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The Will to Power
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Frühjahr-Sommer 1883 7 [101-274]

7 [101]

das aristokratische Princip sich selber steigernd erfindet immer eine höhere Art unter den Höheren. Der Mächtige wird immer mehr zu dem Seiner-selber-Mächtigen, Kraftausströmenden: man sieht, daß die Vornehmheit viele Grade hat—und etwas im Einzelnen Menschen selbst Wachsendes ist.

7 [102]

Die Macht in der Vorstellung derer, die sie zu fürchten hatten.

7 [103]

Die Lust an Seines-Gleichen, als seinen Vervielfältigungen, ist nur möglich, wenn man an sich selber Lust hat. Je mehr dies aber der Fall ist, um so mehr geht das Fremde uns wider den Geschmack: der Haß und Ekel am Fremden ist gleich groß wie die Lust an sich.

Aus diesem Haß und Ekel ergiebt sich, daß man vernichtet und kalt bleibt gegen alles Fremde.

Hat man aber an sich selber Unlust, so kann dies als Brücke zu einem allgemeinen Menschen-Mitleid und Annäherung benutzt werden 1) man verlangt nach dem Anderen, daß wir uns über ihm vergessen: Geselligkeit bei Vielen 2) man vermuthet, daß der Andere auch Unlust an sich habe: und nimmt man es wahr, so erregt er nicht mehr Neid “wir sind gleich” 3) wie wir uns ertragen, trotz der Unlust an uns, so gewöhnen wir uns, auch “unsersgleichen” zu ertragen. Wir verachten nicht mehr; Haß und Ekel nehmen ab: Annäherung. So ist auf die Lehre der allgemeinen Sündhaftigkeit und Verwerflichkeit der Mensch sich näher gerückt. Selbst die thatsächlich Mächtigen werden mit anderer Phantasie angesehen: “es sind arme elende Menschen im Grunde.”

7 [104]

Menschen, die wandelnde Gesetzgebungen sind

7 [105]

als Geschmack tritt das Urtheil “gut” in uns auf: so tyrannisch und sicher, wie ein Geschmack für saure Gurken oder wie ich es in der Nähe eines spuckenden Menschen nicht aushalte.

7 [106]

nicht den Affekt der Distance verlieren!

7 [107]

Erobern—ist die natürliche Consequenz einer überschüssigen Macht: es ist dasselbe wie das Schaffen und Zeugen, also das Einverleiben seines eigenen Bildes in fremden Stoff. Deshalb muß der höhere Mensch schaffen d.h. sein Höhersein Anderen aufdrücken, sei es als Lehrer, sei es auch als Künstler. Denn der Künstler will sich mittheilen und zwar seinen Geschmack: ein Künstler für sich ist ein Widerspruch. Ebenso steht es mit den Philosophen: sie wollen ihren Geschmack an der Welt herrschend machen—deshalb lehren und schreiben sie. Überall wo überschüssige Macht da ist, will sie erobern: dieser Trieb wird häufig Liebe genannt, Liebe zu dem, an welchem sich der erobernde Instinkt auslassen möchte.— Der Eitle will gefallen, er will nach dem Geschmack Anderer sein: darin zeigt sich der Mangel an schaffender Kraft—er ist “leer.” Der Unwahre der Heuchler fürchtet sich vor dem Geschmack Anderer, selbst der Kluge, Vorsichtige: ein Mangel an überschüssiger Kraft ist hier die Voraussetzung. Während das Unbedenkliche Übermüthige Trotzige Unbesorgte Aufrichtige Übereilte Unvorsichtige leicht bei der Menge der Kraft sind, welche die Spannung zu groß macht und die Handlungen schnell heraustreibt—wider die Nützlichkeit. Hieraus erklärt sich auch, warum die Klugheits-Rücksicht nicht in gutem Rufe bei den Mächtigen steht: es ist leicht ein Anzeichen von Kraft-Mangel, klug zu sein. Andrerseits ist die unkluge Handlung unter Umständen nobel: und daher vielleicht auch das Lob des Uneigennützigen: der Uneigennützige d. h. der welcher nicht klug und vorsichtig handelt, sondern wie Einer, der überströmt—was liegt ihm daran, wohin? Der Berechnende wird verachtet: aber der, welcher für das Ganze der Gemeinde berechnet, um so mehr bewundert. Denn man nimmt an, daß man nicht überflüssiger Weise “klug” ist: denken gilt als schwer. - - -

So entsteht das Lob der Weisheit: als das Lob dessen, der viel gut und leicht denkt, rechnet, abwägt, und nicht aus Klugheit um des Nutzens willen, sondern aus Liebe zur Gemeinde, zur Verewigung ihrer Gedanken und Institutionen. Es ist etwas Seltenes!

7 [108]

Die Furcht vor der Macht als produktive Gewalt. Hier ist das Reich der Religion. Andererseits erscheint es als höchstes Streben des Menschen, mit dem Mächtigsten, was es giebt, Eins zu werden. Dies ist der Ursprung z.B. des Brahmanismus: erzeugt innerhalb der Kaste der Herrschenden, als phantastische Weiterbildung des Machtbedürfnisses, wahrscheinlich, weil seine Entladung in Kriegen fehlt.

Die Verschmelzung mit der Gottheit kann Gier nach der höchsten Wollust sein (weiblich-hysterisch bei manchen Heiligen) oder Gier nach höchster Ungestörtheit und Stille und Geistigkeit (Spinoza) oder Gier nach Macht usw. Oder selbst die Consequenz der rathlosesten Furchtsamkeit: es ist die einzige Rettung und Flucht, sich in Gott zu flüchten. Das Raffinirteste ist wohl “Überwindung der Gnade” bei den Mystikern.

7 [109]

Das bewußte Beabsichtigen wird bei einer schädlichen Handlung in’s Auge gefaßt, an sich nicht als “böse,” sondern insofem es die Gefährlichkeit des Fremden, des Feindes viel größer erscheinen läßt. “Er will mir böse,” oder “er will böse.”

So lange der Feind empfunden wird, fehlt noch das Merkmal des Schmählichen Verächtlichen in der bösen Handlung. Erst wenn der Übelthäter zugleich sich als schädlich und erbärmlich beweist, wird eine Handlung moralisch verworfen. Die Moral beginnt also mit der Verachtung.

7 [110]

Der, welcher viel und mit Bewußtsein lügt, und in Lagen lebt, wo es gefährlich und schwer ist zu lügen, ist eben deshalb auch in einem außerordentlichen Grade verfeinert für die Wahrheit: während Idealisten und Alltags-Gute fortwährend in einem Nebel über sich und ihr Wollen leben und im Grunde niemals die Wahrheit sagen können:—ihr “Geschmack” ist nicht fein genug dazu.

7 [111]

Wer als Dichter mit baarem Golde zahlen will, muß mit seinen Erlebnissen zahlen: deshalb verbittet sich aber der Dichter seine nächsten Freunde als Interpreten—sie errathen, indem sie zurückrathen. Aber sie sollten bewundern, wo-hinaus einer kommt, auf dem Wege seiner Leiden—sie sollten vorwärts und hinauf blicken lernen und nicht zurück, hinab. —

7 [112]

Gesetzt, daß die Strafen proportional wehe thun sollen der Größe des Verbrechens, müßten sie auch proportional der Empfindlichkeit für Schmerz jedem Verbrecher zugemessen werden d.h. es dürfte eine vorherige Bestimmung der Strafe für ein Vergehen gar nicht geben!

7 [113]

“Der Gute” entsteht nur am Gefühl eines Gegensatzes: das ist der zugleich ihm Schädliche und doch Verächtliche. Das Bemühen der Gesetzgeber ist, vielen Handlungen diesen Charakter zu verleihen, daß sie verächtlich erscheinen, mit Schmach verbunden sind: daß in Einem Gefühl eine Handlung und die an sie geknüpfte Schmach erscheint.— Bei uns ist im Ganzen das gesamte Verbrecherthum so empfunden. Anders ist es, wo der Verbrecher bewundert wird oder durch großen Heroismus und Verachtung von Gefahr einen Überschuß zu seinen Gunsten gewinnt. Der Ketzer z. B. und alle Sektirer erwerben sich oft Achtung, gegen die Verachtung, welche ihnen zuerst entgegenkommt. Man sieht: man hat mit einer Macht zu thun.

7 [114]

Die Gemeinsucht ist älter als die Selbstsucht, jedenfalls lange Zeit stärker. Die Verschiedenheit der Gesinnung war in der That nicht groß: und so rechnete man bei dem Werthe der Handlungen gar nicht nach Gesinnungen, sondern nach Folgen. Die Art glaubte an sich und ihre Gesinnung wie an eine Naturthatsache: man setzte sich ohne Weiteres bei jedem Nächsten voraus—man dachte über Handlungen gar nicht weiter nach, “sie verstanden sich alle von selber.”

7 [115]

Die Menschen handeln ganz anders als sie reden: auch die Moralisten machen es so. Wozu Moralisiren? Seid doch ehrlich! Die Hauptsache ist, daß wir es müssen. Alle “wozus” sind Spiegelfechterei und Hinzugelogenes.

7 [116]

“stellvertretende Tugend”

7 [117]

Die Natur will nichts, aber sie erreicht immer Etwas: wir wollen Etwas und erreichen immer etwas Anderes. Unsre “Absichten” sind nur “Zufälle.” —

7 [118]

Wenn die Menschen Alles thun für ihr Glück und doch thatsächlich wenig Geist darauf verwenden, was ihnen Glück bringt: so ergiebt sich, daß ihnen Nachdenken eine große Unlust ist.

7 [119]

Große Menschen wie Cäsar Napoleon sind lebendige Arten! Alles Andere Regieren ist nachgemacht.

7 [120]

39) Unsre Handlungen formen uns um: in jeder Handlung werden gewisse Kräfte geübt, andre nicht geübt, zeitweilig also vernachlässigt: ein Affekt bejaht sich immer auf Unkosten der anderen Affekte, denen er Kraft wegnimmt. Die Handlungen, die wir am meisten thun, sind schließlich wie ein festes Gehäuse um uns: sie nehmen ohne Weiteres die Kraft in Anspruch, es würde anderen Absichten schwer werden, sich durchzusetzen.— Eben so formt ein regelmäßiges Unterlassen den Menschen um: man wird es endlich Jedem ansehn, ob er sich jedes Tags ein paarmal überwunden hat oder immer hat gehn lassen.— Dies ist die erste Folge jeder Handlung, sie baut an uns fort—natürlich auch leiblich.

40) Zu jeder Handlung gehört nun auch eine Meinung bei uns über uns in Bezug auf diese Handlungen. Unsre Meinung über uns ist ebenso eine Folge jeder Handlung—sie baut an der Gesammtschätzung, die wir von uns haben, ob schwach, stark usw. lobenswerth tadelnswerth, ob wir das Urtheil Anderer zu scheuen haben, ob wir uns in jedem Lichte zeigen können. Vielleicht gewöhnt man sich, sich selber zu belügen: die Folge davon, die absichtlich fehlerhafte Taxation und die Verrenkung des Auges, das Falschsehen, muß sich natürlich zuletzt wieder in den Handlungen zeigen. Die Falschheit gegen uns, der Mangel an Vertrauen gegen uns, die Furcht vor uns, die Verachtung von uns—alle die Affekte der ohnmächtigen Naturen verändern fortwährend auch den Leib. Das Bewußtsein des Mangels an Selbst-Beherrschung, der unnoble Ausdruck kommt hinein—und selbst wenn Einer allein auf einer Insel lebte.

7 [121]

38) Vollkommen abgesehen von allen Mitmenschen giebt es eine fortwährende Veränderung im Werthe des Menschen, ein Besser- oder Schlechterwerden:

1)weil jede Handlung an seinem Affekt-Systeme baut
2)weil die mit jeder Handlung verbundene Taxation an ihm baut und wieder die Ursache der späteren Handlungen wird.

Das Gemeine, Unnoble wächst—oder nimmt ab usw.

Der Gemeinheit entspricht ein vollkommnes leibliches Substrat, und wahrlich nicht bloß in Gesichtszügen!

7 [122]

NB. Absurdität alles Lebens und Tadelns

7 [123]

der Stolz der Schwachen ist so fein, weil sie fürchten, man glaubt nicht an ihre Energie und Kraft.

7 [124]

Wie kurz ist das her, daß Kant allen Ernstes vorschlug, man solle nur Handlungen thun usw.!

7 [125]

Ich habe mich für meine eigene Person daran gewöhnt, in allem moralischen Urtheilen eine stümperhafte Art Zeichensprache zu sehen, vermöge deren sich gewisse physiologische Thatsachen des Leibes mittheilen möchten: an solche, welche dafür Ohren haben. Aber wer hatte bisher dafür Ohren!

Daß nun in der That bisher die Ohren dafür fehlten oder falsche Ohren und Falsche Auslegungen [da waren], und das Bewußtsein sich Jahrtausende vergeblich bemüht hat und sich selber auslegte—dies ist ein Beweis dafür.

Und so glaube ich, daß es eine Zukunft für das Verständniß der Moral giebt, und daß an dieses bessere Verstehen sich Hoffnungen für die Verbesserung des menschlichen Leibes anhängen dürften.

7 [126]

37) Wer einigermaßen sich vom Leibe eine Vorstellung geschaffen hat—wie viele Systeme da zugleich arbeiten, wie viel für einander und gegen einander gethan wird, wie viel Feinheit in der Ausgleichung usw. da ist: der wird urtheilen, daß alles Bewußtsein dagegen gerechnet Etwas Armes und Enges ist: daß kein Geist nur annähernd ausreicht für das, was vom Geiste hier zu leisten wäre und vielleicht auch daß der weiseste Sittenlehrer und Gesetzgeber sich plump und anfängerhaft inmitten dieses Getriebes von Krieg der Pflichten und Rechte fühlen müßte. Wie wenig wird uns bewußt! Wie sehr führt dies Wenige zum Irrthum und zur Verwechslung! Das Bewußtsein ist eben ein Werkzeug: und in Anbetracht, wie viel und Großes ohne Bewußtsein geleistet wird, nicht das nöthigste, noch das bewunderungswürdigste. Im Gegentheil: vielleicht giebt es kein so schlecht entwickeltes Organ, kein so vielfach fehlerhaftes, fehlerhaft arbeitendes: es ist eben das letzt-entstandene Organ, und also noch ein Kind—verzeihen wir ihm seine Kindereien! Zu diesen gehört außer vielem Anderen die Moral, als die Summe der bisherigen Werthurtheile über Handlungen und Gesinnungen der Menschen.

Also müssen wir die Rangordnung umdrehen: alles Bewußte ist nur das Zweit-Wichtige: daß es uns näher und intimer ist, wäre kein Grund, wenigstens kein moralischer Grund, es anders zu taxiren. Daß wir das Nächste für das Wichtigste nehmen, ist eben das alte Vorurtheil.— Also umlernen! in der Hauptschätzung! Das Geistige ist als Zeichensprache des Leibes festzuhalten!

7 [127]

Moralität ein Versuch der Affekte, sich einander bewußt zu werden.

7 [128]

34) Die Schätzung der Autorität nimmt zu im Verhältniß der Abnahme schaffender Kräfte

7 [129]

35) Die falschen Gegensätze. Alle Stufen sind noch neben einander vorhanden (oder viele)—aber die höhere will nicht die niedere Stufe als Weg und Mittel anerkennen—sie soll ihr Gegensatz sein! Dies ist der Affekt der Distanz! Wer ihn nicht besitzt oder zeigt, erregt die größten Verwechslungen z. B. Epicur.

7 [130]

36) Dasselbe z. B. Selbstbeherrschung eines Menschen erweckt bei dem Einen den Gedanken “vor dem mußt du dich vorsehen, der denkt kalt an Nutzen und Hinternutzen”—und ein Anderer denkt dabei “vor dem darfst du dich gehen lassen und dich zeigen, wie du bist—er wird nicht maßlos werden” Mehrdeutigkeit aller Eigenschaften, je nach Klugheits- oder Schönheits-Hoheits-Rücksichten.

7 [131]

Die Zukunft der Moral-Wissenschaft

Indem ich für einige Zeit Abschied von den moralischen Problemen nehme, will ich, um der Gefahr willen, daß ich selber nicht mehr Zeit finde, auf dieses Gebiet zurückzukommen, denen einige Winke geben usw.

7 [132]

ob sich denn die höhere Art nicht besser und schneller erreichen lasse als durch das furchtbare Spiel von Völkerkriegen und Revolutionen? —

ob nicht mitErnährung
Züchtung
Ausscheidung bestimmter Versuchs-Gruppen

7 [133]

Unser Leib ist etwas viel Höheres Feineres Complicirteres Vollkommneres Moralischeres als alle uns bekannten menschlichen Verbindungen und Gemeinwesen: die Kleinheit seiner Werkzeuge und Diener ist kein billiges Argument dagegen! Was Schönheit betrifft, so steht seine Leistung am höchsten: und unsre Kunstwerke sind Schatten an der Wand gegen diese nicht nur scheinende, sondern lebendige Schönheit!

7 [134]

Die Expansion im Zustande der Lust (bei Mainländer, p. 64). [Vgl. Philipp Mainländer, Die Philosophie der Erlösung. Berlin: Grieben, 1876:64.] Es will “seinen Zustand zeigen und sich Anderen—wenn es gienge der ganzen Welt—enthüllen” Umarmen, Hüpfen, Tanzen, Springen, Lachen, Schreien, Jauchzen, Singen, Sprechen—Ich sehe eine überschüssige Kraft, die sich ausgeben will

In der Unlust circa so: “der Glanz der Augen erlöscht, die Mienen werden weiß, die Glieder regungslos oder ziehen sich zusammen. Die Stirnhaut runzelt sich, die Augen schließen sich, der Mund wird stumm, die Hände ballen sich, der Mensch kauert, fällt in sich ein.”

Die Temperatur verändert sich: die Extremitäten werden kalt: in Lust und im Zorne heißer.

7 [135]

Cardinale Fragen: lassen sich die Temperamente verändern?

33) Die Willensqualitäten sind “Einritzungen zu vergleichen, in welche der Wille beim geringsten Anlaß fließt: sie haben sich zu Kanälen erweitert” “Aber schon der Säugling zeigt, unter bloßen Einritzungen, große Vertiefungen: Charakter (seine Form der Temperamente)”

7 [136]

Willensqualitäten.

NeidWohlwollen
HabgierFreigebigkeit
GrausamkeitBarmherzigkeit
GeizVerschwendungssucht
FalschheitTreue
HoffahrtDemuth
TrotzVerzagtheit
HerrschsuchtMilde
UnbescheidenheitBescheidenheit
GemeinheitEdelmuth
StarrheitGeschmeidigkeit
FeigheitKühnheit
UngerechtigkeitGerechtigkeit
VerstocktheitOffenheit
HeimtückeBiederkeit
FrechheitSchamhaftigkeit
WollüstigkeitMäßigkeit
NiederträchtigkeitEhrbegierde
EitelkeitHeiligkeit
  
“Stimmungen”
Zustände des Willens
“gefühlte Bewegungen”
Lebensgefühl (Gleichmuth)—seine Modifikationen
Freude
Muth
Hoffnung
Liebe
Haß
Verzweiflung
Furcht
Trauer.
 

Doppelbewegungen

Zorn, Wuth (der Wille strömt erst zurück, concentrirt sich (Haß), und strömt plötzlich dann nach der Peripherie, um zu zerstören)

7 [137]

30) Der Ausgangspunkt des Lobens und Tadelns : der schwache Mensch lobt und tadelt, weil so und so gelobt und getadelt wird: der starke legt sich als Maaßstab an. Ebenso spricht es für die Moralisten und ihr eigenes Gefühl von Macht—ob sie Gesetzgeber sich fühlen oder als Lehrer von gegebenen Gesetzen.

Bei dem Utilitarier-Kampf sind beide Parteien einmüthig—?

Bentham fühlt sich als Gesetzgeber, Rée als Beherrschter.

7 [138]

“Der Zustand unsrer Muskeln bestimmt in weiterer Ausdehnung unser Gemeingefühl der Gesundheit und Kraft, der Müdigkeit, Krankheit und Schwäche—bei allen Bewegungen unseres Körpers wissen wir mit erstaunlicher Genauigkeit (wie beim Sehakt) die Größe der Contraktion, zu welcher wir unsre Muskeln zwingen, zu schätzen. Wir kennen auch die verschiedenen Lagen der Muskeln, selbst wenn sie in Ruhe sind: das ermüdete und besonders das gelähmte Glied fühlen wir schwer.” [Vgl. Ernst Heinrich Weber, Untersuchungen über den Erregungsprozess im Muskel- und Nervensystem. Leipzig: 1870. In: Michael Foster, Lehrbuch der Physiologie [Textbook of Physiology]. Mit 72 Holzschnitten. Von Michael Foster. Autorisierte dt. Ausg. von Nicolaus Kleinenberg. Mit einem Vorw. von Willy Kühne. Heidelberg: Winter, 1881:502.]

7 [139]

Kalte Gegenstände scheinen schwerer zu wiegen als warme vom selben Gewicht (nach Weber) [Vgl. Ernst Heinrich Weber, Untersuchungen über den Erregungsprozess im Muskel- und Nervensystem. Leipzig: 1870. In: Michael Foster, Lehrbuch der Physiologie [Textbook of Physiology]. Mit 72 Holzschnitten. Von Michael Foster. Autorisierte dt. Ausg. von Nicolaus Kleinenberg. Mit einem Vorw. von Willy Kühne. Heidelberg: Winter, 1881:499.]

Wenn 2 Empfindungen in hinreichend kürzerem Zwischenraum auf derselben Stelle folgen, so werden sie mit einander verschmolzen: ebenso wenn Empfindungen an zu nahe aneinandergelegenen Stellen der Haut entstehen. [Vgl. Michael Foster, Lehrbuch der Physiologie [Textbook of Physiology]. Mit 72 Holzschnitten. Von Michael Foster. Autorisierte dt. Ausg. von Nicolaus Kleinenberg. Mit einem Vorw. von Willy Kühne. Heidelberg: Winter, 1881:454.]

7 [140]

Liebe: das kräftigste Ausströmen, der Wille möchte seine Sphäre durchbrechen, zur ganzen Welt werden.

Liebe auf Grund der Willensqualität Herrschsucht

auf Grund des Herzens
auf Grund der Qualität Ruhmbegierde (als Lustgefühl geistiger Überlegenheit)
auf Grund der Treue (als Freundschaft)

7 [141]

Die fehlerhaften Vereinfachungen: z. B. als Mittel Etwas sehen, wobei man 100 dabei übersieht.

7 [142]

NB. ein moralisches Gefühl etwas sehr Complicirtes. Darin liegt es, daß es so anders wirkt, “gut” zu sagen als “nützlich,” weil so 50 Ingredienzien noch eingemischt sind.

7 [143]

Das Unbedingte ist nur logisch gezogen aus dem Bedingten, wie das Nichts aus dem Sein.— Als “unbedingend” —

7 [144]

27) Die ganze Ehrfurcht, die wir bisher in die Natur gelegt haben, müssen wir auch empfinden lernen bei der Betrachtung des Leibes: es ist erbärmlich, sich von “groß” und “klein” so tyrannisiren zu lassen! Was der Wald, das Gebirge uns zu sagen hätten—und die fernen Himmelskörper “die uns in die Einsamkeit rufen” (Emerson)—“diese Entzückungen sind heilsam, sie machen uns nüchtern.” [Vgl. Ralph Waldo Emerson, Versuche (Essays), aus dem Englischen von G. Fabricius. Hannover: Carl Meyer, 1858:392f.]

7 [145]

28) Der Sinn unsrer Gärten und Palläste (und insofern auch der Sinn alles Begehrens nach Reichthümern) ist, die Unordnung und Gemeinheit aus dem Auge sich zu schaffen und dem Adel der Seele eine Heimat zu bauen.

Die Meisten freilich glauben, sie werden höhere Naturen, wenn jene schönen ruhigen Gegenstände auf sie eingewirkt haben: daher die Jagd nach Italien und Reisen usw.

alles Lesen und Theater-besuchen. Sie wollen sich formen lassen—das ist der Sinn ihrer Cultur-Arbeit!

Aber die Starken Mächtigen wollen formen und nichts Fremdes mehr um sich haben!

29) So gehen auch die Menschen in die große Natur, nicht um sich zu finden, sondern um sich in ihr zu verlieren und vergessen. Das “Außer-sich-sein” als Wunsch aller Schwachen und Mit-sich-Unzufriedenen.

7 [146]

Vortheil der kalten Naturen: sie folgen ihrem Interesse als einer kälteren Sache.

7 [147]

Nichts annehmen, wogegen wir nichts zurück zu geben haben und die Scham und Lust bei allem Guten, das wir erfahren—ist vornehm. “Sich lieben lassen” ist gemein.

7 [148]

Das Mitleiden der Mutter mit dem Kinde ist fast das mit uns selber: so fühlt der Künstler mit seinem Werke und dessen Schicksalen. Da giebt es nichts Vornehmes: es giebt auch Mitleiden mit uns selber—es ist etwas vollkommen Verschiedenes vom Leide selber!

7 [149]

Mit “Zwecken und Mitteln” redet man eine Zeichensprache: man bezeichnet aber nur das Nebensächliche der Handlung damit (ihr Verhältniß zu den Begleit-Erscheinungen Lust und Schmerz)

7 [150]

24) Die Verachtung des Körpers ist die Folge der Unzufriedenheit mit ihm: und die Überschätzung des Geistes und der moralischen Gesetze ist der Zustand solcher, welche gern etwas Höheres werden wollen und im Wandeln unter “ewigen Werthen” glauben, größer zu werden. Alles dies Verlangen nach Unvergänglichem ist die Folge der Unzufriedenheit—hier ist der Wille zur Cultur, als ein Verlangen des “Unzufriedenen mit sich.”

7 [151]

25) Schönheit des Leibes—das ist von den Künstlern zu oberflächlich gefaßt worden: dieser Oberflächen-Schönheit müßte eine Schönheit im ganzen Getriebe des Organismus nach folgen—insofern reizen die höchsten Bildner zur Erschaffung schöner Menschen: das ist der Sinn der Kunst—sie macht unzufrieden, wer sich vor ihr beschämt fühlt, und Schaffenslustig, wer Kraft genug hat. Die Folge eines Dramas ist: “so will ich auch sein, wie dieser Held”—Anregung der schöpferischen, auf uns selber gewendeten Kraft!

Epicur verhält sich zur Stoa, wie Schönheit zur Erhabenheit: aber man müßte mindestens Stoiker sein, um diese Schönheit überhaupt erst erblicken zu können! um auf sie neidisch sein zu können!

7 [152]

26) Unsre Zeit mit ihrem Streben, den zufälligen Nöthen abzuhelfen, vorzubeugen und die unangenehmen Möglichkeiten vorweg zu bekriegen, ist eine Zeit der Armen. Unsere “Reichen”—das sind die Ärmsten! Der eigentliche Zweck alles Reichthums ist vergessen!

7 [153]

Teichmüller p. 204 das Ich vergleicht seinen ideellen Vorstellungsinhalt und findet das Bewußtsein des Vorher (oder eines in der Erinnerung gegebenen Inhaltes) [Vgl. Gustav Teichmüller, Die wirkliche und die scheinbare Welt. Neue Grundlegung der Metaphysik. Breslau: Koebner, 1882:204.]

Also bei allen Zeitempfindungen ist das Ich thätig. “Die Akte Erinnerung Empfindung und Erwartung unzeitlich zusammenfassen und vergleichen—das ist Thätigkeit des Ich.”

7 [154]

Gegen Kant. Natürlich bin ich auch mit dem Schönen, das mir gefällt, durch ein Interesse verbunden. Aber es liegt nicht nackt vor. Der Ausdruck von Glück Vollkommenheit Stille, selbst das Schweigende, Sich-Beurtheilen-Lassende des Kunstwerks—redet alles zu unsren Trieben.— Zuletzt empfinde ich nur als “Schön,” was einem Ideal (“dem Glücklichen”) meiner eigenen Triebe entspricht z. B. Reichthum, Glanz, Frömmigkeit, Machtausströmung, Ergebung kann verschiedenen Völkern zum Gefühle “Schön” werden.

7 [155]

20) Groß genug, um das Verachtete zu vergolden: geistig genug, um den Leib als das Höhere zu begreifen—das ist die Zukunft der Moral!

Wir müssen die Erhabenheit, vor der wir uns in der Natur beugen, in unsern Absichten und Willen begehren—wir sollen die Erlöser der Natur und nicht ihre Vergöttlicher sein! “Vergöttlichung der Natur”—das ist die Folge der Armut, Scham, Angst, Thorheit!

Unsre Handlungen sollen falsch verstanden werden, wie Epicur Falsch verstanden wird! Es charakterisirt jeden Propheten, daß er bald verstanden wurde—es setzt ihn herab! Wir müssen erst Menschen haben, deren Bedeutung nach Jahrhunderten sichtbar wird—unser “Ruhm” bisher war etwas armseliges!— Ich will lange nicht verstanden sein.

Andrerseits müssen wir es tragen, falsch zu verstehen und mehr zu sehen als da ist: oh ihr, die ihr nicht mehr thut als den “großen Menschen” zu verstehen! Eure Kraft sollte die sein, noch hundert Meilen höhere Wesen über ihm zu sehen! Und das nenne ich Idealität: einen Sonnenaufgang zu sehen, wo—eine Kerze angezündet wird!

Das wäre der höchste Glanz auf dem Tode, daß er uns weiter führt in die andre Welt, und daß wir Lust haben an allem Werdenden und darum auch an unsrem Vergehen!

7 [156]

21) Die vornehme Empfindung ist es, welche verbietet, daß wir nur Genießende des Daseins sind: sie empört sich gegen den Hedonismus—wir wollen etwas dagegen leisten! Aber der Grundglaube der Masse ist es, daß für Nichts man leben müsse—das ist ihre Gemeinheit.

7 [157]

Das Urtheil über den Menschen vom Standpunkt des Thieres aus! Sind wir nicht ihm Parasiten?

7 [158]

22) Das Parasitische als Grundkern der gemeinen Gesinnung.

das Gefühl, nichts zu empfangen, ohne zurückzugeben oder damit etwas zurückzuempfangen, ist die vornehme Gesinnung. Nichts umsonst! Keine “Gnaden”! Aber auch keine Leiden, keine — — —

7 [159]

23) “Für den Weisen verwandelt sich die Natur in ein ungeheures Versprechen” Emerson. [Vgl. Ralph Waldo Emerson, Versuche (Essays), aus dem Englischen von G. Fabricius. Hannover: Carl Meyer, 1858:410.] Nun, du selber bist Natur und versprichst mit ihr das Ungeheure und hütest dich wohl, dein eignes Geheimniß vorschnell auszukundschaften!

7 [160]

18) Die Götter als Ursache des Bösen (Sünde und Leid) I 232 Woher kam denn das Schlechte bei “den Guten”? Aus einer Verdunkelung der Einsicht—und diese häufig Werk der Götter. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:232.]

7 [161]

19) Aidos ist die Regung und Scheu, nicht Götter, Menschen und ewige Gesetze zu verletzen: also der Instinkt der Ehrfurcht als habituell bei dem Guten. Eine Art Ekel vor der Verletzung des Ehrwürdigen. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:168ff.]

Die griechische Abneigung gegen das Übermaß, in dem freudigen I[nstinkt der] Hybris, [gegen] die Überschreitung seiner Grenzen, ist sehr vornehm—und altadelig! Es ist die Verletzung des Aidos ein schrecklicher Anblick für den, welcher an Aidos gewöhnt ist. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:170f.]

i`k@l = à$k4l Übersättigung, Berauschtsein vom Glück [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:267f.]

Hybris und Zorn schließen sich aus (Eudem. Ethik 1149 b), denn Hybris setzt eine freudige, Zorn eine schmerzliche Beschaffenheit voraus. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:261.]

Die Freien, Mässigen erfanden den Wettkampf als die immer wachsende Verfeinerung jenes Macht-Äußerungsbedürfnisses: durch den Wettkampf wurde der Hybris vorgebeugt: welche durch lange Unbefriedig[ung] des Machtgelüstes entsteht.

Neid—der Schmerz über das gegenwärtige oder vergangene Glück der Freunde: ganz griechisch gedacht! [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:260.]

Wenn Zorn “süßer als Honig” ist—süßer als Zorn — — —

7 [162]

Wer sehr leidet, auf den wird der Teufel neidisch und weist ihn hinaus in den Himmel.

7 [163]

14) Wenn Sclaven Philosophie treiben

Was sind sklavische Naturen? Solche die nicht wissen, was gut und gerecht ist, sagt Sokrates. Nach Theognis ist einen Freund verrathen Zeichen einer sklavenhaften Gesinnung.

Ihre Abhängigkeit macht es ihnen unmöglich, wahrhaft zu sein I, 266 [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:266.]

7 [164]

Sehr merkwürdig. Plato, Timaeus p. 86 usw. (1281) die Krankheiten der Seele durch fehlerhafte Beschaffenheit des Körpers veranlaßt: Aufgabe der Erzieher und Staaten sei, hier zu heilen. Wenn die Heilung nicht rechtzeitig bewirkt werde, seien die Erzieher und Staaten und nicht die Kranken verantwortlich zu machen. - - - [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:281.]

7 [165]

“Krankhafte Neigung zum Tempelraube” griechisch. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:281.]

7 [166]

Wie wenig Phantasie haben wir für das Leid, das wir Anderen anthun!

7 [167]

16) Die Sklaverei in der Gegenwart: eine Barbarei! Wo sind die, für welche sie arbeiten?— Man muß nicht immer Gleichzeitigkeit der beiden sich complementirenden Kasten erwarten.

Der Nutzen und das Vergnügen sind Sklaven-Theorien vom Leben: der “Segen der Arbeit” ist eine Verherrlichung ihrer selber.— Unfähigkeit zum otium.

7 [168]

15) Greisenhafte Denkungsart: nach Aristoteles Mißtrauen, Mangel an Stärke der Empfindung, Furchtsamkeit, bei allem nach dem Nutzen und nicht nach der moralischen Würdigkeit zu fragen.

Die wahre Freude des Alters besteht in dem Geehrtwerden sagt Pericles. (Simonides meinte in der Lust am Gewinn.) [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 1. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:274.]

7 [169]

Die Herkunft der Moral.

Die Moralisten selber gehören unter die Thatsachen der Moralität.
Wenn Vornehme Moral treiben
Wenn Sklaven und Weiber                            Vergeltung
Wenn Greise
Wenn Kranke und Entartende
Wenn Thatlose
Wachsthum und Untergang einer Moral, Bedingungen
Moral[ischer] Instinkt.
organische Funktion des Guten und Bösen
Gewissen

7 [170]

Kampf der verschiedenen Moralen ein Mittel ihrer Ausbildung. Stehenbleibende Moralen (chinesische)

7 [171]

12) Mitleid: von mir zurückgeführt auf unwillkürliche Nachahmung der Zeichen, die man sieht.

7 [172]

13) Die Handlungen, welche das Wohl der Gemeinde, des Organismus constituiren, sind nicht um dieses Zweckes willen entstanden: alle moralischen Gewohnheiten haben eine Vorgeschichte—jede Art Handlung hat ursprünglich einen anderen Zweck und Sinn.— Wie das Sehen nicht die Absicht bei der Entstehung des Auges war, und wie das Auge wieder benutzt worden ist zum Ausdruck des Gefühls:

7 [173]

Mittel, sich auszudrücken, sich mitzutheilen—ursprünglich aber war nicht die Absicht da, sich mitzutheilen, sondern alles Mittheilen ist eigentlich ein Annehmen-Wollen, ein Fassen und Aneignen-wollen (mechanisch). Den Anderen sich einverleiben—später den Willen des Andern sich einverleiben, sich aneignen, es handelt sich um Eroberung des Andern. Sich mittheilen, ist also ursprünglich seine Gewalt über den Anderen ausdehnen: diesem Trieb ist eine alte Zeichensprache zu Grunde liegend—das Zeichen ist das (oft schmerzhafte) Einprägen eines Willens auf einen anderen Willen

sich zu verstehen geben durch Stöße (Ameisen)

NB. Auch die Verletzungen des Anderen sind Zeichensprache des Stärkeren

So ist Verstehen ursprünglich eine Leidempfindung und Anerkennen einer fremden Macht. Schnell, leicht verstehen wird aber sehr rathsam (um möglichst wenig Püffe zu bekommen)

das schnellste gegenseitige Verständniß ist das wenigst schmerzhafte Verhältniß zu einander: deshalb wird es erstrebt (

negative Sympathie—ursprünglich die Schöpferin der Heerde.

7 [174]

8) Moralische Betrachtungsweise der Handlungen—die organischen Funktionen der Individuen, bei welchen nicht das I[ndividuum] Zweck ist, sondern ein höheres Princip (das höhere Princip kann eine Gemeinde sein): oder vielmehr: Versuch einer Umbildung in organische Funktionen. Fortwährend, wo Lebendiges zusammenkommt, entsteht das Einwirken auf einander und ein Zusammentreten mit dem Versuche, ob da ein Organismus sich bilden kann. So M[ensch] zu M[ensch].

Man soll aber auch die schlechten Handlungen auf diese Funktions-Eigenschaft ansehen! ihre Nützlichkeit in diesem außerindividuellen Sinne! Der Organismus besteht durch Kampf!

10) NB. Die Begleit-Erscheinungen haben sich vielfach verwandelt: manches ist jetzt mit Unlust verbunden, ehedem mit Lust. Auch die großen Einfälle der Klugheit mögen ehemals den Eindruck der Inspiration gemacht haben: ganz andere Taxation der Klugheit, als dämonisch.

11) Die Lust im Schaden-Thun; Bosheit, Verleumdung, Verfeindung aus Passion. Mord-Lust. Unter welchen Umständen natürlich? Wann pathologisch? Atavismus?

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9) Sind denn die Gesetze gegen die Bösewichter gemacht? Gegen die Neuerer und nicht gegen die Bösewichter und Schlechten!

Der “Schlechte” ist erst das Contrast-Erzeugniß des Guten.

So ist auch das moralische Gewissen etwas Spätes, gleichzeitig mit dem schlechten Gewissen das gute (beständiges Wohlgefühl an seinen Impulsen!) also aktiv!

7 [176]

Das Streben nach Glück wird alberner Weise von den Menschen als Streben nach Genuß interpretirt; und die erlahmende Genußfähigkeit gilt als Argument gegen den Egoismus. Hartmann p 591. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:591.]

7 [177]

Complicirtheit des jetzigen Moral[ischen] Gefühls. Im jetzigen Gefühl: “sittlich” ist vorhanden: der verehrende Trieb, der hülfreiche, der vornehme, der ergebene, der muthige, der fromme, der Trieb zum Nützlichen Zweckmäßigen, zum Gemeinnützlichen

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4) Vom moralischen Instincte. Am größten bei sehr alten unveränderten Völkern.

Wir erben nicht die Kenntnisse unsrer Vorfahren, wie die Thiere: in Folge großen Wechsels der Lebensweise Roux 37—aber bei allen stehenbleibenden Völkern ist doch Etwas derart vorhanden, gerade die moralischen Instinkte sind Resultate vieler gleichartiger Erfahrungen, innerhalb von wenig bewegten Völkern. Geht die große Bewegung los, so gehen die Instinkte bald flöten. Es sind eine Anzahl erprobter Verhaltungsmaßregeln (Haltungen und Gebärden zunächst, wie der Vertheidigung, Ehrfurcht usw.), auf die man instinktiv geräth. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:37.]

7 [179]

Epicurische Theorie. Schmerz tritt ein, wenn ein Begehren, ein Wunsch in seiner Befriedigung gehemmt wird. Lust, die Wegräumung des Hindernisses—negativ. Lust suchen—wäre Unsinn, etwas Negatives suchen! Sondern nicht-leiden wäre das Ziel! Wo Lust ist, ist eine frühere Unlust vorauszusetzen.

7 [180]

6) Wo die Machtmittel nicht groß genug sind, tritt die Einschüchterung auf, Terrorismus: insofern ist alles Strafen um der Abschreckung willen ein Zeichen, daß die positive ausströmende Tugend der Mächtigen nicht groß genug ist: ein Zeichen der Scepsis an der eigenen Macht.

7) Eine Macht muß fest auf den Füßen stehen und ihren Schwerpunkt haben. Gegenstück dazu: Schmidt, II 269. Dem entspricht eine Art Moralität. — [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:269.]

7 [181]

5) Thatlosigkeit: Aufathmen ist schon das Höchste! Otium besten Falls—nicht Schaffen!

7 [182]

NB. Der Egoismus ist kein Moralprincip, kein “Du sollst!” denn es ist das einzige “Du mußt.” [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins. Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879.]

7 [183]

Das Problem vom Kampfe verschiedener Moralen: der hellenische Gedanke im Kampfe mit dem athenischen. Die Gemeinde und die Großmacht. II p. 273. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:273.]

1) Kampf der Moralen

Die Mannhaftigkeit der Nation geht unter p. 274: wie sich das in der Cultur ausdrückt. Epicur. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:274.]

7 [184]

Die Schönheit theilt der anschauenden Seele die Schwungkraft mit, die zur Erzeugung edler Gedanken befähigt. Plato. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:342.]

7 [185]

II 353 es ist schimpflich, nach Socrates, wenn man Gutes nicht vergelten könne. Es giebt also “kein harmloses Hinnehmen” in der griechischen Freundschaft. Seine Freundschaften durch Erweisen von Gutem gründen! Pericles—Athen. wichtig! [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:353.]

2) Macht-Moral.

7 [186]

Es giebt eine fortlaufende Kette von Verletzung aus Verletzung, auch im Kleinen: in Kriegen weiß man nicht mehr, wer der Übelthäter ist. Blutrache ist nur der stärkste Ausdruck aller solchen Vorgänge unter Gleichen. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:358.]

3 Vergeltung

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Über das Leiden der Feinde sich freuen ist nicht ungerecht—Socrates II p. 357. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:357.]

7 [188]

Diogenes: man bedürfe zur Tugend entweder tüchtiger Freunde oder heftiger Feinde. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:357f.]

7 [189]

Der Haß moralisch, der Neid nicht. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:361.]

Das Glück in der Schädigung der Feinde p 362. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:362.]

7 [190]

Kampf der Gewebe muß zum Gleichgewicht zwischen den Theilen führen, oder das Ganze geht zu Grunde.

Gewebe welche zu lebenskräftig sind, auch wenn sie noch so nützlich wären, richten das Ganze zu Grunde. Die Geschwülste z. B. sind solche mit abnormer Lebenskraft ausgestattete Gewebe: sie entfalten sich auf Kosten der Nahrung und des Raumes der Anderen und zerstören das Ganze.

Schon durch abnorme Schwächung des einen Gewebes kann das andere das Übergewicht erhalten. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:96f.]

Mangel an Gleichgewicht zwischen den Geweben führt rasch zum Tode der Individuen und zur Elimination derselben und ihrer nachtheilhaften Qualität aus der Reihe der Lebenden: bloß Zustände des Gleichgewichts bleiben übrig: so würde eine harmonische Einheit des ganzen Organism gezüchtet durch Selbst-Elimination des Abweichenden. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:98.]

Der Kampf der Gewebe wird zu einem regulirenden Princip: Princip der funktionellen Selbstgestaltung der zweckmäßigsten Größenverhältnisse. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:102.]

7 [191]

Zu den mächtigsten Faktoren des Fortschritts eines Staates gehört nicht nur der Kampf mit Nachbarvölkern und die Entwicklung zur Wehrfähigkeit: sondern auch die Concurrenz der Mitglieder eines Standes und die Concurrenz der Stände selber [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:110.]

7 [192]

Das Stille-werden vor dem Schönen ist ein tiefes Erwarten, ein Hören-wollen auf die feinsten, fernsten Töne—wir benehmen uns einem Menschen ähnlich, der ganz Ohr und Auge wird: die Schönheit hat uns etwas zu sagen, deshalb werden wir stille und denken an nichts, an was wir sonst denken. Die Stille, jenes Beschauliche, Geduldige ist also eine Vorbereitung, nicht mehr! So steht es mit aller Contemplation: —

Aber die Ruhe darin, das Wohlgefühl, die Freiheit von Spannung? Offenbar findet ein sehr gleichmäßiges Ausströmen von unserer Kraft dabei statt: wir passen uns dabei gleichsam den hohen Säulengängen an, in denen wir gehen, und geben unsrer Seele solche Bewegungen, welche durch Ruhe und Anmuth Nachahmungen dessen sind, was wir sehen. So wie uns eine edle Gesellschaft Inspiration zu edlen Gebärden giebt.

7 [193]

Zuerst Assimilation an das Werk, später Assimilation an dessen Schöpfer, der nur in Zeichen redete!

7 [194]

“Bisher hat man alle guten Eigenschaften eines Organismus bloß aus der Auslese im Kampf ums Dasein unter den Individuen abgeleitet!” [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:110.]

7 [195]

Die Abwehr des Fremden, den Reiz nicht gestaltend wirken lassen—sondern eine harte Haut, ein feindseliges Gefühl dagegen zu stellen: für die Meisten eine Nothdurft zur Erhaltung. Aber der reichste Heilige lebt unter Verbrechern wie in seinem Elemente.

— die Freisinnigkeit der Moral hat also ihre Grenze dort, wo einer den Reiz des Fremden nur schädigend empfindet, nicht anregend.

Wer reich ist in seiner Heiligkeit, der ist unter den Bösesten gut zu Hause: und alles Neinsagen gehört den Armen.

7 [196]

der aktiven quantitativen und qualitativen Nahrungs-Auswahl der Zellen, welche die ganze Entwicklung bestimmen, entspricht, daß der Mensch sich auch die Ereignisse und Reize auswählt, also aktiv verfährt unter all dem zufällig auf ihn Eindringenden—gegen Vieles also abwehrt. Roux p. 149. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:149.]

7 [197]

Der Parasit zwingt den Wirth, ihn mit einem Capillarnetz und zugehörigen größeren Gefäß zu umspinnen p. 151. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig: Engelmann, 1881:151.]

7 [198]

Triebe sind höhere Organe, wie ich’s verstehe: Handlungen Empfindungen und Gefühlszustände in einander verwachsen, sich organisirend, ernährend — — —

7 [199]

Die Bösen als rudimentär Schneider p 29. [Vgl. Georg Heinrich Schneider, Der thierische Wille: systematische Darstellung und Erklärung der thierischen Triebe und deren Entstehung, Entwickelung und Verbreitung im Thierreiche als Grundlage zu einer vergleichenden Willenslehre. Leipzig: Abel, 1880:29.]

7 [200]

Eitelkeit und Trieb zur Auszeichnung entgegengesetzten Ursprungs.

Wie das Wort als congruent galt mit dem Dinge, so galt auch das, was man redet von einem Menschen, für congruent mit ihm: man zweifelte nicht an der absoluten Erkenntniß (Erkanntheit) eines Menschen. Deshalb war die Meinung über Einen absolut bestimmend: und Eitelkeit ist jetzt nur ein Atavismus: ursprünglich war der Trieb noch nicht so erniedrigt (der Eitle ist jetzt gegen sich selber skeptisch) Ehemals gab es den Gedanken nicht, daß einer einen Werth für sich, einen verborgenen Werth haben könne. Sich um die gute Meinung bemühen—war identisch mit “gut sein.”— Der Eitle ordnet sich unter und will gefallen; der nach Auszeichnung Trachtende will als sich überordnend empfunden werden, er will bewundert werden.

7 [201]

Moral für Moralisten.

Die bisherigen Moralisten lassen sich nach ihrem vorwiegenden Hange so von einander unterscheiden: die Einen haben ihr Augenmerk darauf, wie unter Menschen gehandelt wird; die Andern, wie gehandelt werden soll. Aber was diesen beiden Arten gemeinsam ist erkennt man, sobald man das Wörtchen wie? sich von ihnen Allen erklären läßt. “Nach welchen Motiven wird gehandelt? Das fragen wir”: so sagen die Einen. “Nach welchen Motiven soll gehandelt werden: das fragen wir” so sagen die Andern. Daß nach Motiven gehandelt wird, wo überhaupt gehandelt wird, das ist ihre gemeinsame Voraussetzung: das ist ihr gemeinsamer Irrthum; sie Alle haben den Vordergrund der ganzen moralischen Landschaft am schlechtesten beobachtet ja übersehen—die Thatsache, daß gehandelt wird, und werden muß, und daß die sogenannten Motive nicht dafür die Erklärung abgeben.

7 [202]

Die thatsächliche Moralität ist unendlich feiner, complicirter, geistiger, als die theoretische; letztere steht noch plump und verlegen in den Anfängen.

7 [203]

Alle erhaltenden Mächte haben Jesuitism an sich: sie glauben, die Wahrheit ist da, es darf nicht gesucht werden. “Das Recht” z. B. soll da sein!! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:567ff.]

7 [204]

Die Nützlichkeit ein sehr hohes Princip! Ja nicht zu unterschätzen! Aber sie bezieht sich auf die Mittel (“Unterzwecke”)—die Werthschätzung und die Gütertafel muß schon da sein! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:607ff.]

7 [205]

Aus Hunger ein vergiftetes Brod lieber essen als nicht essen!

7 [206]

Wille als Streben nach Lust: setzt voraus, daß Wollen selber nach seinem Ende begehrt. Hartmann. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:3.]

7 [207]

Das, was durch eine Handlung erreicht wird, wird ins Auge gefaßt: das Motiv soll liegen in der Vorstellung vom Resultat der Handlung (z.B. einem erreichten Gemüthszustand)

7 [208]

“Was der Mensch ohne Reflexion ohne Weiteres will, ist Lust: ‘Glück’ eine vielseitige, erschöpfende und andauernde Lust.” (Hartmann). [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:5f.]

7 [209]

Bei Epicur kommt alles auf das richtige Abwägen von Lust gegen Unlust an: folglich ist nk`<0F4l die Haupttugend, das Fundament: Klugheits-Moral.

Die Bedeutung der sinnlichen Lust ist, uns von Begierden und Bedürfnissen zu befreien, welche die •J"k">\" der Seele stören.

Glückseligkeit als Endzweck des Einzellebens. Aristoteles und Alle! [Vgl.Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:5ff.]

Also es ist die Herrschaft des Zweckbegriffs, die alle Moralisten bisher verdorben hat. “Es muß doch ein ‘Wozu?’ des Lebens geben!”

Daß auch das vernünftige bewußte Leben hinein gehört in die Entwicklung des zwecklosen Lebens—ego.

7 [210]

Die eigentliche Schätzung des Lebens hängt von den überwiegend herrschenden Stimmungen ab: die Arier, als sie nach dem asiatischen Süden kamen, empfanden alles Handeln als Leiden und alle Gefühle ebenso: tiefe Ruhe im Schatten höchster Balsam. Es ist eine fehlerhafte Entscheidung über den Wohnort bis ins höchste verfeinert und zur Entscheidung über den Werth des Lebens gemacht. (Selbst die Entstehung des Staats eine Sache der Ermüdung!)

7 [211]

Es bilden sich auf Grund der Triebe höhere Organe aus und diese Organe kämpfen mit einander um die Nahrung, die Reize — — —

Die Hand des Klavierspielers, die Leitung dorthin und ein Bezirk des Gehirns bilden zusammen ein Organ (welches sich abschließen muß, um sich stark contrahiren zu können). Getrennte Theile des Körpers telegraphisch verbunden—d.h. Trieb.

Schopenhauer hat noch den unbewußten Zweck dazu gebracht!

7 [212]

Das Wesentliche an allem Handeln ist zwecklos oder indifferent gegen eine Vielheit von Zwecken.

7 [213]

Verzicht auf irdische Glückseligkeit zu Gunsten der himmlischen tausendfach größeren ist ein gutes Geschäft. Christenthum und seine Klugheit!

gut bei Hartmann p 26. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:26.]

Lohn und Strafe bei Christus.

Es ist eine Thorheit, nicht das Christenthum anzunehmen.

7 [214]

Man soll Gutes im Verborgenen thun, damit es nicht hier belohnt werde Lucas 14 (12-14)—es könnte einem sonst der himmlische Lohn entschlüpfen. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:26.]

7 [215]

Je hoffnungsloser und wilder die irdischen Zustände, um so besser wird an die jenseitige Vergeltung geglaubt: da einer auf irdisches Glück nicht rechnen kann. Je abergläubischer das Volk, um so besser wird an die Hölle geglaubt. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:28.]

7 [216]

Strafe bei Unfreiheit des Willens unsinnig? Aber dann dürften wir auch nichts versprechen, uns zu nichts verpflichten usw. nichts thun. Daß wir mit Sicherheit von uns viel versprechen können, darauf hin giebt man uns Rechte d. h. Vortheile. Man giebt uns Nachtheile, wenn wir nicht halten, was wir versprachen: oder man compensirt die früher darauf hin gegebenen Vortheile nachträglich. (Strafe hier als nachträgliche Compensation der uns erwiesenen Vortheile, ein Zurücknehmen der gesellschaftlichen Sicherheit usw., Versetzung in den Zustand der Feindschaft. Die Gesellschaft ist bei ihrer Rechnung betrogen: sie nimmt so viel als sie nehmen kann von der Macht des Frevlers zum Entgelt, z.B. Zwangsarbeit usw.)

7 [217]

Ich sagte heute “oh das ist ein guter Mensch!” Dabei hatte ich das Gefühl als ob ich einen schönen reifen vollen Apfel mit sanfter Haut in der Hand hätte: ein Gefühl der Zärtlichkeit, wie als ob es mich zu ihm zöge: ein Gefühl der Sicherheit, wie als ob ich hier unter einem Baume ruhen dürfe: ein Gefühl der Verehrung, als ob ein Gegenstand da sei, den man nur mit den saubersten Händen fassen dürfe: ein Gefühl von Sattwerden, wie als ob ich aus einer Unbefriedigung mit Einem Male erlöst werde. Also entsprach dein moralischen Urtheile “gut” ein Zustand an mir, welcher beim Denken an einen gewissen Menschen eintrat. Es ist dasselbe, wie wenn ich einen Stein “hart” nenne.

7 [218]

Wenn Glückseligkeit unmöglich ist (Hegesias), so ist das Ziel des Lebens Leidlosigkeit: ohne Zweck konnte mans nicht fassen! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:35.]

7 [219]

Gemeinsam das Streben aller antiken Philos[ophen] nach Geistesfreiheit und Abbrechen jeder Sklavenkette. Es ist der Atavism der Vornehmheit der Müssigen, die nichts mehr zu thun haben und sich selber zersetzen. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:36.]

7 [220]

Den Ursachen des Schmerzes bis zur letzten Consequenz ausweichen—das ist die Praxis. Da behält man das ganz leere Leben übrig und das Denken darüber. Da fragt sich: dann giebt es keine Erlösung vom Leben? [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:39.]

7 [221]

Dieser Glaube an Zwecke führt zum Pessimismus.

Umdrehung: der Zweck ist, sich nicht glücklich zu fühlen; der Mensch wird von den Irrwegen des Lebens zurückgeführt; je mehr man leidet, wird der wahre Zweck erreicht “ein Anstrich von Absichtlichkeit ist hierin nicht zu erkennen” Schopenhauer. Hartmann p. 42 “Moralität ein Palliativ vor der Entschließung zur Radicalkur” p. 43 “die bösen Handlungen an uns eigentlich eine Wohlthat.” [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:42-43.]

7 [222]

Die Werthlosigkeit des Lebens ist erkannt im Cynismus, aber hat sich noch nicht gegen das Leben gewendet.

Nein: viel kleine Überwindungen und ein loses Maul befriedigen da! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:27.]

7 [223]

Teichmüller: die Gefühle der Lust oder Unlust sind Zeichen für die Stellung, welche das Ich als Ganzes der einzelnen Thätigkeit gegenüber einnimmt: alles dies ist Wille, so fern wir auf das Ich als den Einen Beziehungspunkt hinblicken: die beiden gegensätzlichen Grundformen: das Begehren und das Verabscheuen. Blicken wir auf den Anderen Beziehungspunkt hin, so bleibt die Thätigkeit selber als solche unbewußt, ihr zugehöriges Was wird aber jedesmal bewußt, und so wird dies Was zum Zeichen für das, was wir bezeichnen wollen. Entsprechend dem Verabscheuen und Begehren nennen wir den zugehörigen ideellen Beziehungspunkt ein Übel oder ein Gut und bezeichnen ihn durch den Inhalt der zugehörigen Empfindungen oder Anschauungen. Alle Bilder unsrer Anschauung und alle unsere Thätigkeiten stehen in gewissen regelmässigen Beziehungen z.B. das Anschauungsbild der Rose und die Empfindung des Duftes. So bezeichnet schon das Kind das Eine als Mittel, das Andere als Erfolg. [Vgl. Gustav Teichmüller, Die wirkliche und die scheinbare Welt. Neue Grundlegung der Metaphysik. Breslau: Koebner, 1882:82-83.]

7 [224]

Erster Unsinn: alles Leben ist Wollen eines Zweckes

der Egoism ist Wille zum eigenen Glücke

Zweiter Unsinn: Moralisch ist, einem fremden Willen dienen und Selbstverläugnung.

also der Zweck des Lebens liegt nicht im Glücke: erste Einsicht!

der Zweck des sittlichen Lebens soll im Willen eines Anderen liegen.

Aber was ist denn dieser Wille des Anderen wieder als ein Wille zur Befriedigung?



Meine Ansicht: die Absichten Wünsche Zwecke sind sekundär—“das Streben nach Glück” ist thatsächlich gar nicht allgemein da aber gar ein Streben nach fremdem Glück und Nichtstreben nach eigenem (“Verläugnung”) ist erst gar nicht möglich, während ein theilweises Streben nach eigenem Glück möglich ist.



Bei allem Handeln kommt Viel heraus auch für die Andern!



Der einzelne Wille verfolgt den Zweck: Glück—unmöglich, es zu finden!

Also hat der einzelne Wille einen anderen Willen sich als Zweck vorzusetzen, er ist Mittel für einen Zweck eines Anderen —

Aber, Herr von Hartmann! Sofern er einen Willen überhaupt fördert, sei es den des Nächsten oder des Weltprozesses—so arbeitet er ja an der Verlängerung des Elends: und zwar nachdem er begriffen hat, daß aller Wille wesentlich elend ist! Somit ist seine Förderung entweder Wahnsinn oder Bosheit.

Hier ist aber der zweite Unsinn vorausgesetzt, daß ein unegoistisches Handeln möglich ist.

Der erste Unsinn: alles Handeln ist ein Wollen von Befriedigungen

der zweite Unsinn: es giebt ein unegoistisches Handeln ein Handeln als Nichtwollen des eigenen Selbst, aber Wollen eines fremden Selbst! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins. Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879.]

7 [225]

Das Ziel-setzen selber ist eine Lust—eine Masse Kraft des Intellektes giebt sich aus im Mittel-Zweck-denken!

7 [226]

Wollen ein drängendes Gefühl sehr angenehm! Es ist die Begleit-Erscheinung alles Ausströmens von Kraft.

ebenso schon alles Wünschen an sich (ganz abgesehen vom Erreichen)

7 [227]

Man verkenne doch ja nicht den tiefen Mangel an noblesse des Gefühls in Christus, sein Jüdisches, das gute Geschäft und den Ärger über die Dummheit, es sich entgehen zu lassen! Die Europäer haben so viel edlere Gefühle hinein gelegt! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:26.]

7 [228]

Wir wählen die facta aus, wir interpretiren sie—unbewußt. Die Wünsche, die an uns hängen bleiben —

Gegen unsre Zwecke gerechnet und gegen alles bewußte Wollen, giebt es eine gewisse größere Vernunft, in unserem ganzen Handeln, viel mehr Harmonie und Feinheit als wir bewußt uns zutrauen.

7 [229]

Wir haben uns von der logischen Mania der Alten noch nicht freigemacht, sie schätzten nichts mehr als die Dialectik—so auch “Absichten” “Zwecke.”

7 [230]

Die meisten Menschen sind gar keiner Erlebnisse fähig: sie lebten nicht genug in der Einsamkeit—das Ereigniß wird durch Neues gleich fortgespült. Der tiefe Schmerz ist selten und eine Auszeichnung. Im gewöhnlichen Leben steckt mehr Klugheit als im Stoicismus.— Die Abwehr des Schmerzes.

7 [231]

alle unsere Zwecke nehmen sich, aus einer gewissen Ferne gesehen, als Versuche und Würfe aus—es wird experimentirt.

Wir müssen am Willkürlichen Unlogischen in unseren besten Zwecken festhalten!

Wir würden nie handeln, wenn wir alle Folgen uns vorstellten.

7 [232]

Willens-Schwäche als Folge der Desorganisation und Zeichen des Verfalls.

7 [233]

Kant [Vgl. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, §59 (1798)] sagt: diese Sätze des Grafen Verri (1781 sull’indole del piacere e del dolore) unterschreibe ich mit voller Überzeugung

il solo principio motore dell’uomo è il dolore. Il dolore precede ogni piacere

il piacere non è un essere positivo. [Vgl. Léon Dumont, Vergnügen und Schmerz: zur Lehre von den Gefühlen. Leipzig: Brockhaus, 1876:35-36.]

7 [234]

“Sein Leben fühlen, sich vergnügen—sich continuirlich getrieben fühlen aus dem gegenwärtigen Zustand herauszugehen, der also ein ebenso oft wiederkehrender Schmerz sein muß.” [Vgl. Léon Dumont, Vergnügen und Schmerz: zur Lehre von den Gefühlen. Leipzig: Brockhaus, 1876:36.]

7 [235]

“Der vernünftige Wille darf nur Schmerz vermindern und Bedürfnisse unterdrücken.” — [Vgl. Léon Dumont, Vergnügen und Schmerz: zur Lehre von den Gefühlen. Leipzig: Brockhaus, 1876:37.]

7 [236]

Cardanus schloß, man müsse soviel als möglich Leiden aufsuchen, um durch ihre Beseitigung sich eine größere Summe von Lust zu schaffen. [Vgl. Léon Dumont, Vergnügen und Schmerz: zur Lehre von den Gefühlen. Leipzig: Brockhaus, 1876:32.]

7 [237]

“Alle Handlungen der Larven kurz vor der Verpuppung gehen nicht auf die eigene Erhaltung, sondern auf die des fertigen Insektes hinaus, sie entsprechen nicht den Bedürfnissen des Larvenstadiums, sondern denen des vollständig entwickelten Thiers” usw. Schneider I p. 58 [Vgl. Georg Heinrich Schneider, Der thierische Wille: systematische Darstellung und Erklärung der thierischen Triebe und deren Entstehung, Entwickelung und Verbreitung im Thierreiche als Grundlage zu einer vergleichenden Willenslehre. Leipzig: Abel, 1880:58.]

7 [238]

Der höchste Gesichtspunkt des Jesuitismus auch des socialistischen:

Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Beglückung

Beglückung der Menschheit durch Aufrechterhaltung der Illusion, des Glaubens

Dazu meine Gegenbewegung:

Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung.

Überwindung durch Lehren, an denen sie zu Grunde geht, ausgenommen die welche sie aushalten

Grundirrthum bisher: “alle Handlungen des Menschen sind zweckbewußt.”

“der Zweck des Menschen ist die Arterhaltung und nur insofern auch die Erhaltung seiner Person”—jetzige Theorie.

So steht es auch bei sehr individuellen Menschen, wir sorgen für unsere zukünftigen Bedürfnisse! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:567ff.; 645-48.]

7 [239]

Urform aller Schutzbewegungen, bei unangenehmer Berührung sich zusammen zu ziehen, alle Theile an sich zu ziehen. Was entspricht dem psychologisch? Die Sammlung: der Schmerz concentrirt uns.

Der Trieb, etwas zu verstecken ist Scham, ein Schutztrieb: auch sich verstecken wollen, wo Colibri z.B. roth werden dabei (ist Wirkung der Angst!)

Der Mensch wird durch seine Instinkte geleitet: die Zwecke sind nur im Dienste der Instinkte gewählt. Instinkte aber sind alte Gewohnheiten des Handelns, Arten, seine vorhandene Kraft auszugeben.

Man soll das Resultat, was ein Instinkt erreicht, nicht “Zweck” nennen!

Seinen Trieben völlig freien Lauf lassen: häufig aber widerstreben sie sich. Das thatsächliche Leben ist ein Ringen der Instinkte, ein Wachsen der Einen, ein Abnehmen der Anderen.

“Verbrauch der aufgespeicherten Nervenkraft.”

“Welche Vorstellung führt zur Aktion? Die, welche den stärksten Trieb erweckt. Welche ist das? Die, welche die größten Annehmlichkeiten verspricht, die angenehmste. Das ist nicht eine Regel, die Ausnahmen zuläßt, sondern ein Gesetz, und hierin beruht die Abhängigkeit des menschlichen Willens” Schneider p. 75

!! Aber der Trieb selber rief erst diese Vorstellung hervor!—sage ich.

Also: die Triebe entscheiden über die Verwendung der aufgehäuften Kraft, nicht darüber, daß überhaupt gehandelt wird. Das wie? ist Sache der Triebe.

Also: wenn der Trieb ins Bewußtsein tritt, so verspricht er Lust. Die versprochene Lust als Ursache der Handlung?— Nicht des Handelns überhaupt, sondern nur der bestimmten Richtung des Handelnden! So auch Stendhal.

Also: wo Vorstellungen zur Aktion führen, da muß der Mensch der Vorstellung folgen, welche am meisten Lust verspricht: der stärkste Trieb entscheidet über die Wahl.

Demnach ist die Moral zu verändern 1) es muß zuerst die Kraftvermehrung ins Auge gefaßt werden 2.) zu zweit die Kraft-Verwendung, das Wie?

Der erste Gesichtspunkt bisher übersehen. [Vgl. Georg Heinrich Schneider, Der thierische Wille: systematische Darstellung und Erklärung der thierischen Triebe und deren Entstehung, Entwickelung und Verbreitung im Thierreiche als Grundlage zu einer vergleichenden Willenslehre. Leipzig: Abel, 1880:65-75.]

7 [240]

Erste Thatsache: die Gesellschaft tödtet, foltert, beraubt der Freiheit, des Vermögens: übt Gewalt durch Beschränkung der Erziehung; durch Schulen; lügt, trügt, stellt nach (als Polizei)—alles dies kann also nicht an sich als schlecht gelten.— Sie will ihre Erhaltung und Förderung—das ist kein heiliger Zweck: sie kämpft darum gegen andere Gesellschaften.— Also um des Nutzens willen geschieht dies Alles. Aber toll! Gerade diese Handlungen sollen mit besonderer Würde und Ehrerbietung angesehen werden: als “Recht,” Sittlichkeit, Erhaltung und Pflege des Guten. Daß hier Vieler Nutzen über den Weniger gesetzt wird, das hätte nur Sinn bei der Voraussetzung, daß der Einzelne nicht mehr Werth haben könne als die ganze Gesellschaft! Von vornherein ist aber hier die Absicht, solche Einzelne gar nicht entstehen zu machen: das Bild des Menschen ist schon da, welches man als Maaßstab für die Erhaltung des gemeinen Nutzens nimmt. Die Voraussetzung der Gesellschaft muß sein, daß sie den höchsten Typus “Mensch” repräsentire und daraus ihr Recht ableitet, alles ihr Feindliche als das an sich Feindliche zu bekämpfen.— Ohne diesen Glauben an sich ist die Gesellschaft “unmoralisch” in jedem Sinne. Im Glauben aber bestimmt sie erst, was moralisch sein soll,—so hat es Sinn!

7 [241]

(Zweck heiligt das Mittel.)

Es giebt Handlungen, die wir niemals uns erlauben werden, auch nicht als Mittel zum höchsten Zweck z.B. Verrath eines Freundes.

Lieber zu Grunde gehen und einiges Vertrauen haben, daß es günstigere Lagen giebt, unseren höchsten Zweck durchzuführen.— Nun aber was ist denn das für ein höchster Zweck, eine Gemeinde, einen Staat zu erhalten! Die Handlung eines Menschen, der den Staat opfert, um nicht Verräther an seinem Ideal zu sein, kann die höchste Leistung sein, derentwegen die ganze Existenz dieses Staates erst für die Nachwelt in Betracht kommt!

7 [242]

Voraussetzung des bisherigen Staates: “der Mensch soll sich nicht entwickeln, das Maaß ist da!” Die katholische Kirche (die älteste aller Staatsformen in Europa) repräsentirt den alten Staat jetzt am besten!

7 [243]

Zum Handel gehört Patriziat: also ein Gegengewicht.

7 [244]

Beseitigung der parasitischen Menschen ist Sinn der Strafe.

Vögel, welche einem Büffel die Parasiten abwehren, davon leben,—dankbar dadurch, daß sie ihm die Ankunft eines Feindes anzeigen.— Bedeutung der Polizei. Espinas p. 159. [Vgl. Alfred Victor Espinas, Die thierischen Gesellschaften: eine vergleichend-psychologische Untersuchung [De sociétés animales]. Nach der vielfach erw. 2. Aufl. unter Mitw. des Verf. deutsch hrsg. von W. Schloesser. Braunschweig: Vieweg, 1879:159.]

7 [245]

Ohne Unterlaß beschäftigt auf einander zu hören und zu achten und dabei das Gefühl der Sicherheit— p 162. [Vgl. Alfred Victor Espinas, Die thierischen Gesellschaften: eine vergleichend-psychologische Untersuchung [De sociétés animales]. Nach der vielfach erw. 2. Aufl. unter Mitw. des Verf. deutsch hrsg. von W. Schloesser. Braunschweig: Vieweg, 1879:162.]

7 [246]

Zuneigung die Folge eines dringenden Bedürfnisses [Vgl. Alfred Victor Espinas, Die thierischen Gesellschaften: eine vergleichend-psychologische Untersuchung [De sociétés animales]. Nach der vielfach erw. 2. Aufl. unter Mitw. des Verf. deutsch hrsg. von W. Schloesser. Braunschweig: Vieweg, 1879:162.]

7 [247]

Strafen auf den Krieg zurückzuführen in ihrer Art und Wesen oder auf Opferkulte (Menschenopfer)

In einem Fall ist Rückkehr zum Vor-Gemeindezustand, im anderen die Verhöhnung der Götter der Grundgedanke der Strafe. Post I, 201 [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:201.]

Eine Strafe, welche Unfreie trifft, wird dadurch entehrend z. B. Prügelst[rafe]. Die, welche Freie trifft, wird dadurch lange geadelt. Post I, 214. [Vgl. Albert Hermann Post, Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend-ethnologischer Basis. Bd. 1. Oldenburg: Schulz, 1880:214.]

7 [248]

“— die einzige direkte Werthschätzung, welche man voraussetzt, ist die des sinnlichen Wohlbefindens, und alles Andere glaubt man bloß durch Anknüpfung an diesen direkten Willen indirekt zur Effektivität zu bringen. Befolgung des Rechtes, der Moral, der Religion soll durch Hinweis auf diesseitige oder jenseitige Wohlfahrt hervorgelockt werden” Baumann p. 32. [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:32.]

Allgemeiner Glaube an den Werth des sinnlichen Wohlbefindens: alles Handeln soll ein Weg und Umweg dahin sein.

7 [249]

Die Verbote der Gesetze haben nur Sinn, wenn es überflüssig ist, etwas auf diesem Wege, der verboten ist zu erreichen: also wenn es einen anderen Weg giebt,—d. h. zu allen Verboten gehören ganz bestimmte Versprechungen und Gewährungen.

7 [250]

Das Schwergewicht verschiebt sich im Wort, im Gebrauch, im Respekt —

7 [251]

“das Wohl Aller mit Ausschluß des eigenen.” Hartmann p 605 erbärmliche Hypokrisie! [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:605.]

7 [252]

Daß zwischen einem Schurken und einem Ehrenmanne der Unterschied nicht nur in ein paar verschieden gedrillten Gehirnbewegungen besteht —

7 [253]

Charakter-Stärke. Sehr viel Reize annehmen und sie tief wirken lassen, sehr viel sich bei Seite ziehen zu lassen, fast bis zum Verlieren, sehr viel leiden und—trotzdem seine Gesammtrichtung durchsetzen.

Die gewöhnlichen Charakter-Starken sind kalt, flach und ohne Mitempfindung: sie nehmen auch keinen Menschen in Besitz. Plastische Kraft.

7 [254]

Unsere Willkür ist da am größten, wo unsere Übung und unsere spontane Kraft am größten ist: es ist die schnellste Folgsamkeit und Gewandtheit des Gehorchenden (freier Wille am stärksten empfunden, wo wir am schöpferisch-unbedingtesten sind) Baumann p. 18. [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:18.]

7 [255]

Ein Sentenzen- und Citaten-Buch
ein Anekdoten-Buch.
Ein Thatsachen-Buch.
Scherze.

7 [256]

Egoismus ist kein Princip, sondern die Eine Thatsache.

7 [257]

Vom Zwecke aus gesehen ist bei jeder Handlung so viel verschwendet wie bei der Sonnenhitze, die in das Weltall strahlt.

7 [258]

Das Individuum als Frucht des Gemeinwesens, nicht immer als Mittel.

7 [259]

Jeder Zustand erlaubt eine Betrachtung, als ob er Zweck gewesen sei, oder als Mittel oder als Irrweg beim Experiment.

7 [260]

Befriedigung des Triebes ist nicht im Resultat der Thätigkeit, sondern im Thun zu suchen.

Glück wäre das Gleichgewicht der auslösenden Thätigkeiten aller Triebe.

7 [261]

Experiment als wirklicher Charakter unseres Lebens und jeder Moral: etwas Willkürliches muß daran sein!

7 [262]

Ursprung des Christenthums unter Armen-Vereinen. Baumann p. 22 göttliche Hülfe und gegenseitige Unterstützung. [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:22.]

7 [263]

Die Vorstellung eines freudigen nützlichen Resultats der Handlung wirkt freudig, anregend, das Blut strömt lebhafter. Insofern hat der Zweck einer Thätigkeit noch eine anregende, lusterregende Kraft während des Handelns.



Also: die Thätigkeit des Triebes ist mit Lust verknüpft. Das Ziel der Thätigkeit wird vorgestellt und wirkt ebenfalls Lust, auch Vermehrung der Thätigkeit (das Ziel ist die Thätigkeit eines anderen Triebes). Aber der Trieb selber will nicht ein Resultat seines Thuns. Unser Verstandes-Trieb freilich hat im Setzen des Zwecks seine Lust—das ist seine Thätigkeit; ebenfalls in dem Ausdenken der Mittel—logische Lust in allem Handeln.



In jeder Handlung sind viele Triebe thätig.

Mindestens

1) der im Thun sich befriedigt
2) der im Setzen von Zweck und Mittel sich befriedigt
3) der im Vorwegnehmen des Erfolgs sich befriedigt.

Der Trieb befriedigt sich d.h. er ist thätig, indem er sich der Reize bemächtigt und sie umbildet. Um sich ihrer zu bemächtigen, muß er kämpfen: d. h. einen anderen Trieb zurückhalten, dämpfen. In Wahrheit besteht er immer als Thätiger: aber seine Ernährung bringt größere Kraftmengen mit sich, so daß auch seine Kraftleistung verschieden sein muß. Der Trieb selber ist aber nichts Anderes als ein bestimmtes Thätig sein: eine Personification.

7 [264]

Wirkung von Lohn und Strafe p. 31 Baumann. [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:31.]

7 [265]

Der Reiz ist an sich weder Lust noch Unlust, wohl aber kann er von Lust oder Unlust begleitet sein ein Mittleres das nicht Lust und nicht Unlust wäre kann es nicht geben!—was “nicht Lust” ist ist dann eben nicht Lust!

7 [266]

Wille als das Gestaltende?

7 [267]

Befriedigung: das Wort setzt Unfrieden voraus und erweckt ein Vorurtheil.

7 [268]

1.Unschuld des Werdens: ohne Zweck.
2.Handlung, Trieb, Lust, freier Wille.
der Haushalt unsrer Triebe geht einstweilen weit über unsre Einsicht.
die wesentlich fehlerhafte Selbstbeobachtung bei allen Handelnden ist in die Moral übergegangen.
3.Der Typus der Moral unter Mächtigen.
4.Der Typus der Moral unter Unfreien.
5.Das individuum und die Gemeinde.
“Individuum als Resultat.” Collektiv-Gewissen.
6.Strafe, Rache, die Verantwortlichkeit.
(Zweck heiligt Mittel)
7.Die zwei Bewegungen in der Zukunft.
Moral als Zeichen-Sprache des Leibes.
8.Die Aneignung der Geschichte unter der Leitung der Reize und der Triebe—es giebt keine “objektive Historie.”
9.Böse eine Vorstufe des Guten: das Schöpferische und Schaffende: die neue Werthschätzung und ihre Geschichte. Die organische Funktion des Bösen. (Die Menschheit als Kraftmasse, welche wächst und sich ausgeben muß)
10.“Das Leben für Andere” und das “Unegoistische”
Hartmann, p. 593
[Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:593.]

7 [269]

Viel weniger Absicht in unseren Thaten als wir vorgeben (Eitelkeit in der Annahme von Zwecken!). Emerson, p. 99. [Vgl. Ralph Waldo Emerson, Versuche (Essays), aus dem Englischen von G. Fabricius. Hannover: Carl Meyer, 1858:99.]

7 [270]

Die Zukunft der Menschlichkeit nicht jener zärtliche Begriff. Dagegen p. 599. [Vgl. Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik Berlin: C. Duncker's Verlag (C. Heymons), 1879:599.]

7 [271]

Mit einem “um zu” bringt man die Handlung um ihren Werth.

7 [272]

“Gut” “schlecht” entspricht Zuständen des Urtheilenden.

7 [273]

Das Individuum als Vielheit.

7 [274]

Ausgang: die Leugnung der moralischen Bedeutsamkeit—Geburt der Tragödie.

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