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November 1887—März 1888 11 [101-200]

11 [101]

[Vgl. Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung. Berlin: C. Duncker, 1869.]

Ich wünsche durchaus nicht, an der verächtlichen Komödie mitzuspielen, welche heute immer noch, in Preußen zumal, philosophischer Pessimismus genannt wird; ich sehe selbst die Nöthigung nicht ein, von ihr zu reden. Mit Ekel sollte man sich längst von dem Schauspiel abgewandt haben, w[elches] jener magere Affe Herr von Hartmann giebt: in meinen Augen ist jeder damit durchgestrichen, daß er diesen Namen mit dem Schopenhauers zugleich in den Mund nimmt.

11 [102]

(353)      Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht. Daß man sie hinterdrein nicht im Stich läßt ... Der Gewissensbiß ist unanständig.

11 [103]

(354)      Daß man endlich die menschlichen Werthe wieder hübsch in die Ecke zurücksetze, in der sie allein ein Recht haben: als Eckensteher-Werthe. Es sind schon viele Thierarten verschwunden; gesetzt daß auch der Mensch verschwände, so würde nichts in der Welt fehlen. Man muß Philosoph genug sein, um auch dies Nichts zu bewundern (—Nil admirari—)

11 [104]

(355)      Ist man über das “Warum?” seines Lebens mit sich im Reinen, so giebt man dessen Wie? leichten Kaufs. Es ist selbst schon ein Zeichen von Unglauben an Warum?, an Zweck und Sinn, ein Mangel an Willen, wenn der Werth von Lust und Unlust in den Vordergrund tritt und hedonistisch-pessimistische Lehren Gehör finden; und Entsagung, Resignation, Tugend, “Objektivität” können zum Mindesten schon Zeichen davon sein, daß es an der Hauptsache zu mangeln beginnt.

Daß man sich ein Ziel zu geben weiß — — —

11 [105]

NB. ein Pöbel-Mensch, ein Rancune-Mensch, ein Rankunkel ...

11 [106]

Nicht zu verwechseln:—Der Unglaube als Unvermögen überhaupt zu glauben und, andrerseits, als Unvermögen Etwas noch zu glauben: im letzteren Falle gemeinhin als Symptom von einem neuen Glauben —

Dem Unglauben als Unvermögen eignet die Unfähigkeit zu negiren—er weiß sich weder gegen ein Ja noch gegen ein Nein zu wehren ...

11 [107]

Müßiggang ist aller Philosophie Anfang.— Folglich—ist Philosophie ein Laster? ...

11 [108]

Ein Philosoph erholt sich anders und in Anderem: er erholt sich z.B. im Nihilismus. Der Glaube, daß es gar keine Wahrheit giebt, der Nihilisten-Glaube ist ein großes Gliederstrecken für einen, der als Kriegsmann der Erkenntniß unablässig mit lauter häßlichen Wahrheiten im Kampfe liegt. Denn die Wahrheit ist häßlich

11 [109]

Wenn man von der Musik die dramatische Musik abrechnet: bleibt der guten Musik immer noch genug übrig

11 [110]

Auch wir glauben an die Tugend: aber an die Tugend im Renaissancestile, virtù, moralinfreie Tugend.

11 [111]

(356)      Wie kommt es, daß die Grundglaubensartikel in der Psychologie allesammt die ärgsten Verdrehungen und Falschmünzereien sind? “Der Mensch strebt nach Glück” z.B.—was ist daran wahr! Um zu verstehn, was Leben ist, welche Art Streben und Spannung Leben ist, muß die Formel so gut von Baum und Pflanze als vom Thier gelten. “Wonach strebt die Pflanze?”—aber hier haben wir bereits eine falsche Einheit erdichtet, die es nicht giebt: die “Thatsache eines millionenfachen Wachsthums mit eigenen und halbeigenen Initiativen ist versteckt und verleugnet, wenn wir eine plumpe Einheit “Pflanze” voranstellen. Daß die letzten kleinsten “Individuen” nicht in dem Sinn eines “metaphysischen Individuums” und Atoms verständlich sind, daß ihre Machtsphäre fortwährend sich verschiebt — das ist zuallererst sichtbar: aber strebt ein Jedes von ihnen, wenn es sich dergestalt verwandelt, nachGlück”?— Aber alles Sich-ausbreiten, Einverleiben, Wachsen ist ein Anstreben gegen Widerstehendes, Beweg[ung] ist essentiell etwas mit Unlustzuständen Verbundenes: es muß das, was hier treibt, jedenfalls etwas Anderes wollen, wenn es dergestalt die Unlust will und fortwährend aufsucht.— Worum kämpfen die Bäume eines Urwaldes mit einander? Um “Glück”?— Um Macht ...

Der Mensch, Herr über die Naturgewalten geworden, Herr über seine eigne Wildheit und Zügellosigkeit: die Begierden haben folgen, haben nützlich sein gelernt

Der Mensch, im Vergleich zu einem Vor-Menschen, stellt ein ungeheures Quantum Macht dar—nicht ein plus vom “Glück”: wie kann man behaupten, daß er nach Glück gestrebt hat?...

11 [112]

(357)      Der höhere Mensch unterscheidet sich von dem niederen in Hinsicht auf die Furchtlosigkeit und die Herausforderung des Unglücks: es ist ein Zeichen von Rückgang, wenn eudämonistische Werthmaaße als oberste zu gelten anfangen (—physiologische Ermüdung, Willens-Verarmung—) Das Christenthum mit seiner Perspektive auf “Seligkeit” ist eine typische Denkweise für eine leidende und verarmte Gattung Mensch: eine volle Kraft will schaffen, leiden, leiden[d] untergehn: ihr ist das christliche Mucker-Heil eine schlechte Musik und hieratische Gebärden ein Verdruß

11 [113]

(358)

Zur Psychologie und Erkenntnisslehre.

 

Ich halte die Phänomenalität auch der inneren Welt fest: alles, was uns bewußt wird, ist durch und durch erst zurechtgemacht, vereinfacht, schematisirt, ausgelegt—der wirkliche Vorgang der inneren “Wahrnehmung,” die Causalvereinigung zwischen Gedanken, Gefühlen, Begehrungen, wie die zwischen Subjekt und Objekt, uns absolut verborgen—und vielleicht eine reine Einbildung. Diese “scheinbare innere Welt” ist mit ganz denselben Formen und Prozeduren behandelt, wie die “äußere” Welt. Wir stoßen nie auf “Thatsachen”: Lust und Unlust sind späte und abgeleitete Intellekt-Phänomene ...

Die “Ursächlichkeit” entschlüpft uns; zwischen Gedanken ein unmittelbares ursächliches Band anzunehmen, wie es die Logik thut—das ist Folge der allergröbsten und plumpsten Beobachtung. Zwischen zwei Gedanken spielen noch alle möglichen Affekte ihr Spiel: aber die Bewegungen sind zu rasch, deshalb verkennen wir sie, leugnen wir sie ...

“Denken,” wie es die Erkenntnißtheoretiker ansetzen, kommt gar nicht vor: das ist eine ganz willkürliche Fiktion, erreicht durch Heraushebung Eines Elementes aus dem Prozeß und Subtraktion aller übrigen, eine künstliche Zurechtmachung zum Zweck der Verständlichung ...

Der “Geist,” etwas, das denkt: womöglich gar “der Geist absolut, rein, pur”—diese Conception ist eine abgeleitete zweite Folge der falschen Selbstbeobachtung, welche an “Denken” glaubt: hier ist erst ein Akt imaginirt, der gar nicht vorkommt, “das Denken” und zweitens ein Subjekt-Substrat imaginirt in dem jeder Akt dieses Denkens und sonst nichts Anderes seinen Ursprung hat: d.h. sowohl das Thun, als der Thäter sind fingirt

11 [114]

“wollen” ist nicht “begehren,” streben, verlangen: davon hebt es sich ab durch den Affekt des Commandos

es giebt kein “wollen,” sondern nur ein Etwas-wollen: man muß nicht das Ziel auslösen aus dem Zustand: wie es die Erkenntnißtheoretiker thun. “Wollen,” wie sie es verstehn, kommt so wenig vor, wie “Denken”: ist eine reine Fiktion.

daß Etwas befohlen wird, gehört zum Wollen (: damit ist natürlich nicht gesagt, daß der Wille “effektuirt” wird ...)

Jener allgemeine Spannungszustand, vermöge dessen eine Kraft nach Auslösung trachtet—ist kein “Wollen”

11 [115]

(359)      In einer Welt, die wesentlich falsch ist, wäre Wahrhaftigkeit eine widernatürliche Tendenz: eine solche könnte nur Sinn haben als Mittel zu einer besonderen höheren Potenz von Falschheit: damit eine Welt des Wahren, Seienden fingirt werden konnte, mußte zuerst der Wahrhaftige geschaffen sein (eingerechnet, daß ein solcher sich “wahrhaftig” glaubt)

Einfach, durchsichtig, mit sich nicht im Widerspruch, dauerhaft, sich gleichbleibend, ohne Falte, Volte, Vorhang, Form: ein Mensch der Art concipirt eine Welt des Seins als “Gott” nach seinem Bilde.

Damit Wahrhaftigkeit möglich ist, muß die ganze Sphäre des Menschen sehr sauber, klein und achtbar sein: es muß der Vortheil in jedem Sinne auf Seiten des Wahrhaftigen sein.— Lüge, Tücke, Verstellung müssen Erstaunen erregen ..

Der Haß gegen die Lüge und die Verstellung aus Stolz, aus einem reizbaren Ehrbegriff; aber es giebt einen solchen Haß auch aus Feigheit: weil Lüge verboten ist.— Bei einer anderen Art Mensch hilft alles Moralisiren “du sollst nicht lügen” nichts gegen den Instinkt, welcher der Lüge beständig bedarf: Zeugniß das neue Testament.

11 [116]

(360)      Es giebt solche, die danach suchen, wo etwas unmoralisch ist: wenn sie urtheilen: “das ist Unrecht,” so glauben sie, man müsse es abschaffen und ändern. Umgekehrt habe ich nirgends Ruhe, so lange ich bei einer Sache noch nicht über ihre Unmoralität im Klaren bin. Habe ich diese heraus, so ist mein Gleichgewicht wieder hergestellt.

11 [117]

Einem ausgelassenen Geiste, dem der Tanz die natürlichste Beweg[ung] ist und der jede Realität nur mit den Fußspitzen zu berühren liebt, ist es verhaßt, traurigen Dingen nachzuhängen

11 [118]

wir Hyperboreer

(361)      Mein Schlußsatz ist: daß der wirkliche Mensch einen viel höheren Werth darstellt als der “wünschbare” Mensch irgend eines bisherigen Ideals; daß alle “Wünschbarkeiten” in Hinsicht auf den Menschen absurde und gefährliche Ausschweifungen waren, mit denen eine einzelne Art von Mensch ihre Erhaltungs- und Wachsthums-Bedingungen über der Menschheit als Gesetz aufhängen möchte; daß jede zur Herrschaft gebrachte “Wünschbarkeit” solchen Ursprungs bis jetzt den Werth des Menschen, seine Kraft, seine Zukunfts-Gewißheit herabgedrückt hat; daß die Armseligkeit und Winkel-Intellektualität des Menschen sich am meisten bloßstellt, auch heute noch, wenn er wünscht; daß die Fähigkeit des Menschen, Werthe anzusetzen, bisher zu niedrig entwickelt war, um dem thatsächlichen, nicht bloß “wünschbaren” Werthe des Menschen gerecht zu werden; daß das Ideal bis jetzt die eigentlich welt- und menschverleumdende Kraft, der Gifthauch über der Realität, die große Verführung zum Nichts war ...

11 [119]

(362)

Zur Vorrede.

 

Ich beschreibe, was kommt: die Heraufkunft des Nihilismus. Ich kann hier beschreiben, weil hier etwas Nothwendiges sich begiebt—die Zeichen davon sind überall, die Augen nur für diese Zeichen fehlen noch. Ich lobe, ich tadle hier nicht, daß er kommt: ich glaube, es giebt eine der größten Krisen, einen Augenblick der allertiefsten Selbstbesinnung des Menschen: ob der Mensch sich davon erholt, ob er Herr wird über diese Krise, das ist eine Frage seiner Kraft: es ist möglich ...

der moderne Mensch glaubt versuchsweise bald an diesen, bald an jenen Werth und läßt ihn dann fallen: der Kreis der überlebten und fallengelassenen Werthe wird immer voller; die Leere und Armut an Werthen kommt immer mehr zum Gefühl; die Bewegung ist unaufhaltsam—obwohl im großen Stil die Verzögerung versucht ist —

Endlich wagt er eine Kritik der Werthe überhaupt; er erkennt deren Herkunft; er erkennt genug, um an keinen Werth mehr zu glauben; das Pathos ist da, der neue Schauder ...

Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte ...

11 [120]

(363)      Daß zwischen Subjekt und Objekt eine Art adäquater Relation stattfinde; daß das Objekt etwas ist, das von Innen gesehn Subjekt wäre, ist eine gutmüthige Erfindung, die, wie ich denke, ihre Zeit gehabt hat. Das Maaß dessen, was uns überhaupt bewußt [wird], ist ja ganz und gar abhängig von grober Nützlichkeit des Bewußtwerdens: wie erlaubte uns diese Winkelperspektive des Bewußtseins irgendwie über “Subjekt” und “Objekt” Aussagen, mit denen die Realität berührt würde! —

11 [121]

[Vgl. William Henry Rolph, Biologische Probleme: zugleich als Versuch zur Entwicklung einer rationellen Ethik. Leipzig: Engelmann, 1884:60-68.]

(364)      man kann die unterste und ursprünglichste Thätigkeit im Protoplasma nicht aus einem Willen zur Selbsterhaltung ableiten: denn es nimmt auf eine unsinnige Art mehr in sich hinein, als die Erhaltung bedingen würde: und vor allem, es “erhält sich” damit eben nicht, sondern zerfällt ... Der Trieb, der hier waltet, hat gerade dieses Sich-nicht-erhalten-Wollen zu erklären: “Hunger” ist schon eine Ausdeutung, nach ungleich complicirteren Organismen (—Hunger ist eine spezialisirte und spätere Form des Triebes, ein Ausdruck der Arbeitstheilung, im Dienst eines darüber waltenden höheren Triebes)

11 [122]

(365)      — dies ist es nicht was uns abscheidet: daß wir keinen Gott wiederfinden, weder in der Geschichte, noch in der Natur, noch hinter der Natur,—sondern daß wir das, was als Gott verehrt wurde, nicht als “göttlich,” sondern als heilige Fratze, als Moutonnerie, als absurde und erbarmungswürdige Niaiserie, als Princip der Welt- und Mensch-Verleumdung empfinden: kurz daß wir Gott als Gott leugnen. Es ist der Gipfel der psychologischen Verlogenheit des Menschen, sich ein Wesen als Anfang und “An-sich” [nach] seinem Winkel-Maßstab des ihm gerade gut, weise, mächtig, werthvoll Erscheinenden herauszurechnen—und dabei die ganze Ursächlichkeit, vermöge deren überhaupt irgendwelche Güte, irgendwelche Weisheit, irgendwelche Macht besteht und Werth hat, wegzudenken. Kurz, Elemente der spätesten und bedingtesten Herkunft als nicht entstanden, sondern als “an sich” zu setzen und womöglich gar als Ursache alles Entstehens überhaupt ... Gehen wir von der Erfahrung aus, von jedem Fall, wo ein Mensch sich bedeutend über das Maaß des Menschlichen erhoben hat, so sehen wir, daß jeder hohe Grad von Macht Freiheit von Gut und Böse ebenso wie von “Wahr” und “Falsch” in sich schließt und dem, was Güte will, keine Rechnung gönnen kann: wir begreifen dasselbe noch einmal für jeden hohen Grad von Weisheit—die Güte ist in ihr ebenso aufgehoben als die Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Tugend und andere Volks-Velleitäten der Werthung. Endlich jeder hohe Grad von Güte selbst: ist es nicht ersichtlich, daß er bereits eine geistige Myopie und Unfeinheit voraussetzt? insgleichen die Unfähigkeit, zwischen wahr und falsch zwischen nützlich und schädlich auf eine größere Entfernung hin zu unterscheiden? gar nicht davon zu reden, daß ein hoher Grad von Macht in den Händen der höchsten Güte die unheilvollsten Folgen (“die Abschaffung des übels”) mit sich bringen würde?— In der That, man sehe nur an, was der “Gott der Liebe” seinen Gläubigen für Tendenzen eingiebt: sie ruiniren die Menschheit zu Gunsten des “Guten.”— In praxi hat sich derselbe Gott Angesichts der wirklichen Beschaffenheit der Welt als Gott der höchsten Kurzsichtigkeit, Teufelei und Ohnmacht erwiesen: woraus sich ergiebt, wie viel Werth seine Conception hat.

An sich hat ja Wissen und Weisheit keinen Werth; ebenso wenig als Güte: man muß immer erst noch das Ziel haben, von wo aus diese Eigenschaften Werth oder Unwerth erhalten—es könnte ein Ziel geben, von wo aus ein extremes Wissen einen hohen Unwerth darstellte (etwa wenn die extreme Täuschung eine der Voraussetzungen der Steigerung des Lebens wäre; insgleichen wenn die Güte etwa die Sprungfedern der großen Begierde zu lähmen und zu entmuthigen vermöchte ...

Unser menschliches Leben gegeben, wie es ist, so hat alle “Wahrheit,” alle “Güte” alle “Heiligkeit,” alle “Göttlichkeit” im christlichen Stile bis jetzt sich als große Gefahr erwiesen—noch jetzt ist die Menschheit in Gefahr, an einer lebenswidrigen Idealität zu Grunde zu gehn

11 [123]

(366)

Die Heraufkunft des Nihilismus.

 

Der Nihilism ist nicht nur eine Betrachtsamkeit über das “Umsonst!,” und nicht nur der Glaube, daß Alles werth ist, zu Grunde zu gehen: man legt Hand an, man richtet zu Grunde ...  Das  ist,  wenn  man  will,  unlogisch:  aber  der  Nihilist  glaubt  nicht  an die Nöthig[ung], logisch zu sein ... Es ist der Zustand starker Geister und Willen: und solchen ist es nicht möglich, bei dem Nein “des Urtheils” stehn zu bleiben:—das Nein der That kommt aus ihrer Natur. Der Ver-Nichtung durch das Urtheil sekundirt die Ver-Nichtung durch die Hand.

11 [124]

(367)      Wenn wir “Enttäuschte” sind, so sind wir es nicht in Hinsicht auf das Leben: sondern daß uns über die “Wünschbarkeiten” aller Art die Augen aufgegangen sind. Wir sehen mit einem spöttischen Ingrimm dem zu, was “Ideal” heißt: wir verachten uns nur darum, nicht zu jeder Stunde jene absurde Regung niederhalten zu können, welche “Idealismus” heißt. Die Verwöhnung ist stärker als der Ingrimm des Enttäuschten ...

11 [125]

(368)      Die vollkommene Unmündigkeit der Moralisten, welche unserem vielhäutigen und verborgenen Selbst zumuthen, einfach zu sein; welche sagen “gieb dich, wie du bist”: als ob man dazu nicht erst Etwas sein müßte, das ist ...

11 [126]

(369)      IV. NB. Die Auswahl der Gleichen, der “Auszug,” die Isolation

11 [127]

(370)      NB. gegen die Gerechtigkeit ... Gegen J[ohn]. Stuart Mill: Ich perhorreszire seine Gemeinheit, welche sagt “was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig; was du nicht willst usw., das füge auch keinem Andern zu”; welche den ganzen menschlichen Verkehr auf Gegenseitigkeit der Leistung begründen will, so daß jede Handlung als eine Art Abzahlung erscheint für etwas, das uns erwiesen ist. Hier ist die Voraussetzung unvornehm im untersten Sinn: hier wird die Äquivalenz der Werthe von Handlungen vorausgesetzt bei mir und dir; hier ist der persönlichste Werth einer Handlung einfach annullirt (das, was durch Nichts ausgeglichen und bezahlt werden kann—) Die “Gegenseitigkeit” ist eine große Gemeinheit; gerade daß Etwas, was ich thue, nicht von Einem Andern gethan werden dürfte und könnte, daß es keinen Ausgleich geben darf—außer in der ausgewähltesten Sphäre der “meines Gleichen,” inter pares—; daß man in einem tieferen Sinne nie zurückgiebt, weil an etwas Einmaliges ist und nur Einmaliges thut—diese Grundüberzeugung enthält die Ursache der aristokratischen Absonderung von der Menge, weil die Menge an “Gleichheit” und folglich Ausgleichbarkeit und “Gegenseitigkeit” glaubt.

11 [128]

(371)      Es ist das verwandtschaftliche Gefühl, das die Kinder Eines Volkes miteinander verbindet: diese Verwandtschaft ist physiologisch tausendfach stärker als man gemeinhin annimmt. Sprache, Sitten, Gemeinsamkeit der Interessen und Schicksale—das ist Alles wenig gegen jenes Sich-verstehen-können auf Grund gleicher Vorfahren.

11 [129]

der Niedergang des deutschen Geistes, der mit der Heraufkunft der Vaterländerei und des Nationalism Schritt gehalten hat —

11 [130]

Zum Weibe redet man nicht von Wahrhaftigkeit: “gieb dich, wie du bist” bedeutet zum Weibe geredet beinahe das Gegentheil von dem, was es als Aufforderung an den Mann bedeutet

11 [131]

— nicht für seinen Glauben wird er verbrannt, mit kleinen grünen Hölzern: sondern dafür, daß er zu seinem Glauben keinen Muth mehr hat.

11 [132]

— ein Mensch, wie er sein soll: das klingt uns so abgeschmackt wie: “ein Baum, wie er sein soll”

11 [133]

NB. Man erkennt die Überlegenheit des griechischen Menschen, des Renaissance-Menschen an—aber man möchte ihn ohne seine Ursachen und Bedingungen haben: über die Griechen fehlt bis heute eine tiefere Einsicht

11 [134]

“Dinge, die eine Beschaffenheit an sich haben”—eine dogmatische Vorstellung, mit der man absolut brechen muß

11 [135]

Zur Kritik der großen Worte.— Ich bin voller Argwohn und Bosheit gegen das, was man “Ideal” nennt: hier liegt mein Pessimism, erkannt zu haben, wie die “höheren Gefühle” eine Quelle des Unheils d.h. der Verkleinerung und Wertherniedrigung des Menschen sind.

— man täuscht sich jedes Mal, wenn man einen “Fortschritt” von einem Ideal erwartet: der Sieg des Ideals war jedes Mal bisher eine retrograde Bewegung.

— Christenthum, Revolution, Aufhebung der Sklaverei, gleiches Recht, Philanthropie, Friedensliebe, Gerechtigkeit, Wahrheit: alle diese großen Worte haben nur Werth im Kampf, als Standarte: nicht als Realitäten, sondern als Prunkworte für etwas ganz Anderes (ja Gegensätzliches!)

11 [136]

Kritik der großen Worte.

“Freiheit” für Wille zur Macht
“Gerechtigkeit”
“Gleichheit der Rechte”
“Brüderlichkeit”
“Wahrheit” (bei Sekten usw.

11 [137]

Die “wachsende Autonomie des Individuums”: davon reden diese Pariser Philosophen, wie Fouillée: sie sollten doch nur die race moutonnière ansehen, die sie selber sind! ... [Vgl. Alfred Fouillée, La science sociale contemporaine. Paris: Hachette, 1880:249.]

Macht doch die Augen auf, ihr Herren Zukunfts-Sociologen!

Das “Individuum” ist stark geworden unter umgekehrten Bedingungen: ihr beschreibt die äußerste Schwächung und Verkümmerung des Menschen, ihr wollt sie selbst und braucht den ganzen Lügenapparat des alten Ideals dazu! ihr seid der Art, daß ihr eure Heerdenthier-Bedürfnisse wirklich als Ideal empfindet!

Der vollkommene Mangel an psychologischer Rechtschaffenheit!

11 [138]

(372)      Die Herkunft des Ideals. Untersuchung des Bodens, auf dem es wächst.

A.Von den “aesthetischen” Zuständen ausgehn, wo die Welt voller runder, vollkommener gesehen wird —
  
 das heidnische Ideal: darin die Selbstbejahung vorherrschend vom Buffo an
  
— der höchste Typus: das klassische Ideal—als Ausdruck eines Wohlgerathenseins aller Hauptinstinkte
 
— darin wieder der höchste Stil: der große Stil Ausdruck des “Willens zur Macht” selbst (der am meisten gefürchtete Instinkt wagt sich zu bekennen)

man giebt ab

B.Von Zuständen ausgehn, wo die Welt leerer, blässer, verdünnter gesehen wird, wo die “Vergeistigung” und Unsinnlichkeit den Rang des Vollkommnen einnimmt; wo am meisten das Brutale, Thierisch-Direkte, Nächste vermieden wird: der “Weise,” “der Engel” (priesterlich = jungfräulich = unwissend) Physiologische Charakteristik solcher “Idealisten”..
  
 das anämische Ideal: unter Umständen kann es das Ideal solcher Naturen sein, welche das erste, das heidnische darstellen (: so sieht Goethe in Spinoza seinen “Heiligen”)

man rechnet ab, man wählt

C.Von Zuständen ausgehn, wo wir die Welt absurder, schlechter, ärmer, täuschender empfinden, als daß wir in ihr noch das Ideal vermuthen oder wünschen: die Projektion des Ideals in das Wider-Natürliche, Wider-Thatsächliche, Wider-Logische. Der Zustand dessen, der so urtheilt (—die “Verarmung” der Welt als Folge des Leidens: man nimmt, man giebt nicht mehr—)
  
 : das widernatürliche Ideal

man negirt, man vernichtet

(Das christliche Ideal ist ein Zwischengebilde zwischen dem zweiten und dritten, bald mit dieser, bald mit jener Gestalt überwiegend.)

die drei Ideale

A.

Entweder eine

Verstärkung
(heidnisch)
ï
ï
 
B.oder eineVerdünnung
(anämisch)
ï
ï

des Lebens

C.oder eineVerleugnung
(widernatürlich)
ï
ï
 
  
die “Vergöttlichung” gefühltin der höchsten Fülle
 in der zartesten Auswahl
 in der Zerstörung und Verachtung des Lebens.

11 [139]

Der Grad der Spannung, des Widerstandes, der Gefahr, des berechtigten Mißtrauens; der Grad, in dem Opfer von Menschenleben gebracht werden, in dem die Wahrscheinlichkeit des Mißerfolges groß ist und trotzdem das Wagniß gewagt wird: —

11 [140]

Die Heerdenthier-Ideale—jetzt gipfelnd als höchste Werthansetzung der “Societät”: Versuch, ihr einen kosmischen, ja metaphysischen Werth zu geben

gegen sie vertheidige ich den Aristokratism.

Eine Gesellschaft, welche in sich jene Rücksicht und Delikatesse in Bezug auf Freiheit bewahrt, muß sich als Ausnahme fühlen und sich gegenüber eine Macht haben, gegen welche sie sich abhebt, gegen welche sie feindselig ist und herabblickt

— je mehr ich Recht abgebe und mich gleich stelle, um so mehr gerathe ich unter die Herrschaft der Durchschnittlichsten, endlich der Zahlreichsten

— die Voraussetzung, welche eine aristokratische Gesellschaft in sich hat, um zwischen ihren Mitgliedern den hohen Grad von Freiheit zu erhalten, ist die extreme Spannung, welche aus dem Vorhandensein des entgegengesetzten Triebes bei allen Mitgliedern entspringt: des Willens zur Herrschaft ..

11 [141]

wenn ihr die starken Gegensätze und Rangverschiedenheit wegschaffen wollt, so schafft ihr die starke Liebe, die hohe Gesinnung, das Gefühl des Für-sich-seins auch ab.

11 [142]

Zur wirklichen Psychologie der Freiheits- und Gleichheits-Societät:

was nimmt ab?Der Wille zur Selbstverantwortlichkeit—Zeichen des Niedergangs der Autonomie

die Wehr- und Waffentüchtigkeit, auch im Geistigsten—die Kraft zu commandiren

der Sinn der Ehrfurcht, der Unterordnung, des Schweigen-könnens.

die große Leidenschaft, die große Aufgabe, die Tragödie, die Heiterkeit

11 [143]

Capitel:
Kritik der großen Worte.
Von der Herkunft des Ideals.

das Heerdenthier-Ideal


das asketische Ideal


das Herren-Ideal


das Geistigkeits-Ideal
Wie man die Tugend zur Herrschaft bringt.
Die Circe der Philosophen.

Das religiöse Ideal.
Physiologie des Ideals I. II. III

Das Politische Ideal.
“Wissenschaft”


  
III
III
I
II
I
III
II
das Heerdenthier-Ideal
das Herren-Ideal
das Ideal der Widernatur
das Ideal der Geistigkeit
das heidnische Ideal
das Einsiedler Ideal (Stoa usw.)
das Ideal der Versinnlichung

Tafel:
Von der Herkunft des Ideals

A.


B.

C.
das Heerdenthier-Ideal
das Herrenthier-Ideal
das Einsiedlerthier-Ideal
das heidnische Ideal
das Ideal der Widernatur
das Ideal der Versinnlichung
das Ideal der Vergeistigung
das Ideal des dominirenden Affekts
  
Kritik der großen Worte.
Wahrheit.
Gerechtigkeit.
Liebe.
Frieden.
Tugend
Freiheit.
Güte
Rechtschaffenheit
Genie
Weisheit

11 [144]

Pascal: le pire mal est celui, qu’on fait par bonne intention. [Vgl. Alfred Fouillée, La science sociale contemporaine. Paris: Hachette, 1880:340.]

11 [145]

Rolle desBewußtseins

Es ist wesentlich, daß man sich über die Rolle des “Bewußtseins” nicht vergreift: es ist unsere Relation mit derAußenwelt,” welche es entwickelt hat. Dagegen die Direktion, resp. die Obhut und Vorsorglichkeit in Hinsicht auf das Zusammenspiel der leiblichen Funktionen tritt uns nicht ins Bewußtsein; ebenso wenig als die geistige Einmagazinirung: daß es dafür eine oberste Instanz giebt, darf man nicht bezweifeln: eine Art leitendes Comité, wo die verschiedenen Hauptbegierden ihre Stimme und Macht geltend machen. “Lust,” “Unlust” sind Winke aus dieser Sphäre her: ... der Willensakt insgleichen. Die Ideen insgleichen

In summa: das, was bewußt wird, steht unter causalen Beziehungen, die uns ganz und gar vorenthalten sind,—die Aufeinanderfolge von Gedanken, Gefühlen, Ideen im Bewußtsein drückt nichts darüber aus, daß diese Folge eine causale Folge ist: es ist aber scheinbar so, im höchsten Grade. Auf diese Scheinbarkeit hin haben wir unsere ganze Vorstellung von Geist, Vernunft, Logik usw. gegründet (das giebt es Alles nicht: es sind fingirte Synthesen und Einheiten) ... Und diese wieder in die Dinge, hinter die Dinge projicirt!

Gewöhnlich nimmt man das Bewußtsein selbst als Gesammt-Sensorium und oberste Instanz: indessen es ist nur ein Mittel der Mittheilbarkeit: es ist im Verkehr entwickelt, und in Hinsicht auf Verkehrs-Interessen ... “Verkehr” hier verstanden auch von den Einwirkungen der Außenwelt und den unsererseits dabei nöthigen Reaktionen; ebensowie von unseren Wirkungen nach außen. Es ist nicht die Leitung, sondern ein Organ der Leitung

11 [146]

Die Mittel, vermöge deren eine stärkere Art sich erhält.

Sich ein Recht auf Ausnahme-Handlungen zugestehn; als Versuch der Selbstüberwindung und der Freiheit

Sich in Zustände begeben, wo es nicht erlaubt ist, nicht Barbar zu sein

Sich durch jede Art von Askese eine übermacht und Gewißheit in Hinsicht auf seine Willensstärke verschaffen.

Sich nicht mittheilen; das Schweigen; die Vorsicht vor der Anmuth.

Gehorchen lernen, in der Weise, daß es eine Probe für die Selbst-Aufrechterhaltung abgiebt. Casuistik des Ehrenpunktes ins Feinste getrieben.

Nie schließen “was Einem recht ist, ist dem Andern billig”—sondern umgekehrt!

Die Vergeltung, das Zurückgeben-dürfen als Vorrecht behandeln, als Auszeichnung zugestehn —

Die Tugend der Anderen nicht ambitioniren.

11 [147]

Theorie des Geschlechtstriebs: “die ‘homunculi,’ welche in’s Dasein begehren, vereinigen ihr Verlangen zum Leben in ein Collektiv-Verlangen, welches das Bewußtsein bemerkt und für sein eignes Bedürfniß nimmt” —

Renan’s Worte Hartley Fouillée p 217. [Vgl. Alfred Fouillée, La science sociale contemporaine. Paris: Hachette, 1880:217.]

11 [148]

Die Zeit kommt, wo wir dafür bezahlen müssen, zwei Jahrtausende lang Christen gewesen zu sein: wir verlieren das Schwergewicht, das uns leben ließ,—wir wissen eine Zeit lang nicht, wo aus, noch ein. Wir stürzen jählings in die entgegengesetzten Werthungen, mit dem gleichen Maaße von Energie, mit dem wir Christen gewesen sind—mit dem wir die unsinnige übertreibung des christlichen — — —

1) die “unsterbliche Seele”; der ewige Werth der “Person” —
2) die Lösung, die Richtung, die Werthung im “Jenseits” —
3) der moralische Werth als oberster Werth, das “Heil der Seele” als Cardinal-Interesse —
4) “Sünde,” “irdisch,” “Fleisch,” “Lüste”—als “Welt” stigmatisirt.

Jetzt ist Alles durch und durch falsch, “Wort,” durcheinander, schwach oder überspannt

a)

b)

c)


d)

e)


f)

g)
man versucht eine Art von irdischer Lösung, aber im gleichen Sinne, in dem des schließlichen Triumphs von Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit: der Socialismus: “Gleichheit der Person”
man versucht ebenfalls das Moral-Ideal festzuhalten (mit dem Vorrang des Unegoistischen, der Selbstverleugnung, der Willens-Verneinung)
man versucht selbst das “Jenseits” festzuhalten: sei es auch nur, als antilogisches x: aber man kleidet es sofort so aus, daß eine Art metaphysischer Trost alten Stils aus ihm gezogen werden kann
man versucht die göttliche Leitung alten Stils, die belohnende, bestrafende, erziehende, zum Besseren führende Ordnung der Dinge aus dem Geschehen herauszulesen
man glaubt nach wie vor an Gut und Böse: so, daß man den Sieg des Guten und die Vernichtung des Bösen als Aufgabe empfindet (—das ist englisch, typischer Fall der Flachkopf John Stuart Mill)
die Verachtung der “Naturlichkeit,” der Begierde, des Ego: Versuch selbst die höchste Geistigkeit und Kunst als Folge einer Entpersönlichung und als désintéressement zu verstehn
man erlaubt der Kirche, sich immer noch in alle wesentlichen Erlebnisse und Hauptpunkte des Einzellebens einzudrängen, um ihnen Weihe, höheren Sinn zu geben: wir haben auch einen “christlichen Staat,” die christliche “Ehe” —

11 [149]

Der vollkommene Nihilismus

seine Symptome:die große Verachtung
das große Mitleid
die große Zerstörung

sein Culminations-Punkt: eine Lehre, welche gerade das Leben, das Ekel, Mitleid und die Lust zur Zerstörung rege macht, als absolut und ewig lehrt

11 [150]

Zur Geschichte des europäischen Nihilismus.

Die Periode der Unklarheit, der Tentativen aller Art, das Alte zu conserviren und das Neue nicht fahren zu lassen.

Die Periode der Klarheit: man begreift, daß Altes und Neues Grundgegensätze sind: die alten Werthe aus dem niedergehenden, die neuen aus dem aufsteigenden Leben geboren,—[daß] Erkenntniß der Natur und Geschichte uns nicht mehr solche “Hoffnungen” gestattet,—daß alle alten Ideale lebensfeindliche Ideale sind (aus der décadence geboren und die décadence bestimmend, wie sehr auch im prachtvollen Sonntags-Aufputz der Moral)—wir verstehen das Alte und sind lange nicht stark genug zu einem Neuen.

Die Periode derdrei großen Affekte
 der Verachtung
 des Mitleids
 der Zerstörung
Die Periode derKatastrophe
 die Heraufkunft einer Lehre, welche
 die Menschen aussiebt ... welche
 die Schwachen zu Entschlüssen treibt
 und ebenso die Starken

11 [151]

[Vgl. Ferdinand Brunetière, Études critiques sur l'histoire de la littérature française. Troisième série. Paris: 1887:325.]

Einsicht, welche den “freien Geistern” fehlt: dieselbe Disciplin, welche eine starke Natur noch verstärkt und zu großen Unternehmungen befähigt, zerbricht und verkümmert die mittelmäßigen.

: der Zweifel
: la largeur [de coeur]
: das Experiment
: die Independenz

11 [152]

meineZukunft

eine stramme Polytechniker-Bildung

Militärdienst: so daß durchschnittlich jeder Mann der höheren Stände Offizier ist, er sei sonst, was er sei

11 [153]

Die Lasterhaften und Zügellosen: ihr deprimirender Einfluß auf den Werth der Begierden. Es ist die schauerliche Barbarei der Sitte, welche, im Mittelalter vornehmlich, zu einem wahren “Bund der Tugend” zwingt—nebst ebenso schauerlichen übertreibungen über das, was den Werth des Menschen ausmacht. Die kämpfende “Civilisation” (Zähmung) braucht alle Art Eisen und Tortur, um sich gegen die Furchtbarkeit und Raubthier-Natur aufrecht zu erhalten.

Hier ist eine Verwechslung ganz natürlich, obwohl vom schlimmsten Einfluß: das, was Menschen der Macht und des Willens von sich verlangen können, giebt ein Maaß auch für das, was sie sich zugestehen dürfen. Solche Naturen sind der Gegensatz der Lasterhaften und Zügellosen: obwohl sie unter Umständen Dinge thun, derentwegen ein geringerer Mensch des Lasters und der Unmäßigkeit überführt wäre.

Hier schadet der Begriff der “Gleichwerthigkeit der Menschen vor Gott” außerordentlich: man verbot Handlungen und Gesinnungen, welche, an sich, zu den Prärogativen der Starkgerathenen gehören,—wie als ob sie an sich des Menschen unwürdig wären. Man brachte die ganze Tendenz des starken Menschen in Verruf, indem man die Schutzmittel der Schwächsten (auch gegen sich Schwächsten) als Werth-Norm aufstellte.

Die Verwechslung geht so weit, daß man geradezu die großen Virtuosen des Lebens (deren Selbstherrlichkeit den schärfsten Gegensatz zum Lasterhaften und “Zügellosen” abgiebt) mit den schimpflichsten Namen brandmarkte. Noch jetzt glaubt man einen Cesare Borgia mißbilligen zu müssen: das ist einfach zum Lachen. Die Kirche hat deutsche Kaiser auf Grund ihrer Laster in Bann gethan: als ob ein Mönch oder Priester über das mitreden dürfte, was ein Friedrich der Zweite von sich fordern darf. Ein Don Juan wird in die Hölle geschickt: das ist sehr naiv. Hat man bemerkt, daß im Himmel alle interessanten Menschen fehlen? ... Nur ein Wink für die Weiblein, wo sie ihr Heil am besten finden ... Denkt man ein wenig consequent und außerdem mit einer vertieften Einsicht in das, was ein “großer Mensch” ist, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Kirche alle “großen Menschen” in die Hölle schickt—, sie kämpft gegen alle “Größe des Menschen”...

11 [154]

DerEhr-Begriff ”: beruhend auf dem Glauben an “gute Gesellschaft,” an ritterliche Hauptqualitäten, an die Verpflichtung, sich fortwährend zu repräsentiren. Wesentlich: daß man sein Leben nicht wichtig nimmt; daß man unbedingt auf respektvollste Manieren hält, seitens aller, mit denen man sich berührt (zum Mindesten, so weit sie nicht zu “uns” gehören); daß man weder vertraulich, noch gutmüthig, noch lustig, noch bescheiden ist, außer inter pares; daß man sich immer repräsentirt ...

11 [155]

N[eues] T[estament]

Der Krieg gegen die Vornehmen und Mächtigen, wie er im neuen Testament geführt wird, ist ein Krieg wie der des Reineke und mit gleichen Mitteln: nur immer in priesterlicher Salbung und in entschiedener Ablehnung, um seine eigne Schlauheit zu wissen.

11 [156]

Man spricht von der “tiefen Ungerechtigkeit” des socialen Pakts: wie als ob die Thatsache, daß dieser unter günstigen, jener unter ungünstigen Verhältnissen geboren wird, eine Ungerechtigkeit sei; oder gar, daß dieser mit diesen Eigenschaften, jener mit jenen geboren wird ... Dies ist unbedingt zu bekämpfen. Der falsche Begriff “Individuum” führt zu diesem Unsinn. Die Umstände, aus denen ein Mensch wächst, von ihm zu isoliren und ihn, wie eine “seelische Monade,” gleichsam bloß hineinsetzen oder fallen lassen: ist eine Folge der elenden Seelen-Metaphysik. Niemand hat ihm Eigenschaften gegeben, weder Gott, noch seine Eltern; niemand ist verantwortlich, daß er ist, daß er so und so ist, daß er unter diesen Umständen ist ... Der Faden des Lebens, den er jetzt darstellt, ist nicht herauszulösen aus allem, was war und sein muß: da er nicht das Resultat einer langen Absicht ist, überhaupt keines Willens zu einem “Ideal von Mensch” oder “ldeal von Glück” oder “Ideal von Moralität,” so ist es absurd, irgendwohin sich “abwälzen” wollen: wie als ob irgendwo eine Verantwortung läge.

Die Revolte des “Leidenden” gegen
Gott
Gesellschaft
Natur
Vorfahren
Erziehung usw.

imaginirt Verantwortlichkeiten und Willensformen, die es gar nicht giebt. Man soll nicht von einem Unrecht reden in Fällen, wo gar keine Vorbedingungen für Recht und Unrecht da sind. Daß eine Seele jeder Seele an sich gleich sei—oder gleich sein sollte: das ist die schlimmste Art optimistischer Schwärmerei. Das Umgekehrte ist das Wünschbare, die möglichste Unähnlichkeit und folglich Reibung, Kampf, Widerspruch: und, das Wünschbare ist das Wirkliche, glücklicher Weise!

11 [157]

Die Absicht auf gleiche Rechte und endlich auf gleiche Bedürfnisse, eine beinahe unvermeidliche Consequenz unserer Art Civilisation des Handels und der politischen Stimmen-Gleichwerthigkeit, bringt den Ausschluß und das langsame Aussterben der höheren, gefährlicheren, absonderlicheren und in summa neueren Menschen mit sich: das Experimentiren hört gleichsam auf, und ein gewisser Stillstand ist erreicht.

11 [158]

Der Revolter-Pessimismus (statt “Entrüstungs-Pessimismus”)

11 [159]

Zum “großen Ekel ”: theils daran leidend, theils selbst erzeugend

die nervös-katholisch-erotische Litteratur
der Litteratur-Pessimismus Frankreichs | Flaubert. Zola. Goncourt. Baudelaire.
die dîners chez Magny

Zum “großen Mitleid ”

Tolstoi, Dostoiewsky
Parsifal

11 [160]

[11 [160-225, 230-234]: Vgl. Charles Baudelaire, Oeuvres posthumes et Correspondance inédites. Précédées d'une étude biographique par E. Crépet. Paris: Maison Quantin, 1887.]

Die  wahre  Civilisation  besteht,  nach  Baudelaire,  dans  la  diminution  du  péché originel. B[audelaire] [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:109.]

11 [161]

Le  Français  est  un  animal  de  basse-cour  si  bien  domestiqué,  qu’il  n’ose  franchir  aucune  palissade. B[audelaire]

C’est un animal de race latine: l’ordure ne lui déplaît pas, dans son domicile, et, en littérature, il est scatophage. ll raffole des excréments ... B[audelaire] [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:110f.]

11 [162]

Tartuffe. Keine Komödie, sondern ein Pamphlet. Ein Atheist, wenn er zufällig ein Mann von guter Erziehung ist, wird, in Hinsicht auf das Stück, denken, daß man gewisse schwere Fragen nie der Canaille ausliefern soll. B[audelaire] [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:113.]

11 [163]

Baudelaire spricht in Bezug auf Petronius von ses terrifiantes impuretés, ses bouffonneries attristantes [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:61f.]

Unsinn: aber symptomatisch ...

11 [164]

genus irritabile vatum [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:60.]

11 [165]

wie Trimalchion, der seine Hände an den Haaren seiner Sklaven abwischt ... [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:60.]

11 [166]

livres vécus, poèmes vécus. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:64.]

11 [167]

Byron: geschwätzig. Mais, en revanche, ces sublimes défauts, qui font le grand poète: la mélancholie, toujours inséparable du sentiment du beau, et une personnalité ardente, diabolique, un esprit salamandrin. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:64f.]

11 [168]

“... il n’y a de grand parmi les hommes que le poète, le prêtre et le soldat: l’homme qui chante, l’homme, qui bénit, l’homme qui sacrifie et se sacrifie. Le reste n’est fait que pour le fouet ...” [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:68.]

11 [169]

“il n’y a de gouvernement raisonnable et assuré que l’aristocratique. Monarchie ou république, basées sur la démocratie, sont également absurdes et faibles.” [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:68.]

11 [170]

“avant tout être un grand homme et un saint pour soi même.” [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:68.]

11 [171]

“Dieu est le seul être qui, pour régner, n’a même pas besoin d’exister.” [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:71.]

11 [172]

Zur Theorie der “Hingebung” ...

L’amour, c’est le goût de la prostitution. Il n’est même pas de plaisir noble, qui ne puisse être ramené à la prostitution. L’être le plus prostitué, c’est l’être par excellence, c’est Dieu. Dans un spectacle, dans un bal chacun jouit de tous. Qu’est-ce que l’art? Prostitution [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:71.]

L’amour peut dériver d’un sentiment généreux: le goût de la prostitution. Mais il est bientôt corrompu par le goût de la propriété. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:72.]

11 [173]

De la féminéité de l’église comme raison de son omnipuissance. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:72.]

11 [174]

Daß die Liebe der Tortur gleicht oder einer chirurgischen Operation. Daß Einer von Beiden immer der Henker oder der Operateur ist. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:73.]

Worin besteht das größte Vergnügen der Liebe? hat man in Gegenwart Baudelaire’s gefragt. Einer antwortete: im Empfangen, ein Anderer: im Sich-geben. Dieser sagte: Wollust des Stolzes, jener: Wollust der Demuth (volupté d’humilité) Alle diese orduriers redeten wie die imitatio Christi. Endlich fand sich ein unverschämter Utopist, welcher behauptete, das größte Vergnügen der Liebe bestünde darin, Bürger für das Vaterland zu bilden. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:73f.]

Moi, je dis: la volupté unique et suprême de l’amour gît dans la certitude de faire le mal. Et l’homme et la femme savent, de naissance, que dans le mal se trouve toute volupté. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:74.]

11 [175]

Wir lieben die Frauen im Verhältniß dazu, als sie uns fremd sind. Aimer les femmes intelligentes est un plaisir de pédéraste. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:75.]

11 [176]

Magerkeit ist nackter, indecenter als Fett. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:75.]

11 [177]

L’enthousiasme qui s’applique à autre chose que les abstractions est un signe de faiblesse et de maladie. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:75.]

11 [178]

Das Gebet. Connais donc les jouissances d’une vie âpre et prie, prie sans cesse. La prière est réservoir de force. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:76.]

11 [179]

Die Völker thun Alles, um keine großen Männer zu haben. Der große Mann muß also, um zu existiren, eine Kraft im Angriff haben, die größer ist als die Widerstands-Kraft, welche durch Millionen von Individuen entwickelt wird. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:76.]

11 [180]

Hinsichtlich des Schlummers, aventure sinistre de tous les soirs, kann man sagen: die Menschen schlafen mit einer Kühnheit ein, die unverständlich sein würde, wüßte man nicht, daß sie aus der Unkenntniß der Gefahr stammt. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:76f.]

11 [181]

Diese großen schönen Schiffe, unmerklich schwankend auf dem ruhigen Wasser, diese starken Fahrzeuge, mit müssiger und von Heimweh redender Miene, sagen sie uns nicht in einer stummen Sprache: “wann reisen wir ab pour le bonheur?” [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:77.]

11 [182]

En politique, le vrai saint est celui, qui fouette et tue le peuple, pour le bien du peuple. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:78.]

11 [183]

Das Schöne, wie es Baudelaire versteht (und Richard Wagner—) Etwas Glühendes und Trauriges, ein wenig unsicher, Raum der Vermuthung gebend. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:78.]

11 [184]

une tête séduisante et belle, une tête de femme, c’est une tête qui fait rêver à la fois, mais d’une manière confuse, de volupté et de tristesse; qui comporte une idée de mélancholie, de lassitude, même de satiété,—soit une idée contraire, c’est-à-dire une ardeur, un désir de vivre, associés avec une amertume refluante, comme venant de privation ou de désespérance. Le mystère, le regret sont aussi des caractères du Beau. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:80.]

11 [185]

Ein schöner Mannskopf hat nicht nöthig (außer vielleicht in den Augen eines Weibs), diese Idee der Wollust in sich zu enthalten, welche, in einem Weibsgesicht, eine um so anziehendere Provokation ist, als es gemeinhin melancholischer ist. Aber auch dieser Kopf wird etwas Glühendes und Trauriges enthalten, von spirituellen Bedürfnissen, von Ambitionen, die im Dunklen gehalten sind, die Idee einer Macht, die im Grunde gronde et ohne Verwendung [ist], bisweilen die Idee d’une insensibilité vengeresse, bisweilen—im interessantesten Falle—das Geheimniß und endlich le malheur. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:80.]

11 [186]

Auto-idolâtrie. Poetische Harmonie des Charakters. Eurythmie des Charakters und der Fähigkeiten. Alle Fähigkeiten bewahren. Alle Fähigkeiten wachsen machen. Ein Cultus. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:81.]

11 [187]

Was am Weibe bezaubert und die Schönheit ausmacht.

l’air blasé, l’air ennuyé, l’air évaporé, l’air impudent, l’air froid, l’air de regarder en dedans, l’air de domination, l’air de volonté, l’air méchant, l’air malade, l’air chat, enfantillage, nonchalance et malice mêlées. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:82.]

11 [188]

In protestantischen Ländern fehlt es an zwei Dingen, die indispensabel für das Glück eines wohlerzogenen Manns sind, la galanterie et la dévotion [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:84.]

11 [189]

Das Berauschende am schlechten Geschmack: das aristokratische Vergnügen, zu mißfallen. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:85.]

11 [190]

Der Stoicism, der nur Ein Sakrament hat: den Selbstmord ... [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:87.]

11 [191]

La femme est naturelle, c’est-à-dire abominable. Aussi est-elle toujours vulgaire, c’est-à-dire le contraire du dandy. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:93.]

11 [192]

Il y a dans tout changement quelque chose d’infâme et d’agréable à la fois, quelque chose, qui tient de l’infidélité et du déménagement. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:94.]

11 [193]

il y a des gens, qui ne peuvent s’amuser qu’en troupe. Le vrai héros s’amuse tout seul. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:97.]

11 [194]

Man muß arbeiten, wenn nicht aus Geschmack, so mindesten aus Verzweiflung, da, Alles wohl erwogen, arbeiten weniger langweilig ist als sich amüsiren. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:98.]

11 [195]

Ganz noch Kind, empfand ich in meinem Herzen 2 contradiktorische Gefühle: l’horreur de la vie et l’extase de la vie. C’est bien le fait d’un paresseux nerveux. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:114.]

11 [196]

Baudelaire sagt von sich “De Maistre et Edgar Poe haben mich räsonniren gelehrt” [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:120.]

11 [197]

Die Todesstrafe, Resultat einer mystischen Idee, die heute ganz unbegriffen ist. Die Todesstrafe hat nicht als Ziel die Gesellschaft zu sauver, materiellement: sie will sie und den Schuldigen spirituellement sauver. Damit das Opfer vollkommen sei, muß Zustimmung und Freude auf Seiten des Opfers sein. Chloroform einem zum Tode Verurtheilten geben wäre eine Gottlosigkeit: denn das würde das Bewußtsein de sa grandeur comme victime nehmen und die chances, das Paradies zu gewinnen, ihm nehmen. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:99.]

Was die Tortur betrifft, so stammt sie aus der Partie infâme du coeur de l’homme, welche Durst nach Wollust hat. Cruauté et volupté, identische Sensationen, wie die extreme Hitze und der extreme Frost. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:99.]

11 [198]

Ce qu’il y a de vil dans une fonction quelconque.

Un dandy ne fait rien. Vous figurez-vous un dandy parlant au peuple, excepté pour le bafouer?

Es giebt nur 3 respektable Wesen: Priester, Krieger, Poet. Savoir, tuer et créer.

Die anderen Menschen sind taillables ou corvéables, faits pour l’écurie, c’est-à-dire pour exercer ce qu’on appelle des professions. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:99f.]

11 [199]

La femme Sand war ein Moralist.

— elle a le fameux style coulant, cher aux bourgeois.

— elle est bête, elle est lourde, elle est bavarde. In Dingen der Moral die gleiche Tiefe des Urtheils, die gleiche Delikatesse des Gefühls, wie les concierges et les filles entretenues.

— eine naive Alte, die nicht die Bretter verlassen will

— sie hat sich überredet, se fier à son bon coeur et à son bon sens und überredet andere grosses bêtes, es ebenso zu machen.

— ich kann an diese stupide créature nicht denken, ohne einen Schauder des Abscheus. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:101f.]

11 [200]

Ich langweile mich in Frankreich, weil alle Welt darin Voltaire gleicht. Voltaire ou Antipoète (Emerson habe ihn vergessen), le roi des badauds, le prince des superficiels, l’antiartiste, le prédicateur des concierges. [Vgl. Charles Baudelaire, Eugène Crépet (ed.), Oeuvres posthumes et correspondances inédites. Précédées d'une Étude biographique. Paris: Maison Quantin, 1887:102.]

From Nietzsche's Notebooks© The Nietzsche Channel