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Juni-Juli 1885 36 [1-60]

36 [1]

Gai saber.
Vorspiel zu einer Philosophie der Zukunft.
Von
Friedrich Nietzsche.

Anhang

Die moderne Seele.

Versuch einer Aufklärung über Heute und Morgen.

36 [2]

Niemals ist lebendigen Geschöpfen mehr zugemutet worden, als bei der Entstehung des Festlandes: da mußten sie, gewöhnt und eingerichtet für das Leben im Meere, ihren Leib und ihre Sitten umdrehen und umstülpen und in Allem etwas Anderes thun als sie bis dahin geübt waren—es hat bisher auf Erden keine merkwürdigere Veränderung gegeben.— Wie nun damals, durch Einstürze, durch ein langsames Zusammenbrechen der Erde das Meer sich in die Brüche Höhlen und Gruben senkte und Tiefe bekam: so möchte das, was jetzt unter Menschen geschieht, im Gleichniß zu reden, vielleicht das gerade Gegenstück dazu abgeben: nämlich ein Ganz- und Rundwerden des Menschen, ein Verschwinden der Brüche Höhlen und Gruben und folglich auch—ein Verschwinden des festen Landes. Für einen Menschen, den meine Denkweise rund und ganz gemacht hat, “ist Alles im Meere,” ist das Meer überall: aber das Meer selber hat an Tiefe verloren.— Doch ich war auf dem Wege zu einem ganz anderen Gleichnisse und habe mich nur verlaufen! Ich wollte sagen: ich bin gleich Jedermann als Landthier geboren—und nun muß ich trotzdem Meer-Thier sein!

36 [3]

Deutschland, welches reich ist an geschickten und wohlunterrichteten Gelehrten, ermangelt in einem solchen Maaße seit langer Zeit der großen Seelen, der mächtigen Geister, daß es verlernt zu haben scheint, was eine große Seele, was ein mächtiger Geist ist: und heutzutage stellen sich, beinahe mit gutem Gewissen, und aller Verlegenheit bar, mittelmäßige und dazu noch dazu übel gerathene Menschen an den Markt und preisen sich selber als große Männer, Reformatoren an; wie es zum Beispiel Eugen Dühring thut, ein geschickter und wohlunterrichteter Gelehrter, der aber doch fast mit jedem Worte verräth, daß er eine kleinliche Seele herbergt und durch enge neidische Gefühle zerquetscht wird; auch daß nicht ein mächtiger, überschäumender, wohlthätig-verschwenderischer Geist ihn treibt—sondern der Ehrgeiz! In diesem Zeitalter aber nach Ehren zu geizen, ist eines Philosophen noch viel unwürdiger als in irgend einem früheren Zeitalter: jetzt wo der Pöbel herrscht, wo der Pöbel die Ehren vergiebt!

36 [4]

Wenn der Philosoph sich unter die homines bonae voluntatis begiebt, unter die Gutmüthigen, Mitleidigen, Sanften, Alltäglichen, so geschieht ihm, wie wenn er in eine feuchte Luft und unter einen bedeckten Himmel gerathen sei: eine kurze Zeit thut es ihm wohl, er fühlt sich gleichsam erleichtert; giebt er aber gut Acht, so merkt er, wie er selber in dieser falschen Umgebung bequem und nachlässig wird; auch eitel—vor Allem aber schwermüthig. Um schnell zu lernen, wie schwach und gering dieses gutmüthige Zeug von Menschen beschaffen ist, mit allem ihrem gefälligen Anschein, mag er ihre Eitelkeit reizen und verwunden, er bringe sie so weit, daß sie schimpfen: da wird sich schnellstens die “Untiefe” dieser Gewässer verrathen, und wohl auch, was unter aller dieser artigen leichten blauen Oberfläche für Sand und Unflath oder für Anmaaßlichkeit verborgen liegt.

36 [5]

Die Frauen in Europa, ganz abgesehn von ihrem eigentlichen Geschäfte (“Kinder zu legen”) sind zu vielen guten Dingen nütze. Mit Wienerinnen ist es angenehm zu tanzen. Mit einer Französin kann man causer, mit einer Italiänerin poser, mit einer Deutschen—oser. Unter den Jüdinnen giebt es allerliebste Schwätzel-Weiber: das Muster davon, ganz in Goethesche Spitzen und Selbstgefälligkeiten gewickelt, war die Rahel. Eine Russin hat gewöhnlich etwas erlebt, bisweilen Etwas gedacht. Engländerinnen wissen auf die weiblichste und himmlischeste Weise zu erröthen, beinahe ohne Grund, gleich den Engeln: kurz, man kommt nicht zu Ende, wenn man die Nützlichkeit des Weibes—etwas, woran alle Welt glaubt—erst noch nach dem V[orbilde] der e[nglischen] U[tilitarians] steif und standhaft beweisen wollte.

36 [6]

Gai saber.
Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.

An den Mistral. Ein Tanzlied.

ITheil. 1. “Ohne ein leidenschaftliches Vergnügen
   Schluß. “Und wißt ihr auch, was mir ‘die Welt’ ist? —
IITheil.  
   Schluß. “Als ich sehr jung war, Dionysos.
IIITheil. Von der Zukunft der Künste.
IVTheil. Der Spiegel.
VTheil. Unter freien Geistern.

36 [7]

MeinMitleid.”— Dies ist ein Gefühl, für das mir kein Name genügt: ich empfinde es, wo ich eine Verschwendung kostbarer Fähigkeiten sehe, zum Beispiel beim Anblicke Luthers: welche Kraft und was für abgeschmackte Hinterwäldler-Probleme (zu einer Zeit, wo in Frankreich schon die tapfere und frohmüthige Scepsis eines Montaigne möglich war!) Oder wo ich, durch die Einwirkung eines Blödsinns von Zufälligkeit, Jemanden hinter dem zurückbleiben sehe, was aus ihm hätte werden können. Oder gar bei einem Gedanken an das Loos der Menschheit, wie wenn ich, mit Angst und Verachtung, der europäischen Politik von heute einmal zuschaue, welche, unter allen Umständen, auch an dem Gewebe aller Menschen-Zukunft arbeitet. Ja, was könnte aus “dem Menschen” werden, wenn— —! Dies ist eine Art “Mitleid”; ob es schon keinen Leidenden giebt, mit dem ich da litte.

36 [8]

Moralia

Wie von Alters her der Mensch in tiefer Unbekanntschaft mit seinem Leibe lebt und an einigen Formeln genug hat, sich über sein Befinden mitzutheilen, so steht es mit den Urtheilen über den Werth von Menschen und Handlungen: man hält bei sich selber an einigen äußerlichen und nebensächlichen Zeichen fest und hat kein Gefühl davon, wie tief unbekannt und fremd wir uns selber sind. Und was das Urtheil über Andre anlangt: wie schnell und “sicher” urtheilt da noch der Vorsichtigste und Billigste!

36 [9]

Moralia.

Es bedarf eines sparsamen Nachdenkens, um dahinter zu kommen, daß es nichts “Gutes an sich” giebt—daß etwas Gutes nur als “gut wofür” gedacht werden muß, und daß was in Einer Absicht gut ist, nothwendig zugleich in vieler andrer Absicht “böse und schädlich” sein wird: kurz daß jedwedes Ding, dem wir das Prädikat “gut” beilegen, ebendamit auch als “böse” bezeichnet ist.

36 [10]

Wie lange ist es nun her, daß ich bei mir selber bemüht bin, die vollkommne Unschuld des Werdens zu beweisen! Und welche seltsamen Wege bin ich dabei schon gegangen! Ein Mal schien mir dies die richtige Lösung, daß ich dekretirte: “das Dasein ist, als etwas von der Art eines Kunstwerks, gar nicht unter der juridictio der Moral; vielmehr gehört die Moral selber in’s Reich der Erscheinung.” Ein ander Mal sagte ich: alle Schuld-Begriffe sind objective völlig werthlos, subiective aber ist alles Leben nothwendig ungerecht und alogisch. Ein drittes Mal gewann ich mir die Leugnung aller Zwecke ab und empfand die Unerkennbarkeit der Causal-Verknüpfungen. Und wozu dies Alles? War es nicht, um mir selber das Gefühl völliger Unverantwortlichkeit zu schaffen—mich außerhalb jedes Lobs und Tadels, unabhängig von allem Ehedem und Heute hinzustellen, um auf meine Art meinem Ziele nachzulaufen? — [Vgl. Maximilian Drossbach, Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt. Halle: Pfeffer, 1884:2f.]

36 [11]

Im Grunde ist die Moral gegen die Wissenschaft feindlich gesinnt: schon Sokrates war dies—und zwar deshalb, weil die Wissenschaft Dinge als wichtig nimmt, welche mit “gut” und “böse” nichts zu schaffen haben, folglich dem Gefühl für “gut” und “böse” Gewicht nehmen. Die Moral nämlich will, daß ihr der ganze Mensch und seine gesammte Kraft zu Diensten sei: sie hält es für die Verschwendung eines Solchen, der zum Verschwenden nicht reich genug ist, wenn der Mensch sich ernstlich um Pflanzen und Sterne kümmert. Deshalb gieng in Griechenland, als Sokrates die Krankheit des Moralisirens in die Wissenschaft eingeschleppt hatte, es geschwinde mit der Wissenschaftlichkeit abwärts; eine Höhe, wie die in der Gesinnung eines Democrit, Hippocrates und Thukydides, ist nicht zum zweiten Male erreicht worden.

36 [12]

Mensch im Verkehr

Es ist ein Merkmal eines Mangels vornehmer Gesinnung, wenn Jemand auf der Straße einen Gruß eher erwiedert, als er die Person, welche grüßte, erkannt hat:—Gruß und Art des Grußes sollen ja Auszeichnungen sein—den einzigen Fall ausgenommen, daß ein Fürst (oder der qui range aux souverains) seines Weges geht und gegrüßt wird. Es ist sein Vorrecht, Niemanden kennen zu müssen, aber von Allen gekannt sein zu müssen. Ein Gleichniß.

36 [13]

Der M[ensch] mit sich allein:

Wie verschieden empfindet man das Geschäft und die Arbeit seines Lebens, wenn man damit der Erste in seiner Familie ist oder wenn schon Vater und Großvater in gleicher Weise thätig gewesen sind! In jenem Falle, daß man der Erste ist, hat man viel mehr innere Noth dabei, auch einen viel plötzlicheren Stolz; das gute Gewissen ist mit einer solchen Thätigkeit noch nicht verschwistert, und Etwas daran wird leicht als beliebig, als zufällig empfunden.

36 [14]

Welchen Werth Wagner für den Nicht-Musiker haben mag, auch fürderhin behalten mag, die Frage soll uns für jetzt noch erspart bleiben. Richard Wagner hat ohne allen Zweifel den Deutschen dieses Zeitalters die umfänglichste Ahnung davon gegeben, was ein Künstler sein könnte:—die Ehrfurcht vor dem “dem Künstler” ist plötzlich ins Große gewachsen: überall hat er neue Werthschätzungen, neue Begierden, neue Hoffnungen erweckt; und vielleicht nicht am wenigsten gerade durch das nur ankündigende, unvollständige, unvollkommene Wesen seiner Kunstgebilde. Wer hat nicht von ihm gelernt! Und wenn auch nicht so unmittelbar, wie die Künstler des Vortrags und die Attitüden-Menschen jeder Art, so doch mindestens mittelbar, “bei Gelegenheit von Richard Wagner,” wie man sagen dürfte. Sogar die philosophische Erkenntniß hat keinen geringen Anstoß durch sein Erscheinen bekommen, daran ist nicht zu zweifeln. Es giebt heute eine Menge aesthetischer Probleme, von welchen, vor Richard Wagner, auch die Feinsten noch keinen Geruch hatten,—vor allem das Problem des Schauspielers und sein Verh[ältnis] zu den verschiedenen Künsten, nicht zu reden von psychologischen Problemen, wie sie der Charakter Wagners und die W[agnersche] Kunst in Fülle vorlegt. Freilich: so weit er sich selber in das Reich der Erkenntniß begeben hat, verdient er kein Lob, vielmehr eine unbedingte Zurückweisung; in den Gärten der Wissenschaft nahm er sich immer nur als der unbescheidenste und ungeschickteste Eindringling aus. Das “Philosophiren” Wagner’s gehört zu den unerlaubtesten Arten der Dilettanterei; daß man darüber nicht einmal zu lachen verstanden hat, ist deutsch und gehört zum alten deutschen “Cultus der Unklarheit.” Will man ihm aber durchaus auch noch als einem “Denker” zu Ehren und Statuen verhelfen—der gute Wille und die Unterthänigkeit seiner Anhänger wird das sich nicht ersparen können—wohlan! so empfehle ich, ihn als den Genius der deutschen Unklarheit selber darzustellen, mit einer qualmenden Fackel in der Hand, begeistert und eben über einen Stein stolpernd. Wenn Wagner “denkt,” stolpert er.— Aber uns wird der M[usiker] Wagner angehen.

36 [15]

Hätte die Welt ein Ziel, so müßte es erreicht sein. Gäbe es für sie einen unbeabsichtigten Endzustand, so müßte  er ebenfalls erreicht sein. Wäre sie überhaupt eines Verharrens und Starrwerdens, eines “Seins” fähig, hätte sie nur Einen Augenblick in allem ihrem Werden diese Fähigkeit des “Seins,” so wäre es wiederum mit allem Werden längst zu Ende, also auch mit allem Denken, mit allem “Geiste.” Die Thatsache des “Geistes” als eines Werdens beweist, daß die Welt kein Ziel, keinen Endzustand hat und des Seins unfähig ist.— Die alte Gewohnheit aber, bei allem Geschehen an Ziele und bei der Welt an einen lenkenden schöpferischen Gott zu denken, ist so mächtig, daß der Denker Mühe hat, sich selber die Ziellosigkeit der Welt nicht wieder als Absicht zu denken. Auf diesen Einfall—daß also die Welt absichtlich einem Ziele ausweiche und sogar das Hineingerathen in einen Kreislauf künstlich zu verhüten wisse—müssen alle die verfallen, welche der Welt das Vermögen zur ewigen Neuheit aufdekretiren möchten, das heißt einer endlichen, bestimmten, unveränderlich gleich großen Kraft, wie es “die Welt” ist—die Wunder-Fähigkeit zur unendlichen Neugestaltung, ihrer Formen und Lagen. Die Welt, wenn auch kein Gott mehr, soll doch der göttlichen Schöpferkraft, der unendlichen Verwandlungs-Kraft fähig sein; sie soll es sich willkürlich verwehren, in eine ihrer alten Formen zurückzugerathen, sie soll nicht nur die Absicht, sondern auch die Mittel haben, sich selber vor jeder Wiederholung zu bewahren, sie soll somit in jedem Augenblick jede ihrer Bewegungen auf die Vermeidung von Zielen, Endzuständen, Wiederholungen hin controliren—und was Alles die Folgen einer solchen unverzeihlich-verrückten Denk- und Wunschweise sein mögen. Das ist immer noch die alte religiöse Denk- und Wunschweise, eine Art Sehnsucht zu glauben, daß irgendworin doch die Welt dem alten geliebten, unendlichen, unbegrenzt-schöpferischen Gotte gleich sei—daß irgendworin doch “der alte Gott noch lebe,”—jene Sehnsucht Spinoza’s, die sich in dem Worte “deus sive natura” (er empfand sogar “natura sive deus”—) ausdrückt. Welches ist denn aber der Satz und Glaube, mit welchem sich die entscheidende Wendung, das jetzt erreichte Übergewicht des wissenschaftlichen Geistes über den religiösen götter-erdichtenden Geist, am bestimmtesten formulirt? Heißt er nicht: die Welt, als Kraft, darf nicht unbegrenzt gedacht werden, denn sie kann nicht so gedacht werden—wir verbieten uns den Begriff einer unendlichen Kraft als mit dem BegriffKraftunverträglich. Also—fehlt der Welt auch das Vermögen zur ewigen Neuheit.

36 [16]

Geht es nach meinem Willen: so ist es an der Zeit, der europäischen Moral den Krieg zu erklären, und ebenso allem, was auf ihr gewachsen ist. Man muß diese zeitweilige Völker- und Staaten-Ordnung Europa’s zertrümmern. Die christlich-demokratische Denkweise begünstigt das Heerden-Thier, die Verkleinerung des Menschen, sie schwächt die großen Triebfedern (das Böse—), sie haßt den Zwang, die harte Zucht, die großen Verantwortlichkeiten, die großen Wagnisse. Die Mittelmäßigsten tragen den Preis davon und setzen ihre Werthmaaße durch.

36 [17]

Aber zu wem rede ich dies? Wo sind denn diese “freien Geister”? Giebt es denn ein solches “unter uns”? —

Ich sehe um mich: wer denkt, wer fühlt darin, wie ich? Wer will, was mein verborgenster Wille will? Aber ich fand Niemanden bisher. Vielleicht habe ich nur schlecht gesucht? Vielleicht müssen die, welche an meiner Art neuer Noth und neuem Glück leiden, sich gleichermaßen verbergen, wie ich es thue? Und Masken vornehmen, wie ich es that?— Und folglich schlecht zum Suchen von Ihresgleichen taugen?

Wir neuen Philosophen, wir Versuchenden, denken anders—und wir wollen es nicht beim Denken bewenden lassen. Wir denken freier—vielleicht kommt der Tag, wo man mit Augen sieht, daß wir auch freier handeln. Einstweilen sind wir schwer zu erkennen; man muß uns verwechseln. Sind wir “Freidenker”?

In allen Ländern Europas und ebenso in Nordamerika giebt es jetzt “Freidenker”: gehören sie zu uns? Nein, meine Herren, ihr wollt ungefähr das Gegentheil von dem, was in den Absichten jener Philosophen liegt, welche ich Versucher nenne; diese spüren wenig Versuchung, mit euch lügnerische Artigkeiten auszutauschen. Ja, wenn ihr “Freidenker” nur einen Geruch davon hättet, wovon man sich frei machen kann und wohin man dann getrieben wird! ich meine, ihr würdet zu den wüthendsten Gegnern dessen gehören, was ich meine “Freiheit des Geistes[”] und mein “Jenseits von Gut und Böse” nenne.

Daß ich es nicht mehr nöthig habe, an “Seelen” zu glauben, daß ich die “Persönlichkeit” und ihre angebliche Einheit leugne und in jedem Menschen das Zeug zu sehr verschiedenen “Personae” (und Masken) finde, daß mir der “absolute Geist” und das “reine Erkennen” Fabelwesen bedeuten, hinter denen sich schlecht eine contradictio in adjecto verbirgt—damit bin ich vielleicht auf der gleichen Bahn, wie viele jener “Freidenker,” noch ganz abgesehen von der Leugnung Gottes, mit der auch heute noch einige biedere Engländer vermeinen, eine ungeheure Probe von Freisinnigkeit zu geben. Was mich von ihnen trennt, sind die Werthschätzungen: denn sie gehören allesammt in die demokratische Bewegung und wollen gleiche Rechte für Alle, sie sehen in den Formen der bisherigen alten Gesellschaft die Ursachen für die menschlichen Mängel und Entartungen, sie begeistern sich für das Zerbrechen dieser Formen: und einstweilen dünkt ihnen das Menschlichste, was sie thun können, allen Menschen zu ihrem Grad geistiger “Freiheit” zu verhelfen. Kurz und schlimm, sie gehören zu den “Nivellirern,”—zu jener Art Menschen, die mir in jedem Betracht gröblich wider den Geschmack und noch mehr wider die Vernunft geht: Ich will, auch in Dingen des Geistes, Krieg und Gegensätze; und mehr Krieg als je, mehr G[egensätze] als je; ich würde den härtesten Despotismus (als Schule für die Geschmeidigkeit des Geistes) noch eher gutheißen als die feuchte laue Luft eines “preßfreien” Zeitalters, in dem aller Geist bequem und dumm wird und die Glieder streckt. Ich bin darin auch heute noch, was ich war—“unzeitgemäß.”

Wir neuen Philosophen aber: wir beginnen nicht nur mit der Darstellung der thatsächlichen Rangordnung und Werth-Verschiedenheit der Menschen, sondern wir wollen auch gerade das Gegentheil einer Anähnlichung, einer Ausgleichung: wir lehren die Entfremdung in jedem Sinne, wir reißen Klüfte auf, wie es noch keine gegeben hat, wir wollen, daß der Mensch böser werde als er je war. Einstweilen leben wir noch selber einander fremd und verborgen. Es wird uns aus vielen Gründen nöthig sein, Einsiedler zu sein und selbst Masken vorzunehmen,—wir werden folglich schlecht zum Suchen von unsresgleichen taugen. Wir werden allein leben und wahrscheinlich die Martern aller sieben Einsamkeiten kennen. Laufen wir uns aber über den Weg, durch einen Zufall, so ist darauf zu wetten, daß wir uns verkennen oder wechselseitig betrügen.

36 [18]

Ich hüte mich, von chemischen “Gesetzen” zu sprechen: das hat einen moralischen Beigeschmack. Es handelt sich vielmehr um eine absolute Feststellung von Machtverhältnissen: das Stärkere wird über das Schwächere Herr, so weit dies eben seinen Grad von Selbständigkeit nicht durchsetzen kann,—hier giebt es kein Erbarmen, keine Schonung, noch weniger eine Achtung vor “Gesetzen”!

36 [19]

Es ist unwahrscheinlich, daß unser “Erkennen” weiter reichen sollte als es knapp zur Erhaltung des Lebens ausreicht. Die Morphologie zeigt uns, wie die Sinne und die Nerven, sowie das Gehirn sich entwickeln im Verhältniß zur Schwierigkeit der Ernährung.

36 [20]

Auch im Reiche des Unorganischen kommt für ein Kraftatom nur seine Nachbarschaft in Betracht: die Kräfte in der Ferne gleichen sich aus. Hier steckt der Kern des Perspectivischen, und warum ein lebendiges Wesen durch und durch “egoistisch” ist.

36 [21]

[Vgl. William Henry Rolph, Biologische Probleme: zugleich als Versuch zur Entwicklung einer rationellen Ethik. Leipzig: Engelmann, 1884:122-29. Vgl. Maximilian Drossbach, Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt. Halle: Pfeffer, 1884:47.]

Das Schwächere drängt sich zum Stärkeren, aus Nahrungsnoth; es will unterschlüpfen, mit ihm womöglich Eins werden. Der Stärkere wehrt umgekehrt ab von sich, er will nicht in dieser Weise zu Grunde gehen; vielmehr, im Wachsen, spaltet er sich zu Zweien und Mehreren. Je größer der Drang ist zur Einheit, um so mehr darf man auf Schwäche schließen; je mehr der Drang nach Varietät, Differenz, innerlichem Zerfall, um so mehr Kraft ist da.

Der Trieb, sich anzunähern—und der Trieb, etwas zurückzustoßen, sind in der unorganischen wie organischen Welt das Band. Die ganze Scheidung ist ein Vorurtheil.

Der Wille zur Macht in jeder Kraft-Combination, sich wehrend gegen das Stärkere, losstürzend auf das Schwächere ist richtiger. NB. Die Prozesse alsWesen.”

36 [22]

Die Verbindung des Unorganischen und Organischen muß in der abstoßenden Kraft liegen, welche jedes Kraftatom ausübt. Leben wäre zu definiren als eine dauernde Form von Prozeß der Kraftfeststellungen, wo die verschiedenen Kämpfenden ihrerseits ungleich wachsen. In wie fern auch im Gehorchen ein Widerstreben liegt; es ist die Eigenmacht durchaus nicht aufgegeben. Ebenso ist im Befehlen ein Zugestehen, daß die absolute Macht des Gegners nicht besiegt ist, nicht einverleibt, aufgelöst. “Gehorchen” wie “Befehlen” sind Formen des Kampfspiels.

36 [23]

Die fortwährenden Übergänge erlauben nicht, von “Individuum” usw. zu reden; die “Zahl” der Wesen ist selber im Fluß. Wir würden nicht von Zeit reden und nichts von Bewegung wissen, wenn wir nicht, in grober Weise, “Ruhendes” neben “Bewegtem” zu sehen glaubten. Ebenso wenig von Ursache und Wirkung, und ohne die irrthümliche Conception des “leeren Raumes” wären wir gar nicht zur Conception des Raums gekommen. Der Satz von der Identität hat als Hintergrund den “Augenschein,” daß es gleiche Dinge giebt. Eine werdende Welt könnte im strengen Sinne nicht “begriffen,” nicht “erkannt” werden: nur insofern der “begreifende” und “erkennende” Intellekt eine schon geschaffene grobe Welt vorfindet, gezimmert aus lauter Scheinbarkeiten, aber fest geworden, insofern diese Art Schein das Leben erhalten hat—nur insofern giebt es etwas wie “Erkenntniß”: d. h. ein Messen der früheren und der jüngeren Irrthümer an einander.

36 [24]

Die Sonne: ihre Bewegungen sind Resultanten 1) vom Triebe, auf die Planeten los zu stürzen 2) dies bringt eine Annäherung an Alle hervor 3) sich wehrend gegen eine stärkere Sonne

36 [25]

Ich glaube an den absoluten Raum, als Substrat der Kraft: diese begrenzt und gestaltet. Die Zeit ewig. Aber an sich giebt es nicht Raum, noch Zeit: “Veränderungen” sind nur Erscheinungen (oder Sinnes-Vorgänge für uns); wenn wir zwischen diesen noch so regelmäßige Wiederkehr ansetzen, so ist damit nichts begründet als eben diese Thatsache, daß es immer so geschehen ist. Das Gefühl, daß das post hoc ein propter hoc ist, ist leicht als Mißverständniß abzuleiten; es ist begreiflich. Aber Erscheinungen können nicht “Ursachen” sein! [Vgl. Maximilian Drossbach, Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt. Halle: Pfeffer, 1884:IIIf.]

36 [26]

“Subjekt” “Objekt” “Prädikat”—diese Trennungen sind gemacht und werden jetzt wie Schemata übergestülpt über alle anscheinenden Thatsachen. Die falsche Grundbeobachtung ist, daß ich glaube, ich bin’s, der etwas thut, der etwas leidet, der etwas “hat,” der eine Eigenschaft “hat.” Dies “thun” “leiden” “haben” — — —

36 [27]

Die Philosophie, so wie ich sie allein noch gelten lasse, als die allgemeinste Form der Historie, als Versuch das Heraklitische Werden irgendwie zu beschreiben und in Zeichen abzukürzen (in eine Art von scheinbarem Sein gleichsam zu übersetzen und zu mumisiren)

36 [28]

Daß “Vererbung,” als etwas ganz Unerklärtes, nicht zur Erklärung benutzt werden kann, sondern nur zur Bezeichnung, Fixirung eines Problems. Eben das gilt vom “Anpassungs-Vermögen.” Thatsächlich ist durch die morphologische Darstellung, gesetzt sie wäre vollendet, nichts erklärt, aber ein ungeheurer Thatbestand beschrieben. Wie ein Organ benutzt werden kann zu irgend einem Zwecke, das ist nicht erklärt. Es wäre mit der Annahme von causae finales, so wenig wie mit causae efficientes in diesen Dingen erklärt. Der Begriff “causa” ist nur ein Ausdrucksmittel, nicht mehr, ein Mittel zur Bezeichnung.

36 [29]

Es giebt Analogien, z. B. zu unserem Gedächtniß ein anderes Gedächtniß, welches sich in Vererbung und Entwicklung in Formen bemerkbar macht. Zu unserem Erfinden und Experimentiren ein Erfinden in der Verwendung von Werkzeugen zu neuen Zwecken usw. Das, was wir unser Bewußtsein nennen, ist an allen wesentlichen Vorgängen unserer Erhaltung und unseres Wachsthums unschuldig; und kein Kopf wäre so fein, daß er mehr construiren könnte als eine Maschine,—worüber jeder organische Prozeß weit hinaus ist.

36 [30]

Man ist unbillig gegen Descartes, wenn man seine Berufung auf Gottes Glaubwürdigkeit leichtfertig nennt. In der That, nur bei der Annahme eines moralisch uns gleichartigen Gottes ist von vornherein die “Wahrheit” und das Suchen der Wahrheit etwas, was Erfolg verspricht und Sinn hat. Diesen Gott bei Seite gelassen, ist die Frage erlaubt, ob betrogen zu werden nicht zu den Bedingungen des Lebens gehört.

36 [31]

Der siegreiche Begriff “Kraft,” mit dem unsere Physiker Gott aus der Welt geschafft haben, bedarf noch einer Ergänzung: es muß ihm eine innere Welt zugesprochen werden, welche ich bezeichne als “Willen zur Macht,” d. h. als unersättliches Verlangen nach Bezeigung der Macht; oder Verwendung, Ausübung der Macht, als schöpferischen Trieb usw. Die Physiker werden die “Wirkung in die Ferne” aus ihren Principien nicht los: ebensowenig eine abstoßende Kraft (oder anziehende) Es hilft nichts: man muß alle Bewegungen, alle “Erscheinungen,” alle “Gesetze” nur als Symptome eines innerlichen Geschehens fassen und sich der Analogie des Menschen zu Ende bedienen. [Vgl. Otto Liebmann, Gedanken und Thatsachen: philosophische Abhandlungen, Aphorismen und Studien. H. 1: Die Arten der Nothwendigkeit.— Die mechanische Naturerklärung.— Idee und Entelechie. Straßburg: Trübner, 1882:66, 85.] Am Thier ist es möglich, aus dem Willen zur Macht alle seine Triebe abzuleiten: ebenso alle Funktionen des organischen Lebens aus dieser Einen Quelle. [Vgl. Maximilian Drossbach, Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt. Halle: Pfeffer, 1884:93f.]

36 [32]

Leibnitz ist gefährlich, als ein rechter Deutscher, der Vordergründe und Vordergrunds-Philosophien nöthig hat, verwegen und geheimnißvoll in sich bis zum Äußersten, aber ohne Vornehmheit

Spinoza ist tiefer umfänglicher höhlenverborgener als Cartesius: Pascal wiederum tiefer als Spinoza. Gegen solche Einsiedler des Geistes und Gewissens gerechnet sind Hume und Locke Menschen der Oberfläche; — — —

36 [33]

Zur Kritik der deutschen Seele.

36 [34]

Von den Welt-Ausdeutungen, welche bisher versucht worden sind, scheint heutzutage die mechanistische siegreich im Vordergrund zu stehen: ersichtlich hat sie das gute Gewissen auf ihrer Seite; und keine Wissenschaft glaubt bei sich selber an einen Fortschritt und Erfolg, es sei denn, wenn er mit Hülfe mechanistischer Prozeduren errungen ist. Jedermann kennt diese Prozeduren: man läßt die “Vernunft” und die “Zwecke,” so gut es gehen will, aus dem Spiele, man zeigt, daß, bei gehöriger Zeitdauer, Alles aus Allem werden kann, man verbirgt ein schadenfrohes Schmunzeln nicht, wenn wieder einmal die “anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale” einer Pflanze oder eines Eidotters auf Druck und Stoß zurückgeführt ist: kurz, man huldigt von ganzem Herzen, wenn in einer so ernsten Angelegenheit ein scherzhafter Ausdruck erlaubt ist, dem Principe der größtmöglichen Dummheit. Inzwischen giebt sich gerade bei den ausgesuchten Geistern, welche in dieser Bewegung stehen, ein Vorgefühl, eine Beängstigung zu erkennen, wie als ob die Theorie ein Loch habe, welches über kurz oder lang zu ihrem letzten Loche werden könne: ich meine zu jenem, aus dem man pfeift, wenn man in höchsten Nöthen ist. Man kann Druck und Stoß selber nicht “erklären,” man wird die actio in distans nicht los:—man hat den Glauben an das Erklären-können selber verloren und giebt mit sauertöpfischer Miene zu, daß Beschreiben und nicht Erklären, daß die dynamische Welt-Auslegung, mit ihrer Leugnung des “leeren Raumes,” der Klümpchen-Atome, in Kurzem über die Physiker Gewalt haben wird: wobei man freilich zur Dynamis noch eine innere Qualität — — —

36 [35]

Am Leitfaden des Leibes.—

Gesetzt, daß “die Seele” ein anziehender und geheimnißvoller Gedanke war, von dem sich die Philosophen mit Recht nur widerstrebend getrennt haben—vielleicht ist das, was sie nunmehr dagegen einzutauschen lernen, noch anziehender, noch geheimnißvoller. Der menschliche Leib, an dem die ganze fernste und nächste Vergangenheit alles organischen Werdens wieder lebendig und leibhaft wird, durch den hindurch, über den hinweg und hinaus ein ungeheurer unhörbarer Strom zu fließen scheint: der Leib ist ein erstaunlicherer Gedanke als die alte “Seele.”

36 [36]

Es ist zu allen Zeiten besser an den Leib als an unser gewissestes Sein, kurz als ego geglaubt worden als an den Geist (oder die “Seele” oder “das Subjekt,” wie die Schulsprache jetzt statt Seele sagt). Niemand kam je auf den Einfall, seinen Magen als einen fremden etwa einen göttlichen Magen zu verstehen: aber seine Gedanken als “eingegeben,” seine Werthschätzungen als “von einem Gott eingeblasen,” seine Instinkte als Thätigkeit von Dämonen zu fassen: für diesen Hang und Geschmack des Menschen giebt es aus allen Altern der Menschheit Zeugnisse. Noch jetzt ist, namentlich unter Künstlern, eine Art Verwunderung und ehrerbietiges Aushängen der Entscheidung reichlich vorzufinden, wenn sich ihnen die Frage vorlegt, wodurch ihnen der beste Wurf gelungen und aus welcher Welt ihnen der schöpferische Gedanke gekommen ist: sie haben, wenn sie dergestalt fragen, etwas wie Unschuld und kindliche Scham dabei, sie wagen es kaum zu sagen “das kam von mir, das war meine Hand, die die Würfel warf.”— Umgekehrt haben selbst jene Philosophen und Religiösen, welche den zwingendsten Grund in ihrer Logik und Frömmigkeit hatten, ihr Leibliches als Täuschung, und zwar als überwundene und abgethane Täuschung zu nehmen, nicht umhin gekonnt, die dumme Thatsächichkeit anzuerkennen, daß der Leib nicht davon gegangen ist: worüber das seltsamste Zeugniß theils bei Paulus, theils in der Vedanta-Philosophie zu finden sind.

Aber was bedeutet zuletzt Stärke des Glaubens! Deshalb könnte es immer noch ein sehr dummer Glaube sein!— Hier ist nachzudenken: —

Und zuletzt, wenn der Glaube an den Leib nur die Folge eines Schlusses ist: gesetzt, es wäre ein falscher Schluß, wie die Idealisten behaupten: ist es nicht ein Fragezeichen an der Glaubwürdigkeit des Geistes selber, daß er dergestalt die Ursache falscher Schlüsse ist? Gesetzt, die Vielheit, und Raum und Zeit und Bewegung (und was alles die Voraussetzungen eines Glaubens an Leiblichkeit sein mögen) wären Irrthümer, welches Mißtrauen wird gegen den Geist das erregen, was uns zu solchen Voraussetzungen veranlaßt hat! Genug, der Glaube an den Leib ist einstweilen immer noch ein stärkerer Glaube als der Glaube an den Geist; und wer ihn untergraben will, untergräbt eben damit am gründlichsten auch den Glauben an die Autorität des Geistes!

36 [37]

Menschliches Allzumenschliches: mit diesem Titel ist der Wille zu einer großen Loslösung angedeutet, der Versuch eines Einzelnen, sich von jeglichem Vorurtheilen welches zu Gunsten des Menschen redet loszumachen und alle Wege zu gehn, welche hoch genug führen, um, für einen Augenblick, wenigstens, auf den Menschen hinab zu sehen. Nicht das Verächtliche am Menschen zu verachten, sondern bis in die letzten Gründe hinein zu fragen, ob nicht selbst noch im Höchsten und Besten und an Allem, worauf der bisherige Mensch stolz war, ob nicht [an] dieser Stolze selber und der harmlose oberflächliche Zuversichtlichkeit seiner Werthschätzungen etwas zu verachten bleibt: diese nicht unbedenkliche Aufgabe war Ein Mittel unter allen den Mitteln, zu denen eine größere, eine umfängliche Aufgabe mich gezwungen hat. Will Jemand mit mir diese Wege gehn? Ich rathe Niemandem dazu.— Aber ihr wollt es? So gehn wir denn.

36 [38]

Goethe ist eine Ausnahme: er lebte unter Deutschen auf feine Weise verschanzt und verkleidet; Schiller gehört zu jenen Deutschen, welche die großen glänzenden Worte und Prunk-Gebärden der Tugend liebten (—selbst sein Geschmack an der Kantischen Moral und ihrem unbedingten Commando-Tone gehört hierhin—) Es thut den Deutschen wehe, sich einzugestehen, wie sehr sie die Deutschen Kotzebues gewesen sind (und zu einem guten Theile noch nicht—); und jener lebensgefährliche Schwärmer Sand nahm vielleicht seine Rache nur an der falschen Stelle, wie es so oft geschieht.

Jansen.

36 [39]

Wenn irgend etwas den jetzigen Deutschen zur Ehren gereicht, so ist es dies, daß sie die großen glänzenden glitzernden Schillerschen Worte nicht mehr aushalten, welche ihre Großväter

36 [40]

Die deutschen Kleinstädter, wie sie Kotzebue gemalt hat—und das Gemälde war gut—sind nach dem Bilde der Weimaraner gemacht, zur Zeit Schillers und Goethes.

36 [41]

Die Kleinheit und Erbärmlichkeit der deutschen Seele, ihr theils genüßliches, theils neidisches Im-Winkel-sitzen, ihre eingefleischte “Kleinstädterei,” um an Kotzebue zu erinnern, ihre “Froschperspektive” für alle hohen Dinge, um mit den Malern zu reden,—wie schmerzlich — — —

36 [42]

Die preußischen Juden würden, wenn allein Geist, Fleiß und Anstelligkeit in Betracht kämen, bereits im Besitz der hohen Staats-Beamtungen, besonders im Verwaltungs-fache sein: kurz, sie würden die “Macht” auch in den Händen haben (wie sie dieselbe schon—nach vielfachen Zeugnissen zu schließen—“in der Tasche” haben). Das was sie davon ausschließt, ist ihre Unfähigkeit, die Macht zu repräsentiren: Die Juden sind selbst in ihrem Vaterlande keine herrschende Kaste gewesen: ihr Auge überzeugt nicht, ihre Zunge läuft leicht zu geschwinde und überschlägt sich dabei, ihr Zorn versteht sich nicht auf das tiefe ehrliche Löwen-Gebrüll, ihr Magen hält großen Gelagen, ihr Verstand starken Weinen nicht Stand—, ihre Arme und Beine erlauben ihnen keine stolzen Affekte (in ihren Händen zuckt oft, ich weiß nicht welche—Erinnerung—); und selbst die Art wie ein Jude aufs Pferd kommt (oder ein jüdischer Musiker auf sein Thema kommt—“der jüdische Ansprung”—) ist nicht unbedenklich und giebt zu verstehen, daß die Juden niemals eine ritterliche Rasse gewesen sind. Wenn die Juden vielfach als untauglich zur Richter-Würde empfunden werden, so ist damit nicht ihre Moralität, sondern nur ihre Unfähigkeit, diese Moralität zu repräsentiren, verurtheilt. Nun ergiebt sich hieraus sofort, daß der Jude Preußens eine herabgebrachte und verkümmerte Art von Jude sein muß; denn an sich versteht der Orientale das Repräsentiren unvergleichlich viel besser als etwa ein Norddeutscher:—Delacroix. Diese Entartung des Juden hängt mit einem falschen Clima und der Nachbarschaft unter unschönen und gedrückten Slaven Ungarn und Deutschen zusammen: unter Portugiesen und Mauren bewahrt sich die höhere Rasse des Juden ja im Ganzen ist vielleicht die Feierlichkeit des Tons und eine Art von Heiligung der Leidenschaft auf Erden bisher noch nicht schöner dargestellt worden als von gewissen Juden des alten Testaments: bei denen hätten auch die Griechen in die Schule gehen können!

36 [43]

Die Gefahren der jüdischen Seele sind: 1) sie sucht sich gern irgendwo schmarotzerisch einzunisten 2) sie weiß sich “anzupassen,” wie die Naturforscher sagen, sie sind dadurch “geborene Schauspieler geworden, gleich dem Polypen,” der wie Theognis singt, dem Felsen die Farbe abborgt, an dem er klebt. Ihr Talent und mehr noch der Hang und Fall zu beidem hin scheint ungeheur zu sein; die Gewöhnung, um ganz kleine Gewinnste viel Geist und Beharrlichkeit dranzugeben, hat eine verhängnißvolle Furche in ihrem Charakter hinterlassen: so daß auch die achtbarsten Großhändler des jüdischen Geldmarktes es nicht über sich gewinnen, wenn die Umstände es mit sich bringen, die Finger [nicht] kaltblütig nach kleinen mesquinen Übervortheilungen auszustrecken, dergleichen einen preußischen Finanzmenschen schamroth machen würde.

36 [44]

Die Zukunft der deutschen Cultur ruht auf den Söhnen der preußischen Offiziere

36 [45]

A.Die Juden die älteste und reinste Rasse. Schönheit der Frauen.
B.Die Juden die Schauspieler: in einem demokratischen Zeitalter. Reduktion des Litteraten auf den Schauspieler
C.Problem einer Verschmelzung der europäischen Aristokratie oder vielmehr des preußischen Junkers mit Jüdinnen.

36 [46]

der deutsche Atheismus.
die Schulmeister-Cultur.
der deutsche Pessimismus.

36 [47]

Die Gefahren der jüdischen Seele: Schmarotzerthum und Schauspielerei
Der Jude “repräsentirt” nicht
Die Schulmeister-Cultur.
Der deutsche Pessimismus.
Die Einsiedler:
Die Deutschthümelei.
Die deutsche Musik.
Die Litteraten. Die Frauen.
Mißtrauen gegen die modernen Ideen.
Der deutsche Anarchismus.

36 [48]

Feindschaft gegen alles Litteratenhafte und Volks-Aufklärerische, insonderheit gegen alles Weibs-Verderberische, Weibs-Verbildnerische—denn die geistige Aufklärung ist ein unfehlbares Mittel, um die Menschen unsicher, willensschwächer, anschluß- und stütze-bedürftiger zu Machen, kurz das Heerdenthier im Menschen zu entwickeln: weshalb bisher alle großen Regierungs-Künstler (Confucius in China, das imperium romanum, Napoleon, das Papstthum, zur Zeit, wo es die Macht und nicht nur den Willen zur Macht hatte wo der herrschende Instinkt bisher kulminirte, auch sich der geistigen Aufklärung bedienten; mindestens sie walten ließen (wie die Päpste der Renaissance) Die Selbst-Täuschung der Menge über diesen Punkt z. B. in aller Demokratien, ist äußerst werthvoll: die Verkleinerung und Regierbarkeit des Menschen wird als “Fortschritt” erstrebt!

36 [49]

Über den deutschen Pessimismus.—

Die Verdüsterung, die pessimistische Färbung, kommt nothwendig im Gefolge der Aufklärung. Gegen 1770 bemerkte man bereits die Abnahme der Heiterkeit; Frauen dachten, mit jenem weiblichen Instinkt, der immer zu Gunsten der Tugend Partei nimmt, daß die Immoralität daran Schuld sei. Galiani traf ins Schwarze: er citirt Voltaires Vers.— [Vgl. Ferdinando Galiani, Lettres de l'Abbé Galiani à Madam d'Épinay, Voltaire, Diderot, Grimm, le Baron d'Holbach, Morellet, Suart, D'Alembert, Marmontel, la Vicomtesse de Belsunce, etc. Publiées d'après les Éditions originales augmentées des variantes, de nombreuses notes et d'un index avec notice biographique par Eugène Asse. Édition couronnée par l'Académie française. Vol. 1. Paris: G. Charpentier, 1882:101. Vgl. 4. November 1887, Brief an Heinrich Köselitz: "Voltaire ist eine prachtvolle geistreiche canaille; aber ich bin der Meinung Galiani's: 'un monstre gai vaut mieux / qu'un sentimental ennuyeux.' Voltaire ist nur auf dem Boden einer vornehmen Cultur möglich und erträglich, die sich eben den Luxus der geistigen canaillerie gestatten kann ..."] Wenn ich nun vermeine, jetzt um ein paar Jahrhunderte Voltaire und sogar Galiani—der etwas viel Tieferes war—in der Aufklärung voraus zu sein: wie weit mußte ich also gar in der Verdüsterung gelangt sein! Dies ist auch wahr: und ich nahm zeitig mit einer Art Bedauern Acht vor der deutschen und christlichen Enge und Folge-Unrichtigkeit des Schopenhauerschen oder gar Leopardischen Pessimismus und suchte die principiellsten Formen auf (—Asien—) Unter die Fortdenker des Pessimismus rechne ich nicht E[duard] v[on] H[artmann], vielmehr unter die “angenehmen Litteraturen” - - - usw. Um aber diesen extremen Pessimismus zu ertragen (wie er hier und da aus meiner “Geburt der Tragödie” heraus klingt) “ohne Gott und Moral” allein zu leben, mußte ich mir ein Gegenstück erfinden. Vielleicht weiß ich am besten, warum der Mensch allein lacht: er allein leidet so tief, daß er das Lachen erfinden mußte. Das unglückliche und melancholische Thier ist, wie billig, das heiterste.

36 [50]

Über die deutschen Lyriker. —

36 [51]

Süden und Morgenland.

36 [52]

Brahms, kein “Ereigniß,” keine Ausnahme, kein Riß der Kette vor Wagner, vielmehr ein Ring mehr, ein — — — Wenn man von dem absieht, was er gleichsam einem gastfreundlichen Genius fremder Arten und Menschen gelegentlich geopfert hat—auch Opfer der Pietät gegen große Lehrer, alte und neue, hinzugerechnet—so ist er der Musiker, welcher bisher allein auf die Bezeichnung “der norddeutsche Musiker” Anspruch hat.

36 [53]

Die Deutschen sind noch nichts, aber sie werden etwas; also haben sie noch keine Kultur,—also können sie noch keine Cultur haben! Dies ist mein Satz: mag sich daran stoßen, wer es muß: nämlich wer Deutschthümelei im Schädel (oder im Schilde) führt!— Sie sind noch nichts: das heißt: sie sind allerlei. Sie werden etwas: das heißt, sie hören einmal auf, allerlei zu sein. Dies letzte ist im Grunde nur ein Wunsch, kaum noch eine Hoffnung; glücklicher Weise ein Wunsch, auf den hin man leben kann, eine Sache des Willens, der Arbeit, der Zucht, der Züchtung so gut als eine Sache des Unwillens, des Verlangens, der Entbehrung, des Unbehagens, ja der Erbitterung: kurz, wir Deutschen wollen Etwas von uns, was man vor uns noch nicht wollte—wir wollen Etwas “mehr”!

Daß diesem “Deutschen was wird und noch nicht ist”—etwas Besseres zukommt als die heutige deutsche “Bildung,” daß alle “Werdenden” ergrimmt sein müssen, wo sie eine Zufriedenheit auf diesem Bereiche, ein dreistes “Sich-zur-Ruhesetzen” oder “Sich-selbst-Anräuchern” wahrnehmen: das ist mein zweiter Satz, über den ich auch noch nicht umgelernt habe.

36 [54]

Wie ein Theologe heute ein gutes Gewissen bei seiner Christlichkeit haben kann, ist mir unverständlich und unzugänglich; aber es giebt genugsam gutes Gewissen bei ihm—es scheint mit dem “guten Gewissen” nicht viel auf sich zu haben!

36 [55]

Deutsch.”
Fragen und Gedankenstriche.

Gedanken über Zucht und Züchtung.

36 [56]

Der beleidigte Stolz, der Verdruß darüber, dort geliebt zu haben, wo man hätte verachten können, eine hinzukommende Schwermuth über die entstandene Leere und Lücke, endlich der Biß der intellektuellen Eitelkeit, welche sagte “du hast dich betrügen lassen”—: dies war das nächste Erlebniß. Aber ein philosophischer Mensch treibt alles Erlebte ins Allgemeine, alles Einzelne wächst zu Ketten

36 [57]

Die asiatischen M[enschen] sind hundert Male großartiger als die europäischen

36 [58]

Die Urwald-Vegetation “Mensch” erscheint immer, wo der Kampf um die Macht am längsten geführt worden ist. Die großen Menschen.

36 [59]

Selbst die Entwicklung der “höchsten” Intelligenzen ist unter der Unfreiheit und dem Gegendrucke gezüchtet worden. Dem “liberalen Geiste” wird nichts bisher verdankt. Man unterschätzt, welche Verfeinerung die Gewissensqual einer zugleich christlichen und wissenschaftlich-logischen Weltauslegung für den Geist mit sich gebracht hat.

36 [60]

Zur Kritik der modernen Seele.”

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