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The Will to Power
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Anfang 1880 1 [1-130]

1 [1]

Vom Aberglauben.
Vom Loben und Tadeln.
Von der zulässigen Lüge.

1 [2]

Schätzung des Mitleids (von Seiten derer ausgehend, die bemitleidet werden?)

Monogamie

1 [3]

Befinden die Menschen sich schlecht in Folge ihrer Unmoralität oder ihrer Moralität?— Oder in Folge von Beiden und vielen anderen Dingen?

1 [4]

Wie soll man handeln? So daß der Einzelne möglichst erhalten bleibt? Oder so daß die Rasse möglichst erhalten bleibt? Oder so daß eine andere Rasse möglichst erhalten bleibt? (Moralität der Thiere) Oder so daß das Leben überhaupt erhalten bleibt? Oder so daß die höchsten Gattungen des Lebens erhalten bleiben? Die Interessen dieser verschiedenen Sphären gehen auseinander. Aber was sind höchste Gattungen? Giebt die—Höhe des Intellekts oder die Güte oder die Kraft den Ausschlag? In Bezug auf diese allgemeinsten Maaßstäbe für das Handeln gab es kein Nachdenken, geschweige denn Übereinstimmung.

1 [5]

Was Freundlichkeit und Wohlwollen betrifft, steht Europa nicht auf der Höhe: es zeugt gegen das Christenthum.

1 [6]

Das universale Glück zu erstreben ist eine Unverschämtheit, und Albernheit.

1 [7]

Der schlechte der kranke der nicht erzogene Mensch ist ein Resultat, dem man die Fortdauer und die Wirksamkeit beschneiden muß.

1 [8]

Die schädlichste Tendenz ist die, immer an Andere zu denken (für sie thätig sein ist fast eben so schlimm als gegen sie, es ist eine Vergewaltigung ihrer Sphäre. Welche Brutalität ist die gewöhnliche Erziehung, der Eingriff der Eltern in die Sphäre der Kinder!

1 [9]

Die Moralität (ebenso wie die Dichtkunst) ist am stärksten bei Naturvölkern (ihre Gebundenheit durch die Sitten) Bei den höchst cultivirten Nationen sind die Sitten meist das Rückständigste, oft Lächerliche, hier ist der ausgezeichnete Mensch immer unmoralisch.

1 [10]

Gesetzt, es wird mehr geschätzt, für Andere sich zu opfern, so thut man es: aber weil es geschätzt wird. Instruktiv!

1 [11]

Teufelsanbetung Spencer p. 31 [Vgl. Herbert Spencer, Die Thatsachen der Ethik. Autor. dt. Ausgabe nach der zweiten engl. Auflage übersetzt von Benjamin Vetter. Stuttgart: Schweizerbart, 1879:31.]

1 [12]

Erziehung Fortsetzung der Zeugung. Das ganze Leben ist Anpassung des Neuen an das Alte.

1 [13]

Napoleons präsentables Motiv: “ich will Allen überlegen sein.” Wahres Motiv: “ich will Allen überlegen erscheinen.”

1 [14]

Das größte Problem der kommenden Zeit ist die Abschaffung der moralischen Begriffe und die Reinigung unserer Vorstellungen von den eingeschlichenen und oft uns schwer erkennbaren moralischen Formen und Farben.

1 [15]

Der “Mörder,” den wir verurtheilen, ist ein Phantom: “der Mensch der eines Mordes fähig ist.” Aber das sind wir Alle.

1 [16]

An dem Gleich-sein-wollen verkümmert die Fähigkeit der Freude.

1 [17]

Die Barbarei im Christenthum.
2) Überreste der Teufelsanbetung usw.
[Vgl. Herbert Spencer, Die Thatsachen der Ethik. Autor. dt. Ausgabe nach der zweiten engl. Auflage übersetzt von Benjamin Vetter. Stuttgart: Schweizerbart, 1879.]

1 [18]

Wenn man ein so außerordentliches Wohlgefallen an seinen Werken hat und ihretwegen sich selber überhebt, so setzt man sich in der Rangordnung der Geister herab: denn es liegt nun nicht mehr viel daran, was man über andere Werke und Menschen urtheilt. Man hat die große Feuer-Probe der Gerechtigkeit nicht bestanden und darf nicht mehr auf dem Richterstuhl sitzen wollen.

1 [19]

Wenn es nicht verboten ist: “du sollst nicht morden!”—in ganzen Perioden hat das innere Gefühl nichts gegen den Mord einzuwenden.

1 [20]

Wer die Pein erfahren hat, [die] Wahrheit zu sagen trotz seiner Freundschaften und Verehrungen, scheut sich gewiß vor neuen.

1 [21]

Es giebt ganz gescheute Menschen, welche meinen, wenn sie gegen eine Sache hartnäckig die Augen verschließen, dieselbe sei nicht mehr auf der Welt.

1 [22]

Giebt es etwas Wichtigeres und Wirksameres, als jeden Menschen seiner Bekanntschaft als einen schwierigen Prozeß anzusehen, vermöge dessen sich eine spezifische Art Wohlsein durchsetzen möchte: erst wenn dies Wohlsein erreicht ist, ist, das, Gleichgewicht zwischen ihm und uns Allen hergestellt; von da an theilt er von seiner Freude mit und drängt sich doch nicht in die Sphäre der Anderen, er steht als kräftiger Baum unter anderen Bäumen, in der Freiheit des Waldes.

1 [23]

NB. Dunkle und abergläubische Menschen glauben 1) — — — 2) — — — 3) — — — im Gegensatz zu den aufgeklärten

1 [24]

Das Mitleid ohne Intelligenz ist eine der unangenehmsten und störendsten Erscheinungen: von sich aus ist leider das Mitleid durchaus nicht hellsichtig, wie Schopenhauer will.

1 [25]

Keine lauere und flauere Empfindung wäre möglich als wenn alle Menschen sich einander eins oder auch nur gleich wähnten. Die schwungvollste Empfindung, die der amour-passion, besteht gerade im Gefühl der größten Verschiedenheit.

1 [26]

Dadurch daß das Christenthum entwurzelt ist, wächst unsere Jugend ohne Erziehung.

1 [27]

Die Gesellschaft muß immer mehr Wahrheit ertragen lernen.

1 [28]

Menschen die vor Gift und Eifersucht gegen Menschen beißen möchten, predigen Wohlwollen gegen die Thiere

1 [29]

Eine neue Cultur—die soll man nicht verschauspielern!

1 [30]

Gerade jetzt wo die bejammernswerthe Comödie die Kunst mit dem Christenthum zu versöhnen wieder aufgeführt, an Schopenhauer zu erinnern! ihm sehr zu Ehren, daß er nie—

1 [31]

Das Bedürfniß, sich über alle Sachen auszusprechen, die uns quälen—ließ Gott dem Christen immer gegenwärtig erscheinen; für die gröberen phantasieärmeren Naturen schuf die Kirche seinen Vertreter, den Beichtvater. Warum will man sich aussprechen? Weil eine Lust dabei ist, eine Vergewaltigung des Anderen, dem wir unser Leid zu hören, mitzuempfinden, mitzutragen geben Gott als Sündenbock muß auch Beichtvater sein.

1 [32]

Ich kenne einen, der sich durch den kleinen Windhauch seiner “Freiheit” so verwöhnt hat, daß die Vorstellung zu einer Partei zu gehören, ihm Angstschweiß macht—selbst wenn es seine eigne Partei wäre!

1 [33]

Unsere Aufgabe ist die Cultur zu reinigen, den neuen Trieben Luft und Licht zu schaffen und im Glauben, daß nach Überwindung der Gegensätze sehr viel Kraft mehr da ist.

1 [34]

Ob ein Mensch zum Nutzen der Gesellschaft zu tödten sei? Der Mörder stört die Sicherheit, der Freigeist gefährdet die Seele für alle Ewigkeit. Die Murrköpfe stören das Behagen

1 [35]

Die unmoralischen Handlungen machen die moralische Lebensweise bestimmter roher Culturen aus.— Sie sind auch noch in unseren Organen vorhanden. Wir morden, stehlen, lügen, verstellen uns usw. selbst im Höchsten.

1 [36]

Unsere späteren Werthschätzungen bilden sich nach Analogie der angelernten, wie ein angefangenes Haus ausgebaut wird—d. h. — — —

1 [37]

So lange euch diese Sätze noch irgendwie paradox klingen, habt ihr sie nicht verstanden: sie müssen euch überflüssig und allzuklar erscheinen.

Man kann nicht leicht genug darüber nachdenken.

1 [38]

Freie Geister versuchen andere Arten des Lebens, unschätzbar! die moralischen Menschen würden die Welt verdorren lassen. Die Versuchs-Stationen der Menschheit

1 [39]

Es wird erstaunlich viel Schmerz auf den Versuchsstatonen neuer Lebensweisen und Nützlichkeiten umsonst erlitten—es hilft nichts: möge es nur Andern helfen! daß sie erkennen, was hier für ein verfehltes Experiment gemacht wurde.

1 [40]

Nach Gewohnheit zu handeln ist sich selber nachahmen das Nächste und Leichteste—ohne daß die Motive der ehemaligen Handlungen wieder wirken.

1 [41]

Der erfinderische G[eist] muß Zeit haben und darf sich nicht zu sehr an Regelmäßigkeit gewöhnen.

1 [42]

Unabhängig von gewissen körperlichen und geistigen Zuständen sollten wir Gott aus dem Teufel kennen, denn auch die göttlichen Zustände (“Gott wirkt in uns” der Teufel wüthet in ihm usw.) — — —

1 [43]

Moralität als Hinderniß der Erfindungen. Der Erfindsame, der zu faul ist, erfindet die Maschine und das Thier; der Ehrsüchtige die Staaten, der Versteller das Schauspiel usw.— Der vernünftige Mensch lebt von den Errungenschaften der Erfindsamen.

Sittlich ist die vernünftige Handlung thun, deren Zwecke und Mittel gebilligt werden.

Nur sittlich: da verarmt die Menschheit und wird nichts erfunden.

1 [44]

Wo Erregungen noth thun, da ist das zwecklose Überströmen der Kraft nicht mehr da; dies will man also herstellen—aber überströmen?

1 [45]

Man ist thätig, weil alles was lebt sich bewegen muß—nicht um der Freude willen, also ohne Zweck: obschon Freude dabei ist. Diese Bewegung ist nicht Nachahmung der zweckmäßigen Bewegungen, es ist anders.

1 [46]

Gesetzt, es würde durch die Wissenschaft sehr vielen zufriedenen Vorstellungen und mancher angenehmen Faulheit ein Ende gemacht, so wirkt sie ungesund. Aber dagegen ist zu rechnen, daß sie sehr viele Unzufriedenheit beseitigt und namentlich die schrecklichen Vorstellungen aller bösen Philosophien und Religionen, daß wir durch und durch böse sind und harten Bußen entgegengehen.

1 [47]

Die Handlungen der Gewohnheit hat man nur in Hinsicht auf ihren gemeinen Nutzen sittlich, also mit dem höchsten menschlichen Prädikat, nennen können—in sich sind sie sehr arm und fast “unter-thierisch.”

1 [48]

Eine Sache beschreiben

1 [49]

Die unmoralischen Menschen sind die, welche freie Bewegung haben ohne Zwecke, oder die alten Bahnen gehen mit anderen Zwecken.

1 [50]

Bisher hat von den 2 Hauptmotiven die Furcht vor dem Schmerz ganz übermächtig mehr gewirkt als das Trachten nach Freude. Man kannte gar zu wenig Freuden und gar zu viele Gefahren.— Hier zeigt sich im Ganzen die Zurückgebliebenheit des Menschen, je nachdem die Motive der Furcht gröber verfeinert oder erblaßt und von den Motiven der Freude überleuchtet sind.

1 [51]

Ein zufälliges Zusammentreffen zweier Worte oder eines Wortes und eines Schauspiels ist der Ursprung eines neuen Gedankens.

1 [52]

Menschen, welche viel Zufälliges haben und gerne herumschweifen, andere welche nur auf den bekannten Wegen nach Zwecken gehen.

1 [53]

Das Genie wie ein blinder Seekrebs, der fortwährend nach allen Seiten tastet und gelegentlich etwas fängt: er tastet aber nicht, um zu fangen, sondern weil seine Glieder sich tummeln müssen.

1 [54]

Die Handlungen mit einem unerwarteten Erfolg, zu einem anderen Zwecke unternommen—z. B. ein Thier das seine Eier bewacht, als Nahrung und plötzlich Wesen seines Gleichen vor sich sieht.

1 [55]

Wer sich auf prachtvolle moralische Attitüden versteht, den rechne man unter die Hanswürste Kapuziner Seiltänzer Feuerfresser und andere Künstler, die für die arbeitende Masse da sind, diese hat solche Lust am Unwahrscheinlichen und Verrückten; ich habe die besten Menschen in ihren besten Handlungen immer etwas beschämt und kurzathmig gefunden. Es giebt schon eine Art moralische Augen zu machen, wodurch der ganze Kerl verdächtig wird. Die Tugend ohne Scham vor sich selber ist nichts als eine List.

1 [56]

Veränderung der Werthschätzung z. B. Verachtung gegen die Abergläubischen und ihre Gegenstände.

1 [57]

Das Gute, das Ausgezeichnete thun, ohne Lob dafür zu erwarten, zu stolz sein, Lob dafür anzunehmen, und einen geringschätzigen Blick für den Allzudreisten, welcher trotzdem lobt, bereit halten, und an diese männliche Praxis jedermann aus seiner Umgebung gewöhnen; das Gelobtwerden aber den weibischen und künstlerischen Naturen gestehen und es da auch gelten lassen, weil diese Naturen ihr Bestes nicht aus Stolz, sondern aus Gründen der Eitelkeit thun.— Das ist das Rechte! Wenn wir es nur in Stunden der vollen Kraft ebenso als das Rechte empfänden, so ist dies gewiß kein Einwand dagegen. Für den Kranken und Müden mag etwas Lob als Würze oder Betäubung nöthig sein.— Zwischen gerechtem und ungerechtem Lobe mache ich hier keinen Unterschied und ebensowenig zwischen gerechtem und ungerechtem Tadel: letzteren sollen wir nicht nur gelten lassen, sondern herausfordern und ermuthigen; vermöge umfänglichen und jederzeit erklingenden Tadelns, sei dieses gerecht oder ungerecht, erheben wir uns über uns selber, denn wir sehen damit uns so, wie wir erscheinen, und zwar in unbestochenen Augen.

1 [58]

Man lernt die präsentablen Motive.

1 [59]

Ein ganz bewußter Egoismus würde jener Freuden entbehren, welche durch eingebildete Motive entstehen oder dadurch weil wir nur Ein Motiv von den vielen sehen wollen.

1 [60]

“Alle Menschen sind Sünder” ist eine solche Übertreibung, wie “alle Menschen sind Irre,” auf welche Ärzte gerathen könnten. Hier sind die Grad-Unterschiede außer Acht gelassen, und das Wort und die Empfindung, welche der abnorme äußerste Grad erweckt hat, sind auf das ganze verwandte Seelenleben der mittleren und niederen Grade mit übertragen. Man hat die Menschheit schrecklich gemacht, dadurch daß man eine Abnormität in ihr Wesen verlegte.

1 [61]

Die erfinderischen und die zweckthätigen Naturen—Gegensatz.

1 [62]

Zu begreifen, wie wenig Werth die sittlichen Handlungen haben, wie wenig Unwerth die unmoralischen—wie groß dagegen die intellektuelle Verschiedenheit in ihnen ist—diese Aufklärung über die Motive der Handlungen zu bekommen, bringt das höchste Erstaunen hervor.

1 [63]

Grundsatz: in der gesamten Geschichte der Menschheit bisher kein Zweck, keine vernünftige geheime Leitung, kein Instinkt, sondern Zufall, Zufall, Zufall—und mancher günstige. Diese sind ins Licht zu setzen. Wir dürfen kein falsches Vertrauen haben und am allerwenigsten uns weiter auf den Zufall verlassen. Derselbe ist in den meisten Fällen ein sinnloser Zerstörer.

1 [64]

Wenn ein Volk auf bestimmten moralischen Urtheilen stehen bleibt, so wird es dadurch beschränkt, verknöchert, isolirt, alt und geht endlich daran zu Grunde.

1 [65]

Moralische Urtheile werden am sichersten von Leuten ausgesprochen, die nie gedacht haben, und am unsichersten von denen, welche die Menschen kennen. Es ist nichts zu loben und zu tadeln.

1 [66]

Willkürliche Handlungen—das ist eigentlich ein negativer Begriff—Handlungen welche nicht unwillkürlich, nicht automatisch, ohne Zwecke verlaufen. Das Positive, was man dabei empfindet, ist ein Irrthum. “Unwillkürlich” das ist eigentlich der positive Begriff. Streng genommen, sind willkürliche Handlungen zwei unwillkürliche, welche zeitlich aneinander schließen, eine Gehirnbewegung, welcher eine Muskelbewegung nachfolgt, ohne ihre Wirkung zu sein.

1 [67]

Die größte Mannigfaltigkeit der menschlichen Existenz-Bedingungen aufrecht erhalten und nicht mit einem moralischen Codex die Menschen uniformiren—dies ist das allgemeinste Mittel, den günstigen Zufall vorzubereiten.— Bisher hat sich die Menschheit keinen Zweck gesetzt, welchen sie als Ganzes erreichen will—vielleicht geschieht es einmal. Einstweilen, da der Zweck fehlt, sind auch keine Mittel dazu erkenntlich. Inzwischen ist die möglichst große Masse solcher Individuen herzustellen welche individuelles Wohlbefinden haben was sich gegenseitig bedingt—das allgemeinste

1 [68]

Die Moral ist die Gesetzgebung solcher, welche sich klüger wußten als ihre Umgebung und für sie mit dachten. Man machte die oft schweren Anforderungen unwidersprechlich, dadurch daß man den Willen der Gottheit dazu gewann.

1 [69]

Es giebt also keine tadelnswürdigen Handlungen, sondern Lob und Tadel trifft nur Menschen, nicht Dinge.

1 [70]

Alles, was lebt, bewegt sich; diese Thätigkeit ist nicht um bestimmter Zwecke willen da, es ist eben das Leben selber. Die Menschheit als Ganzes ist in ihren Bewegungen ohne Zwecke und Ziele, es ist darin von vornherein kein Wille: wohl aber wäre es nicht unmöglich, daß der Mensch einmal einen Zweck hineinlegte: so wie gewisse ursprünglich zwecklose Bewegungen der Thiere zum Dienst ihrer Ernährung verwandt werden.

1 [71]

Bei Siegesfesten geht die siegreiche Armee fast zu Grunde, der Sieger streicht den Tag schwarz an und erholt sich ein Jahr lang nicht von dieser Strapatze—aber die Straßenjungen aller Geschlechter und Lebensalter sind glücklich. Doch muß man zugeben daß es billige Mittel [giebt], sie glücklich und zwar sehr viel Glückliche zu machen.

1 [72]

Das Christenthum gieng in dem Grade bei dem alten Testament in die Schule, als es sich bemühte eine Weltreligion zu werden. Das weltflüchtige Christenthum brauchte das alte Testament nicht.

1 [73]

In unseren Schulen wird die jüdische Geschichte als die heilige vorgetragen: Abraham ist uns mehr als irgend eine Person der griechischen oder deutschen Geschichte: und von dem, was wir bei Davids Psalmen empfinden, ist das, was das Leben Pindars oder Petrarca’s in uns erregt, so verschieden wie die Heimat von der Fremde. Dieser Zug zu Erzeugnissen einer asiatischen, sehr fernen und sehr absonderlichen Rasse ist vielleicht inmitten der Verworrenheit unserer modernen Cultur eine der wenigen sicheren Erscheinungen, welche noch über dem Gegensatz von Bildung und Unbildung erhaben stehen: die stärkste sittliche Nachwirkung des Christenthums, welches sich nicht an Völker sondern an Menschen wendete und deshalb gar kein Arg dabei hatte, den Menschen der indogermanischen Rasse das Religionsbuch eines semitischen Volkes in die Hand zu geben. Erwägt man aber welche Anstrengungen das nicht semitische Europa gemacht hat, um diese fremdartige kleine jüdische Welt sich recht nahe ans Herz zu legen, sich über nichts darin mehr zu wundern, sondern sich nur über sich selbst und seine Befremdung zu wundern—so hat vielleicht in nichts Europa sich so sehr selbst überwunden wie in dieser Aneignung der jüdischen Litteratur. Das jetzige europäische Gefühl für die Bibel ist der größte Sieg über die Beschränktheit der Rasse und über den Dünkel daß für Jeden eigentlich nur das werthvoll sei, was sein Großvater und dessen Großvater gesagt und gethan haben. Dieses Gefühl ist so mächtig, daß wer sich jetzt frei und erkennend zur Geschichte der Juden stellen will, erst viele Mühe nöthig hat, um aus der allzugroßen Nähe und Vertraulichkeit herauszukommen und das jüdische wieder als fremdartig zu empfinden. Denn Europa hat sich selber zu einem guten Theil in die Bibel hineinlegen und im Ganzen und Großen etwas Ähnliches thun müssen, wie die Puritaner Englands, welche ihre Sentenzen, ihre Gewohnheiten, ihre Zeitgenossen, ihre Kriege, ihre kleinen und großen Schicksale in dem jüdischen Bude aufgezeichnet (prophezeit) fanden.— Was aber sagt der Europäer, welcher nach dem Vorzug der altjüdischen Litteratur vor allen anderen alten Litteraturen gefragt wird: “Es ist mehr Moral darin .” Das heißt aber: es ist mehr von der Moral darin, welche jetzt in Europa anerkannt wird: und dies heißt wiederum nichts anderes als: Europa hat die jüdische Moralität angenommen und hält diese für eine bessere, höhere, der gegenwärtigen Gesittung und Erkenntniß angemessenere als die arabische, griechische, indische, chinesische.— Was ist der Charakter dieser Moralität? Sind die Europäer wirklich vermöge dieses moralischen Charakters die ersten und herrschenden Menschen des Erdballs? Aber wonach bemißt man den Rang der verschiedenen Moralitäten? Zudem wollen es die Nicht-Europäer wie die Chinesen gar nicht Wort haben, daß die Europäer sich durch Moralität vor ihnen auszeichneten. Es gehört vielleicht mit zum Wesen der jüdischen Moralität, daß sie sich für die erste und höchste hält: es ist vielleicht eine Einbildung. Ja man kann fragen: giebt es überhaupt eine Rangordnung der Moralität[en?] Giebt es einen Kanon, der über allen waltet, das Sittliche definirt ohne Rücksicht auf Volk, Zeit, Umstände, Erkenntnißgrad? Oder ist eine Ingredienz aller Moralen, der Grad von Anpassung an die Erkenntniß, vielleicht das, was eine Rangordnung der Moralen ermöglicht?

1 [74]

Wie viel Glück ist bei der Aufopferung für eine geliebte Sekte, usw. (man freut sich selbst mißachtet, gekränkt zu werden—wie kommt es?

1 [75]

Die schädliche Seite der Religion ist oft hervorgehoben [worden], ich möchte die schädliche Seite der Moral zum ersten Male zeigen und dem Irrthum entgegnen, daß sie den Sinnen von Nützlichkeit ist.

1 [76]

Den angeblichen Causalitäten in Gebieten, wo in Wahrheit es nur ein Hintereinander giebt, danken viele Illusionen über die Moral ihre Entstehung.

1 [77]

Die Wissenschaft zu verwünschen, weil ihre Art bisweilen wehe thut, wäre so klug als das Feuer zu verwünschen weil ein Kind oder eine Mücke sich daran verbrannt hat. In der That verbrennen sich jetzt nur Mücken und Kinder an der Wissenschaft—ich meine die Schwärmer.

1 [78]

Das Urtheil sehr arbeitsamer und thätiger Zeitalter über den Werth des Lebens klingt wie fast desperat: man dachte über das Leben nach, wenn man nicht mehr arbeiten konnte und müde war. Die Griechen dachten besser vom Leben, dafür waren sie das Volk der Muße: sie arbeiteten eigentlich zur Erholung vom Müßiggang, und ihr Nachdenken kam aus frischer Kraft.

1 [79]

“In den Augen liegt die Seele”: die gewöhnliche Art der Bewegungen und der Muskelcontraktionen herum verräth, wozu die Augen zumeist gebraucht werden. Denker haben einen vollen klaren oder durchdringenden Blick; das Auge des Ängstlichen scheut sich ganz hinzusehen; der Neidische streift von der Seite und will etwas erhaschen. Auch wenn wir gar nicht im Dienste dieser Empfindungen sehen wollen, so zeigt die Stellung des Auges doch die Gewöhnung an.

1 [80]

Die erfinderischen Menschen leben ganz anders als die Thätigen; sie brauchen Zeit, damit sich die zwecklose ungereregelte Thätigkeit einstellt, Versuche, neue Bahnen, sie tasten mehr als daß sie nur die bekannten Wege gehen, wie die nützlich-Thätigen.

1 [81]

Einstmals muß die Kunst der Künstler ganz in das Festebedürfniß der Menschen aufgehen: der einsiedlerische und sein Werk ausstellende Künstler wird verschwunden sein: sie stehen dann in der ersten Reihe derer, welche in Bezug auf Freuden und Feste erfinderisch sind.

1 [82]

Schopenhauer, der letzte der die ethische Bedeut[ung] des Daseins vertritt: er fügt seine triftigen Trümpfe bei, ohne welche er uns nichts schenkt und welche in den Augen der einen Gattung seiner Leser seine Glaubwürdigkeit ebenso verstärken als sie dieselbe in den Augen einer anderen Gattung verringern.

1 [83]

Einige zeigen Geist, Andere beweisen ihn, noch andere zeigen ihn, aber beweisen ihn nicht, die Vielen aber thun keines von Beiden, und glauben beides zu thun.

1 [84]

Die ärmliche Handvoll Wissen, womit die heutige Erziehung den Gebildeten abfindet, scheint diesen engen und pfäffischen Köpfen schon zu viel, sie bekommen Angst, es möchte der Kunst ein Abbruch geschehen, und dieselbe sich nicht mehr so dünkelhaft gebärden dürfen, wie es jetzt wohl geschieht.— Die Nothstände welche bei jenen seltenen Menschen entstehen, in denen die Wissenschaft ein gewaltiges Feuer ist, dürften solche Köpfe wahrlich nicht im Munde führen

1 [85]

Wir finden die Schwäche der Furcht verächtlich bei dem welcher weiß, daß ihm Wein schädlich ist und trotzdem Wein trinkt.

1 [86]

Die Moral hat die Erkenntniß gehemmt insofern sie das Bedürfniß danach hemmt, sie gab Regeln zum Handeln und erweckte den Glauben, daß die Erkenntniß nicht nöthig sei, um auf das zweckmäßigste Handeln zu kommen.

1 [87]

Manche Philosophen entsprechen vergangenen Zuständen, manche gegenwärtigen, manche zukünftigen und manche unwirklichen.

1 [88]

Das Individuum stand in manchen Epochen höher, war häufiger. Es sind die böseren Zeiten, es wurde mehr sichtbar, man wagte mehr, man schadete mehr, aber log weniger.

1 [89]

Die Einbildung über die Schätzung (allgemeine Werthschätzung) und ebenso falsche Schätzung sind der Ursprung vieler unegoistischer Handlungen.

1 [90]

Moralität, eine asiatische Erfindung. Wir hängen von Asien ab.

1 [91]

Den Zufall benützen und erkennen heißt Genie. Das Zweckmäßige und Bekannte benützen—Moralität?

1 [92]

So nützlich und unangenehm wie ein eingeöltes Schlüsselloch

1 [93]

Die Ängstlichkeit vergiftet die Seele.

1 [94]

Man  sollte  keine  neuen  Wege  gehen, [wenn] unser  Herz  nicht  noch  kühner  ist  als  unser  Kopf: sonst  frißt — — —

1 [95]

Niemand ist einer grausameren Rache fähig als jene dichterischen und empfindlichen Seelen ohne Stolz, die fortwährend im Verborgenen leiden und aus Furcht ruhig und sanft erscheinen—ich denke z. B. an Racine.

1 [96]

Das ganze vergangene Zeitalter ist das der Furcht. Man lernt die Dinge wie sie in anderen Köpfen sind, man lernt, wie sie geschätzt werden, man thut dasselbe in Betreff der Mittel. Man ängstigt sich, abzuweichen, aufzufallen. Unsere Fertigkeiten sind das, was Anderen nutzt und Freude macht.— Unsere größte Freude ist Anderen zu gefallen, unsere beständige Furcht ist, ihnen nicht gefallen zu können.— Dies hat die einsiedlerische Thierheit gebändigt.

1 [97]

Wer eine herrschende Leidenschaft hat, der empfindet bei der Ausnahmehandlung einen Gewissenbiß z. B. der Jude (bei Stendhal) der verliebt ist und Geld für ein Armband von seinem Geschäft bei Seite legt, oder Napoleon nach einer generösen Handlung, der Diplomat, der einmal ehrlich gewesen ist usw.

1 [98]

Spencer setzt immer “Gleichheit der Menschen” voraus. [Vgl. Herbert Spencer, Die Thatsachen der Ethik. Autor. dt. Ausgabe nach der zweiten engl. Auflage übersetzt von Benjamin Vetter. Stuttgart: Schweizerbart, 1879.]

1 [99]

Auch im Handeln giebt es solche erfinderischen, stets versuchenden Menschen, welche den Zufall aus sich nicht bannen mögen (Napoleon).

1 [100]

Die angelernten Werthschätzungen verringern die Freude und in Folge die Lebensfähigkeit. Zeiten der “Gleichheit” sind matt und lassen vor der Zukunft erschrecken.

Die Freude an fremden Urtheilen über uns ist jetzt beinahe die mächtigste aller Freuden.

1 [101]

Was ist Gewohnheit?— Übung.

1 [102]

“Es merkt doch niemand”—aber es pflanzt niemand das was du thust in dir aus, sodann wächst deine Gewohnheit des Verheimlichens und Für-sich-Behaltens, man sieht dir endlich Beides doch an.

1 [103]

Das Bischen Wissenschaft, das jetzt auf der Erde ist, macht ihnen schon angst und bange so daß Unkenrufe laut werden. Und diese schändliche wissenschaftliche Erziehung!

1 [104]

Die verborgenen d. h. die häufigsten Handlungen zwingen uns zuletzt zu unseren sichtbaren seltenen, ohne daß wir an Zwang denken.

1 [105]

Bei den Christen herrschen noch alle jene Vorstellungen wie bei den Wilden—cfr. Spencer p. 52 und Roskoff. [Vgl. Herbert Spencer, Die Thatsachen der Ethik. Autor. dt. Ausgabe nach der zweiten engl. Auflage übersetzt von Benjamin Vetter. Stuttgart: Schweizerbart, 1879:52.]

1 [106]

Spencer verwechselt die Systeme der Moral “Wie soll gehandelt werden?” mit der Entstehung der Moral. Der Mangel der Einsicht in die Causalität ist für letztere wichtig. [Vgl. Herbert Spencer, Die Thatsachen der Ethik. Autor. dt. Ausgabe nach der zweiten engl. Auflage übersetzt von Benjamin Vetter. Stuttgart: Schweizerbart, 1879.]

1 [107]

Überall wo es eine furchteinflößende Macht giebt, die befiehlt und gebietet, entsteht Moralität d. h. die Gewohnheit zu thun und zu lassen, wie jene Macht will, der das Wohlgefühl auf dem Fuße folgt, der Gefahr entronnen zu sein: während im umgekehrten Falle das Gewissen sich regt, die Stimme der Furcht vor dem Kommenden, des Verdrusses über das Gethane usw. Es giebt persönliche Mächte, wie Fürsten, Generale, Vorgesetzte, dann Abstrakte wie Staat Gesellschaft, endlich imaginirte Wesen, wie Gott, die Tugend, der kategorische Imperativ usw.

1 [108]

Tragische Hanswürste

1 [109]

Es giebt bei jeder Handlung 1) das wirkliche Motiv das verschwiegen wird 2) das präsentable eingeständliche Motiv. Letzteres geht von uns aus, von unserer Freude, unserem Individuum, wir stellen uns individuell damit. Ersteres aber hat die Rücksicht auf das, was die Andern denken, wir handeln, wie jeder handelt, wir präsentiren uns als Individuen, aber handeln als Gattungswesen. Komisch! Z. B. ich suche ein Amt 2) “ich bin es mir schuldig, mich nützlich zu machen” 1) “Ich will meines Amtes wegen von den Andern respektirt werden.”

1 [110]

Die Erzeugung einer Nachkommenschaft ist nicht altruistisch. Das einzelne Thier folgt dabei einer Lust, an der es oft zu Grunde geht. Die Aufopferung für die Brut ist Aufopferung für das Eigen-Nächste, für das Erzeugniß usw., absurd noch nicht Altruismus.

1 [111]

Dieselben Dinge werden immer wieder gethan, aber die Menschen umspinnen sie mit immer neuen Gedanken (Werthschätzungen)

1 [112]

Motive und den Mechanismus zu unterscheiden—und dabei ist der Ausdruck Motiv irreführend, sie setzen nicht in Bewegung—sondern wenn sie in Bewegung sind, tritt die Bewegung des Mechanismus ein.

1 [113]

Das Unglück des Frevlers, d. h. er hat Furcht vor schlimmen Folgen oder Ekel und Übersättigung usw., nicht Gewissensnoth.

1 [114]

Man soll auch die kleinste Berührung mit Menschen benützen, um seinen gerechten und wohlwollenden Sinn zu üben.

1 [115]

Wenn wir in einen bestimmten physiologischen Zustand treten, dann tritt uns das ins Gedächtniß, was das letzte Mal, als wir in ihm waren, von uns gedacht wurde. Es muß eine Auslösung im Gehirn für jeden Zustand geben.

1 [116]

Es giebt Menschen welche ihre nicht eben landläufigen Gedanken nicht anders mitzutheilen wissen als indem sie dabei an aller Welt ihren Ärger auslassen. Das heißt doch seine Meinungen etwas zu theuer auf den Markt bringen. Giebt es aber oft solche Käuze, so entsteht ein Vorurtheil gegen alle nicht landläufigen Meinungen, wie als ob Zank, Verdruß, Verleumdung Verbitterung Niedertracht ihre nothwendigen Begleiter sein müßten.

1 [117]

Handlungen der Gewohnheit (“sittlich” unter Umständen genannt) sind Mechanismen ohne Bewußtsein, so wenig moralisch wie die Themen einer aufgezogenen Spieluhr. Weder “frei” noch mit “bewußter Aufopferung,” noch “für Andere”—aber angenehm und nützlich und deshalb mit den höchsten Prädikater bezeichnet.

1 [118]

Vor jedem Einzelnen sind wir voll 100 Rücksichten: aber wenn man schreibt, so verstehe ich nicht, warum man da nicht bis an den äußersten Rand seiner Ehrlichkeit vortritt. Das ist ja die Erholung!

1 [119]

Um die Moral haben sich im Ganzen immer nur die sehr moralischen Menschen bekümmert, meistens in der Absicht, sie zu steigern. Was Wunder, daß eigentlich die unmoralischen und durchschnittlichen Menschen dabei fast unbekannt geblieben sind. Die moralischen Menschen haben über sie phantasirt und vielfach ihre Phantasien den Leuten in den Kopf gesetzt.

1 [120]

Versuche einer außermoralischen Weltbetrachtung früher zu leicht von mir versucht—eine aesthetische (die Verehrung des Genies—)

1 [121]

Wer so thut, ist abergläubisch usw.
Wer so thut, ist abergläubisch
Wer alles das thut, ist ein Christ.

1 [122]

Schopenhauer’s Theorie ist unpsychologisch. Sehr leidende oder sorgende Menschen sind ohne Mitleid. Wenn wir alles vergangene Elend wiederkäuen, welches die Menschheit erlitten hat, so werden wir krank und schwach. Man muß den Blick abwenden. Nur glückliche Menschen sind zur Historie geeignet.

1 [123]

Falscher Begriff des Genies in jetziger Zeit: man verehrt den wilden Intellekt und verachtet den gezähmten d. h. man ist der Moralität müde.

Die Consequenz der Moralität ist der Sand. Kritik der bisherigen Moralität, dadurch daß man ihre Resultate in der Zukunft aufzeigt.

Nothwendigkeit antimoralischer Theorien.

1 [124]

Es giebt Musik, welche sosehr den Eindruck sichtbarer Dinge nachahmt, daß man sie allen denen empfehlen kann, welche Ohren haben, um zu sehen.

1 [125]

Wollen d.h. ich stelle mir den Erfolg einer Handlung vor
dieser Erfolg hat diesen oder jenen Werth für mich
diese Werthschätzung hat diese oder jene Ursachen
der Erfolg bedingt diese oder jene Aktion (als Mittel, die mir [aus] meiner Erfahrung bekannt und noch viele andre welche mir nicht bewußt sein können.
Also was will ich
Absicht: warum will ich
Motiv: was treibt mich zu dieser Schätzung?
Die Absicht geht auf etwas das für uns Werth hat.
Wie erreiche ich das Ziel?
Das Motiv ist die Ursache der Werthschätzung

1 [126]

Wir vergessen immer das Wesentlichste, weil es am nächsten liegt z. B. beim Spielen die Spontaneität, das fortwährende Tasten und Tappen der Bewegung. Die Folgen der Bewegung lehren uns.

Worte schweben uns fortwährend vor, daraus bilden sich die Gedanken, dem Auge zahllose Figuren fortwährend — — —

1 [127]

Die wenigsten Handlungen geschehen nach Zwecken, die meisten sind nur Thätigkeiten, Bewegungen, in denen sich eine Kraft entladet. Die Resultate, die sich am Ende ihrer Bahn ergeben, bringen uns bei öfterem Wiederholen auf den Gedanken von Ursache und Wirkung d. h. wir thun etwas absichtlich und erwarten daß sich etwas ereignet—wir erzeugen willkürlich eine Vorstellung und deren Werthschätzung, und dabei geräth unwillkürlich der Mechanismus in Bewegung, dessen Resultat unserem Willen entspricht.

1 [128]

Es  giebt  viel  höhere  Schauspieler,  die  den  Staatsmann,  den  Cultur begründenden moral[ischen] Prophenten (Frauen, die die Hofdame usw.) spielen: kommt man dahinter, so hört man auf, sich über sie zu ärgern und hat einen Genuß mehr.

1 [129]

Das Moralische hat eine sehr sublime Art von Lustempfindungen geschaffen. Nützlich ist die Unmoralität sowohl als das M[oralische].

1 [130]

Orient
Europa unmoralisch,
Schopenhauer’s schlechter Geschmack für die Buddh[istischen] Heiligen—besser die Brahmanen
Stoicism ist semitisch
Europa arm in der Moralität
 
From Nietzsche's Notebooks© The Nietzsche Channel