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The Will to Power
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1875 7 [1-7]

7 [1]

Die Verehrung des klassischen Alterthums, wie sie die Italiäner zeigten, das heisst also die einzig ernsthafte uneigennützige hingebende Verehrung, welche das Alterthum bis jetzt gefunden hat, ist ein grossartiges Beispiel der Don Quixoterie: und so etwas ist also Philologie besten Falls. So schon bei den alexandrinischen Gelehrten, so bei allen den Sophisten des ersten und zweiten Jahrhunderts, bei den Atticisten usw. Man ahmt etwas rein Chimärisches nach, und läuft einer Wunderwelt hinterdrein, die nie existirt hat. Es geht ein solcher Zug schon durch das Alterthum: die Art, wie man die homerischen Helden copirte, der ganze Verkehr mit dem Mythus hat etwas davon. Allmählich ist das ganze Griechenthum selber zu einem Objecte des Don Quixote geworden. Man kann unsre moderne Welt nicht verstehn, wenn man nicht den ungeheuren Einfluss des rein Phantastischen einsieht. Dem steht nun entgegen: es kann keine Nachahmung geben. Alles Nachahmen ist nur ein künstlerisches Phänomen, also auf den Schein gerichtet; etwas Lebendiges kann Manieren Gedanken usw. annehmen durch Nachahmung, aber sie kann nichts erzeugen. Eine Kultur, welche der griechischen nachläuft, kann nichts erzeugen. Wohl kann der Schaffende überall her entlehnen und sich nähren. Und so werden wir auch nur als Schaffende etwas von den Griechen haben können. Worin aber wären die Philologen Schaffende! Es muss einige unreinliche Gewerbe geben, Abdecker; auch Correctoren: sollen die Philologen etwa so ein unreinliches Gewerbe vorstellen?

7 [2]

Entstehung des Philologen. Dem grossen Kunstwerk wird sich beim Erscheinen desselben immer ein Betrachter gegenüberstellen, der seine Wirkung nicht nur empfindet, sondern sie auch verewigen möchte. So auch dem grossen Staate, kurz allem, was den Menschen erhebt. So wollen die Philologen die Wirkung des Alterthums verewigen: das können sie nur als nachschaffende Künstler. Nicht als nachlebende Men[schen?]

7 [3]

Entstehung der Philologie. (Brauchte das Alterthum einen Stand von Vertretern?)
Jetzige Entstehung des Philologen. Ihr Verhältniss zu den Griechen.
Ihre Einwirkung auf die Nichtphilologen.
Die Philologen der Zukunft—ob es welche geben wird?

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Freundschaft Göttin höre gnädig das Lied
das wir jetzt singen der Freundschaft
Wohin auch blickt das Auge der Freunde
übervoll vom Glück der Freundschaft:
hülfreich nahe uns
Morgenröthe im Blick und
ewiger Jugend treues Pfand in der heil’gen Rechten.

7 [5]

Beim Durchmustern der Geschichte der Philologie fällt auf, wie wenig wirklich begabte Menschen dabei betheiligt gewesen sind. Unter den berühmtesten sind einige, die sich ihren Verstand durch Vielwisserei zerstört haben, und unter den Verständigsten darunter solche, die mit ihrem Verstande nichts anzufangen wussten als Mücken zu seihen. Es ist eine traurige Geschichte, ich glaube, keine Wissenschaft ist so arm an Talenten. Es sind die Lahmen im Geiste, die in der Wortklauberei ihr Steckenpferd. gefunden haben.

Ich ziehe vor, etwas zu schreiben, was so gelesen zu werden verdient, wie die Philologen ihre Schriftsteller lesen, als über einem Autor zu hocken. Und überhaupt—auch das geringste Schaffen steht höher als das Reden über Geschaffnes.

7 [6]

Dass es Gelehrte giebt, welche sich ausschliesslich mit der Erforschung des griechischen und des römischen Alterthums beschäftigen, wird jeder billig, ja lobenswürdig und vor allem begreiflich finden, falls er überhaupt die Erforschung des Vergangenen billigt: dass dieselben Gelehrten aber zugleich die Erzieher der edlern Jugend, der reichen Stände sind, ist nicht ebenso leicht verständlich: hier liegt ein Problem. Warum sie gerade? Das versteht sich doch nicht so von selbst, wie das, wenn der Gelehrte der Heilkunst auch heilt und Arzt ist. Denn stünde es gleich, so müsste Beschäftigung mit dem griechischen und römischen Alterthum gleich sein mit “Wissenschaft der Erziehung.” Kurz: das Verhältniss von der Theorie und Praxis im Philologen ist nicht so schnell einzusehen. Wie kommt er zu dem Anspruch, der Lehrer im höheren Sinne zu sein und nicht nur alle wissenschaftlichen Menschen, sondern überhaupt alle Gebildeten zu erziehn?— Diese erziehende Kraft müsste also der Philologe doch dem Alterthume entnehmen; da fragt man denn erstaunt: wie kommen wir dazu, einer fernen Vergangenheit den Werth beizulegen, dass wir nur mit Hülfe ihrer Erkenntniss gebildet werden können?— Eigentlich fragt man nicht so oder selten so: vielmehr besteht die Herrschaft der Philologie über das Erziehungswesen fast unbezweifelt, und das Alterthum hat jene Geltung. In so fern ist die Lage des Philologen günstiger als die jedes andern Jüngers der Wissenschaft: er hat zwar noch nicht die grösste Masse von Menschen, die seiner bedürfen; der Arzt z. B. hat noch viel mehrere. Aber er hat ausgesuchte Menschen und zwar Jünglinge in der Zeit, wo alles knospt; solche, die Zeit und Geld auf eine höhere Entwicklung verwenden können. So weit sich jetzt die europäische Bildung erstreckt, hat man die Gymnasien auf lateinisch-griechischer Grundlage angenommen, als erstes und oberstes Mittel. Damit hat die Philologie die rechte und beste Gelegenheit gefunden, sich fortzupflanzen und Achtung vor sich zu erwecken: hierin steht keine andre Wissenschaft so günstig. Im Ganzen halten auch alle die, welche durch solche Anstalten hindurch gegangen sind, an der Vortrefflichkeit der Einrichtung fest; sie sind unbewusste Verschworene zu Gunsten der Philologie; erschallt einmal ein Wort dagegen, von solchen die nicht auf diesem Wege gegangen sind, so erfolgt die Ablehnung so einmüthig und so still, als ob klassische Bildung eine Art von Zauberei sei, beglückend und durch diese Beglückung sich jedem Einzelnen beweisend; man polemisirt gar nicht, “man hat’s ja erlebt.”

Nun giebt es viele Dinge, an welche der Mensch sich so gewöhnt hat, dass er sie für zweckmässig hält; denn die Gewohnheit mischt allen Dingen Süssigkeit bei und nach der Lust schätzen die Menschen meistens das Recht einer Sache. Die Lust am klassischen Alterthum, wie sie jetzt empfunden wird, soll nun einmal darauf hin geprüft und zerlegt werden, wie viel daran jene Lust der Gewohnheit, wie viel Lust der Ungewohnheit ist: ich meine jene innere thätige neue und junge Lust, wie sie eine fruchtbare Überzeugung von Tage zu Tage erweckt, die Lust an einem hohen Ziele, die auch die Mittel dazu will: wobei man Schritt für Schritt weiter kommt, aus einem Ungewohnten in’s andere Ungewohnte: wie ein Alpensteiger.

Auf welchem Grunde beruht die grosse Schätzung des Alterthums in der Gegenwart, dass man darauf die ganze moderne Bildung aufbaut? Wo ist der Ursprung dieser Lust? Dieser Bevorzugung des Alterthums?

Bei dieser Untersuchung glaube ich erkannt zu haben, dass auf demselben Grund, auf dem das Ansehen des Alterthums als wichtigen Erziehungsmittels ruht, auch die ganze Philologie, ich meine ihre ganze jetzige Existenz und Kraft ruht. Das Philologenthum als Lehrerthum ist der genaue Ausdruck einer herrschenden Ansicht über den Werth des Alterthums und über die beste Methode der Erziehung. Zwei Sätze sind in diesem Gedanken eingeschlossen; erstens: alle höhere Erziehung muss eine historische sein, zweitens: mit der griechischen und römischen Historie steht es anders als mit allen andern, nämlich klassisch. So wird der Kenner dieser Historie zum Lehrer. Hier untersuchen wir den ersten Satz nicht, ob eine höhere Erziehung historisch sein müsse, sondern den zweiten: in wiefern klassisch?

Darüber sind einige Vorurtheile sehr verbreitet.

Erstens das Vorurtheil, welches im synonymen Begriff “Humanitätsstudien” liegt: das Alterthum ist klassisch, weil es die Schule des Humanen ist.

Zweitens: “das Alterthum ist klassisch, weil es aufgeklärt ist.”

7 [7]

Il faut dire la vérité et s’immoler.
Voltaire.

[Vgl. Arthur Schopenhauer. Von ihm. Ueber ihm. Ein wort der Vertheidigung von Ernst Otto Lindner und Memorabilien, Briefe und Nachlassstücke von Julius Frauenstädt. Berlin: Hayn, 1863:578.]

Nehmen wir einmal an, es gäbe freiere und überlegenere Geister, welche mit der Bildung, die jetzt im Schwange geht, unzufrieden wären und sie vor ihren Gerichtshof führten: wie würde die Angeklagte zu ihnen reden? Vor allem so: “ob ihr ein Recht habt anzuklagen oder nicht, jedesfalls haltet euch nicht an mich, sondern an meine Bildner; diese haben die Pflicht mich zu vertheidigen und ich habe ein Recht zu schweigen: bin ich doch nichts als ihr Gebilde.” Nun würde man die Bildner vorführen: und unter ihnen wäre auch ein ganzer Stand zu erblicken, der der Philologen. Dieser Stand besteht einmal aus solchen Menschen, welche ihre Kenntniß des griechischen und römischen Alterthums benutzen, um mit ihr Jünglinge von 13—20 Jahren zu erziehen, und sodann aus solchen, welche die Aufgabe haben, derartige Lehrer immer von neuem heranzubilden, also Erzieher der Erzieher zu sein; die Philologen der ersten Gattung sind Lehrer an Gymnasien, die der zweiten Professoren an den Universitäten. Den ersteren übergiebt man ausgewählte Jünglinge, solche an denen Begabung und ein edlerer Sinn bei Zeiten sichtbar werden, und auf deren Erziehung die Eltern reichlich Zeit und Geld verwenden können; übergiebt man ihnen noch andre, welche diesen drei Bedingungen nicht entsprechen, so steht es in der Hand der Lehrer sie abzuweisen. Die zweite Gattung, aus den Philologen der Universität bestehend, empfängt die jungen Männer, welche sich zum höchsten und anspruchsvollsten Berufe, dem der Lehrer und Bildner des Menschengeschlechts, geweiht fühlen; wiederum steht es in ihrer Hand, die falschen Eindringlinge zu beseitigen. Wird nun die Bildung einer Zeit verurtheilt, so sind jedenfalls die Philologen schwer angegriffen: entweder nämlich wollen sie, in der Verkehrtheit ihres Sinnes, gerade jene schlechte Bildung, weil sie dieselbe für etwas Gutes halten, oder sie wollen sie nicht, sind aber zu schwach, das Bessere, das sie erkennen, durchzusetzen. Entweder liegt also ihre Schuld in der Mangelhaftigkeit ihrer Einsicht oder in der Ohnmacht ihres Willens. Im ersten Falle würden sie sagen, sie wüßten es nicht besser, im zweiten, sie könnten es nicht besser. Da aber die Philologen vornehmlich mit Hülfe des griechischen und römischen Alterthums erziehen, so könnte die im ersten Falle angenommene Mangelhaftigkeit ihrer Einsicht einmal darin sich zeigen, daß sie das Alterthum nicht verstehen; zweitens aber darin, daß das Alterthum von ihnen mit Unrecht in die Gegenwart hineingestellt wird, angeblich als das wichtigste Hülfsmittel der Erziehung, weil es überhaupt nicht oder jetzt nicht mehr erzieht. Macht man ihnen dagegen die Ohnmacht ihres Willens zum Vorwurf, so hätten sie zwar darin volles Recht, wenn sie dem Alterthum jene erzieherische Bedeutung und Kraft zuschreiben, aber sie wären nicht die geeigneten Werkzeuge, vermittelst deren das Alterthum diese Kraft äußern könnte: das heißt: sie wären mit Unrecht Lehrer und lebten in einer falschen Stellung: aber wie kamen sie dann in diese hinein? Durch eine Täuschung über sich und ihre Bestimmung. Um also den Philologen ihren Antheil an der gegenwärtigen schlechten Bildung zuzuerkennen, könnte man die verschiedenen Möglichkeiten in diesen Satz zusammenfassen. Drei Dinge muß der Philologe, wenn er seine Unschuld beweisen will, verstehen, das Alterthum, die Gegenwart, sich selbst: seine Schuld liegt darin, daß er entweder das Alterthum nicht oder die Gegenwart nicht oder sich selbst nicht versteht. Erste Frage: versteht der Philologe das Alterthum? — — —

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