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The Will to Power
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Frühjahr 1884 25 [301-400]

25 [301]

Ausbruch meines Ekels gegen die Unverschämtheit, mit der selbst Gänse sich das Recht geben, über “Gut” und “Bös” bei den großen Menschen zu reden.

25 [302]

Bauernjungen, zu Priestern gemacht, nach dem Kloster riechend

25 [303]

die deutsche Philosophie, welche nach dem Tübinger Stift riecht

25 [304]

“Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.” [Vgl. Joseph von Hammer, Die Geschichte der Assassinen, aus morgenländischen Quellen, durch Joseph von Hammer. Stuttgart; Tübingen: Cotta, 1818:84.]

25 [305]

Zarathustra “ich nahm euch Alles, den Gott, die Pflicht,—nun müßt ihr die größte Probe einer edlen Art geben. Denn hier ist die Bahn den Ruchlosen offen—seht hin!

— das Ringen um die Herrschaft, am Schluß die Heerde mehr Heerde und der Tyrann mehr Tyrann als je.

— kein Geheimbund! Die Folgen meiner Lehre müssen fürchterlich wüthen: aber es sollen an ihr Unzählige zu Grunde gehen.

wir machen einen Versuch mit der Wahrheit! Vielleicht geht die Menschheit dran zu Grunde! Wohlan!

25 [306]

I Theil. Der Berg zuletzt umdampft von Trübsal und Noth

alle Arten Unmögliche flüchten zu ihm—ein Heer von Narren um mich!

— Von der Sclaven-Religion
— vom Range.
— die Gottlosen, aus Ehrlichkeit kommen zu ihm

25 [307]

1 Grundsatz. Alle bisherigen Werthschätzungen sind aus falschem vermeintlichem Wissen um die Dinge entsprungen:—sie verpflichten nicht mehr, und selbst wenn sie als Gefühl, instinktiv (als Gewissen) arbeiten.

2 Grundsatz. Anstatt des Glaubens, der uns nicht mehr möglich ist, stellen wir einen starken Willen über uns, der eine vorläufige Reihe von Grundschätzungen festhält, als heuristisches Princip: um zu sehn, wie weit man damit kommt. Gleich dem Schiffer auf unbekanntem Meere. In Wahrheit war auch all jener “Glauben” nichts Anderes: nur war ehemals die Zucht des Geistes zu gering, um unsere großartige Vorsicht aushalten zu können.

3 Grundsatz. Die Tapferkeit von Kopf und Herz ist, was uns europäische Menschen auszeichnet: erworben im Ringen von vielen Meinungen. Größte Geschmeidigkeit, im Kampfe mit spitzfindig gewordenen Religionen, und eine herbe Strenge, ja Grausamkeit. Vivisection ist eine Probe: wer sie nicht aushält, gehört nicht zu uns (und gewöhnlich giebt es auch sonst Zeichen, daß er nicht zu uns gehört z. B. Zöllner.)

4 Grundsatz. Die Mathematik enthält Beschreibungen (Definitionen) und Folgerungen aus Definitionen. Ihre Gegenstände existiren nicht. Die Wahrheit ihrer Folgerungen beruht auf der Richtigkeit des logischen Denkens.— Wenn die Mathematik angewendet wird, so geschieht dasselbe, wie bei den “Mittel- und Zweck”-Erklärungen: es wird das Wirkliche erst zurechtgemacht und vereinfacht (gefälscht — —)

5 Grundsatz. Das am meisten von uns Geglaubte, alles a priori ist darum nicht gewisser, daß es so stark geglaubt wird. Sondern es ergiebt sich vielleicht als eine Existenz-Bedingung unserer Gattung—irgend eine Grund-Annahme. Deshalb könnten andere Wesen andere Grundannahmen machen z. B. 4 Dimensionen. Deshalb könnten immer noch all diese Annahmen falsch sein—oder vielmehr: in wie fern könnte irgend Etwas “an sich wahr” sein! Dies ist der Grund-Unsinn!

6 Grundsatz. Es gehört zur erlangten Männlichkeit, daß wir uns nicht über unsere menschliche Stellung betrügen: wir wollen vielmehr unser Maaß streng durchführen und das größte Maaß von Macht über die Dinge anstreben. Einsehen, daß die Gefahr ungeheuer ist: das der Zufall bisher geherrscht hat —

7 Grundsatz. Die Aufgabe der Erdregierung kommt. Und damit die Frage: wie wir die Zukunft der Menschheit wollen!— Neue Werthtafeln nöthig. Und Kampf gegen die Vertreter der alten “ewigen” Werthe als höchste Angelegenheit!

8 Grundsatz. Aber woher nehmen wir unseren Imperativ? Es ist kein “du sollst,” sondern das “ich muß” des Übermächtigen, Schaffenden.

25 [308]

Die Philosophen haben gesucht, die Welt in 1) Bilder (Erscheinungen) oder 2) Begriffe aufzulösen oder in 3) Willen—kurz in irgend Etwas uns am Menschen Bekanntes—oder sie der Seele gleichzusetzen (als “Gott”)

Das Volk hat “Ursache und Wirkung” von dem als bekannt geltenden Verhältniß des menschlichen Handelns in die Natur gelegt. “Freiheit des Willens” ist die Theorie zu einem Gefühl.

Eine Sache, deren subjektive Herkunft erkannt ist, ist damit noch nicht bewiesen als “nichtseiend,” z.B. Raum, Zeit usw.

Die Wissenschaft der Mathematik löst die Welt in Formeln auf. Das heißt, sie — — —

Man muß dagegen festhalten, was Begriffe und Formeln nur sein können: Mittel der Verständlichung und Berechenbarkeit, die praktische Anwendbarkeit ist Ziel: daß der Mensch sich der Natur bedienen könne, die vernünftige Grenze.

Wissenschaft: die Bemächtigung der Natur zu Zwecken des Menschen —

— das Überschüssige Phantasiren bei Metaphysikern Mathematikern abschneiden: obwohl es nothwendig ist, als ein Experimentiren darauf hin, was vielleicht zufällig dabei erwischt wird.

Die größte Masse geistiger Arbeit in der Wissenschaft verschwendet—auch hier noch waltet das Princip der größtmöglichen Dummheit.

Grundsatz bei der Erklärung aller menschlichen Geschichte: die Anstrengungen sind unendlich viel größer als der Ertrag.

25 [309]

Grundsatz: wie die Natur sein: zahllose Wesen zum Opfer bringen können, um Etwas mit der Menschheit zu erreichen. Man muß studiren, wie thatsächlich irgend ein großer Mensch zu Stande gebracht worden ist. Alle bisherige Ethik ist grenzenlos beschränkt und lokal: blind und verlogen gegen die wirklichen Gesetze außerdem noch. Sie war da, nicht zur Erklärung, sondern zur Verhinderung gewisser Handlungen: geschweige denn zur Erzeugung

Wissenschaft ist eine gefährliche Sache: und bevor wir nicht ihrethalben verfolgt werden, ist es Nichts mit ihrer “Würde.” Oder gar wenn man in die Volksschule Wissenschaft trägt: und jetzt gar die Mädchen und die Gänse anfangen, wissenschaftlich zu schnattern; das liegt daran, daß sie immer mit moralischer Tartüfferie betrieben wurde.

Damit will ich ein Ende machen.

Alle Voraussetzungen der bestehenden “Ordnung” widerlegt.

1. Gott widerlegt: weil alles Geschehen weder gütig noch klug noch wahr ist;

2) weil “gut” und “böse” keine Gegensätze sind und die moralischen Werthe sich verwandeln

3) weil “wahr” und “falsch” beide nöthig sind—Täuschenwollen wie Sich-täuschen-lassen eine Voraussetzung des Lebendigen ist

4) “unegoistisch” gar nicht möglich. “Liebe” falsch verstanden. “Gebet” gleichgültig; “Ergebung” gefährlich.

25 [310]

Daß unsere Sinnesorgane selber nur Erscheinungen und Folgen unserer Sinne sind und unsere leibliche Organisation eine Folge unserer Organisation, scheint mir etwas Widerspruchsvolles oder mindestens ganz unbeweisbares. Daß tartarus stibiatus mich erbrechen macht, hat mit allen “Erscheinungen” und “Meinungen” nichts zu thun.

Die Photographie ist ein genügender Gegenbeweis gegen die gröblichste Form des “Idealismus.”

25 [311]

Woher der Sinn für Wahrheit? Erstens: wir fürchten uns nicht, abzuweichen 2) er vermehrt unser Machtgefühl, auch gegen uns selber.

25 [312]

die Welt “vermenschlichen” d. h. immer mehr uns in ihr als Herren fühlen —

25 [313]

Fühlen, Begreifen, Wollen wären in Bezug auf die unsäglich kleine Bewegtheit der Atome gar nicht möglich, wenn nicht zu ihrem Wesen gehörten, das Zusammennehmen, Vergröbern, Verlängern, Gleichansetzen.

Das Bild und der Begriff entsteht, indem eine produktive Kraft einige gegebene Reize gestaltet: eine “Erscheinung” macht

25 [314]

In der Mathematik giebt es kein Begreifen, sondern nur ein Feststellen von Nothwendigkeiten: von Verhältnissen “welche nicht wechseln” von Gesetzen im Sein.

Eine mechanische Weltanschauung d.h. eine solche, bei der zuletzt auf ein Begreifen verzichtet wird, wir “begreifen” nur, wo wir Motive verstehen. Wo es keine Motive giebt, da hört das Begreifen auf.

Meine Absicht in Betreff auch der zweckmäßigsten Handlungen ist zu zeigen, daß unser “Begreifen” auch da ein Schein und Irrthum ist.

25 [315]

Capitel: über das “Begreifen” von Handlungen.

25 [316]

Das Ideal ist, das complicirteste aller Maschinenwesen construiren, entstanden durch die dümmste aller möglichen Methoden.

25 [317]

Vor dem Kunstwerk kann man sich gehn lassen. Vor dem großen Menschen nicht! Daher die Pflege der Künste bei den Unterworfenen, die sich eine Welt der Freiheit schaffen—die Künstler sind meistens solche, welche nicht Herrscher sind.

Die Herrscher lieben die Kunst, weil sie Abbilder von sich wollen.

25 [318]

Lange p 822 “eine Wirklichkeit, [aber] wie der Mensch sie sich einbildet, und wie er sie ersehnt, wenn diese Einbildung erschüttert wird: ein absolut festes, von uns unabhängiges und doch von uns erkanntes Dasein—eine solche Wirklichkeit giebt es nicht.[....][Vgl. Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Iserlohn: Baedeker, 1882:822.] Wir sind thätig darin: aber das giebt dem Lange keinen Stolz!

nichts trügerisches, wandelndes, abhängiges, unerkennbares also wünscht er sich—das sind Instinkte geängstigter Wesen und solcher, die noch moralisch beherrscht sind: sie ersehnen einen absoluten Herrn, etwas Liebevolles Wahrheit-Redendes—kurz diese Sehnsucht der Idealisten ist moralisch-religiös vom Sklavengesichtspunkte aus.

Umgekehrt könnte unser Künstler-Hoheits-Recht darin schwelgen, diese Welt geschaffen zu haben

“subjektiv nur,” aber ich empfinde umgekehrt: wir haben’s geschaffen!

25 [319]

Formend—das ist der Trieb des Sittlichen: Typen zu bilden: dazu sind Gegensätze der Schätzung nöthig.

Formen sehen oder ausrechnen ist unser größtes Glück—es ist auch unsere längste Übung.

25 [320]

In allen ästhetischen Urtheilen stecken sittliche. P[eter] G[ast] ist zu gutmüthig, um Ein Wollen seinem Satze aufzuprägen, er giebt nach.

25 [321]

Der große Stil besteht in der Verachtung der kleinen und kurzen Schönheit, ist ein Sinn für Weniges und Langes.

25 [322]

Zarathustra wartend

1) Anzeichen der größten Verwirrung. “Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt” [Vgl. Joseph von Hammer, Die Geschichte der Assassinen, aus morgenländischen Quellen, durch Joseph von Hammer. Stuttgart; Tübingen: Cotta, 1818:84.]

2) Er verkündet seine E[wige] W[iederkunft]. Unwille, Klage—bis zum Attentat. Zarathustra lacht, ist glücklich, denn er bringt die große Krisis

3) die Weltmüden ziehn davon, die Schaar wird kleiner. Ihr theilt er seine Lehre mit, um zum Übermenschen den Weg zu finden und doch guter Dinge zu sein

Heiter wie im Feldlager. Festzüge usw.

25 [323]

Die ewige Wiederkunft.
Mittag und Ewigkeit.

1. Es ist Zeit! 
2. Der grosse Mittag. 
3. Die Gelobenden.Wahrsagung
 von der ewigen Wiederkunft

25 [324]

Sehen und Hören setzt voraus ein Sehen-lernen, Hören-lernen ganz bestimmter Formen.

25 [325]

Daß in der morphologischen Kette der Thiere das Nervensystem und später das Gehirn sich entwickelt: giebt einen Anhaltepunkt—es entwickelt sich das Fühlen, wie sich später das Bilder-schaffen und Denken entwickelt. Ob wir es schon noch nicht begreifen: aber wir sehen, daß es so ist. Wir finden es unwahrscheinlich, Lust und Schmerz schon in alles Organische zu versetzen: und es ist immer noch auch beim Menschen der Reiz eine Stufe, wo beides nicht da ist.

25 [326]

Wir sind mißtrauisch, vom “Denkenden” “Wollenden” Fühlenden in uns auszugehen. Das ist ein Ende und jedenfalls das Verwickeltste und Schwerst-Verständliche.

25 [327]

Die Entstehung der subjektiven Raum- Zeit- Kraft-Causalitäts- Freiheitsempfindung, gesetzt sie sei erkannt: ebenso die Entstehung des Bildes (d. h. von Formen Gestalten), der Begriffe (d. h. Erinnerungszeichen für ganze Gruppen von Bildern mit Hülfe von Lauten): alle diese subjektiven Erscheinungen machen keinen Zweifel an der objektiven Wahrheit von den logischen mathematischen mechanischen chemischen Gesetzen. Eine andere Sache ist unsere Fähigkeit, uns auszudrücken über diese Gesetze: wir müssen uns der Sprache bedienen.

25 [328]

Die Sprache vollerer Naturen finden—ihr Bild der Welt wiederstrahlen —

25 [329]

Den Charakter zu einer Denkweise finden, wie meine ist: mechanisch, der Zufall, die Lust an schönen Gebilden, am Zerbrechen (weil es Werden ist) kluges Benützen, den Zufall ausbeuten, unverantwortlich, tapfer, ohne Steifigkeit

25 [330]

Mittheilung von Zuständen—da reicht die Prosa lange nicht aus—die Wissenschaft aber kann nur den wissenschaftlichen Zustand mittheilen und soll nichts Anderes!!

Von der Vielheit der Sprache (durch Bilder Töne) als Mittel des volleren Menschen, sich mitzutheilen.

25 [331]

Zarathustra nachdem seine jünger erschreckt sich abgewendet haben und er lachend Übermenschlich-sicher seine Mission ausgedrückt hat:— —mit tiefster Zärtlichkeit sie zu sich rufend, gleichsam zurückkehrend aus der höchsten Entfremdung und Ferne: väterlich.

25 [332]

Zusammenhang des Aesthetischen und Sittlichen: der große Stil will Einen starken Grundwillen und verabscheut am meisten die Zerfahrenheit.



Der Tanz und eine leichte Entwicklung aus einer Phase in die andere ist äußerst gefährlich—ein Schwertertanz. Denn die grobe Consequenz und Hartnäckigkeit geben dem Individuum sonst die Dauerhaftigkeit.



Am schwersten vereinigt: Ein Wille, Stärke des Grundgefühls und Wandel der Bewegungen (Verwandlungen)

25 [333]

Alles Organische, das “urtheilt,” handelt wie der Künstler: es schafft aus einzelnen Anregungen Reizen ein Ganzes, es läßt Vieles Einzelne bei Seite und schafft eine simplificatio, es setzt gleich und bejaht sein Geschöpf als seiend. Das Logische ist der Trieb selber, welcher macht, daß die Welt logisch, unserem Urtheilen gemäß verläuft.

Das Schöpferische—1) Aneignende 2) Auswählende 3) Umbildende Element—4) das Selbst-Regulirende Element—5) das Ausscheidende.

25 [334]

Es giebt durch viele Generationen von Arten hindurch eine Nothwendigkeit, die schon im ersten Keim liegt: gesetzt daß die Bedingungen der Ernährung sich günstig hinzufinden, ist das organische Geschöpf für alle seine Zukunft bedingt: der Zeitpunkt des Eintretens der einzelnen neuen Formen (z. B. Nerven) hängt von den Zufällen der Ernährung ab.

NB. Steigerung des Lebens nach der Dauer der Gestirne.

25 [335]

Der große Mensch fühlt seine Macht über ein Volk, sein zeitweiliges Zusammenfallen mit einem Volke oder einem Jahrtausende: diese Vergrößerung im Gefühl von sich als causa und voluntas wird mißverstanden als “Altruismus” —

— es drängt ihn nach Mitteln der Mittheilung: alle großen Menschen sind erfinderisch in solchen Mitteln. Sie wollen sich hineingestalten in große Gemeinden, sie wollen Eine Form dem Vielartigen, Ungeordneten geben, es reizt sie das Chaos zu sehn

— Mißverständniß der Liebe. Es giebt eine sklavische Liebe welche sich unterwirft und weggiebt: welche idealisirt und sich täuscht—es giebt eine göttliche Liebe, welche verachtet und liebt und das geliebte umschafft, hinaufträgt.

— jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um, durch Züchtung und anderseits durch Vernichtung von Millionen Mißrathener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zu Grunde zu gehen an dem Leid, das man schafft, und dessen Gleichen noch nie da war! —

— Gesinnung der Mißrathenen, sich zu opfern: das der Sinn der Orden, welche sich Keuschheit geloben.

— der Genuß an Formen in den bildenden Künsten: sie theilen einen Zustand des Künstlers mit (ruhig-verehrend). Der Musiker ist von den Affekten bewegt, ohne daß er Objekte dazu sieht—und theilt seinen Zustand mit. Viel umfänglicher als die Zustände des Malers.

25 [336]

Zur Psychologie.

1. Jedes “ethische” Gefühl, das uns zum Bewußtsein kommt, wird vereinfacht, je mehr es bewußt wird d. h. es nähert sich dem Begriff an. An sich ist es vielfach, ein Zusammenklingen vieler Töne.

2. Die “innere” Welt ist unfaßbarer als die äußere: das Miterklingen vieler Obertöne läßt sich durch die Musik deutlich machen, die ein Abbild giebt.

3. Damit in einer mechanischen Weltordnung etwas gewußt werden kann, muß ein Perspectiv-Apparat da sein, der 1) ein gewisses Stillestehen 2) ein Vereinfachen 3) ein Auswählen und Weglassen möglich macht. Das Organische ist eine Vorrichtung, an welcher sich Bewußtsein entwickeln kann, weil es selber zu seiner Erhaltung dieselben Vorbedingungen nöthig hat.

4. Die innere Welt muß in Schein verwandelt werden, um bewußt zu werden: viele Erregungen als Einheit empfunden usw. Vermöge welcher Kraft hören wir einen Akkord als Einheit und noch dazu die Art des Instrumentklanges, seine Stärke, sein Verhältniß zum Eben-Gehörten usw.?? Die ähnliche Kraft bringt jedes Bild des Auges zusammen.

5. Unsere fortwährende Einübung von Formen, erfindend, vermehrend, wiederholend: Formen des Sehens, Hörens und Tastens.

6. Alle diese Formen, welche wir sehen, hören, fühlen usw. sind nicht vorhanden in der Außenwelt, welche wir mathematisch-mechanisch feststellen.

7. Meine Vermuthung, daß alle Eigenschaften des Organischen selber uns deshalb aus mechanischen Gründen unableitbar sind, weil wir selber erst antimechanische Vorgänge hineingesehen haben: wir haben das Unableitbare erst hineingelegt.

8. Vorsicht, das sehr Complicirte nicht als etwas Neues zu behandeln.

25 [337]

Für einen vollen und rechtwinkligen M[enschen] ist eine so bedingte und verklausulirte Welt, wie die Kants, ein Greuel. Wir haben ein Bedürfniß nach einer groben Wahrheit; und wenn es diese nicht giebt, nun, so lieben wir das Abenteuer und gehen aufs Meer

— zu beweisen, daß die Consequenzen der Wissenschaft gefährlich sind, meine Aufgabe. “Es ist vorbei mit gut” und “böse” —“

— im Zeitalter des suffrage universel ist der Ton der Unehrerbietigkeit am höchsten, mit der jetzt der Philosoph behandelt wird: alle Gänse schnattern ja bereits mit!—man lese z. B. das philosophische Geschnatter der George Sand oder der Frau John Stuart Mill. Nun, ich ziehe vor, seine Stellung gehaßt und gefährlich zu machen: man soll ihm fluchen, wenn man ihn nicht anders zu ehren weiß!

der Kampf mit der Sprache.

25 [338]

Es wird erzählt [daß] der berühmte Stifter des Christenthums vor Pilatus sagte “ich bin die Wahrheit”; die Antwort des Römers darauf ist Roms würdig: als die größte Urbanität aller Zeiten.

25 [339]

“Gott” im Alterthum anders empfunden, ganz und gar ohne den monotheistisch-moralischen Beigeschmack.— Priap in den Gärten, als Vogelscheuche. Ein Hirt dankbar für die Fruchtbarkeit der Heerde z. B.

Die Masse Dankbarkeit in der griechischen Religion. Später, im Pöbel, überwuchert die Furcht: Epicur und Lucrez.

25 [340]

Grundsatz. Wenn es sich um bien public handelte, so wäre der Jesuitism im Recht, ebenso das Assassinenthum; ebenso das Chinesenthum. [Vgl. Joseph von Hammer, Die Geschichte der Assassinen, aus morgenländischen Quellen, durch Joseph von Hammer. Stuttgart; Tübingen: Cotta, 1818:337.]

25 [341]

Grundsatz. Mit allen Kräften die stillstehenden ewigen Werthschätzungen umwerfen! Große Aufgabe.

25 [342]

Die Revolution, Verwirrung und Noth der Völker ist das Geringere in meiner Betrachtung, gegen die Noth der großen Einzelnen in ihrer Entwicklung. Man muß sich nicht täuschen lassen: die vielen Nöthe aller dieser Kleinen bilden zusammen keine Summe, außer im Gefühle von mächtigen Menschen.

An sich denken, in Augenblicken großer Gefahr: seinen Nutzen ziehen aus dem Nachtheile Vieler:—das kann bei einem sehr hohen Grade von Abweichung ein Zeichen großen Charakters sein, der über seine mitleidigen und gerechten Empfindungen Herr wird.

25 [343]

Wenn ein inferiorer Mensch seine alberne Existenz, sein viehisch-dummes Glück als Ziel faßt, so indignirt er den Betrachter; und wenn er gar andere Menschen zum Zweck seines Wohlbefindens unterdrückt und aussaugt, so sollte man so eine giftige Fliege todtschlagen.

Der Werth eines Menschen soll beweisen, was für Rechte er sich nehmen darf: die “Gleichstellung” geschieht aus Mißachtung der höheren Naturen und ist ein Verbrechen an ihnen.

Dadurch, daß ein Mensch die Förderung einer Familie, eines Volkes usw. auf sich nimmt, gewinnt er an Bedeutung, vorausgesetzt, daß seine Kraft es ihm erlaubt, sich eine solche Aufgabe zu setzen. Ein Mensch, der nichts hat, als viehische Begierden im Leibe, sollte nicht das Recht zur Heirath haben.

Die Rechte, die ein Mensch sich nimmt, stehn im Verhältniß zu den Pflichten, die er sich stellt, zu den Aufgaben, denen er sich gewachsen fühlt.

Die allermeisten Menschen sind ohne Recht zum Dasein, sondern ein Unglück für die höheren: ich gebe den Mißrathenen noch nicht das Recht. Es giebt auch mißrathene Völker.

Die alberne “Humanität”! Gegen die Thiere gerechnet, mag sich der Mensch als Mensch bei “Seines-Gleichen” fühlen. Aber als Mensch vor Menschen —

25 [344]

Die Entartung der Herrscher und der herrschenden Stände hat den größten Unfug in der Geschichte gestiftet! Ohne die römischen Cäsaren und die römische Gesellschaft wäre der Wahnsinn des Christenthums nicht zur Herrschaft gekommen.

Wenn die geringeren Menschen der Zweifel anfällt, ob es höhere Menschen giebt, da ist die Gefahr groß! Und man endet zu entdecken, daß es auch bei den geringen, unterworfenen, geistesarmen Menschen Tugenden giebt und daß vor Gott die Menschen gleich stehn: was das non plus ultra des Blödsinns bisher auf Erden gewesen ist! Nämlich die höheren Menschen maßen sich selber schließlich nach dem Tugend-Maaßstab der Sklaven—fanden sich “stolz” usw.—fanden alle ihre höheren Eigenschaften als verwerflich!

— als Nero und Caracalla oben saß, entstand die Paradoxie: der niedrigste Mensch ist mehr werth als der da oben! Und ein Bild Gottes brach sich Bahn, welches möglichst entfernt war vom Bilde der Mächtigsten—der Gott am Kreuze!

— die Römer haben bisher das größte Unglück Europas verschuldet, das Volk der Unmäßigkeit— — sie haben Extreme zur Herrschaft gebracht und extreme Paradoxien, wie den “Gott am Kreuze”

—man muß erst die Unterscheidung lernen: für die Griechen, wider die Römer—das heiße ich antike Bildung

25 [345]

Ursachen des Pessimismus

die Sklaven-Moral im Vordergrund “Gleichheit”
die gemeinsten Menschen haben alle “Vortheile” für sich
die Entartung der Herrscher und herrschenden Stände
die Nachwirkung der Priester und Weltverleumder.
die Mitleidigen und Empfindelnden: Absenz der Härte,
— die Schonung der Mißrathenen
die Ziellosigkeit, weil der große Mensch fehlt, dessen Anblick schon das Dasein rechtfertigt.
die falschen Ideale, vom Einen Gott her, “vor Gott Alle Sünder”
die armen dürren Geister, feige dazu

25 [346]

Man muß den Stolz des Unglücks lernen

25 [347]

Seneca als eine Culmination der antiken moralischen Verlogenheit—ein würdevoller Spanier, wie Grazian

25 [348]

Die Wurzel alles Üblen: daß sklavische Moral gesiegt hat, der Sieg der Demuth, Keuschheit, absoluten Gehorsams, Selbstlosigkeit—

—die herrschenden Naturen wurden dadurch 1) zur Heuchelei 2) zur Gewissensqual verurtheilt—die schaffenden Naturen fühlten sich als Aufrührer gegen Gott, unsicher, und gehemmt durch die ewigen Werthe

— die Barbaren zeigten, daß Maaßhalten-können bei ihnen nicht zu Hause war: sie fürchteten und verlästerten die Leidenschaften und Triebe der Natur:—ebenso der Anblick der herrschenden Cäsaren und Stände.

— es entstand anderseits der Verdacht, daß alle Mäßigung eine Schwäche sei oder Alt- und Müdewerden (so hat La Rochefoucauld den Verdacht, daß “Tugend” ein schönes Wort sei bei solchen, welchen das Laster keine Lust mehr mache)

— das Maaßhalten selber war als Sache der Härte, Selbstbezwingung, Askese geschildert, als Kampf mit dem Teufel usw. das natürliche Wohlgefallen der aesthetischen Natur am Maaße der Genuß am Schönen des Maaßes war übersehen oder verleugnet, weil man eine anti-eudämonistische Moral wollte

In summa: die besten Dinge sind verlästert worden (weil die Schwachen oder die unmäßigen Schweine ein schlechtes Licht darauf warfen)—und die besten Menschen sind verborgen geblieben und haben sich oft selber verkannt.

25 [349]

Die Ausrottung der “Triebe”

die Tugenden, die unmöglich sind oder

die Tugenden, welche bei Sclaven, von Priestern beherrscht, am schätzenswerthesten sind

die verfaulten herrschenden Stände haben das Bild des Herrschenden verdorben

der “Staat,” als Gericht übend, ist eine Feigheit, weil der große Mensch fehlt, an dem gemessen werden kann.

— zuletzt wird die Unsicherheit so groß, daß die Menschen schon vor jeder Willenskraft, die befiehlt, in den Staub fallen

NB. Hohn über die Könige mit den Tugenden kleiner Bürgersleute

25 [350]

Man redet so dumm vom Stolze—und das Christenthum hat ihn gar als sündlich empfinden machen! Die Sache ist: wer Großes von sich verlangt und erlangt, der muß sich von denen sehr fern fühlen, welche dies nicht thun—diese Distanz wird von diesen Anderen gedeutet als “Meinung über sich”: aber Jener kennt sie nur als fortwährende Arbeit, Krieg, Sieg, bei Tag und Nacht: von dem Allen wissen die Anderen nichts!

25 [351]

Die Lehre :0*¥< –("< wendet sich an Menschen mit überströmender Kraft—nicht an die Mittelmäßigen.

Die ¦(ikVJg4" und –Fi0F4l ist nur eine Stufe der Höhe: höher steht die “goldene Natur.”

“Du sollst”—unbedingter Gehorsam bei Stoikern, in den Orden des Christenthums und der Araber, in der Philosophie Kant’s (es ist gleichgültig, ob einem Oberen oder einem Begriff).

Höher als “du sollst” steht “ich will” (die Heroen); höher als “ich will” steht “ich bin” (die Götter der Griechen)

Die barbarischen Götter drücken nichts von der Lust am Maaße aus—sind weder einfach, noch leicht, noch maaßvoll.

25 [352]

Zu Zarathustra: “die Goldenen” als höchste Stufe.

25 [353]

NB. Die Schlichtheit im Leben, Kleiden, Wohnen, Essen, zugleich als Zeichen des höchsten Geschmacks: die höchsten Naturen bedürfen des Besten, daher ihre Schlichtheit!

Die üppigen bequemen Menschen, ebenso die prunkvollen sind lange nicht so unabhängig: sie haben an sich selber auch keine so ausreichende Gesellschaft.

In wie fern der stoische Weise und noch mehr der Mönch ein Exceß ist, eine barbarische Übertreibung — —.

25 [354]

— die Fürsten sind unter allen Umständen Menschen zweiten Ranges: die ganz hohen Menschen herrschen über Jahrtausende und können sich nicht für die gegenwärtigen Dinge so interessiren. Die Fürsten sind ihre Werkzeuge oder schlaue Hunde, welche sich als Werkzeuge stellen.

Über dem Bilde des Fürsten (als Werkzeug des Weisen) das Bild des höchsten Weisen zu zeigen.

25 [355]

Rangordnung: der die Werthe bestimmt und den Willen von Jahrtausenden lenkt, dadurch daß er die höchsten Naturen lenkt, ist der höchste Mensch.

25 [356]

Das, was gemeinhin dem Geiste zugewiesen wird, scheint mir das Wesen des Organischen auszumachen: und in den höchsten Funktionen des Geistes finde ich nur eine sublime Art der organischen Funktion (Assimilation Auswahl Secretion usw.)

Aber der Gegensatz “organisch” “unorganisch” gehört ja in die Erscheinungswelt!

25 [357]

Die großen geistigen Thätigkeiten krankhaft als Beherrschtsein von Einem Gedanken; Mangel von Spontaneität—eine Art Hypnotismus. Sie entnerven und machen willensschwach unter anderen Umständen.

Ob bei dem Gehorsam nicht oft so etwas ist wie Hypnotismus?

25 [358]

NB. Grundsatz: jedes Erlebniß, in seine Ursprünge zurückverfolgt, setzt die ganze Vergangenheit der Welt voraus.— Ein factum gut heißen, heißt Alles billigen!

Aber indem man Alles billigt, billigt man auch alle vorhandenen und gewesenen Billigungen und Verwerfungen!

25 [359]

Der größte Theil unserer Erlebnisse ist ungewußt und wirkt.

25 [360]

Die Herrschaft über sich ist das Gleichgewicht vieler aufgehäuften Erinnerungen und Motive—eine Art Frieden unter feindlichen Kräften.

voluntas ist ein zuletzt mechanisches unbedingtes Übergewicht, ein Sieg, der ins Bewußtsein tritt.

25 [361]

Die Einübung des Auges in Formen: muthmaaßlich auch des Ohres und Getastes. Ebenso zeigt uns der Traum, wie sehr wir andere Personen sein könnten—wir machen es sehr gut nach.

25 [362]

Die schöpferische Kraft—nachbildend, bildend, formend, sich übend—der von uns repräsentirte Typus ist eine unserer Möglichkeiten—wir könnten viele Personen noch darstellen—wir haben das Material dazu in uns.— Unsre Art Leben und Treiben als eine Rolle zu betrachten eingerechnet die Maximen und Grundsätze - - - wir suchen einen Typus darzustellen, instinktiv—wir wählen aus unserem Gedächtniß aus, wir verbinden und combiniren die facta des Gedächtnisses.

25 [363]

Der Einzelne enthält viel mehr Personen, als er glaubt. “Person” ist nur eine Betonung, Zusammenfassung von Zügen und Qualitäten.

25 [364]

Das Mißverständniß der Handlung, durch falsche untergeschobene Motive.

25 [365]

NB. In wie fern unser bewußtes Leben durch und durch falsch und ein Schleier ist.

25 [366]

Lügen, um zu lügen, ist der primitive Hang: in allen pöbelhaften Zeitaltern.

Herrschen, um zu herrschen, und nicht, wie Helvétius meint, um die Genüsse zu haben.

25 [367]

— allgemeiner Mangel an Kenntniß der Natur

25 [368]

Der Philosoph weiß nicht, welche Motive ihn zum Forschen drängen.

25 [369]

Von der Oberflächlichkeit des
Bewusstseins

25 [370]

Pessimismus des 19ten Jahrhunderts als Folge der Pöbel-Herrschaft.

Le plaisir im 18ten Jahrhundert.

25 [371]

Ursache und Wirkung ist keine Wahrheit, sondern eine Hypothese—und zwar eine solche, mit der wir die Welt uns vermenschlichen, unserem Gefühle näher bringen (“Willen” wird hineinempfunden)

— mit der atomistischen Hypothese machen wir die Welt unserem Auge und unserer Berechnung zugleich zugänglich

— es ist das Maaß des wissenschaftlich starken Geistes, wie sehr er aushält, den Wahn absoluter Urtheile und Schätzungen abzuweisen oder noch nöthig zu haben. Nämlich nicht unsicher werden! Und eine solche Hypothese mit einem zähen Willen festhalten und dafür leben!

25 [372]

Man hat immer die Hauptsache vergessen: warum will denn der Philosoph erkennen? Warum schätzt er die “Wahrheit” höher als den Schein? Diese Schätzung ist älter als jedes cogito, ergo sum: selbst den logischen Prozeß vorausgesetzt, giebt es etwas in uns, welches ihn bejaht und sein Gegentheil verneint. Woher der Vorzug? Alle Philosophen haben vergessen zu erklären, warum sie das Wahre und das Gute schätzen, und Niemand hat versucht, es mit dem Gegentheil zu versuchen. Antwort: das Wahre ist nützlicher (den Organismus erhaltender)—aber nicht an sich angenehmer

Genug, gleich im Anfang finden wir den Organismus als Ganzes, mit “Zwecken,” redend—also schätzend

25 [373]

der Wohlgeschmack einer Speise ist die Folge ihrer Zuträglichkeit!

25 [374]

Inwiefern der Mensch ein Schauspieler ist.

Nehmen wir an, der einzelne Mensch bekomme eine Rolle zu spielen: er findet sich nach und nach hinein. Er hat endlich die Urtheile, Geschmäcker, Neigungen, die zu seiner Rolle passen, selbst das dafür zugestandene übliche Maaß von Intellekt:—

— einmal als Kind, Jüngling, usw. dann die Rolle, die zum Geschlecht gehört, dann die der socialen Stellung, dann die des Amtes, dann die seiner Werke —

Aber, giebt ihm das Leben Gelegenheit zum Wechsel, so spielt er auch eine andere Rolle. Und oft sind in Einem Menschen nach den Tagen die Rollen verschieden z. B. der Sonntags-Engländer und der Alltags-Engländer. An Einem Tage sind wir als Wachende und Schlafende sehr verschieden. Und im Traume erholen wir uns vielleicht von der Ermüdung, die uns die Tags-Rolle macht,—und stecken uns selber in andere Rollen.

Die Rolle durchführen d. h. Wille haben, Concentration und Aufmerksamkeit: vielmehr noch negativ—abwehren, was nicht dazu gehört, den andringenden Strom andersartiger Gefühle und Reize, und—unsere Handlungen im Sinne der Rolle thun und besonders interpretiren.

Die Rolle ist ein Resultat der äußeren Welt auf uns, zu der wir unsere “Person” stimmen, wie zu einem Spiel der Saiten. Eine Simplifikation, Ein Sinn, Ein Zweck. Wir haben die Affekte und Begehrungen unserer Rolle—das heißt wir unterstreichen die, welche dazu passen und lassen sie sehen.

immer natürlich à peu près.

Der Mensch ein Schauspieler.

25 [375]

Wir haben viele Typen in uns. Wir coordiniren unsere Inneren Reize so wie die äußeren zu einem Bilde oder einem Verlaufe von Bildern: als Künstler.

Die Oberflächlichkeit unserer Typen, wie unserer Urtheile, Begriffe, Bilder.

25 [376]

Der Raum beim Haschisch-rauchen viel ausgedehnter, weil viel mehr gesehn wird im gleichen Zeitraum als sonst. Abhängigkeit des Raumgefühls von der Zeit.

25 [377]

Man muß “erkennen an sich” ebenso widerspruchsvoll finden wie “erste” Ursache und wie “Ding an sich.”

Der Erkenntniß-Apparat als Verkleinerungsapparat: als Reduktions-Apparat in jedem Sinne. Als Mittel des Ernährungs-Apparates.

25 [378]

Die Instinkte als Urtheile auf Grund früherer Erfahrungen: nicht von Lust- und Unlust-Erfahrungen: denn die Lust ist erst die Form eines Instinkt-Urtheils (ein Gefühl von vermehrter Macht oder: wie wenn sich die Macht vermehrt hätte) Vor den Lust- und Unlustgefühlen giebt es Kraft- und Schwächegefühle im Ganzen.

25 [379]

Als nachahmendes Thier ist der Mensch oberflächlich: es genügt ihm, wie bei seinen Instinkten, der Anschein der Dinge. Er nimmt Urtheile an, das gehört zu dem ältesten Bedürfniß, eine Rolle zu spielen.

Entwicklung der mimicry unter Menschen, vermöge seiner Schwäche. Das Heerdenthier spielt eine Rolle, die ihm anbefohlen wird.

25 [380]

Wollen das ist befehlen, etwas Seltenes deshalb, schlecht vererbt.

25 [381]

Starker Wille erklärlich bei kalten Menschen und schwacher Wille bei heißen. Das Erstaunliche ist: ein glühender Affekt und ein kalter heller Kopf und Wille.

25 [382]

Die Gefahr des Menschen steckt darin, wo seine Stärke ist: er ist unglaublich geschickt darin, sich zu erhalten, selbst in den unglücklichsten Lagen. (Dazu gehören selbst die Religionen der Armen Unglücklichen usw.) So erhält sich das Mißrathene viel länger und verschlechtert die Rasse: weshalb der Mensch, im Vergleich zu den Thieren, das krankhafteste Thier ist. Im großen Gange der Geschichte muß aber das Grundgesetz durchbrechen und der Beste zum Siege kommen: vorausgesetzt, daß der Mensch mit dem allergrößten Willen die Herrschaft des Besten durchzusetzen sucht.

25 [383]

Ich erlaube nur den Menschen, die wohlgerathen sind, über das Leben zu philosophiren. Aber es giebt mißrathene Menschen und Völker: denen muß man das Maul stopfen. Man muß ein Ende machen mit dem Christenthum—es ist die größte Lästerung auf Erde und Erdenleben, die es bisher gegeben hat—man muß mißrathenen Menschen und Völkern das Maul stopfen.



Man muß mit dem Christenthum ein Ende machen—es war und ist die größte Lästerung auf Erde und Erdenleben, welche es bisher gab —

25 [384]

Aus der Ferne gesehen: Schopenhauer’s Philosophie giebt zu verstehen, daß es unsäglich viel dümmer zugeht als man glaubt. Darin steckt ein Fortschritt der Einsicht.

25 [385]

Unseren Glauben an den Leib, unsere Gefühle von Lust und Schmerz und dergleichen muß man festhalten: man muß hierin nicht versuchen, umzuwerfen. Der Widerspruch einiger Logiker und Religiösen hat sie selber nicht davon losgemacht—er kommt nicht in Betracht. Die Verurtheilung des Leibes als Merkmal der mißrathenen Mischung ebenso die Verurtheilung des Lebens: Zeichen der Besiegten.

25 [386]

Vom Ursprung der Kunst. Die Fähigkeit zu lügen und sich zu verstellen am längsten entwickelt: Gefühl der Sicherheit und der geistigen Überlegenheit dabei beim Täuschenden. Bewunderung des Zuhörers: beim Erzähler, wie als ob er dabei gewesen wäre. Ebenso Sicherheit des Zuhörers, zu wissen, daß es Täuschung ist und daß diese gefährliche Kunst nicht zu seinem Schaden geübt wird. Bewunderung über menschlicher Beihülfe.— Beim Dichter häufig Entfremdung seiner Person: er fühlt sich “verwandelt.” Ebenso beim Tänzer und Schauspieler, mit nervösen Krisen, Hallucinationen usw. Künstler auch jetzt noch lügenhaft und gleich Kindern. Unfähigkeit, zwischen “wahr” und “Schein” zu scheiden.

25 [387]

Vom Ursprunge der Religion. Menge von Hallucinationen und von allen möglichen Hysterien, nicht nur “diabolischen.” Die Sichtbarkeit der Götter ist Voraussetzung. Die Religionsstifter fühlen sich selber durch Krämpfe, Amnesie, Verlust des Willens begläubigt.

25 [388]

Der Glaube an die Furchtbarkeit des “Nach dem Tode” ist antik und die Grundlage des Christenthums. Die Armen-Vereine mit ihrer “Brüderliebe” die andere Grundlage. Das Verlangen nach Rache an allem, was Macht hatte, die dritte.— Eine populäre Form des stoischen Weisen, der glücklich ist im größten “Unglück”: die plötzlichen Heilungen von Hysterischen, die Schmerzlosigkeit bei Verwundungen — —

25 [389]

Wille—ein Befehlen: insofern aber diesem bewußten Akte ein unbewußter zu Grunde liegt, brauchen wir uns auch nur diesen wirksam zu denken. Aber bei einem Befehl an einen Gehorchenden? Das Wort des Befehls wirkt nicht als Wort, nicht als Laut, sondern als das, was sich verbirgt hinter dem Laut: und vermöge dieser Aktion wird etwas fortgeleitet. Aber die Reduktion der Laute auf “Schwingungen” ist doch nur der Ausdruck desselben Phänomens für einen anderen Sinn—keine “Erklärung.” Hinter der “sichtbaren” Schwingung verbirgt sich wieder der eigentliche Vorgang.

Die Wissenschaft ist darauf aus, dieselben Phänomene durch verschiedene Sinne zu interpretiren und alles auf den deutlichsten Sinn, den optischen, zu reduziren. So lernen wir die Sinne kennen—der dunklere wird durch den helleren erleuchtet.

Die Bewegungen von Molekülen sind eine Consequenz des Gesichtssinnes und des Tastsinnes.— Wir verfeinern die Sinne—wir erklären Nichts. Hinter jedem “Willen” “Fühlen” setzen wir einen Bewegungs-Prozeß voraus, der für das Auge dasselbe wäre.

25 [390]

Der Schmerz: nicht der Reiz als solcher, sondern im Intellekt erst gemacht zum Schmerz. Man muß sich ihn durch Vererbung wachsen denken—eine Summe von vielen Urtheilen: “dies ist gefährlich, bringt Tod, verlangt Defensive, größte Aufmerksamkeit,” ein Befehl “weg davon! gieb Acht!” eine große plötzliche Erschütterung als Resultat.

25 [391]

Der physische Schmerz ist erst die Folge eines seelischen Schmerzes: dieser aber: Plötzlichkeit, Angst, Kampfbereitschaft, eine Menge von Urtheilen und Willensakten und Affekten in Einen Augenblick concentrirt, als große Erschütterung und in summa als Schmerz empfunden und projicirt an die Stelle hin.

Affekte aller Art, deren Urtheile und die resultirenden Willensakte sind Eins im Augenblick des Schmerzes: die Attitüden der Vertheidigung sofort mit dem Schmerz da. Folge einer großen Nerven-Erschütterung (des Centrums): welche lange nachklingt.

25 [392]

Verwandlung aller Vorgänge in optische Phänomene: und endlich wieder dieser Phänomene in reine Begriffs- und Zahlen-Phänomene.

Dies ist der Gang in der Geschichte: man glaubt zu verstehen, wenn man will: wenn man fühlt: wenn man sieht: wenn man hört: wenn man es in Begriffe umsetzt: wenn man es in Zahlen und Formeln umsetzt.

“Alles ist Wille”“Alles will”
“Alles ist Lust oder Unlust”“Alles leidet”
“Alles ist Bewegung”“Alles fließt”
“Alles ist Laut”“Alles klingt”
“Alles ist Geist”“Alles ist Geist”
“Alles ist Zahl”“Alles ist Zahl”

Also: die Verwandlung aller Vorgänge in unsere uns bekannte Welt, kurz: in uns—das ist bisher “Erkenntniß.”

25 [393]

Der Mensch als eine Grenze darzustellen.

25 [394]

Der Werth der Atomistik ist: Sprache und Ausdrucksmittel zu finden für unsere Gesetze.

25 [395]

Die Wissenschaft der Natur ist “Menschen-Kenntniß” in Bezug auf die allgemeinsten Fähigkeiten des Menschen.

25 [396]

Die Vergangenheit ist für jeden von uns eine andre: insofern er eine Linie hindurchzieht, eine Vereinfachung (wie bei Mitteln und Zwecken).

25 [397]

Werthschätzungen entstehen aus dem, was wir als Existenzbedingungen glauben: wandeln sich unsere Existenzbedingungen oder unser Glaube darin, dann auch die Werthschätzungen.

25 [398]

Erhaltung der Gemeinde (des Volkes) ist meine Correktur statt “Erhaltung der Gattung.”

25 [399]

Furcht vor dem Tode ist vielleicht älter als Lust und Schmerz, und Ursache vom Schmerze.

25 [400]

Schmerz—ein Vorwegnehmen der Consequenzen einer Wunde, die Gefühl der Kraftverminderung mit sich bringt?— Nein, eine Erschütterung.

From Nietzsche's Notebooks© The Nietzsche Channel