COPYRIGHT
NOTICE: The content of this website,
including text and images, is the
property of The Nietzsche Channel.
Reproduction in any form is strictly
prohibited. © The Nietzsche Channel.
Sommer 1880 4 [101-200] 4 [101] Da es mehr als je individuelle Maßstäbe giebt, so ist wohl auch die Ungerechtigkeit größer als je. Der historische Sinn eine moral[ische] Gegenkraft. Das Wehethun durch Urtheile ist jetzt die größte Bestialität, die noch existirt. Es giebt keine allgemeine Moral mehr; wenigstens wird sie immer schwächer, ebenso der Glaube daran unter den Denkern. Es giebt genug Menschen, welche ohne Moral leben, weil sie dieselbe nicht mehr nöthig haben (wie solche die ohne Arzt Medizin peinliche Prozeduren leben, weil sie gesund sind und entsprechende Gewohnheiten haben) Moralisch bewußt lebensetzt Fehlerhaftigkeit voraus und deren Druck und Folgen d. h. wir haben unsere Existenzbedingungen noch nicht gefunden und suchen sie noch. Für das Individuum, so weit es kein Denker ist, hat Moral ein begrenztes Interesse: so lange es ihm nicht wohl, nicht regelmäßig zu Muthe ist, denkt er nach den Ursachen und sucht moralische, da andere ihm als Schlechtgelehrten unbekannt sind. Die Fehler seiner Constitution seines Charakters in die Moralität sich schieben, an seiner Krankheit schuld sein wollenist moralisch! 4 [102] Wenn einer seine Sitten festgestellt hat, mit denen er seine Umgebung erträgt und die Umgebung ihn erträgt, so ist er sittlich. So lange er schwankt und niemand sich auf ihn verlassen kann, ist er es noch nicht. Der Sittliche wird berechenbar z. B. als Parteimann: daher viel Haß gegen den Unsittlichen. 4 [103] Der Trost Luthers als die Sache nicht vorwärts gieng, Untergang der Welt. Die Nihilisten hatten Schopenhauer als Philosophen. Alle die extrem Aktiven wollen die Welt in Stücke gehen lassen, wenn sie ihren Willen als unmöglich erkennen (Wotan) 4 [104] Wir haben nur gegen uns selber wahr zu sein: gegen Andere es zu sein ist Aufopferung, und nur in dem Falle, daß dazu der natürliche Hang in uns ist, ist auch die Wahrheit gegen Andere ein Gebot der Natur, das befriedigt werden will. Gegen uns selber ist es Selbsterhaltung z. B. unsere physischen Kräfte müssen wir uns richtig vorstellen. Uns im Geistigen einen Sprung zumuthen, zu dem unsere Beine nicht reichen, ebenso im Moralischen ist Anlaß zu Beinbrüchen und den schwersten Schmerzen; unsere Moralität hat das Maaß ihrer Idealität an dem Maaße der uns möglichen Kraft, vorausgesetzt daß wir diese steigern können. Alles Wachsthum muß allmählich, nicht sprungweise geschehen. Wie viel Elend ist in der Welt, dadurch daß man an sich den Maaßstab einer unmöglichen Moralität legt! Man schämt sich doch nicht, wenn man nicht wie ein Läufer zu laufen vermag: aber in moralischen Dingen sind wir so kindisch, das Fehlen der natürlichen Bedingungen sich zur Schuld und Schande anzurechnen! Als ob wir unser Werk wären! Dies ist auch wirklich die Hypothese, auf der jenes Schamgefühl wuchs. 4 [105] Die höheren Menschen unterscheiden sich von den niederen wie die höheren Thiere von den niederen, durch die Complicirtheit ihrer Organe und Menge derselben. Sich nach Einfachheit sehnend. h. es leichter haben wollen! Jetzt wird immer noch, namentlich von Künstlern, der Halbbarbar verherrlicht: Kraft Gefühl Unwissenheit natürliche Gebärde und Instinktedies ist der malerische Standpunkt diese Gattung nimmt sich gut ausjetzt ist die Gefahr der Erkrankung und partiellen Verkümmerung so vieler Organe groß. 4 [106] Jetzt gefällt es, sich hetzen zu lassen und zu hetzen: selbst Künstler wählen den Geist der Unzufriedenheit als die Muse, welche sie begeistert. Sieht man sie dann in ihren Erholungen, so sind sie ganz leer, sie haben keine Kraft daran zu verschwenden und ziehen das Fadeste vor (selbst bedeutende Gelehrte). Es wäre sehr unbillig, darnach die Zeit zu beurtheilen: sie giebt im Vergnügen und der Erholung nicht sich ganz, geschweige denn ihren besten Theil zu erkennen. So sei man tolerant gegen ihre Kunst, und bedaure die höheren Künstler, denen die Zeit nicht entspricht, wahrlich nicht, weil sie ihrer unwürdig wäre! Das beurtheilt man als Jüngling falsch. 4 [107] Die Moralisten nahmen die vom Volke verehrte Moral als heilig und wahr und suchten sie nur zu systematisiren, d.h. sie hiengen ihr das Kleid der Wissenschaft um. Den Ursprung zu untersuchen hat kein Moralist gewagt: der rührte an Gott und dessen Boten! Man nahm an, daß die Moral im Munde des Volks entstellt lebe, daß es ihrer Reinigung bedürfe. 4 [108] Man ehrt die welche im Denken den Bann der Sitte durchbrachen. Aber die welche es durch die That thaten, verunglimpft man und schiebt ihnen schlimme Motive unter. Dies ist unbillig, mindestens sollte man den Freidenkern dieselben schlimmen Motive unterschieben. Daß im Verbrecher sehr viel Muth und Originalität des Geistes, Unabhängigkeit bewiesen werden könne, wird verhehlt. Der Tyrann ist vielfach ein freierer tapferer Geist, sein Wesen nicht schlechter als das der Furchtsamen, oft besser, weil ehrlicher. Man beantwortet jetzt allgemein die Frage ob die russischen Nihilisten unmoralischer seien als die russischen Beamten zu Gunsten der Nihilisten. Es sind zahllose Sitten den Angriffen der Freidenker und Freithäter zum Opfer gefallen: unsere jetzige individuelle Denkweise ist das Resultat von lauter Verbrechen gegen die Sittlichkeit. Jeder der das Bestehende angriff, galt als schlechter Mensch; die Geschichte handelt nur von diesen schlechten Menschen! 4 [109] Die Freithäter sind im Nachtheil gegen die Freidenker, weil ihre egoistischen Motive sichtbarer werden als die jener. Aber jene fanden die Befriedigung ihrer egoistischen Motive oft schon im Aussprechen des Verbotenen: so ist das Unmoralische harmloser und deshalb beschimpft man es nicht. In Hinsicht auf die Quelle ist alles Eins: Napoleon und Christus. 4 [110] Die Griechien litten nach Aristoteles öfter an einem Übermaaß von Mitleid: daher die nothwendige Entladung durch die Tragödie. Wir sehen, wie verdächtig diese Neigung ihnen vorkam. Sie ist staatsgefährlich, nimmt die nöthige Härte und Straffheit, macht, daß Heroen sich gebärden wie heulende Weiber usw. In jetziger Zeit will man das Mitleid durch die Tragödie stärkenwohl bekomms! Aber man merkt nichts davon, daß es da ist, vorher und nachher. 4 [111] Entweder man gehorcht als Sklave und Schwacher, oder man befiehlt mit: letzteres der Ausweg aller stolzen Naturen, welche jede Pflicht sich auslegen als Gesetz, das sie sich und den Anderen auferlegen: ob es gleich von außen her ihnen auferlegt wird. Dies ist die große Vornehmthuerei in der Moralitätich soll, was ich will ist die Formel. 4 [112] Seit Rousseau hat man die Unmittelbarkeit des Gefühls verherrlicht, sich jemandem an die Brust werfen, seinen Zorn wie seinen Speichel auswerfen usw. Sonderbar, daß alle großen Weisen der Moral das gerade Gegentheil verlangt haben! Zurückhaltung des Gefühlsund daher die Würde im Benehmen des sittlichen Menschen. Es giebt reizende vollkommene Seelen, denen es wohl ansteht, weil sie kein Übermaaß in sich haben: aber das Gesetz nach einem Mozart machen, heißt doch ; wir sind keine Singvögelchen. Auch gute und respektable Gefühle, maaßlos und unmittelbar geäußert, erregen Widerwillen gegen sich: so hat wohl jeder einmal das Mitleiden, das sich nicht in Schranken hält, zu allen Teufeln gewünscht. 4 [113] Ist es nöthig die sittlichen Worte beizubehalten? Was haben die Ausdrücke der Alchymie in der Chemie zu suchen? 4 [114] 1) Vorurtheil: die Folgen die man einer geheiligten moralischen Vorschrift nachrühmt, würden auch die Folgen anderer Vorschriften sein: aber man meint, diese Eine allein, habe das Privilegium 2) die Folgen sind that[sächlich] gar nicht die Folgen sondern ein häufiges post hoc 3) die Folgen sind in Wahrheit die Folgen einer Begleiterscheinung die man übersieht usw. 4 [115] Da jedes Ding bei längerem Bestehen etwas Würde haben will, so sehen wir auch die Wagnerische Kunst nach allem greifen, was im Stande ist, Würde zu verleihen, Christenthum, Fürsten- und Adelsgunst usw., gar zu gern möchte sie einen Heiligenschein, aber wo sind die Mächte, welche solche zu vergeben hätten! 4 [116] Dinge, die man dauernd lieb haben will, muß man ein wenig unter ihrem wahren Werthe ansetzen: man darf nie ganz wissen, was sie sind. Wehe dem, der übertreibt! Er verliert jedes Kleinod: falls er nämlich aus der Stimmung der Übertreibung in ihren Gegensatz geräth. 4 [117] Im Sittlichen muß man nicht an seine äußersten Grenzen gehen: sonst geräth man in den Ekel am Sittlichen. 4 [118] Kenntniß seiner Kräfte, Gesetz ihrer Ordnung und Auslösung, die Vertheilung derselben, ohne die einen zu sehr, die andern zu wenig zu gebrauchen, das Zeichen der Unlust als unfehlbarer Wink daß ein Fehler, ein Exceß usw. begangen istalles in Hinsicht auf ein Ziel: wie schwer ist diese individuelle Wissenschaft! Und in Ermangelung derselben greift man nach dem Volksaberglauben der Moral: weil hier die Recepte schon präparirt sind. Aber man sehe auf den Erfolgwir sind das Opfer dieser abergläubischen Medizin; das Individuum nicht, sondern die Gemeinde sollte durch ihre Recepte erhalten bleiben! 4 [119] Was die Werthschätzungen ursprünglicher Völker ausmacht, läßt sich durch keine Phantasie errathen, man muß es erfahren. Bestimmte Gebräuche und der damit verbundene Gedankenkreis sind nicht zu construiren; wenn man von den natürlichen Bedürfnissen und Begehrungen der Menschen redet, so denkt man sich die Sache zu einfach: die intellektuellen Bedürfnisse z. B. sind höchst absonderlich befriedigt worden. 4 [120] Oft kommen 2 Menschen zusammen, deren Sittlichkeit so schlecht zusammen paßt, daß der eine da ein vacuum hat, wo der andere seine Kraft und Tugend fühlt; sie nennen sich gegenseitig unsittlich. [Vgl. William Edward Hartpole Lecky, William Edward Hartpole Lecky's Sittengeschichte Europas von Augustus bis auf Karl den Grossen. Nach der 2. verbesserten Auflage mit Bewilligung des Verfassers übersetzt von Hermann Jolowicz. Zweite, rechtmässige Auflage, mit den Zusätzen der 3. englischen vermehrt, und durchgesehen von Ferdinand Löwe. Bd. 1. Leipzig; Heidelberg: Winter, 1879:141.] 4 [121] Das, was über die Nothdurft hinausgeht, höher zu achten, das Entbehrliche, den Putz usw. ein uralter Trieb: eine gewisse Verachtung gegen das, was den Organismus und das Leben constituirt. 5"8`< Griechen, honestum Römersehr sonderbar! das Außerordentliche? Die Moral wollte den menschlichen Handlungen eine Bedeutung geben, einen Putz, einen fremden Reiz, ebenso alle Beziehungen zur Gottheitein intellektueller Trieb äußert sich so, das Leben soll interessant aufgefaßt werden, und ehe man die Wissenschaft hatte, welche gerade alles was zur Nothdurft gehört, im höchsten Maaße interessant machte, glaubte man sich über die Nothdurft erheben zu müssen, um den Menschen interessant zu finden. Deshalb die Annahme geheimnißvoller dämonischer Gewalten in ihm usw. (Namentlich wo die Befriedigung der natürlichen Triebe leicht ist, bei großer Fruchtbarkeit des Bodens usw. trat schnell Geringschätzung gegen das Natürliche ein) [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:394f.] 4 [122] Das Regelmäßige in der Natur, das ist das Berechenbare, dem kann man sich fügen, so daß es unschädlich oder gar nützlich verläuft: so hat man überall wo Regel waltet, an gute wohlthätige Mächte geglaubt (durch eine Verwechslung). Das Böse, das ist das Unberechenbare z. B., der Blitz. Der Mensch ist berechenbar auf Grund der Moral, insofern gut, das fremde Volk unberechenbar, also böse, fremde Sitten werden als böse betrachtet. Die Übertragung dessen, was uns gut ist, auf das Objekt, das nun gut genannt wird 4 [123] Das Gefühl der Sympathie könnte aus dem Gegensatz entstanden sein: die Furcht und die Antipathie gegen das Fremde Andere ist das Natürliche. Nun tritt der Fall ein, wo dies Gefühl schweigt, keine Furcht: wir beginnen dies Ding zu behandeln, wie uns selber. 4 [124] Der Mensch ist nicht der Erbe aller sympathischen Empfindungen der Thierwelt. 4 [125] Wenn die Geschlechter sich suchen und locken, entsteht ein Gegensatz von Antipathie: hier ist die Heimat der Moral als sympathischer Regungen. Mit einander ein Vergnügen habennach einander verlangen, nicht um sich zu fressen. Die Moralität als sympathisches Verhalten der Thiere steht im Verhältniß zum Grade ihrer Sinnlichkeit. Unter Menschen auch? Die Religionen welche Mitleid und Liebe am höchsten geachtet haben, sind unter sehr sinnlichen Völkern entstanden, was sich schon dadurch beweist, daß sie in Bezug auf Sinnlichkeit das asketische Ideal aufstellten: ein Beweis, daß sie sich in dieser Hinsicht maaßlos und ungebändigt fühlten (Inder und Juden) 4 [126] Die Novelle wirkt stärker als das aufgeführte Schauspiel, weil sie sich der Historie gleichstellt; während das Schauspiel die Illusion fortwährend zerstört; gesetzt ein Schauspieler bringt sie hervor, dann zerstört sie ein anderer, und jedenfalls das Theater und die Menschen um uns. Wie matt, wie wenig überzeugend ist Mozarts Don Juan gegen Merimées Don Juan! Dann sind wir beim Erzählenhören viel thätiger als beim Anschauen, letzteres erzeugt den Hang zu kritisiren viel öfter. Die Musik wirkt, als fortwährende Begleitung, unter allen Umständen abziehend und störend, auch die beste Musik langweilt zu oft. 4 [127] Sympathie für jemand, d. h. [ihn] nicht fürchten und Freude von ihm erwarten. Und das soll unegoistisch sein! 4 [128] Zu verstehen, wie es einem Anderen (oder einem Thiere) zu Muthe ist, ist etwas anderes als mitempfinden, das Wissen des Arztes z. B. und das der Mutter des kranken Kindesaber die Voraussetzung? Es ist durchaus nicht ein Nachbilden dieses bestimmten Leidensgefühls, sondern ein Leiden darüber, daß jemand leidet. Dagegen bezieht sich das Wissen auf die bestimmte Art des Schmerzes. Seinen Schmerz ihm nachfühlen weil man ähnliches erlebt hat ist von der Art des ärztlichen Wissens um den Schmerzist nicht das eigentliche Mitleid, das generell mit dem Leide einer Person leidet, nicht mit dem bestimmten Leide. Das Gefühl, jemand leidet, den wir lieben der in unserer Pflege oder Macht steht, ist ganz persönlich, gewöhnlich mit dem Ärger über unsere Ohnmacht verknüpft (beim Mitleid kann die Fähigkeit, sich die Art des Leidens vorzustellen, sehr gering sein). 4 [129] Aus Mitleid die Freunde schonen gilt als Schwäche und ist der Gegensatz der Tugend, welche Strenge gegen sich gebietet, wo es gemeinnützige Maaßregeln gilt. 4 [130] In Indien ist das Höchste Contemplation, das Zweite Leben nach den Vorschriften der Kaste [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:99.] 4 [131] Die Leidenschaften sind falsche Urtheile nach den Stoikern. [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:98.] 4 [132] Das erste Christenthum schätzte am höchsten die Eigenschaften, die zur Mission befähigten, um vor dem nahen Ende die Lehre bis an die Grenzen der Erde zu tragen (Ehelosigkeit und Verlassen der Güter) Weltflucht hieß das griechisch-römische Leben nicht mitmachen, da dies durch und durch auf heidnischer Cultur ruhte. Neuplatonische Grundannahme, daß wir für ein höheres Leben zu leben hätten, die Erde erschien zu niedrig, insgleichen die Cultur. Dieser naive Stolz! Entrückt- und Erhobensein von der Erde, Berühren des höchsten Weltgrundes im Gefühleeine Art platonischer Erkenntnißalles Täuschung. Die neuplatonische Ansicht verschmolz mit dem Christenthum, es sind die religiosi, die höheren Menschen. Die Reformation verwarf diese Höheren und leugnete die Erfüllung des sittlichen religiösen Ideals, sie hatte gegen die vita contemplativa viel Bosheit und Widerspruch. [Vgl. Johann Julius Baumann, Handbuch der Moral: nebst Abriss der Rechtsphilosophie. Leipzig: Hirzel, 1879:99ff.] 4 [133] In der Moral fordert man die strengste Theorie von Jedermann. 4 [134] Dem theoretischen Leben ist die Oberflächlichkeit zu eigen: das praktische ist gründlich und führt immer durch alle nöthigen Mittel zum Ziele oder anders wird das Ziel verfehlt. Dagegen erreicht der Denker oft vermeintlich sein Ziel, und bemerkt die fehlerhaften Wege und Sprünge nicht als solche: er hat zu oft und zu leicht das Gefühl des Gelingens. 4 [135] Die Keuschheit ist nur für das Alter der Halbjünglinge und Mädchen eine Tugend: an sich eine Perversität, weil es die Gattung vernichten würde. Als individuelle Maßregel im Interesse der Anderen eine Ausnahme: wo nämlich nur die völlige Entsagung den M[enschen] retten kann. 4 [136] Die Menschheit wird sich im neuen Jahrhundert vielleicht schon viel mehr Kraft durch Beherrschung der Natur erworben haben als sie verbrauchen kann und dann wird etwas vom Luxushaften unter die Menschen kommen, von dem wir uns jetzt keine Vorstellung machen können. Gesetzt, der Idealismus der Menschen in ihren Zielen bliebe nicht stehen, so könnten dann großartige Unternehmungen gemacht werden, wie wir sie jetzt noch nicht träumen. Allein die Luftschifffahrt wirft alle unsere Culturbegriffe über den Haufen. Statt Kunstwerke zu schaffen wird man die Natur in großem Maaße verschönern in ein paar Jahrhunderte Arbeit, um z. B. die Alpen aus ihren Ansätzen und Motiven der Schönheit zur Vollkommenheit zu erheben. Dann wird alle frühere Litteratur etwas nach der Enge kleiner Städte riechen. Ein Zeitalter der Architektur kommt, wo man wieder für Ewigkeiten wie die Römer baut. Man wird die zurückgebliebenen Völkerschaften Asiens Afrikas usw. als Arbeiter verwenden, die Bevölkerungen des Erdbodens werden anfangen sich zu mischen. Wenn man an die Vergangenheit denkt, wird man an den düsteren Trübsinn und die träge Beschaulichkeit derselben denken: Feuer und Überschuß an Kraft Folge der gesunden Art zu leben. Um eine solche Zukunft vorzubereiten, müssen wir die Trübsinnigen Griesgrämigen Nörgler Pessimisten separiren und zum Aussterben bringen. Die Politik so geordnet, daß mäßige Intellekte ihr genügen und nicht jedermann jeden Tag drum zu wissen braucht. Ebenso die wirthschaftlichen Verhältnisse ohne die Gier ob leben und sterben. Zeitalter der Feste. 4 [137] Ich halte es für möglich, daß ein mit Thatsachen reichlich angefüllter und logisch meisterlicher Geist in einer ungeheuren Aufregung des Intellekts eine unerhörte Masse von Schlüssen hintereinander macht und so zu Resultaten kommt welche ganze Generationen von Forschern erst einholen: ein Phantasiren ist es aucher wird es büßen müssen. 4 [138] Bei unsern jetzigen induktiven Forschern ist der Scharfsinn und die Vorsicht geist- und erfindungsreicher (auch phantasievoller) als bei den eigentlichen Philosophen. 4 [139] Vorurtheil, daß man, um selbständig zu urtheilen einen hohen Rang, eine Macht repräsentiren müsse, daß die Niederen auch nicht frei im Gedanken sein dürfen. Das will räsonniren, Ansichten haben usw. usw., als man, nach seiner Meinung, zu lange über die Ansichten [Vgl. Stendhal, Lord Byron en Italie. In: Racine et Shakespeare. Etudes sur le romantisme. Paris: Lévy, 1854:267ff.: "Monsignor de Brême rappela l'anecdote si connue de M. le géneral de Castries, qui, choqué de la considération avec laquelle on écoutait d'Alembert, s'écrie: 'Cela veut raisonner, et cela n'a pas mille écous de rente!'"] 4 [140] Es haben doch zu viel Jammerseelen und Kopfhänger sich fortgepflanzt! 4 [141] Das Glück der Menschen welche sich befehlen lassen (zumal Militärs Beamte): keine völlige Verantwortung in Betreff der Richtung ihrer Thätigkeit, ein Leichtsinn und Harmlosigkeit, Forderung der strengen Pflichterfüllung (welches der schönere Name für Gehorsam ist, dessen Würde). Auch kluge Christen haben diesen Leichtsinn. Die Wissenschaft entlastet ebenso (Unverantwortlichkeit) 4 [142] Nichts mit der Wirklichkeit zu thun haben wollen, die wahre Wirklichkeit in entrückten Gefühlen zu tasten suchen, abweichend zu sein und ohne Verständniß für das Leben: dafür hatte die frühere Wissenschaft ihre Formeln, es war ihr eine vernünftige Tendenz, weil sie an die Hinterwelt glaubte. Dem Dichter concedirt man es, wenn er schöne Narrheiten aus einer möglichen Welt erzählt: sei es daß er selber unsere Welt verachtet, er zahlt für diese Geringschätzung mit seinen Werken. Aber wehe ihm, wenn er uns verführen wollte, uns über die Welt zu erheben d. h. im Handeln zu schwärmen und die angenehme Lügnerei einer müssigen Stunde zur Richterin des Lebens zu machen! Darin sind wir jetzt streng. 4 [143] Sind nicht alle erhabenen Gefühle jetzt verdächtig geworden, weil die falsche Schwärmerphilosophie sich so nah seit langer Zeit an sie gelegt hat, daß neben einem erhabenen Gefühl fast regelmäßig ein verdrehter Gedanke, ein überspannter Gesichtspunkt aufsteigt! Traurig. Die ästhetische Rücksicht findet noch dazu die phantastischen Gedanken reizvoller als die strengen und angepaßten, und alle Künste bestehen wie auf einem Dogma, daß die intellektuelle Verstiegenheit und die erhabenen Gefühle zusammen leben und sterben. Daß es Erhebung ohne Phantasterei giebt, bitte beweist es täglich und stündlich! Freunde! 4 [144] Geht man einem moralischen Gefühle nach, so entdeckt man, nach dem Gange desselben durch Nachahmung, endlich eine sehr starke Werthschätzung einer Sache oder Handlung, welche ihren Grund in einer Theorie hat. Also wenn Begriffe die Menschen überreden unterjochen und sie nach ihnen etwas messen, so entsteht als praktisches Resultat ein Begehren oder ein Verabscheuen. Dies wird dann direkt weiter gepflanzt, ohne die dazu gehörige Motivation und oft hinterher mit einer untergeschobenen neuen. Wo es moralische Gefühle giebt, da ist entweder ein Begriff ins Blut übergegangen oder ein Gefühl nachgeahmt. 4 [145] Alle halten das für moralisch, was ihren Stand aufrechterhält, die Mutter, was ihr Ansehen mehrt, der Politiker, was seiner Partei nützt, der Künstler, was seinem Kunstwerke zur Verewigung verhilft: und der Grad von Geist und Kenntnissen entscheidet, wie weit einer dies Interesse treibt, ob er die Reform der ganzen Welt, ja selbst den Untergang derselben für das sittliche Ziel erklärt, damit er so dem Interesse seines Standes usw. am höchsten nütze. Der Fürst, der Adlige haben Eine Moral mit dem Volksmann, aber ihre Mittel nennen sie gegenseitig unsittlich. Die Sittlichkeit ist immer bei uns zu Hause; es fragt sich, wie weit wir dies bei uns ausdehnen. 4 [146] Blutschande Ehebruch Nothzucht erotische Besessenheit, nach denen nicht nur die französischen Dramatiker des romantischen Geschmacks, sondern auch die deutschen Operncomponisten griffenZeichen wovon? Diese Neigung zu mythischen Gräueln, woran auch die Griechen litten, ist jedenfalls ein schlechter Geschmack: schlimm genug, wenn die Philosophie dessen bedarf, um ihre Sätze glaubhaft zu machen. 4 [147] Wir begreifen nicht, was der andere will, ärgern uns und ihn: entsetzliches Elend in der Familie ist der Grund, und dabei sind es die guten Menschen, welche am meisten sich ärgern, weil sie, was sie nicht verstehen, sich fremd, also böse fühlen. 4 [148] Da die moralischen Urtheile und Gefühle sehr viel Elend gebracht haben, namentlich die Gewissensbisse, so ist zu fragen: ist dies durch ein größeres Gut aufgewogen? Die Menschheit exstirt durch sie zweifelhaft: die thierischen Gattungen existiren ohne sie. Viele Stämme haben gegen ihre Nachbarn wegen der moralischen Unterschiede solche Vernichtungswuth. 4 [149] In den Wissenschaften der speziellsten Art redet man am bestimmtesten: jeder Begriff ist genau umgrenzt. Am unsichersten wohl in der Moral, jeder empfindet bei jedem Worte etwas Anderes und je nach Stimmung, hier ist die Erziehung vernachlässigt, alle Worte haben einen Dunstkreis bald groß bald eng werdend. 4 [150] Ein Überdruß am Menschlichen, als ob es immer die alte Komödie sei, ist möglich, für ein erkennendes Wesen ist es eine furchtbare Beschränkung, immer als Mensch erkennen zu müssen, es kann einen intellektuellen Ekel vor dem Menschen geben. 4 [151] Sehr ehrgeizige Menschen, denen der Zugang zu einem Gebiete der Auszeichnung verschlossen ist z. B. der Feldherrnkunst der Astronomie der Medizin, rächen sich entweder, indem sie diese Dinge und ihre Vertreter geringschätzen und bespötteln odersie wähnen, es gäbe für sie einen besonderen königlichen Weg um gleich zur Quintessenz zu kommen. Da bildet man sich hellseherische Kräfte eben ein. 4 [152] Jenes heiße brennende Gefühl der Verzückten dies ist die Wahrheit dies mit Händen Greifen und mit Augen Sehen bei denen, über welche die Phantasie Herr geworden ist, das Tasten an der neuen anderen Weltist eine Krankheit des Intellekts, kein Weg der Erkenntniß. 4 [153] Erster Grundsatz: erfüllbare und nahe Ideale: also individuelle! 4 [154] Ihr braucht nur Märtyrer zu sein, dann seid ihr eurer Sache gewiß!so klang die Stimme der Verführung, mit der man über die Moralforderungen triumphirte. Ein Entschluß wie zum Zahnausziehen! 4 [155] Ohne leibliche Vollkommenheitist denn eine geistige oder sittliche möglich? Welches Aufpassen beim kränklichen Zustand, wie nöthig das Durchsieben. Übrigens hat das Wieder-gesund-werden vielleicht zu viel vom Rausch der Gesundheit, als daß nicht auch seine Erkenntnisse etwas verdächtig sein sollten. 4 [156] Der Schiffbrüchige der das Land sieht und am Land zu sein sehr schätzen würde aber nicht schlieren kannwas nützt es ihm, ans Land zu wollen? An unserem Willen liegt es nicht, wenn wir wenig erreichen, sondern an den Kräften oder dem Mangel an Übung: vor allem an Kenntniß unserer Kräfte: sonst würden wir vieles gar nicht wollen. 4 [157] Der Geist der Mensch im Menschen Philo (bei dem alles wahre Sein der Wirklichkeit entrückt ist und nur die mit pneumatischer Offenbarung Begnadeten daran Antheil haben) [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:25.] 4 [158] Die Juden haben das Irdische als das Schwache Vergängliche gegenüber dem Erhabenen im Himmel Thronenden empfundenin demüthigster Unterordnung Das rein geistige Sein ist eine griechische, nicht jüdische Erfindung. Aber die himmlische und die irdische Welt ist jüdisch. Die Juden glauben nicht an unerfüllbare Ideale, die himmlischen Tafeln (verwandt mit den platonischen Ideen) verwirklichen sich vollständig, die himmlische Weisheit erscheint adäquat im Gesetz. Anders Plato. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:26-27, 33, 35 Anm. 1.] 4 [159] Hellenistisch: für Offenbarung zugänglich durch Enthaltung von Fleisch und Wein. Solcher Bedingungen braucht es beim Jüdischen nicht. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:35 Anm. 4.] 4 [160] Durch die Essener dringt Hellenistisches ein. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:36-37] 4 [161] Die leibliche Auferstehung ist jüdisches Dogma. Dem Todten bleibt Fleisch und Blut. Beides nimmt am seligen Leben Theil. Ein Märtyrer hofft seine herausgerissenen Eingeweide bei der Auferstehung wieder zu erhalten (2 Macc.) [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:37f.] 4 [162] Das Fleisch gelüstet wider den Geist B<[gØ:"]und der Geist wider das Fleisch Paulus. In meinem Fleisch wohnt die Sünde und das Fleisch wirkt dann auf Geist und Herz, den inneren Menschen. Die Verbindung von Tod und Sünde! Weil alle sterben, müssen alle gesündigt haben. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:52, 69, 87.] 4 [163] Nach Philo ist der erste Mensch in höchster Vollkommenheit, ganz weise: er fällt, indem er der geschlechtlichen Begierde nachgiebt, ganz freiwillig. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:92f.] 4 [164] Jüdisch und auch paulinisch: es giebt eine religiös anhaftende Schuld ohne Wissen und Wollen ein Zuwiderhandeln gegen das Gesetz begründet Schuld, die zu büßen ist (die Bestimmungen über levitisch Reines und Unreines) Nach Philo ist Sünde: die bewußte Hingebung des <@Øl an die böse Qualität des Körperlichendas ist griechisch. Das Fleisch muß entfernt werden Paulus. Der Widerstand des inneren Menschen bloß mit Kenntniß des Gesetzes und Freude an demselben reicht nicht aus, völlig ohnmächtig. (Er hat also nicht gemeint, daß Wissen und Werthschätzung ausreichen zum effektiven Willen.) Beweis für Paulus war die Erscheinung bei Damascus: der Lichtglanz Gottes auf dem Angesichte Jesu. Er hat den sinnlichen sündigen Leib des Menschen angenommen; das menschliche Sündenfleisch. Es ist :"kJ\": es beherrscht vor dem Erscheinen des Gesetzes das B<gØ:" <[hkfB@<], ohne dessen Wissen, nach dem Erscheinen des Gesetzes mit Wissen desselben. und erzeugt die B"kV$"F4l. In Christo aber ein B<gØ:" 1g@Ø, der die :"kJ\" in einem gefesselten Zustande hielt. Indem Gott die FVk> Christi tödtete, vernichtete, hat er die :"kJ\" zum Tode verurtheilt, vernichtet. Die Besiegung der FVk> nicht durch das Erdenleben Christi sondern durch seinen Leibestod. Durch die Taufe ist, was an Chrito geschehen, am Getauften mitgeschehen. Die Wirkung sofort. Wenn seine FVk> gestorben ist, so ist er frei von Sünde. Die radikale Extirpation der Sünde! Man ist eins geworden mit Christo, mit dem lebenerzeugenden Geisteergo unsterblich, und das Auferstehen wie Christus auferstanden ist. Der Mensch, der von B<gØ:" erfüllt ist, ist gerecht und heilig. Und Luther? Der Fleischesleib ist nicht fortaber todt. Der Umstand daß Paulus ermahnt, beweist, daß die FVk> dem Untergang Preis gegeben ist. Das Absterben der FVk> nicht zu unterbrechen. Therapeuten, Essener, später die Ebioniten überlassen die Abtödtung der Sinnlichkeit dem Einzelnen. Für die Spannezeit bis zur Parusie wird der Christ die FVk> an sich haben. Paulus kennt 1) keine Auferstehung des Fleisches 2) keine Auferstehung der Unerlösten. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:106-148.] 4 [165] Da das Sünden- und Verworfenheitsgefühl eine Einbildung ist, so giebt es auch Gegenmittel, mit denen es aufgehoben werden kann. Das beständige Leben in einer Idee des Gegentheils, mit Gott eins geworden zu sein. Überhaupt jede starke missionirende todbereite märtyrerhafte Existenz ist ein Mittel gegen moralische Desperation: d. h. Wiederherstellung eines ungeheuren Hochmuthes, der Sprung von der Tiefe in die Höhe. Gerecht und heilig gar nicht oder mit Einem Schlage! An Stelle des Besserwerders das Wunder der Vollkommenheit. 4 [166] Alle religiös produktiven Naturen haben Gesichte und Entzückungen gehabt. Das beweist gegen die Gesundheit des Religiösen. 4 [167] Die kosmische Stellung Jesu, der Erlöser der Natur. Sehnsucht nach Vollendung, oft ohne Ausdruck zu finden, Seufzer. Der Rest der Sarx wird ganz entfernt, wir werden Söhne Gottesbei der Auferstehung. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:147.] 4 [168] Da die Moral eine Summe von Vorurtheilen ist, so kann sie durch ein Vorurtheil aufgehoben werden. 4 [169] Das Gefühl gänzlich gut geworden zu sein ist ebensosehr herstellbar als das, gänzlich verworfen zu sein. Es handelt sich um eine Ausdeutung, eine Anpassung. 4 [170] Der Fanatismus ein Mittel gegen den Ekel an sich. Was hat Paulus auf dem Gewissen? Die FVk> hat ihn verleitet zu Unreinheit Bilderdienst und Zauberei (n"k:"ig\") Feindschaft und Mord, Trunkenheit und Gelage (iä:@4) Alles Mittel zum Gefühl der Macht. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:73.] 4 [171] Wenn dem Gesetze durch Christi Tod genug gethan, kann man sich von ihm emancipirt fühlen. Das gottfeindliche Princip ist vernichtet, indem der Fleischesleib Christi untergeht: nicht nur ist eine Schuld abgetragensondern die Schuld an sich aus der Welt verdrängt. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:214f.] 4 [172] In den vier Hauptbriefen Gedankenarbeit im Kampfe mit dem Judaismus. [Vgl. Hermann Lüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus und ihre Stellung innerhalb seiner Heilslehre: nach den vier Hauptbriefen. Kiel: Universitäts-Buchhandlung, 1872:217.] 4 [173] Wir würden jetzt die Neigung zu religiösen Verzückungen mit Abführmitteln behandeln. 4 [174] Wodurch wird im Menschen das Gefühl unbändiger Machterhöhung hervorgebracht? Bramanen: sich mächtige Götter vorstellen und sich Mittel ausdenken, sie in seine Gewalt zu bekommen und als Werkzeuge zu behandeln. (oder: sich große Menschen ins Gigantische vergrößern und dieselben als Vorstufen für sich selber hinstellen. 4 [175] Das Gefühl der Macht? Die Askese als Mittel dazu (Vereinigung mit Gott, Verkehr mit Todten usw.) Das der-Welt-absterben ist schon Hochmuth. 4 [176] Das Gefühl der Macht, insofern man zu einem starken Häuptling Familie Gemeinde Staat gehörtfundamental für Stiftung moralischer Verbindlichkeit; wir ordnen uns unter, damit wir das Gefühl der Macht haben. Wer dem Vaterland abgeneigt ist, hat doch in Augenblicken der Gefahr desselben sofort seinen Opfermuth wieder: er will das Gefühl der Ohnmacht nicht. 4 [177] Übergang aus dem Gefühl der Ohnmacht in das der Macht sehr lustvoll: daher oft die tiefste Demüthigung gesucht. David, um nachher. Vielleicht jüdisch? Der geheime Hochmuth des Sklaven: religiös z. B. Die Abgrenzung gegen die Thiere; der Erde gegen die Sterne. 4 [178] In Betreff eines Dramas wollen die Deutschen, daß man begreife, was geschieht, die Franzosen, daß man begreife, warum es geschieht; sie sind vernünftiger, erstere bleiben bei der Anschauung und der Freude stehen. 4 [179] Die erste Wirkung des Glückes ist das Gefühl der Macht: diese will sich äußern 1) gegen uns selber 2) gegen Menschen 3) gegen Vorstellungen 4) gegen eingebildete Wesen und Dinge. Vernichten, verspotten, beschenken. 4 [180] Die Herrschaft über die Natur, die fixe Idee des 20. Jahrhunderts ist Bramanismus, indogermanisch. 4 [181] Schauspieler-Genie. Ist es denkbar, daß jemand solchen Unsinn aufstellen kann? Ich selber habe ihn einstmals aufgestellt. Dulce est desipere in loco. Sed non hic locus. [Vgl. Horaz, Carmina IV, 12, 98.] 4 [182] Man soll doch die Behauptung, daß Moral Aberglaube ist, nicht damit zu widerlegen glauben, daß man sagt, Moral sei unsäglich nützlich und namentlich gewesen: also ein sehr nützlicher, vielleicht unentbehrlicher Aberglaube. 4 [183] Das Gefühl der Macht heute auf Seiten der Wissenschaft: nicht der Einzelne für sich (Philosoph) sondern als Glied. Die Fürsten und Völker dienen ihr. Bramanenthum ist vielleicht zu übertreffen. Was sind die Mittel, die Unabhängigkeit des Einzelnen zu steigern? Das Gefühl der höheren Wesen? 4 [184] Zu allen Zeiten haben die Menschen darnach gestrebt, zum Gefühl der Macht zu kommen: die Mittel dazu, welche sie erfanden, sind fast die Geschichte der Cultur. Jetzt sind viele dieser Mittel nicht mehr möglich oder nicht mehr räthlich. 4 [185] Er fühlt sich, sie fühlt sich, es fühlt sichMann Frau und Kind. 4 [186] Nicht die indischen Götter sind die Geber der Gaben: aus den heiligen Handlungen, aus den Liedern, ja aus deren Metren geht aller Reichthum und alles irdische Glück hervor. W [Vgl. Jacob Wackernagel, Über den Ursprung des Brahmanismus. Vortrag. Basel: Schweighauser (Hugo Richter), 1877:28-29.] 4 [187] Die Gegengabe gegen die moralische Einschränkung des Individuums ist die Steigerung seines Gefühls von Macht (als Mitglied einer Gemeinde, später einer höheren geistigen Menschheit, eines Ordens) Vermöge der moralischen Handlung kann man zaubern. Untergehen mit dem Gefühl der Machtein besonderer Kunstgriff, im Sterben siegen (die Materie abschütteln usw.) 4 [188] Die unpersönliche Geistigkeit Gottes ist griechisch, die Juden hatten den Gott ihres Volkes, den Bundesgott, eine Persönlichkeit. Die Christen schwanken, doch mehr jüdisch. [Vgl. Moritz Engelhardt, Das Christenthum Justins des Märtyrers. Eine Untersuchung über die Anfänge der katholischen Glaubenslehre. Erlangen: Deichert, 1878:136f.] 4 [189] Cyprian alle außerhalb der Kirche geübte Tugend, selbst das Martyrium ist werthlos. felsenfeste Überzeugungen und todesmuthige Gewißheit soll das Christenthum der alten Welt gebracht haben. [Vgl. William Edward Hartpole Lecky, William Edward Hartpole Lecky's Sittengeschichte Europas von Augustus bis auf Karl den Grossen. Nach der 2. verbesserten Auflage mit Bewilligung des Verfassers übersetzt von Hermann Jolowicz. Zweite, rechtmässige Auflage, mit den Zusätzen der 3. englischen vermehrt, und durchgesehen von Ferdinand Löwe. Bd. 1. Leipzig; Heidelberg: Winter, 1879:369.] 4 [190] Plato im Grunde Pantheist, doch in der Verkleidung des Dualisten. 4 [191] Die Spirituosen und Narcotica als Mittel zum Gefühl der Macht. Die Berauschungen der Künste, der Feste der Schönheit der Pflicht 4 [192] Zu wissen daß so und soviel Personen mit uns sterben als unser nöthiges Gefolge, oder als Gattinnen usw.giebt ein Gefühl und einen Ausdruck von Macht, der wieder die zukünftigen Opfer stolz macht, als einem so Mächtigen unterthan. [Vgl. Jacob Wackernagel, Über den Ursprung des Brahmanismus. Vortrag. Basel: Schweighauser (Hugo Richter), 1877:26f.] 4 [193] Die Kunst der Schmeichelei vor Gott Fürsten Frauen hat im Werthe eingebüßt; man wünscht jetzt die freie Gefolgschaft oder die widerwillige wird verachtet die Knechtsgebärde: es ist so ästhetischer. 4 [194] Je nachdem das Gefühl der Schwäche (Furcht) oder das der Macht überwiegen, entstehen pessimistische oder optimistische Systeme. 4 [195] Es ist das klügste, sich auf die Dinge zu beschränken, wo wir ein Gefühl der Macht erwerben können, das auch von Anderen anerkannt wird. Aber die Unkenntniß ihrer selber ist so groß : sie werden durch Furcht und Ehrfurcht auf Gebiete fortgerissen, wo sie nur durch Illusion ein Gefühl der Macht haben können. Reißt der Schleier, so giebt es Neid. 4 [196] Von außen her sich seine Macht beweisen lassen, an die man selbst nicht glaubtalso durch Furcht in der Unterordnung unter das Urtheil der Anderenein Umweg eitler Menschen. 4 [197] Die große Leidenschaft der M[acht] (Napoleon Cäsar) man muß dabei eitler erscheinen als man ist, es wollen, um das Gefühl der Macht bei den Werkzeugen (Nationen) zu befriedigen. Für mich und mein Volk Macht und nicht nur das Gefühl in uns, sondern die Macht sichtbar außer uns. Weil eine solche Macht das stärkste und erhebendste Gefühl befriedigt, geht die Geschichte hier ihren großen Gang: die Eroberer sind wirklich die Hauptsache, die inneren Vorgänge der Völker, ihre Nothdurftfragen sind Nebensache d. h. werden immer so empfunden: die Völker wollen lieber Wein als Brod. 4 [198] Die Macht der Wissenschaft baut jetzt ein Gefühl der Macht auf, wie es Menschen noch nicht gehabt haben. Alles durch sich selber. Was ist dann die Gefahr? Welches wäre die größte Vermessenheit, vorausgesetzt daß die Wissenschaft eben Wissenschaft bleibt? 4 [199] Die Blase der eingebildeten Macht platzt: dies ist das Cardinalereigniß im Leben. Da zieht sich der Mench böse zurück oder zerschmettert oder verdummt. Tod der Geliebtesten, Sturz einer Dynastie, Untreue des Freundes, Unhaltbarkeit einer Philosophie, einer Partei. Dann will man Trost d. h. eine neue Blase. 4 [200] Gegen Jedermann ein spitzes zweischneidiges aufreizendes Wörtchen haben: das sind die, welche es gern haben, wenn die Ochsen schneller laufen und etwas nachhelfen. Aber es giebt Tollkühne, welche jedermann rasend machen wollen, um sich so der Wirkung ihrer Kraft zu freuen.
|