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Ende 1880 7 [101-200] 7 [101] Die griechischen Tugenden sind Ideale solcher Menschen die zuviel vom Gegentheil habensie phantasiren und übertreiben vom Werth der Besonnenheit Klugheit Gerechtigkeit Tapferkeit. Die Menschen welche dieses Ideal verwirklichen (Epictet) sind nicht in ihren Göttern vorgebildet, vielmehr deren Gegensatz! Die griechische Tugend wurde eine Sache des (f<s, man war neidisch auf einander. Die Unbeweglichkeit als Ideal: in der Zeit, wo man schon zu empfindsam geworden war und die Leiden und Umschwünge zu groß (Zeit des Thukydides) Zur Statue werden: während die Tragiker die Statue (des Gottes oder Heros) hatten zu Menschen werden lassen. 7 [102] Es ist mein Fleiß und mein Müssiggang, meine Überwindung und mein Nachhängen, meine Tapferkeit und mein Zittern, es ist mein Sonnenlicht und mein Blitz aus dunklem Wolkenhimmel, es ist meine Seele und auch mein Geist, mein schweres ernstes granitenes Ich, das aber wieder zu sich sprechen kann was liegt an mir! 7 [103] Ein Interesse an den Dingen (Die Wittwe ihres Sohns) und nicht an dem Reiz der Dinge macht den Denker ersten Ranges d.h. allerdings Reiz der Dinge für andere Dinge = Relation, aber nicht die zum Menschen oder gar zum Individuum. 7 [104] Das vornehme Aussehen entsteht dadurch, daß der Körper, mehrere Geschlechter hindurch, Muße hatte, um allen Anforderungen des Stolzes gemäß sich zu bewegen: nicht also durch die Bewegungen eines Handwerks oder um gemeinen Gesellen zu befehlen, gezwungen und gewöhnt wurde, gemeine und erniedrigende Gesten oder Töne hervorzubringen: gemein d. h. nicht unserem Individ[uum] und seinem Stolze angemessen. Wenn der Stolz sehr hoch gieng, ins Geistigste, so entsteht englische Majestät, Güte und Größe gemischt: denn der höchste Stolz beugt sich väterlich und gütig zu den Anderer und versteht sich nicht anders als herrschend und fürsorgend. An unseren politischen parvenus fehlt eben dies: man glaubt nicht an ihr natürliches eingeborenes Herrschen und Fürsorgen für Andere. 7 [105] Seltsam! Ich werde in jedem Augenblick von dem Gedanken beherrscht, daß meine Geschichte nicht nur eine persönliche ist, daß ich für Viele etwas thue, wenn ich so lebe und mich forme und verzeichne: es ist immer als ob ich eine Mehrheit wäre, und ich rede zu ihr traulich-ernst-tröstend. 7 [106] Alle diese Heiligen sind Egoisten und wie sollte es einer nicht sein, dem mit der Hölle gedroht wird! Es geht über alle Kraft und alle Vernunft hinaus, an Andere zu denken in solcher Lage! Bei Pascal ist der tiefste Egoismus: auch alle Verzückungen sind es. 7 [107] Diese Partei hat den guten Willen zur Exaltation und Expansion noch mehr als die Kraft: denn sonst würde sie umgekehrt sich bemühen, diesen furchtbaren Drang zu bändigen und an ihm leiden. 7 [108] Die Handeltreibende Klassesie versteht alles zu taxiren, ohne es zu machen d. h. sie versteht sich auf die Bedürfnisse des Consumenten, also nicht ihrer selberhat darin ein Schema für ihre Art Cultur: überall Nachfrage und Angebot und demnach der Werth aus Sachen und Menschen! Dies macht sie mir widerlich! 7 [109] Das Bewußtsein eines Kranken über seine Krankheit (und über die öffentliche Meinung, die sie erregt) hat sich ganz geändert (namentlich bei dem Geisteskranken) und folglich auch viele Wirkungen der Krankheit. 7 [110] Nicht an das Mitleiden der Götter wandten sich die Griechen, sondern an ihre Dankbarkeit oder sie versprachen etwas. Die erbärmliche Rolle des Bettlers vor den Göttern war nicht anständig. 7 [111] Zeichen des nächsten Jahrhunderts: 1) das Eintreten der Russen in die Cultur. Ein grandioses Ziel. Nähe der Barbarei, Erwachen der Künste. Großherzigkeit der Jugend und phantastischer Wahnsinn und wirkliche Willenskraft. 2) die Socialisten. Ebenfalls wirkliche Triebe und Willenskraft. Association. Unerhörter Einfluß Einzelner. Das Ideal des armen Weisen ist hier möglich. Feurige Verschwörer und Phantasten ebenso wie die großen Seelen finden ihres Gleichen. Es kommt eine Zeit der Wildheit und Kraftverjüngung. 3) die religiösen Kräfte könnten immer noch stark genug sein zu einer atheistischen Religion à la Buddha, welche über die Unterschiede der Confession hinweg striche, und die Wissenschaft hätte nichts gegen ein neues Ideal. Aber allgemeine Menschenliebe wird es nicht sein! Ein neuer Mensch muß sich zeigen. Ich selber bin ferne davon und wünsche es gar nicht! es ist aber wahrscheinlich. die individuelle Opferung zu massenhaft bei Socialisten und Anderen erzeugt einen zusammenfassenden Ausdruck: Großmuth! und die kaufmännische kalte Klugheit wird ihre Reaktion haben in einer absoluten Verachtung der Klugheit und des Respektabeln: folglich sehr viel Narrheit. 7 [112] Bossuet, ein Hypokrit voller Talent, der in Gegenwart Louis XIV ein geheimes Entzücken hatte, alle Arten Geister, auf die er so eitel war ravaler. Bei Stendhal. [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:184.] 7 [113] Eindruck der Engländer auf die schwärmerischen Deutschen!! 7 [114] Die Zeit, welche der kalte Mensch braucht, solche Wahrheiten zu sehen (das Auszeichnende am Anderen Rivalen usw.) verwendet das Genie seine Erfolge vorzubereiten. NB. [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:183.] 7 [115] Ah ich bin es müde Meinungen über Meinungen zu haben oder gar zu hören! Ich will selber vor den Dingen Recht und Unrecht haben. 7 [116] Verstehen, so weit es einem Jeden möglich istd. h. eine Sache so bestimmt als möglich sich auf uns abgrenzen lassen, so daß unsere Form an der Grenze bestimmt und wir uns ganz genau bewußt werden, wie angenehm oder unangenehm uns bei dieser Bestimmung zu Muthe wird. Also unsere Triebe fragen, was sie zu einer Sache sagen! Dagegen uns trieblos und ohne Lust und Unlust verhalten, mit einer künstlichen Anaesthesiedas kann kein Verstehen geben, sondern dann fassen wir eben mit dem Rest von Trieben, der noch nicht todt ist, die Erscheinung auf d. h. so matt und flach wie möglich, wohl aber können wir mitunter unsere Triebe der Reihe nach hintereinander über dieselbe Sache befragen: die Urtheile vergleichenz. B. über ein Weib, einen Freund. 7 [117] Ich finde an nichts genug Freudeda fange ich an, mir selber ein Buch nach dem Herzen zu schreiben. 7 [118] (zu Seite vorher) die allgemeine Militärtüchtigkeit, die höhere Schätzung der Kraft. 7 [119] Den civilen Muth ersticken, war die Aufgabe Richelieus und L[ouis] 14s (Stendhal) [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:72.] 7 [120] Die furia francese bricht aus, von der Eitelkeit einmal überwunden und von der Hitze des Blutes: erhabene Tollheiten. Stendhal. [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:72.] 7 [121] Vereiterung, Gährung und Ausscheidungekelhaft und abstoßenddie Empfindungen haben durch eine Symbolik auch Menschen und Handlungen erregt. So entstand der Begriff niedrig d. h. ekelhaftmoralischer Grundstock! Dann wird das Leichte verachtetwiederum ein Anlaß, höher und nieder zu unterscheiden! Das Starke und Schwache sodanndas Plötzliche und das Alltägliche usw. Das Thierische usw. Bei allen diesen Unterscheidungen der Empfindung in Bezug auf Handlungen ist die wirkliche Relevanz auf Erhaltung des Lebens, die strenge Causalität ganz außer Acht geblieben: also die wirkliche Bedeutung einer Handlung! Sondern nach nebensächlichen Gesichtspunkten (angenehm in verschiedenen Arten) NB. 7 [122] Nicht um eines Zieles willen leben wir der Erkenntniß, sondern der erstaunlichen und häufigen Annehmlichkeiten im Suchen und Finden derselben. 7 [123] Ich glaube, ich stelle mir die Freude der Weisheit und Gerechtigkeit zu hoch vorwie die Griechen. Ich bin bezaubert bei allem, was dorthin winktwahrscheinlich weil ich sehr leidenschaftlich bin! Ich bin äußerst mißtrauisch gegen die beredten Verehrer der Leidenschaftlichkeitich muthmaaße, sie möchten gern etwas vorstellen. Die Griechen lebten nur in der Gefahr: sie verehrten in der Kraft, der Ruhe der Gerechtigkeit ihre Erholung, ihr Aufathmen, ihr Fest. Sie wollten nicht die Emotion nochnur in der Tragödie, die des Mitleids (weil sie für gewöhnlich hart waren). 7 [124] Eine Gesundheit voll unbegreiflicher plötzlicher Umdrehungen und Fallthürenein tiefes Mißtrauen unterhaltend, und jede glückliche Stunde mit einem absichtlichen Leichtsinn und Augenverschließen vor der Zukunftsonst ist Glück nicht möglich 7 [125] Faust und Hamlet sind Denker, mit denen sich die deutschen Philosophen auseinandersetzen!! [Vgl. August Siebenlist, Schopenhauer's Philosophie der Tragödie. Pressburg; Leipzig: Stampfel, 1880:29f.] 7 [126] Dieser Gang ist so gefährlich! Ich darf mich selber nicht anrufen, wie ein Nachtwandler, der auf den Dächern lustwandelt, ein heiliges Anrecht hat, nicht bei Namen genannt zu werden. Was liegt an mir! dies ist die einzige tröstende Stimme, die ich hören will. 7 [127] Zur Vorrede. Was habe ich gethan? Für mein Alter gesorgt: für die Zeit, wo die Seele nichts Neues mehr unternimmt, die Geschichte ihrer Abenteuer und Seefahrten verzeichnet. So wie ich die Musik mir aufspare für die Zeit, wo ich blind bin. 7 [128] Ich mag nicht mit Menschen verkehren, weil ich ihr Gesicht nicht sehen kann, und ohne das ist ihr Reden mir verdächtig oder unverständlich, oderich rede allein, was mir hinterdrein Scham einflößt. 7 [129] Der Christ (namentlich der müssige!) auf der Jagd nach seinen Sündenum dann das große Drama der Verzweiflung und der Gnade wieder zu durchleben. Eine schwerlich schöne Art, sich zu unterhalten und dabei mag aus der Welt werden, was die wolledas ewige Heil geht über alles. 7 [130] Die Anbetung der B`84l: man kannte sich zu gut, um zu wissen, wie wild und tyrannisch man sei, sobald die B`84l; aufhört: die Enthüllung der korkyräischen Seele. Man betet das Stäte die Gerechtigkeit das Gute an, der Genuß als Resultat des bürgerlichen Friedens. Die Nähe des Vulkans machte die Altengerade hier so hochgestimmt und empfindsam. 7 [131] Thukydides und Sophocles Vertreter der sophistischen Cultur. 7 [132] Der Heißhunger darnach, sein Leben an etwas zu setzen, wird erwachen, sobald Dinge da sind, die diesem Durste entsprechen. 7 [133] Nie etwas zurückhalten, was gegen dich gesagt werden kann! Gelobe es dir! NB 7 [134] Kein Ding ist würdig der Anstrengung, welche man daran setzt, es zu erlangen. Stendhal [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:184.] 7 [135] Ein Weib mit einer großen Seele und einem ihr nicht unebenbürtigen Geiste, stark genug um zu fliegen und fein genug, um durch ein Nadelöhr zu kriechen 7 [136] Wer hielte jetzt noch Lessings ebenso altkluge als abergläubische Erziehung des Menschengeschl[echtes] aus! 7 [137] Bäurisch, sehnsüchtig nach M[enschen], rachsüchtig gegen die Geselligkeit und deren Gesetze, bald tiefe Verzweiflung, bald plötzliche Trunkenheit [], versteckt, gegen seines Gleichen tyrannisch und überstreng, karg mit seiner Aufmerksamkeit, immer getrieben, ohne Zeit zur Muße, ohne Wissen um seine Liebenswürdigkeit, ohne Liebe und Erbarmen für sich, glühend in seinen Werken und mit dem Hammer wie ein Feind auf seinen Marmor zuschlagend, niemals Schauspieler und so redlich in seinen guten wie in seinen bösen Blicken. 7 [138] Das Unpersönlich-nehmen des Denkens ist überschätzt! Ja es ist bei den stärksten Naturen das Gegentheil wahr! So aber hat man eine Brücke zur Moral gemacht!! 7 [139] Ihr werdet nicht zu Don Juans der Erkenntniß, weil ihr nicht Consequenz genug und Charakter habt. 7 [140] Es hilft nichts: um die vollkommene Ruhe der antiken Skulptur zu empfinden, muß man keusch sein. Man muß die Leidenschaft in all ihrer Heftigkeit malen können, um jene Ruhe darzustellen. Stendhal [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:205.] 7 [141] Ich hasse den Ruhm, der nur die Liebe der Frauen, Ansehen Reichthum Glück bringt. Ich will nicht klug, mäßig, weise sein! Einsam, wild 7 [142] Soll man das Leben nach der Länge alberner Tage abschätzen? Oder nach der Zahl starker Freuden? [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:205f.] 7 [143] Wie die Leidenschaften malen, wenn man sie [nicht] kennt! Und wie Zeit für das Talent finden, wenn man sie im Herzklopfen fühlt! [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:207.] 7 [144] Et odoratus est deus suavitatem. [Vgl. Blaise Pascal, Pascal's Gedanken, Fragmente und Briefe: aus dem Französischen nach der mit vielen unedirten Abschnitten vermehrten Ausgabe P. Faugère's; in zwei Theilen. Deutsch von C. F. Schwartz. Th. 1. Leipzig: Wigand, 1865:42.] 7 [145] In den Andern können wir nur uns selber schätzen. Die Urtheile großer Künstler über die Werke ihrer Nebenbuhler sind nur Commentare ihres eigenen Stils. Stendhal [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:185.] 7 [146] Man muß verstehen, die Hand von seinem Werke zu thun. 7 [147] Hat die Menschheit dasselbe Verfahren, wie die griechischen Künstler, welche um einen Gott auszudrücken ihren Statuen das Allzumenschliche der Muskeln usw. nahmen? die sämmtlichen Details wegnahmen? Ist der große Mensch ein Mensch, dessen Details hinweggedacht werden, vermöge der zwingenden vergötternden Gewalt seines Ganzen? Ist so die Tugend entstanden daß man das Mikroskop des Blickes abwandte, also unredlicher sah? Ist so die Gottheit vom Menschen gebildet, daß er immer mehr Menschliches übersah? [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:250.] 7 [148] Die vier Linien, der Riß der Zeichnung ist das Erste in der Erfindung der Großen; die guten Arbeiter dagegen machen sofort die Minutien. Stendhal [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:251.] 7 [149] Der antike Schmerz war schwächer als der unsere Stendhal [Vgl. Stendhal, Histoire de la peinture en Italie. Paris: Lévy, 1868:270.] 7 [150] So lange ihr die Schönheit im Apollo findet, müßt ihr die dazu gehörige Moral suchen: jene Schönheit paßt nicht zur christlichen! 7 [151] Lord Byron Rousseau Richard Wagner waren das einzige Objekt ihrer eigenen Aufmerksamkeitdiese schlechte Gewohnheit ist der Aussatz der Civilisation sagt Stendhal. [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:264.] In Folge dessen übertrieb er seine Leiden. [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:264.] Immer ocupirt von sich und von dem Eindruck, den er auf andere hervorbrachte. Er verstand sich nicht in einen Anderen umzuformen, der wenigst dramatische Autor. [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:268.] 7 [152] Die Gewissensbisse Byrons waren eine Affektation mehr, sie machten Mode. [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:274.] 7 [153] Sich nicht vor sich selber schämen, wie die Figuren W. Scotts. Stendhal. [Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:297.] Dies ist christlich und sehr stark vererbt! 7 [154] Es ist nicht möglich, außer der Moral zu leben: aber für den Erkennenden ist die Moral unmöglich. Moral als ein Regulativ im Verhalten der Triebe zu einander. Aber woher soll das kommen! Es kann zuletzt doch nur von einem Triebe inspirirt sein, der die Oberhand hat! Und wer kann dies entdecken! (Stolz usw.) Aus der erkannten Natur können wir keinen Antrieb nehmen. NB. 7 [155] Das Kleine Nächste streng nehmen und den Menschen im Leiblichen sehr fördernsehen, was für eine Ethik ihm dann wächstabwarten! die ethischen Bedürfnisse müssen uns auf den Leib passen! Aber die Athleten! 7 [156] Ich erinnere mich kaum noch der Zeit, wo ich Gewissensbisse hatte. Zwischen meinem Träumen und meinem Wachen ist fast Gleichgewicht: nur daß meine Narrheiten in den Handlungen des Traumes und mehr in den Gedanken des Tages hervortretendoch in gleicher Art. Auch denke ich viel in den Träumen, und nicht viel vernünftiger als jetzt. 7 [157] Die Zeit heilt jeden Kummer: die Zeit thut gar nichts. Vielmehr sind es die Befriedigungen vieler Triebe, die allmählich eintreten und Vergessenheit bringenes ist das Mittel Epikurs gegen die großen Schmerzen: sich den Vergnügungen ergeben (die Schweinejagd bei Pascal nach dem Tode eines Sohnes) Auch die Tröstungen der Religion und Philosophie gehören unter diese abziehenden Vergnügungen: ihr Werth besteht vor allem in den Beschäftigungen mit ihnen und dem Nachdenken usw. 7 [158] Die Vorstellung, daß etwas Fürchterliches an uns gekettet ist, färbt alle Empfindungen um. Oder: ein verbannter Gott zu sein, oder Schulden früherer Zeiten abzubüßen. Alle diese schrecklichen Geheimnisse um unsmachten uns vor uns sehr interessant! aber ganz egoistisch! Man konnte und durfte nicht von sich wegsehen! Das leidenschaftliche Interesse für uns verlieren und die Leidenschaft außer uns wenden, gegen die Dinge (Wissenschaft) ist jetzt möglich. Was liegt an mir! Das hätte Pascal nicht sagen können. 7 [159] Ich will es dahin bringen, daß es der heroischen Stimmung bedarf, um sich der Wissenschaft zu ergeben! NB 7 [160] de lamour symbolice! 7 [161] Die Mitempfindung erzwingen könnenist das die Strafe des Machtlüsternen? des Grausamen? Stendhal. Oder ist umgekehrt die Begierde nach Mitempfindung ein Verlangen der Machtlüsternheit? 7 [162] Ihr gewöhnt euch an die große Unruhe des Lebens, an den kopf- und seelenfressenden Fleiß, an die Betäubtheit. Ihr meint zuletzt, es sei nicht anders möglich zu leben ihr seid es eben gewohnt und tragt euer Joch! Es ist anders möglich. 7 [163] Einsamkeit, viel freie Natur Einfachheit und Billigkeit Gesundheit Seltene und gewähltere Versuche im Lesen und in der Freundschaft Kein unsinniger Fleiß Zeit und Stimmung für Erhebungen des Herzens 7 [164] Eurem Besten euer Bestes an Kraft und Zeit widmen! Nichts Besseres läßt sich erzwingen! 7 [165] Man hat mir etwas vom ruhigen Glück der Erkenntniß vorgeflötetaber ich fand es nicht, ja ich verachte es, jetzt wo ich die Seligkeit des Unglücks der Erkenntniß kenne. Bin ich je gelangweilt? Immer in Sorge, immer ein Herzklopfen der Erwartung oder der Enttäuschung! Ich segne dieses Elend, die Welt ist reich dadurch! Ich gehe dabei den langsamsten Schritt und schlürfe diese bitteren Süßigkeiten. Ich will keine Erkenntniß mehr ohne Gefahr: immer sei das tückische Meer, oder das erbarmungslose Hochgebirge um den Forschenden. 7 [166] Ich will nie zum Widersprechen herausfordern: vielmehr: helft, mit mir das Problem zu gestalten! Sobald ihr gegen mich empfindet, versteht ihr meinen Zustand und folglich meine Argumente nicht! Ihr müßt das Opfer derselben Leidenschaft sein! 7 [167] Gesundheit meldet sich an 1) durch einen Gedanken mit weitem Horizont 2) durch versöhnliche tröstliche vergebende Empfindungen 3) durch ein schwermüthiges Lachen über den Alp, mit dem wir gerungen. 7 [168] das allzu-persönlich-Nehmen aller Probleme, Finsterniß, schlechter Weg, üble Herberge für den Wanderer und das ganze ewige Wanderer-Elend [+] Menschen!!! 7 [169] Unsere Leidenschaften sind die Vegetation die den Felsen nackter Thatsachen sofort wieder zu umkleiden beginnt. Das ewige Spiel! 7 [170] Weder gut noch böse!!! 7 [171] Ja, wir gehen an dieser Leidenschaft zu Grunde! Aber es ist kein Argument gegen sie. Sonst wäre ja der Tod ein Argument gegen das Leben des Individuums. Wir müssen zu Grunde gehen, als Mensch wie als Menschheit! Das Christenthum zeigte die Eine Art, durch Aussterben und Verzicht auf alle rohen Triebe. Wir kommen durch Verzicht auf das Handeln, das Hassen das Lieben ebendahin, auf dem Wege der Leidenschaft der Erkenntniß. Friedliche Zuschauerbis nichts mehr zu sehen ist! Verachtet uns deshalb, ihr Handelnden! Wir werden eure Verachtung anschauen: los von uns, von der Menschheit, von der Dingheit, vom Werden 7 [172] Ich meinte, das Wissen tödte die Kraft, den Instinkt, es lasse kein Handeln aus sich wachsen. Wahr ist nur, daß einem neuen Wissen zunächst kein eingeübter Mechanism zu Gebote steht, noch weniger eine angenehme leidenschaftliche Gewöhnung! Aber alles das kann wachsen! ob es gleich heißt auf Bäume warten, die eine spätere Generation abpflücken wirdnicht wir! Das ist die Resignation des Wissenden! Er ist ärmer und kraftloser geworden, ungeschickter zum Handeln, gleichsam seiner Glieder beraubter ist Seher und blind und taub geworden! 7 [173] Auch die Genießenden wollen noch ihre Moralität (ihren Muth ihren Fleiß) dabei bewundern: deshalb haben die schweren Autoren, die künstlichen Dichter und Musiker so viel Studium so viel Bewundern! Marini. Mit dem naiven Stil, das Höchste in der Kunst, darf man diese Prätension nicht machen, Jeder wähnt, es sei leicht Rafael zu verstehen, und deshalb wird auch der, welcher weiß, daß dem nicht so ist, doch nicht mit solchem Heldeneifer darangehen: es fehlen die dankbaren Zuschauer zu seinem Schauspiel! 7 [174] Eure Seele ist nicht stark genug, so viele Kleinheiten der Erkenntniß, so viel Geringes und Niedriges mit in die Höhe hinaufzutragen! So müßt ihr euch über die Dinge belügen, damit ihr eures Kraft- und Größengefühls nicht verlustig geht! Anders Pascal und ich. Ich brauche mich der kleinen erbärmlichen Details nicht zu entäußernich will ja keinen Gott aus mir machen. 7 [175] Jüdischeine Religion des Schreckens, der Verachtung und gelegentlich der Gnade (wie alte Patriarchen) Griechischeine Religion der Freude an der Kraft, an der eigenen Vollkommenheit, gelegentlich eine Religion des Neides gegen die Allzuhochhinauswollenden (Agamemnon Achill) 7 [176] Irrsinnig eine so ungewisse Grenze, wie gut und schön! oder lächerlich und schamhaft 7 [177] Die Ehrlichkeit der großen Männer des Glaubens an sich beweist sich nur durch die furchtbare Trübsal ihres Zweifelns an sich: wo dies nicht sichtbar ist, sind es Verrückte oder Schauspieler. 7 [178] Vertrauen wir den Trieben, sie werden schon wieder Ideale schaffen! wie es die Liebe immerfort thut. Und dann: von Zeit zu Zeit durch Stolz einen Trieb unterdrückensofort bekommen alle anderen eine neue Färbung. Das Spiel kann lange fortgesetzt werden, wie Sonnenschein und Nacht. 7 [179] Die Wissenschaft kann durchaus nur zeigen, nicht befehlen (aber wenn der allgemeine Befehl gegeben ist in welche Richtung? dann kann sie die Mittel angeben) den allgemeinen Befehl der Richtung kann sie nicht geben! Es ist Photographie. Aber es bedarf der schaffenden Künstler: das sind die Triebe! 7 [180] Ich gebe meinem Hange zur Einsamkeit nach, ich kann nicht anders: ob[gleich] ich es nicht nöthig hättewie die Leute sagen. Aber ich habe es nöthig. Ich verbanne mich selber. 7 [181] Jener plötzliche Haß gegen das, was ich liebte. Jene Schüchternheit und jenes was liegt an mir! 7 [182] Ich habe Mozart für heiter gehaltenwie tief muß ich melancholisch sein! Daher meine Begierde!! nach Helle Reinlichkeit Heiterkeit Schmuckheit Nüchternheit, meine Hoffnung, daß alles dies mir die Wissenschaft geben werde! sie! 7 [183] Jetzt machen Franzosen und Italiäner den Deutschen das Gewaltthätige und die bewußte Häßlichkeit in der Musik naches sind diese die nöthigen Gegenfarben, um die sublimirtesten himmlischen Reize und Eröffnungen paradiesischer Zauber in Tönen errathen zu lassen: da muß die physische Marter des Ohrs vorher nicht gering gewesen sein undfür den Himmel hat man erst den rechten Geschmack nach dem Fegefeuer. Das wußten die Älteren nicht! Sie verlangten, daß einer, der Musik hören wollte, verliebt oder noch besser passionirt sei! jetzt gilt als der beste vorbereitende Zustand: die Verzweiflung, der Weltüberdruß. Gefühllos geworden durch das ewige Elend und für alles Elend, lassen wir die Marter über uns ergehenund sind unsäglich dankbar, nachher uns gerührt und erschüttert zu finden! Mitleiden mit uns und allen Leidenden ist das Glück, welches diese Musik verspricht. 7 [184] Der Selbstbetrug Pascals: er geht schon von christlicher Prädisposition aus. Die bösen Lüste! [Vgl. Blaise Pascal, Pascal's Gedanken, Fragmente und Briefe: aus dem Französischen nach der mit vielen unedirten Abschnitten vermehrten Ausgabe P. Faugère's; in zwei Theilen. Deutsch von C. F. Schwartz. Th. 1-2. Leipzig: Wigand, 1865:1, 219, 241; 2, 119, 127, 246.] Die Bedeutung des Todes! [Vgl. Blaise Pascal, Pascal's Gedanken, Fragmente und Briefe: 1, 40.] Denken wir doch so an den Tod, wie an den Tod bei Thierenso ist die Sache nicht so furchtbar. Zum Tode verurtheiltdas ist nichts so Schlimmes an sich: nur beim Verbrecher macht es uns so schreckliche Empfindungen, wegen der Schande. Pascal war nicht vorsichtig genug, er wollte beweisen!die Verführungskunst des Christenthums. [Vgl. Blaise Pascal, Pascal's Gedanken, Fragmente und Briefe:2, 22.] 7 [185] Das Christenthum hat die Übel der menschlichen Lage übertrieben d. h. sie erst geschaffen. Pascal thut noch das Äußerste. 7 [186] Der Stolze und Unabhängige fühlt sich tief erbittert beim Mitleiden lieber gehaßt als bemitleidet. 7 [187] Man denke ja nicht, daß etwa Gesundheit ein festes Ziel sei: was hat das Christenthum die Krankheit vorgezogen und mit guten Gründen! Gesund ist fast ein Begriff wie Schön guthöchst wandelbar! Denn das Sich-wohl-fühlen tritt in Folge langer Gewohnheit bei entgegengesetzten Zuständen des Leibes ein! 7 [188] Alcohol: die Deutschen, die jetzt auf unverschämte Weise geldgierig geworden sind, Politik lieber als Arbeit wollen, und Sklaven des nationalen Dünkels [sind]drei Quellen der Verdummung 7 [189] Ich habe keine Personen kennengelernt, welche eine solche Ehrfurcht einflößen, wie die griechischen Philosophen. 7 [190] Pascals Passion will sich als nothwendig für Jedermann, als das einzig Nöthige beweisen. 7 [191] Ich habe die Verachtung Pascals und den Fluch Schopenhauers auf mir! Und kann man anhänglicher gegen sie gesinnt sein als ich! Freilich mit jener Anhänglichkeit eines Freundes, welcher aufrichtig bleibt, um Freund zu bleiben und nicht Liebhaber und Narr zu werden! 7 [192] Es sind Aphorismen! Sind es Aphorismen?mögen die welche mir daraus einen Vorwurf machen, ein wenig nachdenken und dann sich vor sich selber entschuldigenich brauche kein Wort für mich 7 [193] Freude bei schönen Gärten und Häusern, daß es Leute giebt, welche für diese Art Liebe Dauer haben und daß ich diese Gärten und Häuser nicht habedoppelte Freude! 7 [194] Das Schönedarunter verstehen die Amerikaner jetzt das Ruhig-Rührende. Es ist dem geschäftlichen Ernste und der praktischen Erwägung der Folgen, der Trockenheit und der Leidenschaft des Jagens Gewinnens und Sich-Besinnens entgegen 7 [195] Die Deutschen meinen, daß die Kraft sich in Härte und Grausamkeit offenbaren müsse, sie unterwerfen sich dann gerne und mit Bewunderung: sie sind ihre mitleidige Schwäche ihre Empfindlichkeit für alle Nichtse auf einmal los und genießen andächtig den Schrecken. Daß es Kraft giebt in der Milde und Stille, das glauben sie nicht leicht. Sie vermissen an Goethe Kraft und meinen, Beethoven habe mehr: und darin irren sie!! 7 [196] Die Anhänger Wagners wollen an ihre Befähigung der Exaltation und Expansion glauben machenin einem nüchternen Zeitalter kein geringer Ehrgeiz! Aber es ist kein nüchternes: so müssen sie excediren! 7 [197] Der Trieb der Erkenntniß ist noch jung und roh und folglich gegen die älteren und reicher entwickelten Triebe gehalten, häßlich und beleidigend: alle sind es einmal gewesen! Aber ich will ihn als Passion behandeln und als etwas, womit die einzelne Seele bei Seite gehen kann, um hülfreich und versöhnlich auf die Welt zurückzublicken: einstweilen thut Weltentsagung wieder noth, aber keine asketische! 7 [198] Zeitalter Louis XIV: der Zauber einer Unterwürfigkeit unter eine künstliche Form empfunden von starken Seelen, wie sie damals waren (sie waren voller Haß und Neid untereinander und durften es nicht zeigen. Sie hatten eine Lust der Rache bei diesem Zwang des Dichters und seiner Helden, ihre Gefühle schwer ausdrücken zu dürfen. Das Natürliche hätte sie empört: was gelte sonst ihre Unnatur! Nur nicht peuple!): das ist schwer jetzt zu genießen! Anders bei den Griechen! welche sehr anhänglich an die Sitte waren und höchst vorsichtig gegen die Neuerung (dafür auch den feinsten Gaumen für jeden kleinen neuernden Zug hatten!)
[Vgl. Stendhal, Racine et Shakespeare: études sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:43; 251.] 7 [199] Was nennen die Anhänger Wagners einen musikalischen Menschen? Und was Andere und ehemals! Fast Gegensätze! Also Vorsicht! 7 [200] Was ich an mir vermisse: jenes tiefe Interesse für mich selber. Ich stelle mich zu gerne außer mir heraus und gebe allem zu leicht Recht, was mich umgiebt. Ich werde schnell müde, beim Versuch, mich pathetisch zu nehmen. Ich habe nie tief über mich nachgedacht. [Vgl. Stendhal, Rome, Naples et Florence. Paris: Lévy, 1854: 81.]
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