Akt der Zeugung ist das Geheimniß an sich in allen nicht-asketischen Religionen: eine Art Symbol der Vollendung und der geheimnißvollen Absicht, der Zukunft (Wiedergeburt, Unsterblichkeit

8 [4]

Die Guten und die Verbesserer.

Der Haß gegen die Leiblich- und Seelisch-Privilegirten: Aufstand der häßlichen mißrathenen Seelen gegen die schönen stolzen wohlgemuthen

ihr Mittel: Verdächtigung der Schönheit, des Stolzes, der Freude

das Widernatürliche
als das Höhere
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“es giebt kein Verdienst”
“die Gefahr ist ungeheuer: man soll zittern und sich schlecht befinden”
“die Natürlichkeit ist böse; der Natur widerstreben ist das Rechte. Auch der “Vernunft.”

wieder sind es die Priester, die diesen Zustand ausbeuten und das “Volk” für sich gewinnen. “Der Sünder,” an dem Gott mehr Freude hat als am “Gerechten”

dies ist der Kampf gegen das “Heidenthum” (der Gewissensbiß als Mittel, die seelische Harmonie zu zerstören)

Der Haß der Durchschnittlichen gegen die Ausnahmen, der Heerde gegen die Unabhängigen

die Sitte als
eigentliche
“Sittlichkeit”
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Wendung gegen den “Egoismus”: Werth hat
allein das “dem Anderen”
“wir sind alle gleich”
gegen die Herrschsucht, gegen “Herrschen” überhaupt
  gegen das Vorrecht
gegen Sektirer, Freigeister, Skeptiker
gegen die Philosophie (als dem Werkzeug- und Ecken-Instinkt entgegen)
bei Philosophen selbst “der kategorische Imperativ,” das Wesen des Moralischen “allgemein und überall”



Die drei Behauptungen:

das Unvornehme ist das Höhere (Protest des “gemeinen Mannes”)
das Widernatürliche ist das Höhere (Protest der Schlechtweggekommenen)
das Durchschnittliche ist das Höhere (Protest der Heerde, der “Mittleren”)

In der Geschichte der Moral drückt sich also ein Wille zur Macht aus, durch den

bald die Sklaven und Unterdrückten,
bald die Mißrathenen und An-sich-Leidenden
bald die Mittelmäßigen
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den Versuch machen,
die ihnen günstigsten
Werthurtheile durchzusetzen.



Insofern ist das Phänomen der Moral vom Standpunkt der Biologie aus höchst bedenklich. Die Moral hat sich bisher entwickelt auf Unkosten:

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der Herrschenden und ihrer spezifischen Instinkte
der Wohlgerathenen und schönen Naturen
der Unabhängigen und Privilegirten in irgend einem Sinne
  

Die Moral ist also eine Gegenbewegung gegen die Bemühungen der Natur, es zu einem höheren Typus zu bringen. Ihre Wirkung ist:

Mißtrauen gegen das Leben überhaupt (insofern dessen Tendenzen als “unmoralisch” empfunden werden Sinnlosigkeit, insofern die obersten Werthe als im Gegensatz zu den obersten Instinkten empfunden werden—Widersinn.

Entartung und Selbstzerstörung der “höheren Naturen,” weil gerade in ihnen der Conflikt bewußt wird.



Sklavenaufstand in der Moral: das Ressentiment schöpferisch. Die Zerdrückten, Niedergetretenen, denen die eigentliche Reaktion versagt ist.

Folglich: ein negativer Werth zuerst (umgekehrt als bei der vornehmen Moral, die aus dem Gefühl eines triumphirenden Ja-sagens zu sich selbst entspringt).

         “der Böse” (eigentlich der Starke)

Methode der Verleumdung der aristokratischen Werthe: (Stolz, Schönheit, Glück, Heiterkeit, Sinnlichkeit, Reichthum

mit Hülfe des 1) Nicht-sehen-wollens 2) des Falsch-sehen-wollens 3) des Hinein-sehen-wollens.

Umkehrung: Versuch, das ressentiment selbst als Tugend auszulegen (Gerechtigkeits-Sinn)

die thatsächliche ängstliche Niedrigkeit als “Demuth”

das Inoffensive, die “Feigheit,” das Warten als “Geduld” als “Güte,” als “Liebe der Feinde,” als “Menschenliebe” auch als “Gehorsam gegen Gott,” der der “Obrigkeit” zu gehorchen befiehlt

den Wunsch nach Rache als “Siege Gottes über seine Feinde” insgleichen die Grausamkeit beim Anblick einer Niederlage als “Triumph über Gottes Gerechtigkeit”

ihr Elend als Prüfung, Vorbereitung der “Auserwählten,” Auszeichnung, selbst als Klugheit (“damit reichlicher einst vergolten wird”)

das Leben in der “Hoffnung,” in der “Liebe,” im “Glauben” (an einen Gott der Armen und Gedrückten)

die Ehre der Armut als “Gottesdienst”

Versuch, in summa, mit sich zufrieden zu sein und sich zu überreden, daß “man nicht nur besser sei,” sondern auch “es besser habe.” Die “Guten,” eigentlich die Schwachen.

— Tiefste Unehrlichkeit und Verlogenheit dabei. —



Die Verinnerlichung des Menschen (als Krankheit)

Die V[erinnerlichung] entsteht [dadurch], daß mächtige Triebe, denen mit Einrichtung des Friedens und der Gesellschaft die Entladung nach außen versagt wird, sich nach innen zu schadlos zu halten suchen, im Bunde mit der Imagination. Das Bedürfniß nach Feindschaft, Grausamkeit, Rache, Gewaltsamkeit wendet sich zurück, “tritt zurück”; im Erkennen-wollen ist Habsucht und Erobern; im Künstler tritt die zurückgetretene Verstellungs- und Lügenkraft auf; die Triebe werden zu Dämonen umgeschaffen, mit denen es Kampf giebt usw.

Die Bewußtheit als Krankheit

Der Mensch sich immer wieder in Lagen versetzend, für die er noch keinen Instinkt hat: also zeitweilig experimentirend und auf Grund von “Schlüssen” handelnd, nicht von Instinkten. “Rationalistische” Ereignisse z.B. die französische Revolution.



Das schlechte Gewissen dem Neuen anhaftend

z.B. der Ehe
den milden mitleidigen vergeberischen Gefühlen (lange mit Selbstvernichtung verknüpft)
dem Willen zur Forschung (als wider die Autorität gerichtet)
den großen Natur-Überwältigungen (als Gottlosigkeiten)
dem Frieden
dem Handelsmann, dem Zöllner



bei den vornehmen Geschlechtern, die auf Rache verzichten, der obersten Gewalt gegenüber.

also das “Rechtsbewußtsein” mit dem schlechten Gewissen verschwistert

8 [5]

jede Ungerechtigkeit etwas unfreiwilliges: folglich eine συμφορά: so Plato in 9. und 11 B[uch] der Gesetze in Hinsicht auf Tempelraub und Elternmord. [Vgl. Leopold Schmidt, Die ethik der alten Griechen dargestellt. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:372-74; s. Nietzsche's Library. New Sources of Nietzsche's Reading: Leopold Schmidt.]

8 [6]

[Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:212, 216.]

Die Entwicklung der persönlichen Verantwortlichkeit zurückgehalten: durch die straff gespannte Geschlechts-Organisation (die Folge traf nicht den Thäter, und jeder trug die Folgen Aller—am wunderlichsten war es wohl mit dem “Gewissen” des Oberhaupts bestellt, der relativ Alles büßen mußte)



Die großen Ereignisse:
Sieg des Mannes über das Weib (kriegerisch, Herrenrecht
Sieg des Friedens über den Krieg

8 [7]

[Vgl. Albert Hermann Post, Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1-2. Oldenburg: Schulz, 1880-81.]

Die Lust an der Lüge als die Mutter der Kunst, Furcht und Sinnlichkeit als Mutter der Religion, das Nitimur in vetitum und die Neugierde als Mutter der Wissenschaft, die Grausamkeit als Mutter der unegoistischen Moral, die Reue als Ursprung der socialen Gleichheits-Bewegung, der Wille zur Macht als Ursprung der Gerechtigkeit, der Krieg als der Vater (des guten Gewissens und der Heiterkeit) der Ehrlichkeit, das Herrenrecht als der Ursprung der Familie; das Mißtrauen als die Wurzel der Gerechtigkeit und Contemplation

8 [8]

Zarathustra

An diesem Werk muß Einem jedes Wort einmal wehgethan und verwundet, und wieder einmal tief entzückt haben:—was man nicht so verstanden hat, hat man gar nicht verstanden.

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