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Juli-August 1888 18 [1-17] 18 [1] Aus der Kriegsschule der Seele. den Tapfern, den Frohgemuthen, den Enthaltsamen geweiht.
ich möchte die liebenswürdigen Tugenden nicht unterschätzen; aber die Größe der Seele verträgt sich nicht mit ihnen. Auch in den Künsten schließt der große Stil das Gefällige aus.
In Zeiten schmerzhafter Spannung und Verwundbarkeit wähle den Krieg: er härtet ab, er macht Muskeln.
Die tief Verwundeten haben das olympische Lachen; man hat nur, was man nöthig hat.
Es dauert zehn Jahre schon: kein Laut mehr erreicht michein Land ohne Regen. Man muß viel Menschlichkeit übrig haben, um in der Dürre nicht zu verschmachten.
Jeder Glaube hat den Instinkt der Lüge: er wehrt sich gegen jede Wahrheit, von der her seinem Willen, die Wahrheit zu besitzen, Gefahr drohter macht die Augen zu, er verleumdet ...
Man hat einen Glauben weil er selig macht: man hält nicht für wahr, was uns nicht selig macht. Ein pudendum. 18 [2] Theorie vom Mißbrauch der Logik als einem Realitäts-Kriterium. 18 [3] [Vgl. Edmond and Jules Huot de Goncourt, Journal des Goncourt. Mémoires de la vie littéraire. Vol. 1: 1851-1861. Paris: Charpentier, 1887.]Die Tschandala sind obenauf; voran die Juden. Die Juden sind im unsichern Europa die stärkste Rasse: denn sie sind dem Rest durch die Länge ihrer Entwicklung überlegen. Ihre Organisation setzt ein reicheres Werden, eine gefährlichere Laufbahn, eine größere Zahl von Stufen voraus, als alle andren Völker aufweisen können. Aber das ist beinahe eine Formel für Überlegenheit. Eine Rasse, wie sonst irgend ein organisches Gebilde, kann nur wachsen oder zu Grunde gehn; es giebt keinen Stillstand. Eine Rasse, die nicht zu Grunde gegangen ist, ist eine Rasse, die immerfort gewachsen ist. Wachsen heißt vollkommen werden. Die Dauer im Dasein einer Rasse entscheidet mit Nothwendigkeit über die Höhe ihrer Entwicklung: die älteste muß die höchste sein. Die Juden sind im unbedingten Sinn gescheut; einem Juden zu begegnen kann eine Wohlthat sein. Man ist übrigens nicht ungestraft gescheut; man hat damit leicht die Andern gegen sich. Aber der große Vortheil bleibt doch den Gescheuten. Ihre Gescheutheit hindert die Juden, auf unsere Weise närrisch zu werden: zum Beispiel national. Es scheint, sie sind ehemals zu gut geimpft worden, ein wenig blutig selbst, und dies unter allen Nationen: sie verfallen nicht leicht mehr unsrer rabies, der rabies nationalis. Sie sind heute selbst ein antidoton gegen diese letzte Krankheit der europäischen Vernunft. Die Juden allein haben im modernen Europa an die supremste Form der Geistigkeit gestreift: das ist die geniale Buffonerie. Mit Offenbach, mit Heinrich Heine ist die Potenz der europäischen Cultur wirklich überboten; in dieser Weise steht es den andren Rassen noch nicht frei, Geist zu haben. Das grenzt an Aristophanes, an Petronius, an Hafis. Die älteste und späteste Cultur Europas stellt jetzt ohne Zweifel Paris dar; lesprit de Paris ist deren Quintessenz. Aber die verwöhntesten Pariser, solche wie die Goncourt, haben keinen Anstand genommen, in Heine eine der drei Spitzen des esprit Parisien selbst zu erkennen: er theilt die Ehre mit dem prince de Ligne und dem Neapolitaner Galiani. Heine hatte Geschmack genug, um die Deutschen nicht ernst nehmen zu können; dafür haben ihn die Deutschen ernst genommen, und Schumann hat ihn in Musik gesetztin Schumannsche Musik! Du bist wie eine Blume singen alle höheren Jungfrauen. Heute macht man Heine in Deutschland ein Verbrechen daraus, Geschmack gehabt zu habengelacht zu haben: die Deutschen selbst nämlich nehmen sich heute verzweifelt ernst. 18 [4] Ich mißtraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist, für uns Denker wenigstens, etwas, das compromittirt, eine Form unsrer Immoralität. Vielleicht erräth man, bei einem Blick hinter dies Buch, welchem Systematiker ich selbst nur mit Mühe ausgewichen bin ... 18 [5] Ich habe den Deutschen das tiefste Buch gegeben, das sie besitzen, meinen Zarathustra,ich gebe ihnen hiermit das unabhängigste. Wie? sagt mir dazu mein schlechtes Gewissen, du willst deine Perlenvor die Deutschen werfen? ... [Vgl. Herbst 1887 9 [190]; November 1887—März 1888 11 [417]; Götzen-Dämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemässen, 51; 18. Juli 1888, Brief an Dr. Carl Fuchs: "Ich habe den Menschen das tiefste Buch gegeben, das sie besitzen, meinen Zarathustra: ein Buch, das dermaßen auszeichnet, daß wer sagen kann 'ich habe sechs Sätze davon verstanden, das heißt erlebt' damit zu einer höheren Ordnung der Sterblichen gehört.— Aber wie man das büßen muß! abzahlen muß! es verdirbt beinahe den Charakter! Die Kluft ist zu groß geworden. Ich treibe seitdem eigentlich nur Possenreißerei, um über eine unerträgliche Spannung und Verletzbarkeit Herr zu bleiben."] 18 [6] Man ist um den Preis Künstler, daß man das, was alle Nichtkünstler Form nennen, als Inhalt, als die Sache selbst empfindet. Damit gehört man freilich in eine verkehrte Welt. 18 [7] Man soll von sich nichts wollen, was man nicht kann. Man frage sich: willst du mitgehn? Oder vorangehn? Oder für dich gehn? Im zweiten Fall will man Hirt sein: Hirt, das heißt oberster Nothbedarf einer Heerde. 18 [8] Wenn wir uns, aus dem Instinkt der Gemeinschaft heraus, Vorschriften machen und gewisse Handlungen verbieten, so verbieten wir, wie es Vernunft hat, nicht eine Art zu sein, nicht eine Gesinnung, sondern nur eine gewisse Richtung und Nutzanwendung dieses Seins, dieser Gesinnung. Aber da kommt der Ideologe der Tugend, der Moralist und sagt Gott sieht das Herz an! Was liegt daran, daß ihr euch bestimmten Handlungen enthaltet? Ihr seid darum nicht besser! Antwort: wir wollen auch gar nicht besser sein, mein Herr Langohr und Tugendsam, wir sind sehr zufrieden mit uns,wir wollen uns nur nicht unter einander Schaden thun, und deshalb verbieten wir gewisse Handlungen in einer gewissen Rücksicht, nämlich auf uns, während wir dieselben Handlungen, vorausgesetzt, daß sie sich auf unsere Gegnerauf Sie zum Beispielbeziehn, nicht genug zu ehren wissen. Wir erziehn unsere Kinder auf sie hin, wir züchten sie groß. Wären wir von jenem gottwohlgefälligen Radikalismus, den uns Ihr heiliger Aberwitz anempfiehlt, wären wir Mondkälber genug, nicht nur Handlungen, sondern die Voraussetzung dazu, unsere Gesinnung zu verbieten, so beschnitten wir uns an unseren Tugenden, an dem, was unsere Ehre, unseren Stolz ausmacht. Und damit nicht genug. Indem wir unsere Gesinnung abschafften, würden wir durchaus nicht besser werden,wir würden gar nicht mehr vorhanden sein, wir hätten uns selber damit abgeschafft ... Sie sind bloß ein Nihilist ..., 18 [9] Die russische Musik bringt mit einer rührenden Einfalt die Seele des moujik, des niederen Volks ans Licht. Nichts redet mehr zu Herzen als ihre heiteren Weisen, die allesamt traurige Weisen sind. Ich würde das Glück des ganzen Westens eintauschen gegen die russische Art, traurig zu sein. Aber wie kommt es, daß die herrschenden Classen Rußlands nicht in seiner Musik vertreten sind? Genügt es zu sagen böse Menschen haben keine Lieder? 18 [10] Wo ist heute der Tiefstand der europäischen Cultur, ihr Sumpf? Bei den Salutisten, bei den Antisemiten, bei den Spiritisten, bei den Anarchisten, bei den Bayreuthern. Das heißt, bei den fünf Spezialitäten des europäischen cant. Denn alle diese geben vor, sie allein seien jetzt die höheren Menschen ... 18 [11] Die Krankheit ist ein mächtiges stimulans. Nur muß man gesund genug für sie sein. 18 [12] Große Dinge verlangen, daß man von ihnen schweigt oder groß redet: groß, das heißt mit Unschuld,cynisch. 18 [13] Zu: der Wille zur Wahrheit 1. Satz. Die leichtere Denkweise siegt über die schwierigereals Dogma: simplex sigillum veri. Dico: daß die Deutlichkeit etwas für Wahrheit ausweisen soll, ist eine vollkommene Kinderei ...
2. Satz. Die Lehre vom Sein, vom Ding, von lauter festen Einheiten ist hundert Mal leichter als die Lehre vom Werden, von der Entwicklung
3. Satz. Die Logik war als Erleichterung gemeint: als Ausdrucksmittel,nicht als Wahrheit ... Später wirkte sie als Wahrheit ... 18 [14] Die Metaphysiker Ich spreche vom größten Unglück der neueren Philosophievon Kant ...
Hegel: etwas vom schwäbischen Gottvertrauen, vom kuhmäßigen Optimismus
Kant: Weg zum alten Spiel: das haben Alle verstanden 18 [15] Der grosse Mittag. Warum Zarathustra?
Die große Selbstüberwindung der Moral 18 [16] Zu: die Metaphysiker. Zur Psychologie der Metaphysik. Der Einfluß der Furchtsamkeit.
Was am meisten gefürchtet worden ist, die Ursache der mächtigsten Leiden (Herrschsucht, Wollust usw.), ist von den Menschen am feindseligsten behandelt worden und aus der wahren Welt eliminirt. So haben sie die Affekte Schritt für Schritt weggestrichen,Gott als Gegensatz des Bösen, d.h. die Realität in die Negation der Begierden und Affekte angesetzt (das heißt gerade ins Nichts.)
Insgleichen ist die Unvernunft, das Willkürliche, Zufällige von ihnen gehaßt worden (als Ursache zahlloser phys[ischer] Leiden) Folglich negirten sie dies Element im An-sich-Seienden, faßten es als absolute Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit.
Insgleichen der Wechsel, die Vergänglichkeit gefürchtet: darin drückt sich eine gedrückte Seele aus, voller Mißtrauen und schlimmer Erfahrung (Fall Spinoza: eine umgekehrte Art Mensch würde diesen Wechsel zum Reiz rechnen)
Eine mit Kraft überladene und spielende Art Wesen würde gerade die Affekte, die Unvernunft und den Wechsel in eudämonistischem Sinne gutheißen, sammt ihren Consequenzen, Gefahr, Contrast, Zu-Grunde-gehn usw. 18 [17] Entwurf des Plans zu: der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung aller Werthe. | Sils Maria am letzten Sonntag des Monat August 1888 |
| Wir Hyperboreer. Grundsteinlegung des Problems. | | Erstes Buch: was ist Wahrheit? |
Erstes Capitel. Psychologie des Irrthums. | Zweites Capitel. Werth von Wahrheit und Irrthum. | Drittes Capitel. Der Wille zur Wahrheit (erst gerechtfertigt im Ja-Werth des Lebens |
| Zweites Buch: Herkunft der Werthe. |
Erstes Capitel. Die Metaphysiker. | Zweites Capitel. Die homines religiosi. | Drittes Capitel. Die Guten und die Verbesserer. |
Drittes Buch: Kampf der Werthe |
Erstes Capitel. Gedanken über das Christenthum. | Zweites Capitel. Zur Physiologie der Kunst. | Drittes Capitel. Zur Geschichte des europäischen Nihilismus. |
Viertes Buch: Der grosse Mittag. |
Erstes Capitel. Das Princip des Lebens Rangordnung. | Zweites Capitel. Die zwei Wege. | Drittes Capitel. Die ewige Wiederkunft. | |
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