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The Will to Power
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September-Oktober 1888 22 [1-29]

22 [1]

Randbemerkung zu einer niaserie anglaise.— “Was du nicht willst, daß dir die Leute thun, das thue ihnen auch nicht.” Das gilt als Weisheit; das gilt als Klugheit; das gilt als Grund der Moral—als “güldener Spruch”. John Stuart Mill und wer nicht unter Engländern glaubt daran ... Aber der Spruch hält nicht den leichtesten Angriff aus. Der Calcul “thue nichts, was dir selber nicht angethan werden soll” verbietet Handlungen um ihrer schädlichen Folgen willen: der Hintergedanke ist, daß eine Handlung immer vergolten wird. Wie nun, wenn Jemand, mit dem “principe” in der Hand, sagte “gerade solche Handlungen muß man thun, damit Andere uns nicht zuvorkommen—damit wir Andere außer Stand setzen, sie uns anzuthun?”— Andrerseits: denken wir uns einen Corsen, dem seine Ehre die vendetta gebietet. Auch er wünscht keine Flintenkugel in den Leib: aber die Aussicht auf eine solche, die Wahrscheinlichkeit einer Kugel hält ihn nicht ab, seiner Ehre zu genügen ... Und sind wir nicht in allen anständigen Handlungen eben absichtlich gleichgültig gegen das, was daraus für uns kommt? Eine Handlung zu vermeiden, die schädliche Folgen für uns hätte — das wäre ein Verbot für anständige Handlungen überhaupt ...

Dagegen ist der Spruch werthvoll, weil er einen Typus Mensch verräth: es ist der Instinkt der Heerde, der sich mit ihm formulirt—man ist gleich, man nimmt sich gleich: wie ich dir, so du mir— Hier wird wirklich an eine Äquivalenz der Handlungen geglaubt, die, in allen realen Verhältnissen, einfach nicht vorkommt. Es kann nicht jede Handlung zurückgegeben werden: zwischen wirklichen “Individuen” giebt es keine gleiche Handlung, folglich auch keine “Vergeltung” ... Wenn ich etwas thue, so liegt mir der Gedanke vollkommen fern, daß überhaupt dergleichen irgend einem Menschen möglich sei: es gehört mir ... Man kann mir Nichts zurückzahlen, man würde immer eine “andere” Handlung gegen mich begehen —

22 [2]

Capitel überPaulus
die jüdische Familie der diaspora
die “Liebe”
die “freie” Zurechtmachung von Jesus ganz jüdisch-priesterlich
a) Tod für unsere Sünde
b) der “Erlöser” ist unsterblich
der tiefe Haß gegen die Cultur und die Erkenntniß—bereits jüdisch (Genesis 52
die “unsterbliche” SeelePsychologie der “Sterbenden” 18
der Priester als “böser Engel” 10
was Alles verdorben ist durch die Kirche
1) die Askese
2) das Fasten 66
3) das “Kloster”
4) die Feste
5) die Mildherzigkeit

Liebe Güte Heroismus 243

Psychologie der ersten Christen
                              197       63
“richtet nicht” 11
Protestant 184
große Lüge der Historie 17

22 [3]

Buch 2Zu beweisen, daß die nihilistische Denkungsweise die Folge vom Glauben an die Moral und Priester-Werthe ist: wenn man den Werth falsch angesetzt hat, so erscheint, bei der Einsicht in diese Falschheit, die Welt entwerthet ...
Buch 3die Moral in Hinsicht auf Entstehung, auf Mittel, auf Absicht das unmoralischste Faktum der Geschichte ... ihre Selbst-Widerlegung, insofern sie, um ihre Werthe aufrecht zu erhalten, die Gegenwerthe praktiziren muß ...

22 [4]

Paulus: er sucht Macht gegen das regierende Judenthum,—seine Bewegung ist zu schwach ... Umwerthung des Begriffs “Jude”: die “Rasse” wird bei Seite gethan—: aber das hieß das Fundament negiren: der “Märtyrer”, der Fanatiker, der Werth alles starken Glaubens ...

Nie zugestehen, daß die humanitären Wirkungen für das Christenthum sprechen ...

Das Christenthum ist die Verfalls-Form der alten Welt in tiefster Ohnmacht: so daß die kränksten und ungesündesten Schichten und Bedürfnisse obenauf kommen.

22 [5]

Folglich mußten andere Instinkte in den Vordergrund treten, um eine Einheit, eine sich wehrende Macht zu schaffen—, kurz eine Art Nothlage war nöthig, wie jene, aus der die Juden ihren Instinkt zur Selbsterhaltung gewonnen hatten ...

Unschätzbar sind hierfür die Christen-Verfolgungen:—die Gemeinsamkeit in der Gefahr, die Massen-Bekehrungen als einziges Mittel den Privat-Verfolgungen ein Ende zu machen (—man nimmt es folglich so leicht als möglich mit dem Begriff “Bekehrung”)

22 [6]

Götzen-Hammer.
oder
Heiterkeiten
eines Psychologen.

Götzen-Hammer.
Oder:
wie ein Psycholog Fragen stellt.
Von
Friedrich Nietzsche.

Götzen-Hammer.
Müssiggang
eines Psychologen.
Von
Friedrich Nietzsche.

Götzen-Hammer.
Oder:
wie ein Psycholog Fragen stellt.
Von
Friedrich Nietzsche
Leipzig,
Verlag von C. G. Naumann
1889.

Götzen-Dämmerung.
Oder:
wie man mit dem Hammer
philosophirt.
Von
Friedrich Nietzsche.

22 [7]

Ich e[mp]finde das Interpretiren nach christ[licher] Manier als tiefe Leichtfertigkeit. Sein Leben sich so auslegen, wie es schwäbische Christen thun, scheint mir durchaus unanständig,—es gehört Mangel an der großen Rechtschaffenheit dazu, um nicht zu entdecken, [ — — — ] Etwas zu interpretiren—und daß es ein armseliges Kunststück ist—wenn die Wissenschaftlichkeit nicht das Gewissen führt, so ist immer ein Rückstand da von Tüchtigkeit,—um nicht schwach feige, geistlos, in einer christ[lichen] Weise sich sein Leben zurechtzulegen, wie es in zurückbleibenden Gegenden z.B. in Schwaben möglich ist, was da zurückgeblieben ist war die Rechtschaffenheit ... Nicht der “Geist”: denn es gehört kein Scharfsinn dazu, um den “Schwindel” zu durchschauen, den man dabei treibt

22 [8]

Ein Glaube, der sich auf heilige Bücher stützt, die Niemand als Bücher gelten läßt, die Bücher durch Offenbarung mitgetheilt denen, die die Wahrheit erk[ennen] als etwas, das gegeben ist, das feststeht, nicht als etwas, wofür [ — — — ] und mit unsäglicher Selbstbezwingung und -zucht, ein Glaube der nie den Willen hat, seine heiligen Bücher zu verstehen, der [ — — — ] durch “Offenbarung” sicher gestellt ist sein typischer Zustand

22 [9]

Man soll es den Deutschen nie vergeben, die R[enaissance] um ihr Ziel, um ihren Sieg gebracht [zu haben],—den Sieg über das Christenthum. Die deutsche Reformation ist ihr dunkler Fluch ... Und noch drei Mal hat diese Unglücks-Rasse sich dazwischen gemacht, um den Gang der Cultur zu hemmen—die deutsche Philosophie, die Freiheitskriege, die Gründung des Reichs am Ende des neunzehnten Jahrhunderts—lauter große Verhängnisse der Cultur!

22 [10]

57. Cap.)der heilige Zweck: Manus Gedanken bei seiner Lüge.
58. Cap.)nie soll man humanitäre Wirkungen des Christenthums zugeben, es hat Alles verdorben— Die furchtbare Einbuße, die alle werthvollen Dinge erlebt haben, daß der Ernst an imaginäre, an schädliche verschwendet wurde; daß erst Mitte dieses Jahrhunderts die Fragen Nahrung, Wohnung, Gesundheit ernst genommen wurden
59. Cap.)der große Versuch der Gegenwerthe—die Mission der Deutschen
60. Cap. meine Forderungen.
1.Man vermeide den Umgang mit Solchen, die nach wie vor Christen bleiben,—das aus Gründen der Reinlichkeit.
2.Die Fälle in Betracht gezogen, wo Christenthum ersichtlich bloß Folge und Sy[m]ptom von Nervenschwäche [ist], verhindere man mit allen Mitteln, daß von solchen Herden aus die Ansteckung um sich greift.
3.Daß die Bibel ein gefährliches Buch ist, daß man Vorsicht gegen dasselbe zu lernen hat,—daß es unreifen Altersklassen nicht einfach in die Hand gegeben werden darf
4.daß man die Priester wie eine Art Tschandala betrachte und behandle
5.Alle Stätten, Einrichtungen, Erziehung reinigen von der Befleckung des Priesters
6.Feste und HeiligeErlöser
7.Zeit-Datirung

22 [11]

Ich habe Fälle erlebt, wo junge Männer achtbarer Herkunft, die lange ihrem Leben kein Ziel zu geben verstehn, zuletzt in geradezu schmutzigen Bewegungen verschwinden,—nur weil diese ihnen ein Ziel geben ... Einige z.B. werden sogar Antisemiten ...

22 [12]

58. Was man dem Christenthum verdankt
 
die furchtbare Einbuße, weil Alles, was Werth hat, was wichtig ersten Ranges ist, nicht ernst genommen worden ist ...

jetzt fangen wir an, Gesundheit, Kleidung, Nahrung Wohnung, ernst zu nehmen ...

die Vergeudung aller großen Leidenschaft, aller Begeisterung, aller Tiefe und Feinheit des Geistes

22 [13]

Vom höheren Menschen.
Oder:
die Versuchung Zarathustra’s.

Zarathustras Versuchung.
Oder:
wem Mitleiden eine Sünde wäre.

Zarathustras Versuchung.
Oder:
wie Mitleiden eine Sünde wird.
wem Mitleiden zur Sünde würde.

22 [14]

Umwerthung aller Werthe.

Der Antichrist. Versuch einer Kritik des Christenthums.
Der Immoralist. Kritik der verhängnissvollsten Art von Unwissenheit, der Moral.
Wir Jasagenden. Kritik der Philosophie als einer nihilistischen Bewegung.
Dionysos. Philosophie der ewigen Wiederkunft.

Zarathustras Lieder
Aus
sieben Einsamkeiten.

22 [15]

Zarathustras Versuchung.
Oder:
an wem Mitleiden zur Sünde
würde.
Von
Friedrich Nietzsche.

22 [16]

Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem.

Götzen-Dämmerung. Oder: wie man mit dem Hammer philosophirt.

Zarathustras Versuchung. Oder: an wem Mitleiden zur Sünde würde.

22 [17]

die Ursächlichkeit des Handelns
    die Zwecke falsch angesetzt:
Glück a) eignes            b) fremdes
              “egoistisch”        “unegoistisch”



(—Tiefster Mangel an Selbstbesinnung bei Schopenhauer, der auch noch
          c) fremdes Leid  d) eignes Leid

hinzufügt: was natürlich nur Spezifikationen des Begriffs

“eignes Glück” sind (a)

wenn Glück Zweck der Handlung ist, so muß Unbefriedigung dem Handeln vorausgehn: pessimistische Fälschung des Thatbestandes. Die Unlust als Motiv zum Handeln.

Meine Theorie: Lust, Unlust, “Wille”, “Zweck” vollkommen bloß Begleit-Erscheinungen,—niemals ursächlich. Alle sogenannte “geistige” Ursächlichkeit ist eine Fiktion



Ursächlichkeit des Handelns
    Unlust und Lust Motive
    der Wille als ursächlich im Handeln



Vorausgesetzt: daß die ganze Vorgeschichte in der Sphäre des Bewußtseins liegt

daß die eigentliche Ursächlichkeit eine geistige ist ...

daß die “Seele” weiß, was sie will und daß der Werth des Willensaktes bedingt ist durch ihr Wissen ...

daß die Seele frei ist vom Willen und folglich — — —

22 [18]

Die schlechten Handlungen, die der décadents sind gerade durch ihren Mangel an “Egoismus” gekennzeichnet,—sie sind nicht auf den letzten Nutzen gerichtet



Psychologie der sogenannten unegoistischen Handlungen—in Wahrheit sind sie strengstens auf den Selbst-Erhaltungs-Instinkt hin regulirt

das Umgekehrte ist bei den sogenannten egoistischen Handlungen der Fall:

hier fehlt gerade der dirigirende Instinkt,—das tiefe Bewußtsein des Nützlichen und Schädlichen



Alle Stärke, Gesundheit, Vitalität zeigt von der vermehrten Spannung hin zum commandirenden Instinkt des Selbst

alles Locker-werden ist décadence

22 [19]

Thesen:es giebt gar keine unegoistische Handlung
:es giebt auch kein egoistisches Handeln
:Glück ist niemals Zweck des Handelns, Unlust niemals Ursache
 (—die Unlust könnte noch so groß sein: wäre der Mechanismus nicht frei, so gäbe es dennoch keine Handlung.
 Lust und Unlust sind keine Ursachen, sie setzen nur Etwas in Bewegung,—sie begleiten es ...



In wiefern alle Niedrigen, Lasterhaften, Brutalen, Listig-Raffinirten bloß symptomatisch sind für Degenerescenz

der Heerden-Instinkt

Kritik der Mitgefühle
Kritik der Selbstgefühle
Warum Wahrheit?

22 [20]

Falsche Consequenzen des Glaubens ans “ego

der Mensch strebt nach Glück: aber in diesem Sinne giebt es keine Einheit “welche strebt” ...

und wonach alle Einheiten streben, das ist durchaus nicht Glück—Glück ist eine Begleiterscheinung—beim Auslösen ihrer Kraft: was Handeln macht, ist nicht das Bedürfniß, sondern die Fülle, welche auf einen Reiz hin sich entladet

nicht die “Unlust” Voraussetzung der Thätigkeit, jene Spannung ist ein großer Reiz ...

gegen die pessimistische Theorie, als ob alles Handeln auf Los-werden-wollen einer Unbefriedigung hinausgienge, als ob Lust an sich Ziel irgend welchen Handelns wäre ...

22 [21]

“selbstlose” Handlungen giebt es gar nicht.

Handlungen, in denen das Individuum seinen eignen Instinkten untreu wird und nachtheilig wählt, sind Zeichen der décadence

(—eine Menge der berühmtesten sogenannten “Heiligen” sind einfach durch ihren Mangel an “Egoismus” überführt, décadents zu sein



die Handlungen der Liebe, des “Heroismus” sind so wenig “unselbstisch”, daß sie gerade der Beweis eines sehr starken und reichen Selbst sind

— das Abgeben-können steht den “Armen” nicht frei ... ebensowenig die große Verwegenheit und Lust am Abenteuer, die zum “Heroismus” gehört

nicht “sich opfern” als Ziel, sondern Ziele durchsetzen, über deren Folgen man aus Übermuth und Zutrauen zu sich nicht besorgt ist, gleichgültig ist ...

22 [22]

a)die falsche Ursächlichkeit
Lust Unlust Wille Zweck “Geist”
b)die falsche Einheit “Seele”, “ich”, “Person”
womöglich “unsterbliche Person”
— damit ein falscher Altruismus gegeben
“ich” und “Andere”
(Egoism—Altruism)
“Subjekt” “Objekt”
c)die vollkommene Verachtung des Leibes ließ die Einzelperson nicht sehen, die vollkommene minutieuseste Art ihres Organisations-Spiels zur Selbst-Erhaltung und Reinigung der Art der Gattung:—mit anderen Worten den unendl[ichen] Werth der Einzel-Person als Träger des Lebens-prozesses und, folglich, ihr allerhöchstes Recht auf Egoismus,—wie alle ihre Unmöglichkeit es nicht zu sein ...

Thatsächlich ist alles “Unegoistische” décadence-Phänomen.

22 [23]

Das Bibel-Verbot “du sollst nicht tödten” ist eine Naivetät im Vergleich zu meinem Verbote an die décadents “ihr sollt nicht zeugen!”—es ist Schlimmeres noch, es ist der Widerspruch dazu ... Das höchste Gesetz des Lebens, von Zarathustra formulirt, verlangt, daß man ohne Mitleid sei mit allem Ausschuß und Abfall des Lebens,—daß man vernichte, was für das aufsteigende Leben bloß Hemmung, Gift, Verschwörung, unterirdische Gegnerschaft sein würde,—Christenthum mit einem Wort ... es ist unmoralisch im tiefsten Verstand zu sagen: du sollst nicht tödten ...

22 [24]

I.Die Erlösung vom Christenthum: der Antichrist
II. vonder Moral: der Immoralist
III. vonder “Wahrheit”: der freie Geist.
IV. vomNihilismus:

der Nihilismus als die nothwendige Folge von Christenthum, Moral und Wahrheitsbegriff der Philosophie.

Die Zeichen des Nihilismus ...



ich verstehe unter “Freiheit des Geistes” etwas sehr Bestimmtes: hundert Mal den Philosophen und anderen Jüngern der “Wahrheit” durch Strenge gegen sich überlegen sein, durch Lauterkeit und Muth, durch den unbedingten Willen, Nein zu sagen, wo das Nein gefährlich ist—ich behandle die bisherigen Philosophen als verächtliche libertins unter der Kapuze des Weibes “Wahrheit”.

22 [25]

Der Immoralist.

der Herkunft nach ist Moral: Summe der Erhaltungs-Bedingungen einer armen, halb oder ganz mißrathnen Art Mensch: diese kann die “große Zahl” sein:—daher ihre Gefahr.

Kritik der “Verbesserer

ihrer Benutzung nach ist sie das Hauptmittel des Priester-Parasitismus im Kampf mit den Starken, den Lebensbejahenden—sie gewinnen “die große Zahl” (die Niedrigen, die Leidenden, in allen Ständen—die Verunglückten aller Art—eine Art Gesammt-Aufstand gegen die kleine Zahl der Gutgearteten ...

Kritik der “Guten

ihren Folgen nach die radikale Falschheit und Verderbniß selbst jener Ausnahme-Schichten: welche schließlich, um sich nur auszuhalten, in keinem Punkte mehr wahr gegen sich sein dürfen: die vollkommene psychologische Corruption mit dem, was daraus folgt: — — —

22 [26]

Das Kunststück meines Lebens liegt in der Bescheidenheit,—in dem Willen, in der Kraft dazu, sich klein zu machen .. Nicht sich klein zu stellen: sondern gleichsam Etwas zu vergessen, von sich ablösen, eine Distanz schaffen in sich—anders ausgedrückt: im Bewußtsein vollkommener Freiheit [ — — — ] die Aufgabe, der Wille, der unbarmherzige Instinkt, den sie bedingt ...

Das Kunststück war, das viele Arme, Schwache, Leidende meines Lebens mir zu Hülfe zu nehmen, um an einer großen Aufgabe nicht zu Grunde zu gehn:—mich gleichsam zu zertheilen—und die andere Hälfte übrigbehalten zur Freundlichkeit, Menschenfreundlichkeit, Geduld, Zugänglichkeit für alles Kleine und Kleinste. Es ist auch die Seite, wo ich raffinirt und klug bin in Dingen des Genießens,—ein guter Leser, ein guter Hörer ... Hier gefallen mir auch Dinge, die vielleicht eine große Liberalität in der Güte noch mehr verlangen als eine feinere Intelligenz; z.B. Petronius, auch Heinrich Heine, Offenbach mit seinen unsterblichen Tricks ...

Gegen die Thatsache, daß fast jede Berührung mit Menschen mir den Begriff vom Thier mit unfreiwilligem Humor gab, erwuchs bei mir nicht gerade eine Geringschätzung: ich habe mich in allen Fällen, wo eine Art Rancune oder Ferocität gegen mich zu Tage [trat], bemüht, irgend etwas [ — — — ] zu thun, um eine Erinnerung damit auszuwischen.

22 [27]

Ich habe nie daran gelitten, nicht geehrt zu sein,—ich finde einen Vortheil darin. Andrerseits habe ich so viel Auszeichnung und Ehre in meinem Leben, von früher Jugend an erlebt, daß ich mich — — —

22 [28]

Die Kunst, mich zu trennen,—auseinander zu halten, Eine Hälfte Jahre lang zu vergessen ...



Vortheile aus meiner Krankheit ziehen: die Entlastung von der großen Spannung

das liebevolle Rachenehmen-Lernen für das Kleine.



Es würde mir unmöglich sein, zu erklären, was ich als den schlimmsten Zufall meines Lebens betrachte,—es klänge nicht nur paradox, es klänge undankbar, niedrig.



Die Art Wohlwollen, die ich erfahren habe, hat in vielen Fällen auf mich einen schlimmeren Eindruck gemacht als irgend eine Art Bosheit und Feindseligkeit. Es ist so viel Zudringlichkeit, so viel Mangel an Distanz-Gefühl im Glauben, wohlthun zu können: ich habe öfter das Wohlthun-wollen unter den allgemeinen Begriff der Brutalität gefaßt



Warum ich nie gelitten habe: “unerkannt” zu sein, nicht gelesen zu werden



Noch in meinem 45ten Jahre geben mir Gelehrte der Basler Universität in aller Gutmüthigkeit zu verstehen, die litterarische Form meiner Schriften sei der Grund, weshalb man mich nicht lese, ich sollte das anders machen.

22 [29]

Ein Distanz-Gefühl das zuletzt physiologisch sein möchte bin ich aus der allernächsten Nähe [ — ] nie los geworden: ich empfinde die Distanz, verschieden zu sein in jedem Verstande, gleichsam unvermischbar und obenauf im Vergleich zu jedem trüben Elemente



Mein Vorrecht, mein Voraus vor den Menschen überhaupt ist, eine Fülle höchster und neuester Zustände erlebt zu haben, in Bezug auf welche zwischen Geist und Seele zu trennen  ein  Cynismus  wäre.  Unzweifelhaft  muß  man  Philosoph  sein, tief sein bis zum [ — ], um von dieser Lichtfülle herauszutreten: aber die Richtigkeit des Gefühls, die lange Tyrannei einer großen Aufgabe sind die noch unentbehrlicheren Vorbedingungen dazu.

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