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The Will to Power
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Frühjahr-Sommer 1874 34 [1-48]

34 [1]

Schopenhauer als Erzieher und Zuchtmeister
der Deutschen.

Frühjahr 1874.

34 [2]

Der werdende Philosoph Siegfried.

34 [3]

Abnahme der Religiosität seit dem Alterthum. Wahrscheinlich wird es ein paar Jahrhunderte später gar nicht mehr rein vorkommen, sondern immer inkrustirt. Ermüdung an den Symbolen.

34 [4]

Der Mensch Schopenhauers:

freiwillig leidend
nicht schonend
tragisch—denn er muss hier und da ungerecht sein, er muss die Menschen, die er liebt, verletzen
er lebt wahr—und so wirkt er mit, wie das Leben, auf die andern, befreiend und den metaphysischen Sinn des Lebens predigend.

34 [5]

Was hat er in der Cultur zu thun?

Jede Verweichlichung des Daseins wird von ihm bekämpft. Eleganz kann er nicht meinen.

Er begreift, vermöge seiner Wahrhaftigkeit, den Sinn der Cultur: immer wieder die Menschen zu erzeugen, die das Leben metaphysisch verstehn.

34 [6]

Wie unterstützt man die Genesis des philosophischen Genius? Reisen, Freiheit vom Nationalen. Nicht durch Philosophieprofessoren.

34 [7]

Schilderung der Zeit: ob hoffnungslos, hat für Schopenhauer keinen Sinn. Indem er wahr ist, stellt er die ursprüngliche Natur her und den Sinn des Lebens. Es giebt keine Hoffnung auf Erdenglück: genug, wenn die Menschen vermöge jener Wahrhaftigkeit es sich eingestehn, dass das nie möglich war. Der Sinn des Lebens für das Individuum ist immer derselbe, zu jeder Zeit. Er soll hoffnungslos sein, in Beziehung auf Glück: aber hoffen, dass er selber noch den Sinn des Lebens besser begreife.— Die Reinigung der Cultur gilt ihm vor allem als Wahrhaftigkeit gegen wahre Bedürfnisse, nicht aber Schönheit und Glanz des Lebens.

34 [8]

Schopenhauer erzog sich selbst gegen die Zeit, und im Kampfe mit ihrem Bewusstsein bekämpfte er sich selbst. So strebt er zu seinem Kerne zurück, dort wo er Genius ist, und die Menschheit in ihrer höchsten Kraft erkennt. Von da aus, spricht er über das Dasein, als Genius und Verklärer der Welt, über die Welt—und nennt ihren Unwerth, selbst den des Genius.— Er ist vorbildlich, in der Art, wie er zu sich und damit über sich hinaus kommt. Jeder ist im Grunde Genius, insofern er einmal da ist und einen ganz neuen Blick auf die Dinge wirft. Er vermehrt die Natur, er zeugt mit diesem neuen Blick.

34 [9]

Wie die Perser erzogen wurden: mit dem Bogen zu schiessen und die Wahrheit zu sagen.

34 [10]

Plan.

Einleitung des 4. Capitels. Siehe links.
Dann die Zeitschilderung.
Die drei Bilder.
Die Entartungen des Schopenhauerischen Menschen. J[acob] B[urckhardt] usw.

34 [11]

Eine gewisse Art von Stoicismus bei den Deutschen, aus Phlegma, p. 392, Parerga II. [Vgl. Arthur Schopenhauer, Sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 6, 2: Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften, Bd. 2. Leipzig: Brockhaus, 1874: 342.]

34 [12]

Die Freiheit des Willens im Esse—deren sich bewusst werden? Vielleicht ist es ein Glück, dass die Meisten es nicht werden (da ihr Esse so böse ist).

34 [13]

Ich bin fern davon zu glauben, dass ich Schopenhauer richtig verstanden habe, sondern nur mich selber habe ich durch Schopenhauer ein weniges besser verstehen gelernt; das ist es, weshalb ich ihm die grösste Dankbarkeit schuldig bin. Aber überhaupt scheint es mir nicht so wichtig zu sein, wie man es jetzt nimmt, dass bei irgend einem Philosophen genau ergründet und an’s Licht gebracht werde, was er eigentlich im strengsten Wortverstande gelehrt habe, was nicht: eine solche Erkenntniss ist wenigstens nicht für Menschen geeignet, welche eine Philosophie für ihr Leben, nicht eine neue Gelehrsamkeit für ihr Gedächtniss suchen: und zuletzt bleibt es mir unwahrscheinlich, dass so etwas wirklich ergründet werden kann.

34 [14]

Wie kehrt man nun von solchen Augenblicken einer erhabenen Vereinsamung wieder in das sogenannte Leben zurück? Wie erträgt man’s nur? Es ist ein Gefühl, als ob man eben gewacht hätte: und gleich darauf stürzen sich mit hundert Ringeln und Windungen die Träume wie ein Schlangengewimmel auf die Seele los: und schon vom Traum erfasst verändert sich jenes Gefühl zum umgekehrten, nämlich als ob wir eben geträumt hätten und jetzt erwacht wären.

34 [15]

Das, was Cultur heißt, besteht aus den Einwirkungen und Zusammenwirkungen von Staat, Erwerbenden, Formenbedürftigen, Gelehrten. Diese haben sich in einander hineingelebt und sind nicht mehr in Fehde. Großer Lärm und scheinbarer Erfolg.

Nur daß die eigentliche Probe nie bestanden wird: die großen Genien sind gewöhnlich in Fehde dagegen. Man denke an Goethe und die Gelehrten, Wagner und die Staatstheater. Schopenhauer und die Universitäten: es wird offenbar nicht zugegeben, daß die großen Menschen die Spitze sind, derentwegen alles andre da ist.— Die Bedingungen für die Entstehung des Genius haben sich gar nicht verbessert, sondern verschlimmert. Allgemeiner Widerwille gegen die originalen Menschen. Sokrates hätte nicht bei uns 70 Jahr alt werden können.

34 [16]

Nun glaube ich nicht sehr an den ganzen Bestand dieser modernen Welt. Es kann da mancherlei eintreten. Deshalb wollen wir nichts verhehlen, sondern die Wahrheit so lange heraussagen, als man es nicht verhindert, aus dem Glauben an die Metaphysik der Cultur. jedenfalls muß noch einiges im Verlauf der Zeit einmal geschehen und sich verändern. Ob eine Institution zu finden ist?— Jedenfalls sind erst die Begriffe zu reinigen und manche Institution zu verbessern. Die Menschheit muß lernen, sorgsamer mit ihren edelsten Produkten umzugehen.

34 [17]

Die Originalität zu unterstützen wird den Menschen außerordentlich schwer.

34 [18]

Daß die Erzeugung einzelner großer Exemplare
die ungeheure Arbeit und Rastlosigkeit der Menschen
Es kostet Überwindung, noch mehr als Einsieht, — — —

34 [19]

Wenn ich jetzt also noch einmal gedrängt ausdrücke, was die Schopenh[auerische] Philosophie als Erzieherin für mich war und ist, so thue ich dies in — — —

34 [20]

Über das, was einer in solchen Augenblicken einer erhabenen Vereinsamung gelernt hat, hat niemand das Recht, in den gleichen Ausdrücken zu reden, mit denen Schopenhauer selbst seine Erfahrungen darstellt, und welche sein versiegeltes Eigenthum sind und bleiben sollen; und noch mehr empört es, in trocknen spindeldürren Auszügen, etwa in Abrissen der Geschichte der Philosophie, jenen Worten zu begegnen, zu denen das Alltags-Leben und der Alltagskopf nun einmal keinen Zugang finden wird. Vielmehr sollte als Gesetz gelten: jeder hat nur dann ein Recht, seine inneren Erfahrungen auszusprechen, wenn er auch seine Sprache dafür zu finden weiss. Denn es ist wider den Anstand und im Grunde auch gegen die Rechtschaffenheit, mit der Sprache der grössten Geister umzugehen, als sei sie kein Eigenthum und als läge sie auf der Strasse.

34 [21]

Denn vor nichts warnt uns die Schopenhauerische Philosophie mehr als vor dem Verkleinern und Vernebeln jener tauben unbarmherzigen, ja bösen Urbeschaffenheit des Daseins: durch nichts erregt sie das schaudernde Gefühl des Erhabenen mehr, als dass sie uns in die höchste und reinste Alpen- und Eisluft trägt, um uns in den granitnen Urschriftzügen der Natur lesen zu lassen. Wer es hier nicht aushält und wem die Kniee zittern, der mag nur schnell wieder in die Weichlichkeit seiner Verklärungsbildung hinabflüchten.

34 [22]

Deshalb rasen sie in ihrer Feindschaft gegen jeden, welcher gleich Schopenhauer ihr Bedürfniss erkennt und wie eine Bremse auf ihrem Nacken sitzt; da zeigen sie Gebärden und Mienen, so roh und unbändig, dass ihnen oft genug die Larve der “Eleganz” und der “schönen Form” abfällt. Kommt aber gar ein ganzes Heer von solchen Bremsen über sie, so ist es mit ihrer “Cultur” völlig vorbei: denn sobald sie sich nicht mehr im Zaume halten und die künstliche Selbstbeherrschung verlieren, hört überhaupt ihre Macht auf: weil sie, sobald der hässliche Inhalt entblösst wird, Niemanden mehr belügen können.

Darauf kommt aber Alles an, dass dieser hässliche Inhalt des Menschen im Bewusstseinsblick — — —

Gerade auf diesen Inhalt richten nun jene Wahrhaftigen ihr Auge — — —

34 [23]

Die überlegene Güte und Menschlichkeit unserer Seelen und die Überlegenheit des modernen Intellectes.

Nicht dass man daran glaubt: aber man soll daran zu glauben scheinen.

Auf einen Fehlschluss geht die Absicht jener After-Cultur hinaus: die “schöne Form” soll für den “guten Inhalt” gutsagen; es soll durchaus so scheinen, dass der moderne Mensch mit sich zufrieden und glücklich lebe, also dass er, da die älteren Zeiten sehr unzufrieden mit sich waren, über diese nicht nur durch Kraft des Intellects, sondern auch durch natürliche Güte und Menschlichkeit weit hinaus gekommen sei.

Vielmehr lässt man der eignen begehrlichsten Selbstsucht freien Lauf, hin zur frevelhaften Ausschweifung, wie sie kaum irgend eine Zeit gekannt hat—aber immer gepanzert mit der ganzen modernen Wissenschaft, und lernt alles was geschieht philosophisch sittlich zu erläutern und zu verklären.

Überhaupt ist “verklären” jetzt das beliebteste Verfahren bei Dingen, die nicht reinlich sind: Staat Krieg Geldmarkt Ungleichheit der Menschen.

34 [24]

Jeder Augenblick des Lebens will uns etwas sagen, aber wir wollen nicht hören; wir fürchten uns, wenn wir allein und stille sind, dass uns etwas in das Ohr geraunt werde—und so hassen wir die Stille und betäuben uns durch Geselligkeit. Der Mensch weicht nach Kräften dem Leiden aus, aber noch mehr dem Sinne des erlittenen Leidens, in immer neuen Zielen sucht er das dahinten-Liegende zu vergessen. Wenn der Arme und Geplagte sich gegen das Schicksal aufbäumt, welches ihn gerade an diese rauheste Küste des Daseins warf, so weicht er dem tiefen Auge aus, das ihn aus der Mitte seines Leides fragend ansieht: als ob es sagen wollte: ist es dir nicht leichter gemacht, das Dasein zu begreifen? Selig sind die Armen!— Und wenn die scheinbar Beglückteren thatsächlich von der Unruhe und Flucht vor sich selbst verzehrt werden, um die natürliche böse Beschaffenheit der Dinge, des Staates zum Beispiel oder der Arbeit oder des Eigenthums, durchaus nicht zu sehen—wem könnten sie Neid erregen!

34 [25]

Wenn man zum Beispiel an das grausame Gesetz der “Arbeit” denkt, unter welchem die gesammte Masse der Menschheit, mit zählbaren Ausnahmen, sich verzehrt — — —

So redet man überall mit — — —

34 [26]

Es ist ein und derselbe Trieb, der den Armen und Unterdrückten aufbäumen lässt gegen den Druck, als der den Staat oder die Reichen so unmenschlich macht: sie wollen durchaus nicht die Nutzanwendung machen. Der Staat fürchtet diese Gesinnung; er will sie durch seine Cultur möglichst ausrotten; die Staatskunst muss unterhalten und verführen. Er umgürtet sich mit den “Gebildeten.”

Beschreibung meines “Gebildeten.” Er findet sich in allen Ständen, bei allen Graden von Unterrichtetheit. Tiefe Begierde nach Wiedergeburt als Heiliger und Genius. Einsicht in das gemeinsame Leid und die Täuschung. Scharfe Witterung für das Gleichartige und die Gleichartig-Leidenden. Tiefe Dankbarkeit gegen die wenigen Erlöser.

34 [27]

Alles Handeln muss allmählich gefärbt werden von der Überzeugung, dass unser Leben abzubüssen ist. “Segen der Arbeit!” das ist die süsse Gewohnheit, die Freude, dass man etwas fertig bringt und dergleichen. Aber der Sinn ist: sich im Leben zu erhalten und doch nicht aus Lust am Leben: sondern jeder ist gern bereit im Augenblick zu sterben. Aber die Lection steht nicht in unserer Hand: wir dürfen sie nicht beliebig abschliessen.

34 [28]

Überhaupt aber: wie hohl und hungrig muss eine Seele geworden sein, um sich eine solche widerliche Nahrung gefallen zu lassen, wie sie ihr jetzt vorgeworfen wird.

34 [29]

Und wirklich ist es ziemlich gleichgültig, ob jemand hierin einen guten oder schlechten “Geschmack” zeigt: so lange er nämlich mit der Kunst nur als “Schmecker” zu thun hat, ist und bleibt sie eine recht verächtliche Sache und schickt sieh nicht für ernst-thätige und leidende Menschen. Wenn ich das Geschrei nach “schöner Form,” nach “Eleganz” höre, wie es unsre Kunstschriftsteller jetzt anstimmen, so klingt es mir nicht viel anders, als ob ein Indianer darnach schreit, tätowirt zu werden, oder sich einen Ring durch die Nase wünscht.

34 [30]

Die Alten suchten das Glück und die Wahrheit—beschränken wir uns darauf, die Unwahrheit überall zu suchen und das Unglück in den Dingen.

34 [31]

Er will alles erkennen.
Er giebt sich selbst preis und nimmt sich nicht zu wichtig.
Er will nicht nur unterhalten sein, wie der Goethe’sche Mensch.
Er hofft nicht mehr, wie der Mensch Rouss[eau’s] (denn das, was er hofft, ist unaussprechbar und hat mit einer Veränderung der menschlichen Einrichtungen nichts zu thun. Es kommt wenig darauf an, ob die Menschen sich so oder so verhalten).
Endlich, er sagt es den Menschen und verschweigt nicht. Rückwirkung der Wahrhaftigkeit gegen sein Werdendes.
Neues Ideal des theoretischen Menschen. Er betheiligt sich an dem Staat usw. nur noch zum Spiele. Dies die höchste menschliche Möglichkeit—alles in Spiel aufzulösen, hinter dem der Ernst steht.
Musik—Schopenhauer erkennt ihr Wesen.
Traum, in den schon das wache Leben hineinspielt.

34 [32]

Schopenhauer hat uns an etwas erinnert, was wir fast vergessen hatten und jedenfalls vergessen wollten: dass das Leben des Einzelnen nicht darin seine Bedeutung haben könne, historisch zu sein, in irgend einer Gattung zu verschwinden und in den grossen und wechselnden Configurationen von Nation Staat Gesellschaft, in den kleinen von Gemeinde und Familie. Wer nur historisch ist, hat das Leben als Lection nicht verstanden und wird sie wieder lernen müssen. Gar zu gern möchte der Mensch es sich erleichtern und glauben, damit dem Dasein genug gethan zu haben, dass er um die grossen Fahrzeuge sich bemüht und immer auf der Oberfläche bleibt. Er will nicht in die Tiefe. Aber alle diese Allgemeinheiten entfremden dich dir selbst, auch unter dem Namen der Kirchen Wissenschaften. In dir wird das Räthsel des Daseins aufgegeben: niemand kann es dir lösen, du selbst allein. Der Mensch entflieht dieser Aufgabe, dadurch dass er sich an die Dinge hingiebt.— Dreht er nun die Betrachtung um, sieht er sich in seinem Elend, so erkennt er auch das Lügnerische aller dieser Allgemeinheiten. Er hofft von ihnen nichts mehr: sondern alles, was er hofft, ist, dass alle Menschen die Lection des Lebens richtig verstehen. Er wird sich betheiligen müssen an Staat usw., aber ohne leidenschaftliche Ungeduld: von aussen kann ihm ja nichts kommen. Es wird ihm immer mehr zum Spiel. Er ahnt als die seligste Periode, wenn die Völker nur noch zum Spiel Völker und Staaten sind, pur zum Spiel Kaufleute und wissenschaftliche Menschen—mit Überlegenheit über dies alles. Es giebt die Musik, welche dies erklärt: wie alles nur Spiel, im Grunde nur Seligkeit sein kann. Deshalb ist sie die verklärende Kunst, metaphysisch durch und durch.

34 [33]

Die Welt kann gar nicht besser sein als der Mensch: denn wie existirt sie, nur als menschliche Empfindung.

34 [34]

Was hätten wir an uns zu bewundern, was bliebe uns fest! Alles ist gering. Wahrheit gegen sich ist das Höchste, was wir von uns erreichen: denn die meisten beschwindeln sich. Mit einer herzlichen Selbstverachtung kommen wir auf unsre Höhe: wir sehen, wie die Dinge und Producte solcher Menschen etwas Verächtliches sind, und lassen uns nicht mehr durch Massen täuschen.

Pessimismus.— Tiefe der Selbstverachtung: das Christenthum zu eng.

Warum sollte Zerstören ein negatives Geschäft sein! Wir räumen unsre Beklemmungen und Verführungen hinweg.

34 [35]

Die alten Philosophen suchten nach dem Glück des Einzelnen: ach sie konnten es nicht finden, weil sie es suchten. Schopenhauer sucht nach dem Unglück: und es ist der höchste Trost, dass ein Solcher eigentlich das Unglück nicht finden kann, weil er es sucht: so verschiedenartig belohnt das Suchen.

34 [36]

Kapitel 3/4. Er ist der Genius der heroischen Wahrhaftigkeit. Durch das Capitel über die Gefahren ist bewiesen, wie er sich selbst erzogen hat. Doch wodurch hat er dies erreicht?
Durch das Bestreben, wahr zu sein.
Es ist ein auflösendes, vernichtendes Bestreben; doch das Individuum wird dadurch gross und frei. Vielleicht dass er äusserlich daran zu Grunde geht, nicht innerlich.
Capitel 4. Schopenhauer als befreiender Zerstörer in seiner Zeit. Nichts verdient mehr Schonung. Alles ist halb und morsch.
Capitel 5. Ebenso steht er zur deutschen Cultur. Der befreiende Zerstörer.
Capitel 6. Fortsetzung seines Werks. Dazu ist Erziehung einer Generation der Philalethen nöthig. Wie wird sie erzogen?

34 [37]

Jeder Philosoph ist einmal für sich, sodann für Andere Philosoph: dieser Doppelheit der Beziehungen kann er gar nicht ausweichen. Selbst wenn er sich streng von seinen Mitmenschen absonderte, so müsste doch eben diese Absonderung ein Gesetz seiner Philosophie sein: sie würde zur öffentlichen Lehre, zum sichtbaren Beispiel. Das eigenthümlichste Product eines Philosophen ist sein Leben, es ist sein Kunstwerk und als solches eben sowohl dem, welcher es schuf, wie den andern Menschen zugekehrt. Der Staat, die Gesellschaft, die Religion, ja Ackerbau und Gartenkunst—alle können fragen: was ist mir dieser Philosoph? Was kann er uns geben, was nützen, was schaden?— So fragt nun auch, in Betreff Schopenhauers, die deutsche Cultur.

Ich nenne ihn, auch in dieser wichtigen Rücksicht, einen Erzieher der Deutschen. Wie sehr sie aber gerade eines solchen bedürfen, ist mir nach dem französischen Kriege von Stunde zu Stunde deutlicher geworden: obwohl ein Scharfsichtigerer diese allerneuesten Belehrungen gar nicht erst nöthig gehabt hätte. “Wir müssen von den Franzosen lernen”—aber was? “Eleganz!” Das scheint die Belehrung zu sein, welche die Deutschen aus jenem Kriege allesammt mit nach Hause genommen haben. Vor dem wurde dieser Ruf noch ziemlich selten gehört: obwohl es genug Litteraten gab, die eifersüchtig nach Paris hinüberblinzelten. Die Eleganz Renan’s zum Beispiel [Vgl. Ernest Renan, Histoire des origines du Christianisme. Livre premier. Vie de Jésus. Paris: Michel Lévy fréres, 1863; 1867.] liess zuerst die Feder Straussens [Vgl. David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet. 2. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 1864.] und neuerdings die des Theologen Hausrath [Vgl. Adolf Hausrath, Die Zeit Jesu. Zweite Auflage. Heidelberg: Bassermann, 1873.] nicht schlafen [...]

34 [38]

4. Soviel über Schopenhauer als Erzieher
5.
6.
von Menschen.
von Deutschen.
von Philosophen.

34 [39]

Diese Thätigkeit des Philosophen steht nicht für sich, sie gehört in einen Cyclus.
Cultur. Hauptcharacter.
Die Afterkultur.
In Dienst genommen
vom Erwerb
vom Staate.
Schöne Form, täuschen.
Grundstimmung, aus der die wahre Cultur hervorwächst.

34 [40]

Das ist ein Ideal, davor fühlt sich der Einzelne beschämt. Wie bringt er sich dazu in ein natürliches thätiges Verhältniss? Wie ist der Weg zur Erziehung zu finden?
Diese seine Stimmung benützt die verweltlichte Cultur, ihre Ziele sind näher und belasten das Individuum nicht so.
Der metaphysische Sinn der wahren Cultur ist festzustellen. Erster Satz der Erziehung.
Die Erzeugung des Genius ist die praktische Aufgabe.

34 [41]

Ein Ideal.
Einwurf: es nöthigt in einer doppelten Art zu leben, es wird keine verbindende Thätigkeit gefunden.
Die Consequenteren ziehen sich auf ein niedrigeres Ziel zurück.
Dagegen: es gehört in einen Kreis von Idealen, Cultur.
Jenes niedrigere Ziel ist keine Stufe auf dem Wege, sondern ein andrer feindseliger Standpunkt.
Bei der Grösse des Bildes zweierlei Gefahren:
1)
2)
das grosse Ziel wird preisgegeben (abgeirrte Cultur)
das Ziel wird festgehalten, aber keine Thätigkeit gefunden, die uns damit verbindet. Die schwächeren Naturen unterliegen: deshalb ist Schopenhauer nur etwas für die Thätigsten.
Bedeutung der abgeirrten Cultur.
Versuch, Pflichten aus dem vollen Begriffe derselben abzuleiten.
In einzelnen Augenblicken steht man darin.
Es ist nöthig die niedere Stufe zu finden, auf der wir wirklich stehen können, wo wir nicht taumeln.

34 [42]

Aber das sind Rückfälle und Merkmale der philosophischen Neulingschaft und Jugend: und es muss möglich sein, männlicher und beharrlicher, ohne diese blendenden Abstände von Finsterniss und Licht, von Wachen und Träumen, zu leben: dergestalt dass mein Blick von der Natur der Dinge kalt und leuchtend zur eignen Natur zurückkommt, nicht zu etwas Neuem und Anderem, sondern nur zu einem einzelnen Beispiele, an dem wenig gelegen ist und das, je weniger es geachtet wird, immer mehr verschwindet. Ist erst einmal dieses Ich an uns zusammengeschmolzen, und leiden wir nicht mehr oder fast nicht mehr als Individuen, sondern als das Lebendig-Bewusste überhaupt, dann ist auch jene Verwandlung eingetreten, auf die alles Spiel des Werdens nie verfällt, und der Mensch geboren, zu dem sich die Natur hindrängt, um sich in seinem Spiegel zu betrachten.

34 [43]

Anfang.

Gerade dieses Problem will ausführlicher betrachtet werden: wie hielt es Schopenhauer in seiner Zeit aus, ohne irgend einen Versuch zu machen, ihr Reformator zu sein?

Und hat nicht die Schwäche der modernen Zeit sein Bild des Lebens abgeschwächt?

Gegen 1) Er ist der befreiende Zerstörer. Der Freigeist.
Gegen 2) Er setzt sich als Genius ein gegen die Schwäche der Zeit und kennt so die Natur in ihrer ganzen Kraft.

34 [44]

Letztes Capitel.

Wie erziehn wir den Philosophen?

Den, welcher Gerechtigkeit zu seinem Panier macht!

34 [45]

Odysseus opferte, um die Schatten — — — [Vgl. Homer, Odyssee 11, 23-50.]

Lasst uns dem Geiste Schopenhauers ein ähnliches Opfer bringen, indem wir sagen: Philosophia academica delenda est.

34 [46]

Ils se croient profonds et ne sont que creux. [Vgl. Karl Julius Weber, Demokritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Bd. 4. Stuttgart: Rieger, 1868:72.]

34 [47]

(II)Capitel.
 Verwunderung, wie Schopenhauer überhaupt zu Stande kam und existiren konnte.
 Gefahren: von Kant her.
Vereinsamung.
Klima der deutschen Bildung.
Innerster Conflict: la Trappe und Genius. (In diesem Gefühl der Beschränktheit liegt seine Grösse, sie hat gar nichts mit der Zeit zu thun: ein allzeitiger Conflict.)
 Beispiel:Schritt von Kant zu Schopenhauer im Leben.
Überwindung des Gelehrten.
Überwindung des Romantischen.
Ergänzung des klassischen Ideals.
Anspornende Verachtung seiner Zeit.
(III)Capitel. Hat er Erfolg gehabt?
Wo er zu erwarten ist: a)in Betreff der Philosophie, Universität.
Cap. IVb)Erkenntniss und Correctur der Zeit.
Cap. Vc)deutsche Nutzanwendung: Genesis des Genius.

34 [48]

Als Schriftsteller: ehrlich
heiter
männlich (nie greisenhaft) und nicht gefühlvoll, er klagt nicht.
 
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