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Sommer 1883 8 [1-27]

8 [1]

Die Tonga-Insulaner schneiden die kleinen Finger ab, als Opfer. 2 [Vgl. Gustav Friedrich Klemm, Allgemeine Cultur-Geschichte der Menschheit. Vierter Band. Die Urzustände der Berg- und Wüstenvölker der activen Menschheit und deren Verbreitung über die Erde. Leipzig: Teubner, 1845:370.]

Im Orient bedeckt eine Frau, im Bade überrascht, das Gesicht—so ist es dezent!

Die Scham verbietet in China der Frau den Fuß zu zeigen, unter den Hottentotten muß sie nur den Nacken verhüllen. [Vgl. Oscar Peschel, Völkerkunde. Leipzig: Duncker & Humboldt, 1874:176-177.]

Weiß ist in China Trauerfarbe. [Vgl. Gustav Friedrich Klemm, Allgemeine Cultur-Geschichte der Menschheit. Sechster Band. China und Japan. Leipzig: Teubner, 1847:130.]

Die alten Culturvölker Amerikas kannten den Gebrauch der Milch nicht. [Vgl. Oscar Peschel, Völkerkunde. Leipzig: Duncker & Humboldt, 1874:454.]

Der Chinese ißt sehr viel Gerichte in sehr kleinen Portionen.

Nr. 29.

Man will sich nicht die Fehler eines Thiers aneignen z. B. die Feigheit des Hirsches (auf Borneo)—Weiber und Kinder dürfen davon essen.

Auch Fledermäuse Kröten Würmer Larven Raupen werden gegessen. Gemästete Ratten Leckerbissen der Chinesen. “Das Tigerherz zu essen macht trutzig” (Java) Hundeleber macht klug.

Unsinnige Massen Reis ißt z. B. der Siamese.

8 [2]

— wie der weißköpfige Adler stolz und ruhig über dem Sturze des Niagara sitzt und oft in seine wilden Nebel hineintaucht

— wie der Albatros auf Wochen hin dem Meere sich anvertraut: der König der Vögel

— wie der Condor der Anden in der lautlosen Höhe (der über eine Stunde ohne mit den Flügeln zu schlagen durch die Luft segeln kann) [Vgl. James Bell Pettigrew, Die Ortsbewegung der Thiere [Animal Locomotion]: nebst Bemerkungen über Luftschifffahrt; mit 131 Abb. in Holzschnitt. Autoris. Ausg. Leipzig: Brockhaus, 1875:8, 176-177.]

Ruhe des Fliegenden

8 [3]

Welche Verschiedenheit sehen wir im Gehen Schwimmen und Fliegen! Und doch ist es ein und dieselbe Bewegung: nur ist die Tragkraft der Erde eine andere als die des Wassers, und die des Wassers eine andere als die der Luft! So sollen wir auch als Denker fliegen lernen—und nicht vermeinen, damit Phantasten zu werden! [Vgl. James Bell Pettigrew, Die Ortsbewegung der Thiere [Animal Locomotion]: nebst Bemerkungen über Luftschifffahrt; mit 131 Abb. in Holzschnitt. Autoris. Ausg. Leipzig: Brockhaus, 1875:7-10.]

8 [4]

Die Autorität des Junkers Christoph bei Shakespeare: “ich bin ein großer Rindfleischesser, und ich glaube, das thut meinem Witz Schaden!”

8 [5]

Strafen bei den Germanen: einen Mühlstein auf’s Haupt fallen lassen (mythisch), das Viertheilen durch Pferde, Zertreten durch Pferde; in Oel oder Wein gesotten (14. und 15. Jahrhundert) werden; ebenso im Mittelalter Lebendigbegraben, Vermauern, Verhungern. Das Rädern (rein germanisch), das Schinden (Riemenschneiden aus der Haut). Mit Honig bestreichen und den Fliegen und der heißen Sonne übergeben. Das rechte Bein und den linken Arm abhauen. Nase, Ohren, Lippen, Zunge, Zähne, Augen, Geschlechtstheile.
[Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:

S.
191:
Hier bietet sich eine Analogie in der mythischen Strafe des germanischen Alterthums, dem Verurtheilten einen Mühlstein aufs Haupt fallen zu lassen.

S.
192:
Dem entspricht das Anbinden einzelner Glieder des Missethäters an den Schweif eines wilden Rosses oder das Zerreissen durch mehrere Pferde (Viertheilen), wie es im germanischen Alterthum und auch in Rom vorkommt.

S.
194:
Die Ausführung der Strafe ist verschieden, indem zum Beispiel im germanischen Alterthum der Pfahl geworfen oder dem Lebendigbegrabenen durchs Herz getrieben wird, während bei den Kandiern der Verurtheilte auf einen Pfahl gespiesst wird.

S.
196:
Ferner findet es sich, dass die Verbrecher gesotten werden. Es wird dies als Strafe im alten China erwähnt, und ebenso findet sich in Deutschland im 14. und 15. Jahrhundert, dass Missethäter in Oel oder Wein gesotten werden.

S.
197:
Dagegen scheint die Strafe des Rades, obgleich muthmasslich arischen Ursprungs, eine Specialität der germanischen Stämme zu sein.

Es könnte sodann auch die Strafe des Schindens noch eine allgemeinere Bedeutung haben. Erwähnt wird sie in Abyssinien, in den assyrischen Strafgesetzen. Es ist damit zu vergleichen das germanische "Riemenschneiden" aus der Haut und das decalvare, die Strafe an Haut und Haar, was sich ähnlich wieder im Avesta findet. In China erscheint dieses selbe Riemenschneiden als eine Art der Folter.

S.
198:
Was sonst noch an Lebensstrafen vorkommt, hat schwerlich irgend eine universalgeschichtliche Bedeutung. Wenn der letzte Kaiser der zweiten Dynastie Tscheu den Fürsten von Khieu einsalzen lässt, so handelt es sich hier um einen Willkürakt, wie solche in der Geschichte Tongkings, der mittelasiatischen Reiche und Marokko's ebenfalls vorkommen. Hierher möchte ich es auch rechnen, wenn von den Kandiern auf Ceylon als Strafe das Zerstossen in einem Mörser erwähnt wird, und vielleicht auch eine Strafe, welche von Bornu berichtet wird, wonach der Dieb im wiederholten Rückfalle bis an den Kopf in die Erde gegraben, mit Butter und Honig eingerieben und so zwölf oder achtzehn Stunden der brennenden Sonne und zahllosen Fliegen und Muskitos ausgesetzt wird, eine Strafe, welche sich übrigens auch im germanischen Alterthum findet, wo ebenfalls der Verbrecher mit Honig bestrichen und in brennender Sonne den Stichen der Fliegen ausgesetzt wird.

S.
206:
Im germanischen Alterthum wird häufig der rechte Arm und das linke Bein genannt oder auch die rechte Hand und der linke Fuss.

S.
333:
Zur Zeit der Höhe der Entwickelung der Compositionensysteme findet man überall genaue Busstaxen für alle Arten von Körperverletzungen. Für Lähmungen und Verstümmelungen aller einzelnen Glieder, der Arme. Beine, Hände, Füsse, der einzelnen Finger und Zehen und deren Glieder, der Augen, Nase, Ohren, Lippen, Zunge, Zähne und deren Arten, der Geschlechtstheile finden sich bestimmte Preisansätze. Wunden werden nach der Länge und nach der Tiefe oder auch nach ihrer Gefährlichkeit taxirt. Auch Schläge haben nach ihrer Art ihren Preis.]

8 [6]

Weiber-Verwandtschaft: Kinder gehören nicht in die Familie des Vaters, sondern des Bruders ihrer Mutter. Der Vater gehört zu einer anderen Familie: Vater und Sohn in feindseligem Verhältniß. Der Vater heirathet in eine fremde Familie hinein und in ihr ist er lediglich Erzeuger, und kaum mehr als ein Sklave.— Die Vaterschaft nichts Selbstverständliches, sondern ein spät erreichtes Rechtsinstitut. Das sittliche Band zwischen Vater und Kind fehlt! Der Vater gilt nicht als blutverwandt mit seinen Kindern. Die Nabelschnur ist das Band der Familie.
[Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Oldenburg: Schulz, 1880: Bd. 1:

S.
81-82:
Die auf die Weiberverwandtschaft gestützte Familienverbindung macht auf uns einen höchst fremdartigen Eindruck. Sie steht zwar, wie unsere heutige Familie, meistens ebenfalls unter einem männlichen Oberhaupte. Dieser Geschlechtshäuptling ist aber nicht der Vater, sondern derselbe bestimmt sich nach dem System der Weiberverwandtschaft. Kinder gehören nicht in die Familie ihres Vaters, sondern in diejenige des Bruders ihrer Mutter. Zu diesem stehen sie unter der Herrschaft dieses Verwandtschaftssystems in einem ähnlichen Verhältnisse, wie heutzutage zum Vater; ihm wendet sich ihre kindliche Neigung zu, ihn betrauern sie, während sie ihren Vater oft nicht einmal kennen. Der Vater steht ausserhalb der Familie oder richtiger, er gehört einer andern Familie an, und eben daher erklärt sich die bei vielen Naturvölkern auftretende Erscheinung, dass Vater und Sohn in einem feindseligen Verhältnisse stehen, wenn überall zwischen ihnen irgend welche Beziehungen vorhanden sind. Der Vater heirathet unter der Herrschaft der Weiberverwandtschaft in eine fremde Familie, in welcher er lediglich Erzeuger, Gatte ist, und in welcher er oft kaum mehr als die Stelle eines Sclaven einnimmt, wie z. B. in der malayischen Ambel-anak-ehe. Auf den Zusammenhang dieser höchst merkwürdigen ehelichen Verhältnisse mit der ursprünglichen Weiberverwandtschaft werden wir demnächst noch zurück kommen. Hier möge nur noch darauf hingewiesen werden, dass die Vaterschaft, welche wir heutzutage als das natürlichste und selbstverständlichste Verhältniss zu betrachten gewohnt sind, sich vom vergleichend-ethnologischen Standtpunkte aus zunächst als ein durch äussere Verhältnisse hervorgerufenes Rechtsinstitut darstellt, und dass das ethische Band, welches heutzutage Vater und Kind verknüpft, ursprünglich zu fehlen scheint, und ein anderes zwischen Kind und Mutterbruder vorhanden ist, welches heutzutage fehlt. Man hat hier ein Beispiel von dem. Wechsel der ethischen Anschauungen, wie er durch den Wechsel der ethnisch-morphologischen Organisation bedingt ist.

S.
77:
Es ist eine für uns zunächst überraschende Erscheinung, dass zahlreiche Völkerschaften lediglich eine Verwandtschaft durch die Weiberseite kennen, so dass das Kind lediglich mit seiner Mutter, seinen Geschwistern von derselben Mutter, den Geschwistern seiner Mutter von derselben Mutter und deren Kindern u. s. w. verwandt ist, während der Vater mit seiner Nachkommenschaft überall nicht als blutsverwandt angesehen wird. Als das Band, welches die Familie zusammenhält, wird die Nabelschnur gedacht, welche daher auch in den Bräuchen vieler Völkerschaften als ein wichtiges Mysterium gilt.]

In den Verbänden von Blutsverwandten giebt es weder ein individuelles Verbrechen, noch individuelles Eigenthum, noch Ehe. Nur das Geschlecht hat Rechte und Pflichten. Weiber sind wie Kinder Gemeingut. Ja es giebt Zustände, wo es keine Verwandtschaft von Person zu Person giebt, sondern Gruppen verwandt sind.— Gruppen-Ehen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:85, 94-98.]

Rechtsubjekte sind jetzt die sogenannten “natürlichen Personen,” die Einzelnen: sie sind die Träger von Rechten und Pflichten. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:73.]

Ein alter Chinese sagte, er habe gehört, wenn Reiche zu Grunde gehen sollen, so hätten sie viele Gesetze. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:58.]

Die Ehe mit schlechtem Gewissen: das Weib muß, bevor es heirathet, eine Zeit des Hetärism durchmachen, es muß entjungfert sein. Es muß sich den Stammesgenossen preisgeben, bevor es Einem Manne gehört. Letzter Rest das jus primae noctis der Häuptlinge oder auch Priester (wie bei den Buddhisten in Cambodja) [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:92f.]

Die Hetäre steht in manchen Theilen Afrika’s, in Indien und in Java in hohem Ansehen, sie ist den Volksgöttern treu geblieben. — [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:94.]

Hier erhält der Mann mit der Frau zugleich sämmtliche Schwestern, dort haben sämmtliche Brüder Eine Frau. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:98.]

Bei den Thieren sind die Weibchen nicht geschmückt, die Schönheit gehört den Männchen zu—die Begehrenden und Kämpfenden werden schön. [Vgl. Alfred Victor Espinas, Die thierischen Gesellschaften: eine vergleichend-psychologische Untersuchung [De sociétés animales]. Nach der vielfach erw. 2. Aufl. unter Mitw. des Verf. deutsch hrsg. von W. Schloesser. Braunschweig: Vieweg, 1879:260-313.]

das Weib macht bei uns “Eroberungen”

Die höhere Schönheit der Weiber unter Menschen beweist, daß die Weiber hier die kämpfenden und begehrenden sind; sie verstehen sich leicht darauf, den Mann zu erobern. Bei den Thieren nimmt die männliche Intelligenz zu durch den Geschlechtstrieb.—

In Athen waren die Männer schöner als die Frauen—nach Cicero: dies ist aber wohl eine Folge der großen Arbeit an der Schönheit, unter Einwirkung der Päderastie.

Mit der Entstehung der individuellen Ehe entsteht die neue Pflicht, nach der Brüder und Schwestern, Schwiegervater und Schwiegertochter, Schwiegermutter und Schwiegersohn, Schwager und Schwägerin nicht mit einander sprechen, essen, ja sich nicht ansehen dürfen.— Früher hat man oft Mutter und Tochter zusammen geheirathet.— [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:103-104.] Feindseligkeit und Kälte gehört zu den Pflichten überall, wo individuelle Pflichten entstehen. Mit der Liebe tritt immer die Abneigung zugleich auf. Menschenliebe im Allgemeinen ist bisher nicht ohne einen ungeheuren Haß dagewesen.

Eheliche Treue erscheint lange als unmoralisch. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:108f.]

Das Weib ein Eigenthum, welches der Stärkere jederzeit dem Schwächeren nehmen kann. Wettkampf der Stärke entscheidet. Nur die Häuptlinge und Priester haben die schönen Frauen. Junge Leute müssen sich mit alten Weiblein begnügen.— Der Raub die regelmäßige Form zu einem Weib zu gelangen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:109-111.]

der Verlobungsring der Rest der Kette, mit der die Geraubte weggeschleppt wurde [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:113.]

Zwischen Ehegatten ursprünglich die höchste “Kälte und Indifferenz.” Das Weib ist gekauft oder geraubt. Dazu der geheime Gewissensvorwurf, daß die Ehe etwas Naturwidriges und Unsittliches ist: die Gatten leben wesentlich getrennt, nicht Gemeinschaft von Tisch und Bett. Trennung der Geschlechter Grundgedanke der chinesischen Ehe. Das Haus [hat] zwei Theile: im äußeren wohnt der Mann, im inneren die Frau. Die Thür soll sorgfältig verschlossen werden. Jeder soll allein sterben. Es ist die durchgeführte separatio quoad thorum et mensam. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:123f.]

Höhere Verbände von Geschlechtstgenossenschaften: Viele kleine Gemeinwesen ohne alle Verbindung mit einander, oft durch große Wälder getrennt, einem Fürsten Gehorsam und Abgaben leistend, der in die innere Verwaltung der kleinen Gemeinden nicht eingreift (Indien und Sumatra heute noch). Nach innen möglichst fest geschlossen ist so ein Gemeinwesen: die griechische B`84l. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:37f.]

Älteste Scheidung der Stände nach dem Alter: Pietät. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:46f.]

Die Tupinambazes mästeten ihre Kriegsgefangenen an langen Seilen und versahen sie mit Beischläferinnen, bis sie fett genug zum Fraße waren. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:55.]

8 [7]

Der Scherz und Übermuth an anderen Personen trug ehedem einen für uns schauderhaften Charakter: namentlich an Kriegsgefangenen. An Verrückten: noch der Don Quixote! Das Lachen ist ursprünglich die Äußerung der Grausamkeit. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:55.]

8 [8]

Eine Person ursprünglich: Priester Zauberer Arzt Richter Häuptling. Regen Friede gut Wetter gute Erndte fette Kälber—aber auch Mißwachs Seuche Mißerfolg im Kriege oder auf der Jagd, schlechtes Wetter. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:76-77.]

Verachtung des Greisenalters wegen der Schwäche für Krieg und Jagd. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:88.]

Tödtung von Zwillingen, wenigstens von Einem. Man sucht in Zwillingen den Beweis vom Ehebruche (z. B. bei den Cariben) Auch die Germanen dachten so.— Diese Vielheit gilt als thierähnlich, gleich Ratten und Hündinnen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:119f.]

Hier und da da gilt es als Schande, Töchter zu gebären. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:120.]

Altgermanisch: das Kind liegt auf dem Boden, bis der Vater erklärt, ob er es leben lassen will oder nicht, Hebt er es nicht auf, so wird es ausgesetzt—ganz wie bei den Fidschi-insulanern [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:121.]

Die Häuptlinge haften für die Handlungen der Weiber und Kinder, für den Schaden, den Sklaven und Thiere verrichten. Für ein von den Seinen verwirktes Blutgeld; er muß Schulden derselben bezahlen. Verlobungsgelder. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:217.] Ein ganz andres Gewissen entsteht bei solchen Personen. Auch jetzt noch bei Fürsten und Staatsmännern.

Die Verantwortlichkeit lange getrennt vom Gewissen!

8 [9]

Typus der primitiven Geschlechtsgenossenschaft: eine Gruppe von Verwandten, von der gleichen Stammmutter her, in vollständiger Weiber-, Kinder- und Vermögensgemeinschaft lebend, so daß jede individuelle Ehe, jede individuelle Vater- und Elternschaft fehlt; alle Genossen gleich nahe verwandt, alles Eigenthum, bewegliches und unbewegliches als gemeinsam, alle Arbeit gemeinsam; aller Erlös gemeinsam verzehrt, alle Schulden gemeinsame Schulden der Genossenschaft, alle Blutsfreunde für jeden Blutrache übend und von der Blutschuld eines Blutfreundes mitgetroffen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:18f.] Fremde durch Adoption aufgenommen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:25.]

Über den Geschlechtern stehen Geschlechterverbände und Stämme. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:21.] Die Hausverwandtschaft grundverschieden davon als Vereinigungen von Abkömmlingen desselben Stammvaters. Schwerlich ein primitives Gebilde: Corporation Gruppe von Männern und Weibern, Kindern und Sklaven, vereinigt unter der patriarchalischen Gewalt eines Häuptlings oder Hausvaters. Mit eigenen Göttern, Recht Regierung, unveräußerlichem Boden. Nicht an die Existenz der einzelnen Genossen gebunden, Forterhaltung der Hausgemeinschaft erste Pflicht: und Zwang sich von einem unfruchtbaren Weibe zu scheiden: Strafbarkeit des Coelibats: bei Impotenz des Mannes war die Frau verpflichtet, sich von einem Verwandten des Mannes ein Kind zu schaffen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:21, 24-26.]

Überall wo die Organisation auf dem Blutbande beruht, giebt es Blutrache: das Gesammtleben des Verbandes kommt zum Ausdruck, als unverständliche und über das Individuum hinausreichende Kraft, Gegenstand religiöser Verehrung. Grundtendenz: zwischen zwei Geschlechtern wird das Gleichgewicht wiederhergestellt; das Verschulden des Einzelnen ist gleichgültig, es ist Krieg zwischen Geschlechtern. Mit dem sich bildenden Staatswesen schmilzt die Blutrache zu einem Racheakt gegen den Thäter zusammen. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:143-145.]

Voraussetzung der Blutrache ist zunächst, daß sie eine Familien-Angelegenheit ist: die Gaugenossenschaft oder der Staat mischt sich zunächst nicht ein. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:153.] Aber sie setzt die höhere Organisation schon voraus: es ist Zweikampf zwischen Gleichgeordneten, Einem Ganzen Zugehörigen. Die Feindschaft gegen die Familie des Blutschuldigen ist grundverschieden von der Feindschaft gegen alles, was nicht zur höheren gemeinsamen Organisation gehört. Es fehlt die Verachtung, der Glaube an die tiefere Rasse des Feindes: in der Blutrache ist Ehre und Gleichberechtigung.



Friedloslegung: ein Genosse wird aus der Friedensgenossenschaft ausgestoßen; er ist jetzt vollkommen rechtlos. Leben und Gut können [ihm] von Jedermann genommen werden. Der Übelthäter kann bußlos von Jedermann erschlagen werden. Grundgefühl: tiefste Verachtung, Unwürdigkeit z.B. noch im moslemischen Recht bei Ketzerei oder Schmähung des Propheten: während es bei Mord und Körperverletzung lediglich Blutrache und friedensgenossenschaftliche Bußen kennt. Es ist Ächtung: Haus und Hof wird zerstört, Weiber und Kinder und wer im Hause wohnt, wird vernichtet, z. B. Im peruanischen Inkareiche, wenn eine Sonnen-Jungfrau sich mit einem Manne vergieng, mußte ihre ganze Verwandtschaft es mit dem Leben büßen, das Haus ihrer Eltern wurde dem Erdboden gleichgemacht usw. Ebenso in China, wenn ein Sohn den Vater tödtet. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:64-65, 72-73.]

Also: Vergehen, welche die Existenz der Gemeinde aufs Spiel setzen, fordern die Friedloslegung heraus: der verdorbene Sproß wird ausgetilgt. Was als eine solche heillose und grundverächtliche Handlung angesehen wird, richtet sich nach dem, was als Existenz-Bedingung der Gemeinde gilt—und kann folglich bei verschiedenen Gemeinden sehr verschieden sein. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:176.]

In der Praxis entstehen Milderungen aller Art, z. B. man läßt ihm Zeit, sich durch die Flucht zu entziehn. Verbannung und Vermögensconfiskation sind die letzten Ausläufer. Namentlich die beschimpfenden Strafen haben hier ihren Ursprung. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:178.]



Friedensgenossenschaft: Schutz- und Trutzverbände, in denen sich die Genossen gegenseitig Leben und Gut verbürgen, in denen der Fried[ens]brecher aus dem Frieden ausgestoßen wird, in denen Kinder, Weiber, Gut und Schuld gemeinsam sind—älteste Form.

Staatliche Bildung: ein von der Basis der Blutverwandtschaft gelöstes Königthum, ein öffentliches Staatsrecht, individuelles Eigenthum, individuelle Verhaftung für Verbrechen und Schulden—späteste Form. — [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 2. Oldenburg: Schulz, 1881:6-7.]

Je bestimmter eine organische Einheit z. B. eine Gemeinde Heerde sich zum Bewußtsein kommt, um so stärker ist ihr Haß gegen das Fremde. Die Sympathie mit dem Zugehörigen und der Haß gegen das Fremde wachsen mit einander.

In Hinsicht auf die Continuität des gemeinschaftlichen Lebens und die Menge Gedanken, welche es in Anspruch nimmt: wie gering ist der Umfang, den die auf das Einzelwesen selbst bezüglichen Zwecke und Bilder in ihm einnehmen! Die socialen Triebe überwiegen bei weitem die individuellen. Die Thiere führen zu ihrem eignen Schaden Handlungen aus, die der Gruppe nützen. [Vgl. Alfred Victor Espinas, Die thierischen Gesellschaften: eine vergleichend-psychologische Untersuchung [De sociétés animales]. Nach der vielfach erw. 2. Aufl. unter Mitw. des Verf. deutsch hrsg. von W. Schloesser. Braunschweig: Vieweg, 1879:524-527.]

Die thierische Gesellschaft beruht, um uns der jetzigen moralischen Sprache zu bedienen (aber grundverschiedenen Empfindungen entsprechend), auf Liebe, Beständigkeit der Zuneigungen, Erziehung der Jungen, Arbeit, Sparsamkeit, Muth, Gehorsam bei den Schwachen, Besorgniß bei den Starken, Aufopferung bei Allen. [Vgl. Alfred Victor Espinas, Die thierischen Gesellschaften: eine vergleichend-psychologische Untersuchung [De sociétés animales]. Nach der vielfach erw. 2. Aufl. unter Mitw. des Verf. deutsch hrsg. von W. Schloesser. Braunschweig: Vieweg, 1879:541.] Keine Gesellschaft kann sich erhalten, ohne solche Eigenschaften, und in der erhaltenen werden diese Triebe vererbt: sie würden bei einem Grad von Stärke die Gesellschaft matt machen: aber es entwickeln sich antagonistische Kräfte innerhalb, in dem Grade als nach außerhalb Sicherheit eintritt. Und im vollendeten Zustand der Ruhe nach außen löst sich die Gesellschaft in Individuen auf: es bildet sich die Spannung, die früher zwischen Gemeinde und Gemeinde war. Damit erst giebt es Mitleid—als Empfindung zwischen Individuen, die sich als solche fühlen. (Die altruistischen Handlungen jener einheitlichen Urgesellschaften haben ein Ichgefühl zur Voraussetzung, aber ein Collektiv-Ich und sind grundverschieden vom Mitleiden.) Vielleicht empfand ein Geschlecht zu einem anderen Geschlecht innerhalb eines größeren Verbandes zuerst etwas wie Mitleid und Achtung, also nicht gegen Individuen. Hier ist der Ursprung des Mitleidens. Ich meine: die Blutrache ist die älteste Form dieser Achtung vor einem anderen Geschlecht: als Gegensatz zum absoluten Gefühl der Feindschaft.

8 [10]

Auch die “Wilden” sind unsäglich hochentwickelte Menschen, gegen die längsten Zeiten gerechnet.

8 [11]

Der Mensch mehr als jedes Thier ursprünglich altruistisch—daher seine langsame Entwicklung (Kind) und hohe Ausbildung, daher auch die außerordentliche letzte Art von Egoism.— Die Raubthiere sind viel individueller.

8 [12]

Atavism: wonnevolles Gefühl, einmal unbedingt gehorchen zu können.

“Du sollst dich ausbeuten, bestehlen, belügen lassen”—Grundgefühl des katholischen Priesterstaats, speziell vollkommen im Jesuitism. sacrificio dell’intelletto uralt und ursprünglich—doch nicht als Opfer empfunden, sondern das Gegentheil als Qual [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:567ff.; 645-48.]

8 [13]

Ja die Philosophie des Rechts! Das ist Eine Wissenschaft welche, wie alle moralischen Wissenschaften, noch nicht einmal in den Windeln liegt! Man verkennt z.B. Immer noch, auch unter frei sich denkenden Juristen, die älteste Bedeutung der Strafe—man kennt sie gar nicht: und so lange die Rechtswissenschaft sich nicht auf einen neuen Boden stellt, nämlich auf Historie und Völker-Vergleichung, wird es bei dem unseligen Kampfe von grundfalschen Abstraktionen verbleiben, welche heute sich als “Philosophie des Rechts” vorstellen und die sämtlich vom gegenwärtigen M[enschen] abgezogen sind. Dieser gegenwärtige M[ensch] ist aber ein so verwickeltes Geflecht, auch in Bezug auf seine rechtl[ichen] Werthschätzungen, daß er die verschiedensten Ausdeutungen erlaubt.

8 [14]

Meine erste Lösung: die dionysische Weisheit.

Dionysisch: zeitweilige Identification mit dem Princip des Lebens (Wollust des Märtyrers einbegriffen).

Lust an der Vernichtung des Edelsten und am Anblick, wie er schrittweise in’s Verderben geräth

als Lust am Kommenden Zukünftigen, welches triumphirt über das Vorhandene noch so Gute

8 [15]

Die Griechen als Menschenkenner.

Das Vereinfachen, die Abneigung gegen das Complizirte, und die kleinen Details

Das Logisiren, das Voraussetzen des logisch-Begreiflichen auch im Charakter

Das Idealisiren (“schön und jung”), die Abneigung gegen das Nicht-Typische, das unbewußte Lügen (es fehlt das Partei-Nehmen gegen sich selber, eine gewisse Großmuth)

Die politische Nöthigung, sich gemeinverständlich zu geben: der Mangel an versteckten Individuen II 398, an verhaltenen Gefühlen (die als thatenscheu Verrufenen II 401). [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:398, 401.]

Der Wettkampf. Empfindung, mit der jeder Philosoph seine Gegner niederkämpfen wollte—durch den praktischen Beweis, daß er der Glücklichste sei. “Tugend ist Glück”—das hat von Sokrates an alle psychologische Beobachtung gefälscht; sie vertheidigen sich (der “Thatsachen-Sinn” ist nur als Reaktion im Agon mit dem mythischen Sinne gewachsen, nicht als ursprüngliche Kraft).

(Sie sind vielleicht einfacher gewesen?— Aber die ungeheure Fülle von verschiedenen Individuen.)

Die Vornehmheit ((g<<"Ã@l so viel wie “naiv”!): das instinktive Handeln und Urtheilen gehört zur guten Art; das Sich-selber-Annagen und -Zersetzen ist unnobel.

Ihr Wille zum “Allgemein-Menschlichen,” auch zunächst allgemein Griechischen—ihr Gegensatz-Gefühl zum Barbaren

Der böse Mensch genießt theils Verehrung, theils Mitleid; er ist sich selber noch nicht von Würmern zerfressen—die ganze zerstörende aufwühlende Selbst-Verachtung fehlt.

Die “unnütze” Kraftvergeudung (im Agon jeder Art) als Ideal, auf welches der Staat hinstrebt (gegen die Römer); sie verstehn die Antriebe aus gedrückten Lagen wenig während der Inder (Brahmane) durch den Mangel an Initiative empfindet “alles Handeln ist Leiden.”

Stoicism wäre in einer moralistisch aufgeklärten Welt gar nicht möglich gewesen.— Jedes Wort von B. Grazian oder La Rochefoucauld oder Pascal hat den ganzen griechischen Geschmack gegen sich.



sie schimpfen und lassen sich’s dabei wohl sein (Homer’s Sophocles’ Epicur’s Pessimismus—das “Ausweichen” als “göttlich” empfunden).

also: sie leiden im höchsten Grade, aber sie reagiren dagegen mit um so höherem Selbstgenuß im Schaffen und auch im Reden von Dingen, die wohl thun.

es ist das für Schmerz empfindlichste Volk, aber ihre plastische Kraft in der Benutzung des Schmerzes ist außerordentlich: dazu gehört auch eine Mäßigung in der Rache am Schmerz, im Wühlen im Schmerz: eine Nöthigung zur siegreichen Attitüde, als Kur. Folglich sind sie geneigt, unredlich zu sein gegen das Leiden: und so ist “ihr Gemüth” weniger sichtbar geworden, um so mehr die überwindenden Affekte, die helle Geistigkeit und die Tapferkeit. Die Schmähsucht nöthigte, die Leidenschaften zu verbergen.

Thukydides als höchstes Beispiel des Beiseite-Tretens von der nationalen Abneigung gegen die anatomische Behandlung.

In der Zeit der höchsten Produktivität an Gestalten, Gegensätzen (wie dionysisch-apollinisch) fehlt noch die Reflexion: die Thatsachen stehen da.

Die bildende Kunst kommt viel später. Man kann die Philosophie von Socrates an hinzu rechnen—ein Trieb aus der Vielheit zu wenig Typen zurückzukehren.

leibhafte Darstellung des höchsten Menschen Ziel der Philosophen.

Absoluter Mangel einer Geschichte der moralischen Werthschätzungen bei den Philosophen.

Widerwille gegen das Geltenlassen eines anderen Typus.

(man sehe Plato: er verneint alles andere Große! Homer, die bildenden Künste, die Prosa, Perikles—und um Sokrates zu ertragen, bildet er ihn um!)

Allgemeiner Eindruck: eine gewisse Oberflächlichkeit des Psychologischen (gegen Shakespeare und Dante und Goethe, gegen alle Franzosen von Montaigne bis Balzac, gegen Grazian (die christliche Scepsis) Italiäner J[acob] B[urckhardt] auch die Inder sind tiefer in der Analyse des leidenden Menschen).

Aber vielleicht waren sie noch einfachere Menschen? Diese Vorstellung paßt zur “Jugend der Menschheit” usw.

Hier gerade ist die Gefahr eines Hauptirrthums und Fehlschlusses. Gesetzt, die bildenden Künste der Griechen wären untergegangen und wir wären auf die Urtheile der Philosophen beschränkt: welcher Fehlschluß!

Und ebenso: all ihr aesthetisches Urtheilen ist tief unter dem Niveau ihres Schaffens.

Es wäre also eine Diskrepanz möglich: daß die Menschenkenntniß der Griechen äußerst zurücksteht gegen den thatsächlichen Reichthum an Typen und Individuen: daß sich ihre “Menschlichkeit” nur wenig zum Bewußtsein gekommen ist.

Wahrscheinlich haben niemals so viel verschiedene Individuen auf einem so kleinen Raum zusammengesteckt und sich eine solche wetteifernde Vollendung ihrer Eigenthümlichkeiten erlaubt.

Betrachten wir aber die nationalen Eigenthümlichkeiten ihres Intellekts: so wird es wahrscheinlich, daß die Kenntniß der Menschen bei ihnen gehemmt geblieben ist. Alle ihre größten Kräfte wirkten hierin hemmend. Dies ist mein Thema.

Plato’s freie Art, mit Socrates zu verfahren (wie sein Kopf in Neapel)

Die freie Art, sich Socrates zurecht zu machen (Xenophon ebenso)

das Untergehn des Individuums in Typen (Homer Orpheus usw.)

Widerwille gegen das Exakte. Poesie viel höher als Geschichte : jene behandle den Menschen im Allgemeinen, diese seine Einzelheiten. Darum Poesie mehr geeignet den Menschen kennen zu lernen. “Die wesentlichen Dinge wiederholen sich, es giebt nichts Neues, es giebt keine Entwicklung”—ist ächtgriechisch. Es fehlt alles Nachdenken über die verschiedenen Zukünfte. Was liegt an Anachronismen! an große Personen fliegen hundert Züge an und bleiben kleben.



Schluß. Das ganze hellenische Wesen ist tiefer zu nehmen. Mit Zeugnissen ist wenig zu machen. Die historischen Thatsachen, die Handlungen sind wichtiger z.B. für ihre Ethik, als alle ihre Worte. Wir müssen das hellenische Wesen erst noch errathen: es ist noch wesentlich fremd.



wir giengen ihnen gegen den Geschmack

unsre Menschenkenntniß schamlos
unsre Technik à$k4l gegen die Natur
unsre Wissenschaft kleinlich-krämerisch
unwahrhaftig, weil so Vieles bei uns nicht Sichtbarkeit hat II 399. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:399.]

allgemeines Leiden der Modernen: “Selbstverkleinerung” p. 399. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:399.]

Einleitung

Triebe ihres Intellekts
und ihrer Sinne
 1) Das Vereinfachen (sie sind so begreiflich), Lust am Übersehen der Nebenzüge, Energie Einen Zug zum Schwerpunkte zu machen.
  2) Das Logisiren: eine Art Bezauberung (Dialektik als etwas Göttliches. Vers der Antigone).
  3) Das Idealisiren (“schön und jung”) das Gefühl das wir in der großen Natur befriedigen, befriedigen sie vor dem Menschen.
Triebe und Gefühle
aus der
politischen Sphäre
 4) Das Gefühl der Vornehmheit man traute sich die richtige Selbstschätzung zu II 397. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:397.] Unbillig gegen die Bescheidenen. Nemesis: sich großer Dinge für würdig halten, deren andere nicht würdig sind.
  5) Die politische helle Luft, die Nöthigung, gemeinverständlich sich zu geben.
der am besten entwickelte Instinkt ihrer gesammten Moralität 6) Das agonale Gefühl, welches vor einem Publikum siegen will und diesem Publikum verständlich sein muß. (Weshalb noch so verschiedene Individuen das “Allgemein-Menschliche” an sich übermäßig bekennen.

Beurtheilung des erwachenden “Thatsachen-Sinnes” als Consequenz selbst des Agons. Lob des Thukydides.



Im Munde eines Griechen ist es eine Paradoxie, wenn er in der Kugel die Spitze des Vollkommenen sehen wollte, sie mögen Wölbung und Rundung nicht.



Ihr Naturgefühl ist dem religiösen viel verwandter als das unsrige. Bei uns ist immer die Hauptsache, daß wir vom Menschen erlöst sind—wir suchen nach Gefühlen, die wir unter Menschen nicht haben.



Ich habe das Griechenthum entdeckt: sie glaubten an die ewige Wiederkunft! Das ist der Mysterien-Glaube!

(Stelle des Cratylus)

Plato meint, die Todten im Hades seien rechte Philosophen, vom Leibe erlöst.



(<äh4 F"LJ`<, aber nicht den Menschen

mit Hintergedanken lesen.

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Zwecke.



Ihre Schwäche deutet auf ihre Stärke hin.

Es sind Schauspieler. Wollen und Sein fällt zusammen für ihren Intellekt.

8 [16]

Der höhere Mensch,
seine Selbst-Erlösung und Selbst-Erhaltung.

8 [17]

der Sinn für Wahrheit bei Mächtigen (bei Unterdrückten als Rache, Rechtfertigung—Spinoza).

Selbst-Überwindung der Moral.

8 [18]

die Arterhaltung als Moralprincip umgemünzt!

8 [19]

Die absolute Nothwendigkeit ganz von Zwecken zu befreien: sonst dürfen wir auch nicht versuchen und uns opfern und gehen lassen! Erst die Unschuld des Werdens giebt uns den größten Muth und die größte Freiheit!

8 [20]

Ich schreibe für mich selber: und welchen Sinn hätte Schreiben in diesem zerschriebenen Zeitalter? wenig: denn abgesehen von den Gelehrten versteht Niemand mehr zu lesen, und auch die Gelehrten — — —

8 [21]

Unser Zeitalter hat sich neue Augen eingesetzt, um überall das Leiden zu sehen: und mit einer ungeheuren hypnotischen Starrheit des Blicks, die nur Einmal in der Geschichte bisher ihres Gleichen hatte, und das Auge der Beschauer in die gleiche Richtung zwingt— — —



Als ich jung war, gehörte ich im Grunde zu den Welt-Verleumdern und Pessimisten; wie es billig und verzeihlich in einem Zeitalter ist, das dazu gemacht scheint, gerade Jünglinge zum Verzweifeln zu bringen. Der Jüngling, je mehr er an seinem eigenen Werden leidet, will in’s Ganze, Volle und Fertige; er will vor Allem Sicherheit, Halt: dies Zeitalter aber ist durch Gedanken aller Zeiten zerdacht, mißtrauisch, mit einem Mißtrauen, das unter Menschen noch nicht da war, und daher oft denkmüde, oft mißtrauensmüde, oft greisenhaft und “vorläufig” in seinem Ja und in seinem Nein: es denkt nämlich in jedem Falle e[in] Ja, wo — — —



Da wirkt denn der entschlossene Protest eines Einzelnen wie Schopenhauers gegen das ganze Dasein als eine Erlösung: es vereinfacht

8 [22]

Jeder Mensch, dem wir begegnen, erregt gewisse Triebe bei uns (Furcht Zutrauen usw.) Ununterbrochene Bewegung unsres Trieblebens durch die Außenwelt (Natur): ganz abgesehn noch von dem ununterbrochenen Auf- und Einnehmen elektrischer atmosphärischer Wirkungen.

8 [23]

die Guten

Da jeder Trieb unintelligent ist, so ist “Nützlichkeit” gar kein Gesichtspunkt für ihn. Jeder Trieb, indem er thätig ist, opfert Kraft und andere Triebe: er wird endlich gehemmt; sonst würde er Alles zu Grunde richten, durch Verschwendung. Also: das “Unegoistische” Aufopfernde Unkluge ist nichts Besondres—es ist allen Trieben gemeinsam—sie denken nicht an den Nutzen des ganzen ego (weil sie nicht denken! ) sie handeln “wider unseren Nutzen,” gegen das ego und oft für das ego—unschuldig in Beidem!

8 [24]

Man sucht das Bild der Welt in der Philosophie, bei der es uns am freiesten zu Muthe wird; d. h. bei der unser mächtigster Trieb sich frei fühlt zu seiner Thätigkeit. So wird es auch bei mir stehn!

8 [25]

Unsinn aller Metaphysik als einer Ableitung des Bedingten aus dem Unbedingten.

Zur Natur des Denkens gehört es, daß es zu dem Bedingten das Unbedingte hinzudenkt, hinzuerfindet: wie es das “Ich” zur Vielheit seiner Vorgänge hinzudenkt, hinzuerfindet: es mißt die Welt an lauter von ihm selbst gesetzten Größen: an seinen Grund-Fiktionen wie “Unbedingtes,” “Zweck und Mittel,” Dinge, “Substanzen,” an logischen Gesetzen, an Zahlen und Gestalten.

Es gäbe nichts, was Erkenntniß zu nennen wäre, wenn nicht erst das Denken sich die Welt dergestalt umschüfe zu “Dingen,” Sich-selbst-Gleichem.

Erst vermöge des Denkens giebt es Unwahrheit.

Das Denken ist unableitbar, ebenso die Empfindungen: aber damit ist es noch lange nicht als ursprünglich oder “an sich seiend” bewiesen! sondern nur festgestellt, daß wir nicht dahinter können, weil wir nichts als Denken und Empfinden haben.

8 [26]

Die Unschuld des Werdens.
Ein Wegweiser zur Erlösung von der Moral.
Von
Friedrich Nietzsche.

Einleitung.

  I. Die Grundirrthümer der Moral.
 II. Moralität als Zeichensprache.
III. Die Überwindung der Moral und ihr Ersatz.

8 [27]

Wer die Vernünftigkeit vorwärts stößt, treibt damit die entgegengesetzte Macht auch wieder zu neuer Kraft, die Mystik und Narrheit aller Art.

In jeder Bewegung zu unterscheiden

1) daß sie theilweise Ermüdung ist von einer vorhergegangenen Bewegung (Sattheit daran, Bosheit der Schwäche gegen sie, Krankheit

2) daß sie theilweise eine neu aufgewachte, lange schlummernde, aufgehäufte Kraft ist, freudig, übermüthig, gewaltthätig: Gesundheit.

From Nietzsche's Notebooks© The Nietzsche Channel