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The Will to Power
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Dezember 1881-Januar 1882 16 [1-23]

16 [1]

Fortsetzung der “Morgenröthe.”

Genova, Januar 1882.

16 [2]

Man ist erst dann genesen, wenn man Arzt und Krankheit vergessen hat.

16 [3]

Ich will nur Eine Gleichheit: die, welche die äußerste Gefahr und der Pulverdampf um uns giebt. Da haben wir Alle Einen Rang! Da können wir Alle miteinander lustig sein!

16 [4]

Ihr beklagt euch darüber, daß ich schreiende Farben gebrauche? Nun, ich nehme die Farben aus der Natur—was kann ich für die Natur!— Aber ihr sagt, es sei dies meine Natur und nicht die eure und die aller Welt! Und ihr habt vielleicht Recht: vielleicht habe ich eine Natur, welche schreit—“wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser.” Wäret ihr selber dieses frische Wasser, wie gefällig würde euch meine Stimme klingen! Aber ihr seid verdrießlich darüber, mir nicht von meinem Durste helfen zu können—und ihr möchtet vielleicht mir so gerne helfen? — —

16 [5]

Bin ich denn ein Forscher? Ich bin nur schwer—ich falle, falle, immerfort—bis ich auf den Grund komme.

16 [6]

Unsere Tugenden müssen gleich den Versen Homer’s kommen und gehen.

16 [7]

Jene haben nöthig, Nacht zu machen, um ihr Licht leuchten zu lassen—was hätte ich mit ihnen zu thun, der ich nicht zum Nachtlicht tauge? Ja, ich leugne öfter als gut ist die Nacht, wo sie nicht erst zu machen ist.

16 [8]

Die würdigste Vorstellung von den Göttern hatten die Epicureer. Wie könnte das Unbedingte irgend etwas mit dem Bedingten zu schaffen haben? Wie könnte es dessen Ursache oder dessen Gesetz oder dessen Gerechtigkeit oder dessen Liebe und Vorsehung sein! “Wenn es Götter giebt, so kümmern sie sich nicht um uns”—dies ist der einzige wahre Satz aller Religions-Philosophie. [Vgl. Diogenes Laertius, Philosophos historia, e peri bion, dogmaton kai apophthegmaton ton en philosophia eudokimesanton biblia deka. Lipsiae: Tauchnitii, 1833:X, I, §123-124, S. 234-235.]

16 [9]

“Aber wohin fließen denn zuletzt alle Flüsse des Großen und Größten am Menschen? Giebt es für sie allein keinen Ozean?”— Sei dieser Ozean: so giebt es einen. [Vgl. Ralph Waldo Emerson, Versuche (Essays), aus dem Englischen von G. Fabricius. Hannover: Carl Meyer, 1858:Vorsatzblatt.]

16 [10]

Wenn man über Jemand hinweg steigt, so ist es schwer, ihm dabei nicht zu hart zu erscheinen. Niemand wird dir das Recht einräumen, in ihm nichts als eine Stufe zu sehen.— Aber du mußt die ganze Treppe hinauf!

16 [11]

Recept wider die Medizin.— “Das sind lauter neue Lehren und lauter neue Medizinen—sagt ihr mir; das will uns nicht schmecken!” Nun, macht es nur so, wie es alle klugen Kranken machen—trinkt den Trank in einem langen Zuge hinunter und dann schnell noch etwas Süßes und Würziges hinterdrein, das euch den Gaumen wieder rein spüle und euer Gedächtniß betrüge! Die “Wirkung” wird trotzdem nicht ausbleiben—dessen seid versichert! Denn ihr habt nunmehr “den Teufel im Leibe,” wie alle alten Medizinmänner euch sagen werden.

16 [12]

Egoismus! Wenn wir uns nicht zu allererst und fortwährend um uns selber drehten, wir hielten es nicht aus, irgend einer Sonne nachzulaufen!

16 [13]

Man hat ein feines Ohr für Kettengeklirr, wenn man jemals eine Kette getragen hat.

16 [14]

Wer Ruhm haben will, muß sich bei Zeiten darauf einüben, ohne Ehre leben zu können.

16 [15]

Vorwärts! Sobald ich hier Halt machen wollte, würde ich glauben, ich hätte mich verstiegen—ich habe keinen Gewinn dabei, stehen zu bleiben, aber die furchtbare Möglichkeit, daß der Schwindel mich packt. Vorwärts also!

16 [16]

Nachwirkung der ältesten Religiosität.— Wir glauben alle steif und fest an Ursache und Wirkung; und manche Philosophen nennen diesen Glauben wegen seiner Steif- und Festigkeit eine “Erkenntniß a priori”—zweifelnd und erwägend, ob nicht hier vielleicht eine Erkenntniß und Weisheit übermenschlicher Herkunft anzunehmen sei: jedenfalls finden sie den Menschen in diesem Punkte unbegreiflich-weise. Nun scheint mir aber die Herkunft dieses unbezwinglichen Glaubens ziemlich durchsichtig und eher ein Gegenstand zum Lachen als zum Stolz-thun. Der Mensch meint, wenn er etwas thut, zum Beispiel einen Schlag ausführt, er sei es, der da schlage, und er habe geschlagen weil er schlagen wollte, kurz, sein Wille sei die Ursache. Er merkt gar nichts von einem Problem daran, sondern das Gefühl des Willens genügt ihm, um die Verknüpfung von Ursache und Wirkung sich verständlich zu machen. Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen feinen Arbeit, die abgethan werden muß, damit es zu dem Schlage kommt, ebenso von der Unfähigkeit des Willens an sich, auch nur den geringsten Theil dieser Arbeit zu thun, weiß er nichts. Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der Glaube an den Willen als an die Ursache von Wirkungen ist der Glaube an magisch wirkende Kräfte, an den unmittelbaren Einfluß von Gedanken auf unbewegte oder bewegte Stoffe. Nun hat ursprünglich der Mensch überall, wo er ein Geschehen sah, einen Willen als Ursache gedacht, kurz: persönlich wollende Wesen im Hintergrunde wirkend geglaubt—der Begriff der Mechanik liegt ihm ganz ferne. Weil aber der Mensch ungeheure Zeiten lang nur an Personen geglaubt hat (und nicht an Stoffe, Kräfte, Sachen usw.), ist ihm der Glaube an Ursache und Wirkung zum Grundglauben geworden, den er überall, wo etwas geschieht, anwendet—auch jetzt noch, instinktiv und als ein Stück Atavismus ältester Abkunft. Die Sätze “keine Wirkung ohne Ursache,” “jede Wirkung wieder Ursache” erscheinen als Verallgemeinerungen viel engerer Sätze: “wo gewirkt wird, da ist gewollt worden” “es kann nur auf wollende Wesen gewirkt werden” “es giebt nie ein reines folgenloses Erleiden einer Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens” (zur That, Abwehr, Rache, Vergeltung)—aber in den Urzeiten der Menschheit waren diese und jene Sätze identisch, die ersten nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die zweiten Erläuterungen der ersten: alle auf der Grundlage des Gedankens “Natur ist eine Summe von Personen.” Wäre hingegen der Menschheit die ganze Natur von vornherein als etwas Unpersönliches, folglich Nicht-Wollendes vorgekommen, so würde sich der umgekehrte Glaube—des fieri e nihilo, der Wirkung ohne Ursache—gebildet haben: und vielleicht hätte er dann den Ruf übermenschlicher Weisheit.— Jene “Erkenntniß a priori” ist also keine Erkenntniß, sondern eine eingefleischte Urmythologie aus der Zeit der tiefsten Unkenntniß!

16 [17]

A: “Die Art, wie er mich öffentlich mißversteht, beweist mir, daß er mich nur gar zu gut verstanden hat.”— B: “Nimm es von der besten Seite! Du bist bei ihm gewaltig in der Achtung gestiegen; er hält es bereits nöthig, dich zu verleumden.”

16 [18]

Wer den Fleiß seines Vaters erheblich überbieten will, wird krank; und ebenso steht es mit allen Tugenden—unsere Aufgabe ist immer, eine Tugend auf der Höhe, in der sie uns vererbt ist, zu erhalten, denn in dieser Höhe gehört sie zu unserer Gesundheit: sie zu steigern — — —

16 [19]

Nachkommen haben—das erst macht den Menschen stätig, zusammenhängend und fähig, Verzicht zu leisten: es ist die beste Erziehung. Die Eltern sind es immer, welche durch die Kinder erzogen werden, und zwar durch die Kinder in jedem Sinne, auch im geistigsten. Unsere Werke und Schüler erst geben dem Schiffe unseres Lebens den Compaß und die große Richtung.

16 [20]

“Die besten Dinge sind ihm unschmackhaft geworden!” —

Nun, dagegen giebt es ein Heilmittel: er sollte einmal eine Kröte verschlucken!

16 [21]

Was geschah mir gestern an dieser Stelle? Ich war noch nie so glücklich, und die Fluth des Daseins warf mir mit den höchsten Wellen des Glückes ihre kostbarste Muschel zu, die purpurne Schwermuth. Wozu war ich nicht bereit! Welcher Gefahr hätte ich nicht getrotzt! Erschien mir nicht der Raum zu eng — — —

16 [22]

“Ja! Ich will nur das noch lieben, was nothwendig ist! Ja! Amor fati sei meine letzte Liebe!”— Vielleicht treibst du es so weit: aber vorher wirst du erst noch der Liebhaber der Furien sein müssen: ich gestehe, mich würden die Schlangen irre machen.— “Was weißt du von den Furien! Furien—das ist nur ein böses Wort für die Grazien.”— Er ist toll! —

16 [23]

Ihr Selbsteigenen! Ihr Selbstherrlichen! Jene Alle, deren Wesen die Zugehörigkeit ist, jene Ungezählten Unzähligen arbeiten nur für euch, wie es auch dem Oberflächlichen anders erscheinen möge! Jene Fürsten Kaufleute Beamte Ackerbauer Soldaten, die sich vielleicht über euch hinaus glauben—sie Alle sind Sklaven und arbeiten mit einer ewigen Nothwendigkeit nicht für sich selber: niemals gab es Sklaven ohne Herren—und ihr werdet immer diese Herren sein, für die da gearbeitet wird: ein späteres Jahrhundert wird schon das Auge für dieses Schauspiel haben! Laßt jenen doch ihre Ansichten und Einbildungen, mit denen sie ihre Sklaven-Arbeit vor sich selber rechtfertigen und verhehlen—kämpft nicht gegen Meinungen, welche eine Barmherzigkeit für Sklaven sind! Aber haltet immer fest, daß diese ungeheure Bemühung, dieser Schweiß Staub und Arbeitslärm der Civilisation für die da sind, die dies Alles zu benutzen wissen, ohne mit zu arbeiten: daß es Überschüssige geben muß, welche mit der allgemeinen Überarbeit erhalten werden, und daß die Überschüssigen der Sinn und die Apologie des ganzen Treibens sind! So seid denn die Müller und laßt von diesen Bächen euch die Räder umdrehen! Und beunruhigt euch nicht über ihre Kämpfe und das wilde Tosen dieser Wasserstürze! Was für Staats- und Gesellschaftsformen sich auch ergeben mögen, alle werden ewig nur Formen der Sklaverei sein—und unter allen Formen werdet ihr die Herrschenden sein, weil ihr allein euch selber gehört, und jene immer Zubehöre sein müssen!

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