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The Will to Power
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Frühjahr 1884 25 [201-300]

25 [201]

Man muß die Grade wieder aufrichten und es unmöglich machen, daß ein dummes Weib einen höheren Rang von Moral beanspruchen kann.

25 [202]

Die Gegensätze sich paarend wie Mann und Weib zur Zeugung von Etwas Drittem—Genesis der Werke des Genie’s!

25 [203]

Mißverständniß der gloria, als Motiv der Schaffenden gedacht!! Vanité ist Heerden-Instinkt, Stolz Sache des Vor-Ochsen. [Vgl. Francis Galton, Inquiries into Human Faculty and its Development. London: Macmillan, 1883:72f.]

25 [204]

“l’amour, nach Napoleon, l’occupation de l’homme oisif, la distraction du guerrier, l’écueil du souverain.” [Vgl. Emmanuel-Auguste-Dieudonné Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, ou Journal où se trouve consigné, jour par jour, ce qu'a dit et fait Napoléon durant dix-huit mois. Vol. 1. Paris: L'auteur, 1823:245.]

25 [205]

Charakter des Franzosen: immer les Gaulois d’autrefois: la légèreté, la même inconstance et surtout la même vanité. Wann werden wir sie endlich gegen ein wenig Stolz eintauschen können! [Vgl. Emmanuel-Auguste-Dieudonné Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, ou Journal où se trouve consigné, jour par jour, ce qu'a dit et fait Napoléon durant dix-huit mois. Vol. 1. Paris: L'auteur, 1823:419.]

25 [206]

“Die Menschen sind nicht undankbar: aber der Wohlthäter erwartet meist zu viel.” [Vgl. Emmanuel-Auguste-Dieudonné Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, ou Journal où se trouve consigné, jour par jour, ce qu'a dit et fait Napoléon durant dix-huit mois. Vol. 3. Paris: L'auteur, 1823:372f.]

Er sagt, die Menschen verändern sich, im Guten wie im Bösen.

Er meint, die allermeisten Handlungen sind nicht Charakter-Handlungen, sondern Moment-Handlungen, welche nichts für den Charakter beweisen.

25 [207]

Die Wohlthaten, die wir empfangen, sind bedenklicher als alle Unglücke: man will Macht auf uns ausüben.— Es sollte zu den Vorrechten gehören, Wohl zu thun. Die griechische Empfindung, welche das “Zurückgeben können” streng nahm, war vornehm.

25 [208]

Das Unglück in der großen Hypocrisie aller alten Moral-Philosophen. Sie übten die Phantasie der Menschen darauf ein, von einander Tugend und Macht zu trennen. Macht erscheint als Anspruch auf Glückdas ist noch antik daran, Nachklang der aristokratischen Grundform. Von Sokrates an wird trotzdem die •kgJZ falsch verstanden,—sie mußte sich immer wieder erst begründen und wollte es doch nicht individuell thun! sondern tyrannisch “gut für Alle!” Versuch kleiner Staaten-Gründungen im Staate: wie jetzt bei den Muhamedanern Nord-Afrikas.

25 [209]

Ich bin keinem begabten Menschen begegnet, der mir nicht gesagt hätte, er habe das Gefühl der Pflicht verloren oder es nie besessen. Wer jetzt nicht starken Willen hat—

25 [210]

Die ehemaligen Mittel, gleichartige dauernde Wesen durch lange Geschlechter zu erzielen: unveräußerlicher Grundbesitz, Verehrung der Älteren (Ursprung des Götter- und Heroen glaubens als der Ahnherren)

Jetzt gehört die Zersplitterung des Grundbesitzes in die entgegengesetzte Tendenz: eine Zeitung (an Stelle der täglichen Gebete) Eisenbahn Telegraph. Centralisation einer ungeheuren Menge verschiedener Interessen in Einer Seele: die dazu sehr stark und verwandlungsfähig sein muß.

25 [211]

Es bedarf einer Lehre, stark genug, um züchtend zu wirken: stärkend für die Starken, lähmend und zerbrechend für die Weltmüden.

Die Vernichtung der verfallenden Rassen. Verfall Europa’s.

Die Vernichtung der Sclavenhaften Werthschätzungen.

Die Herrschaft über die Erde, als Mittel zur Erzeugung eines höheren Typus.

Die Vernichtung der Tartüfferie, welche “Moral” heisst. (Das Christenthum als eine hysterische Art von Ehrlichkeit hierin Augustin, Bunyan)

Die Vernichtung des suffrage universel: d. h. des Systems, vermöge dessen die niedrigsten Naturen sich als Gesetz den höheren vorschreiben.

Die Vernichtung der Mittelmässigkeit und ihrer Geltung. (Die Einseitigen, Einzelne—Völker z. B. Engländer. Dühring. Fülle der Natur zu erstreben durch Paarung von Gegensätzen: Rassen-Mischungen dazu.)

Der neue Muth—keine a priorischen Wahrheiten (solche suchten die an Glauben Gewöhnten!) sondern freie Unterordnung unter einen herrschenden Gedanken, der seine Zeit hat z. B. Zeit als Eigenschaft des Raums usw.

25 [212]

“Hungriger Männer Schnack ist langweilig.” [Vgl. Anders Magnus Strinnholm, Die Wikingszüge, Staatsverfassung und Sitten der alten Skandinavier. Aus dem Schwedischen von Dr. C. F. Frisch, Subrector am Deutschen National-Lyceo in Stockholm. Erster Theil. Die Wikingszüge. Hamburg: Perthes, 1839:216. s. Nietzsche's Library. New Sources of Nietzsche's Reading: Anders Magnus Strinnholm.]

25 [213]

Die Tartüfferie (unter allen herrschenden Schichten) in Europa (oder die Moral unter dem Eindruck des Christenthums)

Die Hysterie in Europa (Müssiggang, geringe Nahrung, wenig Bewegung—bricht in religiösen Wahnsinn aus wie bei den Indern. Mangel an geschlechtlicher Befriedigung.) Vortheil, daß sich die religiosi nicht fortpflanzten.

Die Pedanterie des Sclaven und Nichtkünstlers als Glaube an die Vernunft, die Zweckmäßigkeit. Tritt auf als Nachwirkung der aesthetischen Zeitalter (welche lehren alles einfacher sehen als es ist: Oberflächlichkeit der griechischen Moralisten, insgleichen der Franzosen des 18ten Jahrhunderts

Jetzt bei den Engländern als Moral (die Zufriedenheit mit der Comfort-Existenz, das Problem, glücklich zu leben, scheint ihnen gelöst: das spiegelt sich wieder in ihrer Denkweise.

Das Sklavenmäßige als Verlangen nach Autorität. Luther.

25 [214]

Meine Vollendung des Fatalismus:

1) durch die ewige Wiederkunft und Präexistenz
2) durch die Elimination des Begriffs “Wille.”

25 [215]

Physikalisches Problem, den Zustand zu erfinden, der + und - ist.

25 [216]

Der Mangel an mächtigen Seelen, auch bei den Weisen.

Tartüfferie der Erkennenden vor sich selber: “Erkenntniß um ihrer selber willen!”

Objektivität—als modernes Mittel, sich loszuwerden, aus Geringschätzung (wie bei Flaubert)

die Logiker und Mathematiker und Mechaniker und ihr Werth. Wie viel Schwindel auch da herrscht!

Die Schauspielerei der Alten: Socrates, der Pöbel sieht in der Tugend sein Ideal d. h. das Glück in der Befreiung von schmerzbringenden überheftigen pöbelhaften Begierden. Die Begierdenlosigkeit als Ziel der Erkenntniß. (“Alles hat wenig Werth” muß als Resultat kommen)

Der Mangel der mächtigen  
der vornehmen
der reichen und vielfachen
der gesunden
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ý
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Seele bei den Philosophen bisher.

25 [217]

Wikingszüge,  Staatsverfassung  und  Sitten  der alten Skandinavier. Von Strinnholm. Übers[etzung] v[on] Frisch. (Hamburg, Perthes 1839. [Vgl. Anders Magnus Strinnholm, Die Wikingszüge, Staatsverfassung und Sitten der alten Skandinavier. Aus dem Schwedischen von Dr. C. F. Frisch, Subrector am Deutschen National-Lyceo in Stockholm. Erster Theil. Die Wikingszüge. Hamburg: Perthes, 1839. s. Nietzsche's Library. New Sources of Nietzsche's Reading: Anders Magnus Strinnholm.]

25 [218]

Werth des Antisemitismus, die Juden zu treiben, sich höhere Ziele zu stecken und ein Aufgehen in nationale Staaten zu niedrig zu finden.

25 [219]

Die Bewaffnung des Volks—ist schließlich die Bewaffnung des Pöbels.

25 [220]

Menschen wie mir zu nützen ist schwer: ich lerne immer mehr, wie viel Oberflächlichkeit und Dreistigkeit in den Handlungen steckt, mit denen man mir “wohl zu thun” glaubt.



Ich liebe seit lange keinen Menschen mehr: die paar vorzüglichen Talente, denen ich förderlich sein kann, will ich mir nicht durch Albernheiten einer tückischen Gans rauben lassen—dies Förderlich-sein ist beinahe meine einzige Genugthuung, die ich bisher aus dem Verkehre gehabt habe.

25 [221]

Die Aufgabe ist, eine herrschende Kaste zu bilden, mit den umfänglichsten Seelen, fähig für die verschiedensten Aufgaben der Erdregierung. Alle bisherigen Einzel-Fähigkeiten in Eine Natur zu centralisiren.

Stellung der Juden dazu: große Vorübung in der Anpassung. Sie sind einstweilen die größten Schauspieler darum; auch als Dichter und Künstler die glänzendsten Nachmacher und Nachfühler. Was ihnen anderseits fehlt. Wenn erst das Christenthum vernichtet ist, wird man den Juden gerechter werden: selbst als Urhebern des Christenthums und des höchsten bisherigen Moral-Pathos.

25 [222]

Das 20te Jahrhundert hat zwei Gesichter: eines des Verfalls. Alle die Gründe, wodurch von nun an mächtigere und umfänglichere Seelen als es je gegeben hat (vorurtheilslosere, unmoralischere) entstehen könnten, wirken bei den schwächeren Naturen auf den Verfall hin. Es entsteht vielleicht eine Art von europäischem Chinesenthum, mit einem sanften buddhistisch-christlichen Glauben, und in der Praxis klug-epikureisch, wie es der Chinese ist—reduzirte Menschen.

25 [223]

Der Grundtrieb des englischen Philosophirens ist Comfortismus.

25 [224]

Wenn es zu deiner Gesundheit nöthig ist, wohlan! was liegt daran! Aber mache keinen Lärm darum! Es ist lächerlich, begeistert von grünen Gemüsen zu reden—wer so thut, hat wenig im Kopfe!

25 [225]

Die Erd-Regierung ist ein nahes Problem. Die radikale Frage ist: muß es Sklaverei geben? Oder vielmehr: es ist gar keine Frage, sondern die Thatsache: und nur der verfluchte englisch-europäische Cant macht — — —

In Wahrheit giebt es immer Sklaverei—ob ihr es wollt oder nicht! Z. B. der preußische Beamte. Der Gelehrte. Der Mönch.

25 [226]

Der Tod. Man muß die dumme physiologische Thatsache in eine moralische Nothwendigkeit umdrehen. So leben, daß man auch zur rechten Zeit seinen Willen zum Tode hat!

25 [227]

Die ewige Wiederkunft.
Meinen Brüdern geweiht.
Aber wo seid ihr, meine Brüder?

Einleitung.

Was haben eigentlich bisher Philosophen gewollt? Rückblick von den Brahmanen an.

Ich will den Gedanken lehren, welcher Vielen das Recht giebt, sich durchzustreichen—den großen züchtenden Gedanken.

25 [228]

Die Frage der Ehe. Einrichtung zu treffen für den Schaffenden: denn da ist ein Antagonismus zwischen Ehe und Werk.

25 [229]

Hauptthema. Die Intelligenz muß Herr sein über das Wohlwollen: es muß neu abgeschätzt werden, und der grenzenlose Schaden, der fortwährend durch Akte des Wohlthuns gethan wird. Ironie der Mutterliebe.

25 [230]

Über “Völker” führen die Sprachen irr: die auch am meisten der höheren Erkenntniß schaden.

25 [231]

Die Irrthümer über das Gleiche und Ähnliche 1) weil es gleich aussieht 2) weil es gleich sich bewegt 3) weil es gleiche Töne von sich giebt.

25 [232]

Die Nothwendigkeit der Sklaverei.

25 [233]

Der Bildner (Abweisung des bisherigen “Idealismus” und seiner Spielerei mit Bildern. Es handelt sich um den Leib.

25 [234]

In Europa sind die Juden die älteste und reinste Rasse. Deshalb ist die Schönheit der Jüdin die höchste.

25 [235]

Die Affen sind zu gutmüthig, als daß der Mensch von ihnen abstammen könnte.

25 [236]

Die Zähmung des Menschen ist bisher als “Moral” mißverstanden.

25 [237]

Eine unbeschreiblich milde feste entschlossene und herzliche Betrachtung aller Dinge im I Zarathustra.

25 [238]

Philosophie der Zukunft

1. Die moralische Tartüfferie.
2. Die Nothwendigkeit der Sklaverei (der Mensch als Werkzeug—)
3. Der Verfall Europa’s.

25 [239]

Die Freiheit des Willens von 2 entgegengesetzten Antrieben aus gelehrt: “liberum arbitrium kann nie gezwungen werden, denn wo Zwang ist, ist keine Freiheit, und wo keine Freiheit, da ist kein Verdienst”—aber die anderen schließen: “da giebt es keine Schuld.” Die Ersten wollen aus Stolzgefühl, die anderen aus “Sündengefühl” und “Demuth” den Satz vom freien Willen.

25 [240]

Es gab in Deutschland bisher noch keine Cultur, sondern immer nur mystische Separatisten. Immer nur Einzelne—das ist Trost!

25 [241]

Die Musik als Nachklang von Zuständen, deren begriffliche Ausdruck Mystik war—Verklärungs-Gefühl des Einzelnen, transfiguration. Oder: die Versöhnung der inneren Gegensätze zu etwas Neuem, Geburt des Dritten.

25 [242]

Zur Signatur des Sklaven: die Werkzeug-Natur, kalt, nützlich,—ich betrachte alle Utilitarier als unwillkürliche Sklaven. Menschen-Bruchstücke—das zeichnet die Sklaven.

25 [243]

Erster Grundsatz: keine Rücksicht auf die Zahl: die Masse, die Elenden und Unglücklichen gehen mich wenig an—sondern die ersten und gelungensten Exemplare, und daß sie nicht aus Rücksicht für die Mißrathenen (d.h. die Masse) zu kurz kommen

Vernichtung der Mißrathenen—dazu muß man sich von der bisherigen Moral emancipiren.

25 [244]

Wir müssen das Christenthum auch noch aus vieler Musik heraushören und es überwinden.

25 [245]

Einzelne Werkzeuge.

1. Die Befehlenden Mächtigen—welche nicht lieben, es sei denn die Bilder, nach denen sie schaffen \

die Vollen Vielfachen Unbedingten, welche das Vorhandene überwinden

2. Die Freigelassenen Gehorsamen—Liebe und Verehrung ist ihr Glück (Aufhebung ihrer Unvollständigkeit im Anblick des Höheren)

3. Die Sklaven “Knechtsart”—Behagen ihnen zu schaffen, Mitleiden unter einander

25 [246]

Im ersten Theil ist der Verfall und seine Nothwendigkeit klarzumachen! In wiefern der Sklave Herr geworden ist, ohne die Tugenden des Herrn zu haben

der Adel ohne das Fundament der Abkunft und Reinhaltung

die Monarchen, ohne die ersten Menschen zu sein.

25 [247]

Zu 1) die Verzweiflung und Unsicherheit in aller Form kommt an Zarathustra heran—er giebt die Erklärung.

“Du bist ein Sklave” sagt er zum Könige, auch zum Philosophen.

Wer soll der Erde Herr sein? Das ist der Refrain meiner praktischen Philosophie.

Was ist da zu verwundern? Ihr habt den Sklaven zum Herrn gemacht. Refrain.

“der kleinste Mensch”

“wo geschahen mehr Thorheiten als bei den Mitleidigen” sagt Zarathustra zum Weibe

“Vaterland und Volk”—wie die Sprache irre führt!

25 [248]

“Deutschland, Deutschland über Alles”—ist vielleicht die blödsinnigste Parole, die je gegeben worden ist. Warum überhaupt Deutschland—frage ich: wenn es nicht Etwas will, vertritt, darstellt, was mehr Werth hat, als irgend eine andere bisherige Macht vertritt! An sich nur ein großer Staat mehr, eine Albernheit mehr in der Welt.

25 [249]

Letzte Rede: Hier der Hammer, der die Menschen überwindet

ist der Mensch mißrathen? wohlan, erproben wirs, ob er diesen Hammer aushält!

dies ist der große Mittag

der Untergehende segnet sich

er wahrsagt vom Untergang Zahlloser Einzelner und Rassen

ich bin das fatum

ich habe das Mitleiden überwunden—Jauchzen des Künstlers beim Geschrei des Marmors.

die Thiere und die Pflanzen ertragen diesen Gedanken (er wendet sich an seine Thiere)

“Fort von mir!”—lachend geht er davon.

Im letzten Theile wird Zarathustra immer fremder, ferner, stiller in seinen Reden. Endlich versinkt er in das tiefste Schweigen—7 Tage lang. Während dem entsteht die Empörung, der stumme Druck bei den Jüngern.

— ihre Loslösung, das Auseinanderfliehen, Gewitter und Sturm. Das Weib will ihn tödten, als seine letzten Jünger entschlossen sind, ihm ihr Nein zu sagen.

25 [250]

Leo Gfrörer—“Gustav Adolf” [Vgl. August Friedrich Gfrörer, Geschichte Gustav Adolphs, König von Schweden, und seiner Zeit, für Leser aus allen Ständen bearbeitet von Professor A. F. Gfrörer, Bibliothekar zu Stuttgart. Mit 7 Portraits, 3 Abbildungen und I Holzschnitt, nach Original-Zeichnungen von Dr. Fellner und Andern. Stuttgart; Leipzig: Rieger, 1837.]
Walter Rogge “parlament[arische] Grössen” [Vgl. R. Walter (Pseud. für Walter Rogge), Parlamentarische Grössen. Bd. 1. Die Conservativen: v. Gerlach. Stahl. Walter. v. Radowitz. Dahlmann. Camphausen. Simson. Hansemann. v. Vincke. Bd. 2. Die Demokraten: v. Unruh. Uhlich. Rodbertus. v. Berg. Temme. v. Kirchmann. Waldeck. Bucher. Kinkel. D'Ester. Jacoby. Berlin: Hofmann, 1850-51.]

25 [251]

Für das Princip “Deutschl[and] D[eutschland] über Alles” oder für das deutsche Reich sich zu begeistern, sind wir nicht dumm genug.

25 [252]

Es hat nicht Jeder das Recht, über Jedes zu reden: ebenso wie nicht Jedes in jede Hand genommen werden darf. Ich nenne [das] “die Maul- und Klauen-Seuche”

25 [253]

Wie kann man nur dem Einzelnen Freiheit geben wollen gleich Luther in den höchsten Dingen! Zuletzt ist der Instinkt der Heerde stärker und sie fallen sofort wieder in die Knechtschaft (z. B. die Protestanten vor den erbärmlichsten kleinen Fürsten,—ein Bedientenvolk

25 [254]

Die Werthschätzungen der Kirche sind die von Sklaven. Die tiefe Verlogenheit ist europäisch. Wer auf Europäer im großen Umfange wirken will, hat bisher die moral[ische] Tartüfferie nöthig gehabt (z. B. der erste Napoleon in seinen Proklamationen, neuerdings R. Wagner vermöge seiner Attitüden-Musik).

Das “Wohl der Meisten” als Princip selbst bei Fürsten!

25 [255]

Die Zukunft ist kaum in’s Auge bisher gefaßt worden, außer bei den Römern.

25 [256]

Im Orient erstarrten Völker unter der Herrschaft Eines Sittengesetzes. Europa lebendig geblieben unter der Herrschaft von 2 entgegengesetzten.

Die Geschichte Europas seit der römischen Kaiserzeit ist ein Sklavenaufstand.

25 [257]

Ohne Platonismus und Aristotelismus keine christliche Philosophie.

25 [258]

Begriff des Mystikers: der an seinem eigenen Glück genug und zuviel hat und sich eine Sprache für sein Glück Sucht,—er möchte davon wegschenken!

25 [259]

Man vergleiche die Wikinger zu Hause und in der Ferne: ehernes und goldenes Zeitalter, je nach dem Gesichtspunkt. Ebenso der große Mensch der Renaissance! Der Wurm des Gewissens ist eine Sache für den Pöbel, und eine wahre Verderbniß vornehmer Gesinnung.

Jeder großgesinnte Mensch hat alle Verbrechen gethan; ob juristisch, das hängt mit der Milde und Schwäche der Zeit zusammen. Aber man denke an Luther usw. Und Christus—der die, welche ihn nicht liebten, in der Hölle braten ließ!

Daß man viele schlimme Handlungen thut und aushält, emporgehalten durch Größe der Denkweise, welche sich nicht fürchtet vor der Verurtheilung des Rufes—eine ursprüngliche Festigkeit und Größe, abgesehen von angelernten Werthschätzungen. (Bei Rée fehlen alle ursprünglichen Menschen)

Bismarck zu charakterisiren.

Ebenso Napoleon—ein Wohlgefühl sonder Gleichen gieng durch Europa: das Genie soll Herr sein, der blödsinnige “Fürst” von ehedem erschien als Caricatur.— Nur die Dümmsten opponirten, oder die, welche den größten Nachtheil von ihm hatten (England)

Man versteht große Menschen nicht: sie verzeihen sich jedes Verbrechen, aber keine Schwäche. Wie Viele bringen sie um! Jedes Genie—was für eine Wüstenei ist um ihn!

Wer der Mensch “seines Verbrechens” wird, steht eben nicht erhaben genug über dem Urtheil.

25 [260]

Der Weg der Freiheit ist hart. I Th[eil]

25 [261]

Das hohe Individuum giebt sich alle die Rechte, welche der Staat sich erlaubt—zu tödten, zu vernichten, zu spioniren usw. Die Feigheit und das schlechte Gewissen der meisten Fürsten hat den Staat erfunden und die Phrase vom bien public. Der rechte Mann hat es immer als Mittel in seiner Hand benutzt, zu irgend einem Zwecke.

Die Cultur ist nur in vornehmen Culturen entstanden—und bei Einsiedlern, welche um sich Alles niederbrannten mit Verachtung.

25 [262]

Idealismus des Sclaven, der der Lügner ist: grösster Typus davon ein Papst!

25 [263]

Der moderne Socialismus will die weltliche Nebenform des Jesuitismus schaffen: Jeder absolutes Werkzeug. Aber der Zweck ist nicht aufgefunden bisher. Wozu!

25 [264]

Die Nihilisten sollten sich nicht erniedrigen durch europäische Ziele: sie wollen nicht mehr Sklaven sein

25 [265]

Es hat nicht Jeder das Recht zu jedem Problem z. B. Dühring, Luther—dafür Gedanken- und Preßfreiheit. —

25 [266]

Es galt mir als Zeichen von “Armut am Geiste,” Schopenhauer und Hartmann in Einem Athem [zu] nennen.

25 [267]

Krankheit und Gedrücktheit bringen eine Art von Irrsinn hervor: ebenso harte mechanische Arbeit.

25 [268]

Der Bauer als die gemeinste Art von noblesse: weil er am meisten von sich abhängig ist. Bauernblut ist noch das beste Blut in Deutschland: z. B. Luther Niebuhr Bismarck

Wo ist eine vornehme Familie, in deren Blut nicht venerische Ansteckung und Verderbniß ist?

Bismarck ein Slave. Man sehe nur die Gesichter der Deutschen an (man begreift die Verwunderung Napoleons, als er den Dichter des Werther sah und einen Mann zu sehen bekam!): alles, was männliches überströmendes Blut in sich hatte, gieng in’s Ausland: über die erbärmliche zurückbleibende Bevölkerung, das Bedienten-Seelen-Volk, gieng vom Ausland her eine Verbesserung, zumal durch Slavenblut.

Der märkische Adel und der preußische Adel überhaupt (und der Bauer gewisser norddeutscher Gegenden) enthält gegenwärtig die männlichsten Naturen in Deutschland.

Daß die männlichsten Männer herrschen, ist in der Ordnung.

25 [269]

Wir sind ja keine albernen Keuschheits-Fasler: wenn man ein Weib braucht, wird man schon ein Weib finden, ohne darum Ehen zu brechen und Ehen zu gründen.

25 [270]

1 Grundsatz: es giebt keinen Gott. Er ist so gut widerlegt, als irgend ein Ding. Man muß ins “Unbegreifliche” flüchten, um seine These durchzusetzen. Folglich ist es von jetzt ab Lüge oder Schwäche, an Gott zu glauben.

2 Grundsatz: die männlichsten Männer sollen herrschen, und nicht die Halb-Weiber, die Priester und Gelehrten:—gegen die katholische Schwärmerei Comte’s

3 Grundsatz: jenseits der Herrschenden, losgelöst von allen Banden, leben die höchsten Menschen: und in den Herrschenden haben sie ihre Werkzeuge.

Krieger, Land-Bauern, Stadt-Industrie, am tiefsten die Händler.

25 [271]

Der Bauer in Luther schrie über die Lüge des “höheren Menschen” an den er geglaubt hatte: “es giebt gar keine höheren Menschen”—schrie er.

25 [272]

Bismarck wollte mit dem Parlament für den leitenden Staatsmann einen Blitzableiter schaffen, eine Kraft gegen die Krone und unter Umständen einen Hebel zur Pression auf das Ausland:—er hat da auch seinen Sünden- und Unfallsbock.

25 [273]

Nach dem Grade der Unabhängigkeit von Ort und Zeit nimmt die noblesse zu. Menschen der höchsten Cultur, aus starken Leibern, stehen über allen Souveränen.

25 [274]

Der zahme Mensch und der gezähmte Mensch—das ist die große Masse.

25 [275]

Wer das Opfer Einer Leidenschaft ist, steht nicht hoch genug: er sollte ihr ent — — —

25 [276]

Die Zukunft unserer Erziehungs-Anstalten

der recht verstandene R. Wagner

der recht verstandene Schopenhauer. Ihn ekelt an, was mich anekelt.

25 [277]

Entschluß. Ich will reden, und nicht mehr Zarathustra

25 [278]

Die Bösen, das sind mir namentlich die, welche als Könige usw. das falsche Bild des mächtigsten Menschen geben, auf Macht von Heeren, Beamten gestützt (selbst Genie’s ohne innere Vollendung wie Friedrich der Große und Napoleon), welche die Frage wozu? entstehen lassen.

25 [279]

bien public ist das Sirenenlied: damit werden die niedrigen Instinkte geködert.

25 [280]

Die noble Einfachheit des Spaniers, sein Stolz.

25 [281]

Lob der Nihilisten: lieber vernichten und selber zu Grunde gehn!

25 [282]

“Stil.”

Nachahmung—als Talent des Juden. “Sich anpassen an Formen”—daher Schauspieler, daher Dichter wie Heine und Lipiner. [Siegfried Lipiner (1856-1911).]

25 [283]

Ehedem suchte man sein zukünftiges Heil auf Kosten seines gegenwärtigen. So lebt jeder Schaffende in Hinsicht auf sein Werk. Und die große Gesinnung will nun, daß in Hinsicht auf die Zukunft des Menschen ich auf Kosten gegenwärtigen Behagens lebe

25 [284]

Das Lob des dévouement und héroisme zu verachten—aus Verachtung gegen die Lobenden des Mitleidens bin ich beinah hart geworden.

25 [285]

Mein Haß gegen die großen Phrasen in Bezug auf mich. Wer könnte es mit seiner Phantasie erreichen, was ich alles mir bisher im Leben zugemuthet habe und welche Opfer ich gebracht habe, auch unter was für Widerständen ich meinen harten Gang weiter gegangen bin, eingerechnet, daß ich, was Länge und Stärke körperlicher Martern betrifft, vielleicht zu den erfahrensten Menschen gehöre. Und nun mich plötzlich wieder zu sehen in dem verkleinerten Aspekt durch die verkleinernden Augen von Verwandten Freunden, kurz von Jedermann, überschüttet von Verdächtigungen, ebenso wie von Vorwürfen der Schwäche, nebst Ermahnungen.— Und wer hätte auch nur das Recht mich zu ermuthigen!

25 [286]

den Deutschen einen höheren Rang unter den Völkern geben—weil der Zarathustra deutsch geschrieben ist. —

25 [287]

Egoismus! Aber noch Niemand hat gefragt: was für ein ego! Sondern jeder setzt unwillkürlich das ego jedem ego gleich. Das sind die Consequenzen der Sklaven-Theorie vom suffrage universel und der “Gleichheit.”

25 [288]

Bei der Schönheit bleibt das Auge sehr an der Oberfläche. Aber es muß Schönheit noch in jedem inneren Vorgange des Leibes geben: alle seelische Schönheit ist nur ein Gleichniß, und etwas Oberflächliches gegen diese Menge von tiefen Harmonien.

25 [289]

Meine Rede gegen die Bösen (welche den Sklaven schmeicheln—)

die Weltverleumder
die Guten (welche glauben, daß Wohlthun leicht sei und für Jedermann)
(gegen die Pfaffenluft, auch die Pfarrhäuser-Luft

25 [290]

Zeitalter der Versuche.

Ich mache die große Probe: wer hält den Gedanken der ewigen Wiederkunft aus?— Wer zu vernichten ist mit dem Satz “es giebt keine Erlösung,” der soll aussterben. Ich will Kriege, bei denen die Lebensmuthigen die Anderen vertreiben: diese Frage soll alle Bande auflösen und die Weltmüden hinaustreiben—ihr sollt sie ausstoßen, mit jeder Verachtung überschütten, oder in Irrenhäuser sperren, sie zur Verzweiflung treiben usw.

25 [291]

Man verstehe doch recht: die Nächstenliebe ist ein Recept für solche, welche schlimm gefahren sind in der Mischung der Eigenschaften. Ihre Verehrer wie Comte geben zu verstehen, daß sie sich satt haben.

25 [292]

Man hat mit der grandiosen Paradoxie “der Gott am Kreuze” allen guten Geschmack in E[uropa] auf Jahrtausende verdorben: [es] ist ein schauerlicher Gedanke, ein Superlativ des Paradoxen! Ebenso wie die Hölle bei einem Gott der Liebe. Es kam da ein esprit barroco auf, gegen welchen das Heidenthum sich nicht mehr aufrecht halten konnte

25 [293]

Daß wir wieder Homer empfinden, betrachte ich als den größten Sieg über das Christenthum und christliche Culturen: daß wir die christliche Verzärtelung, Verhäßlichung, Verdüsterung, Vergeistigung satt haben

25 [294]

Man muß an der Kirche die Lüge empfinden, nicht nur die Unwahrheit: so weit die Aufklärung ins Volk treiben, daß die Priester alle mit schlechtem Gewissen Priester werden — —

— ebenso muß man es mit dem Staate machen. Das ist Aufgabe der Aufklärung, den Fürsten und Staatsmännern ihr ganzes Gebahren zur absichtlichen Lüge zu machen, sie um das gute Gewissen zu bringen, und die unbewußte Tartüfferie aus dem Leibe des europäischen Menschen wieder herauszubringen.

25 [295]

“Die Todesfurcht ist eine Europäer-Art von Furcht.” orientalisch. [Vgl. Francis Galton, Inquiries into Human Faculty and its Development. London: Macmillan, 1883:213.]

25 [296]

Die neue Aufklärung. Gegen die Kirchen und Priester
gegen die Staatsmänner
gegen die Gutmüthigen Mitleidigen
gegen die Gebildeten und den Luxus
in summa gegen die Tartüfferie.
gleich Macchiavell.  

25 [297]

Socrates: der gemeine Mensch: schlau: durch klaren Verstand und starken Willen Herr über sich werdend: Humor des Siegreichen: im Verkehr mit Vornehmen immer merkend, daß sie nicht sagen können warum (es gehört zur Vornehmheit, daß die Tugend ohne Warum? geübt wird—) Vorher die Wissenschaft bei lauter vornehmen Männern!

In der Beurtheilung seines Todes: eine Art Falschheit, weil er seinen Willen zum Tode verbirgt: sodann bringt er eine Schmach über sein Vaterland. Doch mehr Egoist als Patriot.

Die Dialektik ist plebejisch ihrer Herkunft nach: der Fanatismus Plato’s der einer poetischen Natur für ihr Gegenstück. Zugleich merkt er, als agonale Natur, daß hier das Mittel zum Siege gegeben ist gegen alle Mitkämpfer, und daß die Fähigkeit selten ist.

25 [298]

Vom Range. Die schreckliche Consequenz der “Gleichheit”—schließlich glaubt jeder das Recht zu haben zu jedem Problem. Es ist alle Rangordnung verloren gegangen.

25 [299]

Unsere Voraussetzungen: kein Gott: keine Zwecke: endliche Kraft. Wir wollen uns hüten, den Niedrigen die ihnen nöthige Denkweise auszudenken und vorzuschreiben!!

25 [300]

Sinn der Religion: die Mißrathenen und Unglücklichen sollen erhalten werden, und durch Verbesserung der Stimmung (Hoffnung und Furcht) vom Selbstmord abgehalten werden.

Oder bei den Vornehmen: ein Überschuß von Dank und Erhebung, welcher zu groß ist, als daß er einem Menschen dargebracht werden könnte

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