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Frühjahr—Herbst 1873 27 [1-81]
27 [1] Der Stil des Strauß beweist, daß er während eines langen Lebens viel schlechte Bücher gelesenich meine vor allem die Schriften seiner Gegner. Er hat am Christenthum das Beste vergessen, die großen Einsiedler und Heiligen, kurz das Genie und urtheilt wie der Dorfpastor über die Kunst oder wie Kant über die Musik (der sie nur als Militärmusik schätzt). Wenn die Franzosen mehr Deutsch verstehen werden, wird es ein großes Gelächter über den Geschmack der deutschen Landsleute geben: was für Gelehrte, und Dichter und Romanschreiber, wie stolz und wie geschmacklos! Es war frech von Strauß, das Leben Jesu dem deutschen Volke zu bieten [Vgl. David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet. 2. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 1864.] als ein Gegenstück zu dem viel größeren Renan [Vgl. Ernest Renan, Histoire des origines du Christianisme. Livre premier. Vie de Jésus. Paris: Michel Lévy fréres, 1863; 1867.]: und gar Voltaire hätte er nicht berühren dürfen. [Vgl. David Friedrich Strauss, Voltaire. Sechs Vorträge. Leipzig: Hirzel, 1872.] Strauß hat gewähnt das Christenthum zu zerstören, in dem er Mythen nachweisen wollte. Aber das Wesen der Religion besteht gerade darin, mythenbildende Kraft und Freiheit zu besitzen. Widersprüche mit der Vernunft und der heutigen Wissenschaft sind sein Trumpf. Er ahnt nichts von der fundamentalen Antinomie des Idealismus und von dem höchst relativen Sinn aller Wissenschaft und Vernunft. Oder: gerade die Vernunft sollte ihm sagen, wie wenig durch die Vernunft über das Ansich der Dinge auszumachen ist. 27 [2] Er sieht nirgends, wo die Probleme liegen. Er nimmt das Christenthum, die Kunst immer in der niedrigsten demokratischen Verkümmerung und widerlegt dann. Er glaubt an die moderne Kulturaber die antike war eine viel größere und doch ist das Christenthum darüber Herr geworden. Er ist kein Philosoph. Er ist ohne Stilgefühl. Er ist kein Künstler. Er ist ein Magister. Er zeigt den magisterhaften Typus der Bildung unsrer Bourgeoisie. Das Bekenntniß ist eine Überschreitung seiner Grenze: der Gelehrte ist zu Grunde gegangen, dadurch daß er Philosoph scheinen wollte. Und doch ist nur ein magisterhaftes Wesen von Weltanschauung, unfrei, ärmlich, bornirt, entstanden. Die Disposition der Schrift: zuletzt zwei Nischen zur Erbauung. Er ist ein schlechter Stilist und ein unbedeutender Autor, dazu nicht auf seinem Felde. Übrigens ein Greis. Was sagt Goethe vom Système de la nature? [Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung. Dritter Theil. III, 11. In: Goethe's sämmtliche Werke in vierzig Bänden. Bd. 22. Stuttgart; Augsburg; Tübingen: J. G. Cotta, 1857.] p. 257 steht die lächerlich matte Abschwächung eines starken Wortes Proudhons. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:257.] Bei Strauß ist kein Zusammenhang, es sind Lappen. Sein Darwinismus und seine Ethik klaffen, der Erstere hätte eine Ethik des bellum omnium und der höheren Utilität und Macht erzeugen sollen. Der Artbegriff als Moralregulativ ist ganz unzureichend. Er meint den Idealbegriff. Wer aber soll diesen aufstellen, der die Ethik noch nicht hat? Denn der Idealbegriff ist erst aus der Ethik abzuziehn, also kann der Idealbegriff nicht für den Menschen der sittliche Maßstab sein. 27 [3] Es ist ein lapsus von Strauß, ein Leben Jesu zu geben. Er mußte sich auf die historische Arbeit beschränken. Dagegen durfte er jetzt das eigentl[ich] wahrhafte Christenthum, das Mönchsthum, nicht vergessen. 27 [4] Gegen den Schriftsteller David Strauss. 27 [5] Wenn die Wir von Strauß wirklich so zahlreich sein, so trifft ein, was Lichtenberg prophezeit, daß unsre Zeiten noch einmal die dunklen heißen. [Vgl. Georg Christoph Lichtenberg, Georg Christoph Lichtenberg's Vermischte Schriften, mit dem Portrait, Facsimile und einer Ansicht des Geburtshauses des Verf. Bd. 1. Göttingen: Dieterich, 1867:48. "Wir Protestanten glauben jetzt in sehr aufgeklärten Zeiten in Absicht auf unsere Religion zu leben. Wie, wenn nun ein neuer Luther auferstände? Vielleicht heißen unsere Zeiten noch einmal die finsteren. Man wird eher den Wind drehen oder aufhalten, als die Gesinnungen des Menschen heften können."] 27 [6] Für Strauß ist Jesus ein Mann, den er ins Irrenhaus stecken würde. 27 [7] An den deutschen Schriftsteller David Strauss. Brief eines Ausländers. Irgend Jemand hat mir einmal gesagt, Sie sein ein Jude und als solcher des Deutschen nicht vollständig mächtig. 27 [8] Es ist tröstlich, wenn einer alt wird und sein litterarisches Testament macht; man darf anfangen ihn zu vergessen und nicht mehr zu lesenund das ist ein positiver Gewinn. Das allerneueste Testament vererbt seine Weisheit, an die, die geistig arm sind, weil sie nichts gelernt oder schlechte Bücher z. B. nur ihre eignen gelesen haben. Vor allen an die geistig armen Zeitungsleser und Concertbesucher. Ein Evangelium für das Leipziger Gewandhaus. Er geht in sein Kämmerchen und spielt Kammermusik,so leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage. 27 [9] Es soll euch durchaus nicht erlaubt sein, Lessing zu glorificiren, da ihr doch nur euch meint. Davon daß dieses herrliche Wesen unter euch stumpfen Gesellen zu Grunde gieng, habt ihr keine Ahnung. Daß er sich in den verschiedensten Gebieten herumwarf, ist kein Glück, dafür hat er in nichts es zu wahrer Größe gebracht. Gervinus. Grillparzer. 27 [10] Jahn, dem das Lied an die Freude nicht gelungen erschien. 27 [11] Aristoteles meint daß man die Produkte alter Männer tödten solle. [Vgl. Aristotle, Politik 1335b, 26-1336a, 2] 27 [12] Lichtenberg: Ich weiß, daß berühmte Schriftsteller, die aber im Grunde seichte Köpfe warenwas sich in Deutschland leicht beisammen findetbei allem ihren Eigendünkel sei von den besten Köpfen, die ich befragen konnte, für seichte Köpfe gehalten worden sind. [Vgl. Georg Christoph Lichtenberg, Georg Christoph Lichtenberg's Vermischte Schriften, mit dem Portrait, Facsimile und einer Ansicht des Geburtshauses des Verf. Bd. 1. Göttingen: Dieterich, 1867:177.] 27 [13] Mich gelüstete so wenig, ein Bekenntniß über Leben und philosophische Fragen von Strauß zu vernehmen, als etwa von Mommsen oder von Freitag oder Gervinus. 27 [14] Er ist berühmt, wie ein Reisender in berühmten Ländern berühmt wird: dieselbe Arbeit, auf eine finnische Erzählung verwendet, hätte ihm unter Gelehrten einen guten Namen, aber weiter nichts gegeben, als was Tausende haben. Die Dummheit der Theologen hat ihn berühmt gemacht. 27 [15] Ein großer Künstler könnte jetzt noch das Christenthum wieder herstellen, vor allem seine Feste. Klopstock hatte eine Ahnung von diesem Privilegium des Genies. 27 [16] So wie sie sich zum Stil verhalten, so zur Kunst: wie zur Kunst, so zum Leben: nämlich gemein, oberflächlich, weichlich. 27 [17] Welcher Muth, sich zum Darwinismus zu bekennen, zu sagen nicht Christen, aber in allen wirklichen Lebensernstfragen scheu auf die dürftigste Bequemlichkeit zurückzufallen! 27 [18] Die charakterlose und stumpfe Manier als Ausdruck der Gesundheit. | Das Alterthümliche als Ausdruck der deutschen Kraft. | Das Bild und zwar aus der modernsten Welt als Zeichen des Geschmacks und zwar des modernen Geschmacks. | Er affektirt ein großer populärer Schriftsteller zu sein: falscher Begriff der Popularität. | Er gehört zu denen, die in einem gewissen Alter unfähig sind, Kant zu verstehen. | Das klassische Alterthum existirt für ihn nicht. | Das Testament der modernen Ideen! | Ist es denn nöthig, daß jemand in dem Fach viel verstehen muß, in dem er berühmt geworden ist? |
27 [19] Sie nennen sich David Strauss, ich verstehe Ihre Schelmerei wohl, Sie wollen dem deutschen Publikum zu verstehen geben, wie ärmlich und dürftig der wahre David Strauss ist, wie schlecht und gering seine schriftstellerischen Talente sind. Aber wie arg sind Sie mißverstanden! Überall nimmt man Sie ernsthaft: und gar den Stil, die lustige Carikatur, preist man wie etwas Einziges. Ich will Ihnen zeigen, daß ich Sie verstanden habe. 27 [20] Brief | | 1. | Der Wunsch, als Autor naiv und populär, ja ein Genie zu sein. Preis der Form. | | | 2. | Archaismen Neologismen. | | | 3. | Verwirrung der Bilder. | | | 4. | Hegel und die Zeitungenso wie die Gegner. | | | 5. | Ober Lessing. | | | 6. | Die großen Musiker. | | | 7. | Der Darwinismus und die Ethik. | | | 8. | Keine Philosophie. | | | 9. | Reduzirt auf die Theologie. Alles sonst zu streichen. | | | 10. | Er hat keinen Begriff vom Christenthum. |
27 [21] Lichtenberg: man kann sich selbst bis zum Erstaunen in einer Sache Genüge leisten, und der Erfahrene lacht über unser Werk. Es giebt in der gelehrten Republik Männer, die ohne das geringste wahre Verdienst ein sehr großes Aufsehen machen. Wenige untersuchen den Werth derselben und die, die ihn kennen, würde man für Lästerer halten, wenn sie ihre Meinung öffentlich sagten. Die Ursache ist, der eigentlich große Mann hat Eigenschaften, die nur der große Mann zu schätzen weiß; der andre solche, welche der Menge gefallen, die hernach die Vernünftigen überstimmt. Es ist nur allzu gemein, daß kluge Leute beim Bücherschreiben ihren Geist in eine Form zwingen, die von einer gewissen Idee, die sie vom Stil haben, bestimmt wird, ebenso wie sie Gesichter machen, wenn sie sich malen lassen. Strauß sucht bald das Gesicht von Voltaire, bald von Lessing zu machen. [Vgl. Georg Christoph Lichtenberg, Georg Christoph Lichtenberg's Vermischte Schriften, mit dem Portrait, Facsimile und einer Ansicht des Geburtshauses des Verf. Bd. 1. Göttingen: Dieterich, 1867:259, 261f., 264f.] 27 [22] Briefe eines Ausländers an den deutschen Schriftsteller David Strauss. 27 [23] Es ist ein schmerzlicher Gedanke, daß Jemand alt und doch nicht weise werden kann. Bei Strauß frage ich mich immer: wie hat er nur bis dahin leben können? Die Menge ist unphilosophisch und Strauß gehört zur Menge. Sein Aristokratismus der Natur ist ganz inconsequent und angeschwindelt: er ist eben berühmt geworden. 27 [24] Ein seelenloses Wörtermosaik mit europäischer Syntax schreibt bald das Deutsche. Wir verlieren die Sprache immer mehr und wir sollten wissen, was wir an ihr habendas Deutsche! Wir bekommen ein deutsches Reich, zu der Zeit als wir bald aufgehört haben Deutsche zu sein. Der abstrakte europäische Mensch, der alles nachmacht und schlecht Was sind doch deutsche Sittenmeistens schlechte und festgewordene Nachahmungen, die als solche vergessen wurden. Dann scheint auch das strenge Denken verloren zu gehn, denn die Klassiker sind lüderliche Gesellen. Ich habe nicht mehr den Muth eine einzige Eigenschaft als deutsch zu reklamiren. Der Krieg hat entschieden verschlimmert. Es ist fast verboten, von den schlimmen Wirkungen des Kriegs zu reden: ich thue es und sage: die schlimmste Wirkung ist daß durch den Sieg der Schein entsteht, als ob die deutsche Kultur gesiegt habe und als ob sie deshalb preiswürdig sei. 27 [25] Sie sagen uns, daß Sie alt sind. Nun sagt Lichtenberg: ich glaube, daß man selbst bei abnehmendem Gedächtniß und sinkender Geisteskraft noch immer gut schreiben kann, wenn man nur nicht soviel auf den Augenblick ankommen läßt, sondern bei seinen Lektüren oder seinen Meditationen, immer wieder schreibt, zu künftigem Gebrauche. So sind gewiß alle großen Schriftsteller verfahren. Nein, Sie sind kein alter Mann, denn Sie lassen es auf den Augenblick ankommen! Das Populärmachen sollte immer so getrieben werden, daß man die Menschen damit heraufzöge. Wenn man sich herabläßt, so sollte man immer daran denken, auch die Menschen, zu denen man sich herabgelassen hat, ein wenig zu heben. Die simple Schreibart ist schon deshalb zu empfehlen, weil kein rechtschaffner Mann an seinen Ausdrücken künstelt und klügelt. Ich mag immer den Mann mehr lieben, der so schreibt, wie es Mode werden kann, als den, der so schreibt, wie es Mode ist. Es kommt so außerordentlich viel darauf an, wie etwas gesagt wird, daß ich glaube, die gemeinsten Dinge lassen sich so sagen, daß ein Andrer glauben müßte, der Teufel hätte es einem eingegeben. [Vgl. Georg Christoph Lichtenberg, Georg Christoph Lichtenberg's Vermischte Schriften, mit dem Portrait, Facsimile und einer Ansicht des Geburtshauses des Verf. Bd. 1. Göttingen: Dieterich, 1867:284, 299, 306, 309f.] 27 [26] David Strauss als Schriftsteller und Sprachkünstler. 27 [27] Schopenhauer: daher müssen solche Sprachverbesserer, ohne Unterschied der Person, gezüchtigt werden, wie die Schuljungen. Jeder Wohlgesinnte und Einsichtige ergreife also mit mir Partei für die deutsche Sprache gegen die deutsche Dummheit. [Vgl. Arthur Schopenhauer, Sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 6, 2: Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften, Bd. 2. Leipzig: Brockhaus, 1874: 567.] 27 [28] Es sind rohe Empiriker: unsre Schulen sind gänzlich unzureichend. Der Nothstand ist auf der Spitze. Polizeiliches Verbieten eines Zeitungsblattes, das den geringsten sprachlichen Fehler hat. 27 [29] Die Wirkungen Hegels und Heines. Letzterer zerstört das Gefühl für einheitliche Farbe des Stils und liebt die Hans Wurst Jacke, mit dem buntesten Farbenwechsel. Seine Einfälle, seine Bilder, seine Beobachtungen, seine Worte passen nicht zu einander, er beherrscht als Virtuose aber alle Stilarten, um sie nun durcheinander zu werfen. Bei Hegel das nichtswürdigste Grau, bei Heine das Schimmern der elektrischen Farbenspiele, die die Augen fürchterlich angreifen, wie auch jenes Grau. Denkt euch nur alles mimisch, bei Hegel und Heine. Jener ein factor, dieser ein farceur. 27 [30] Die furchtbare Dilapidation der Hegelei! Auch wer sich zu retten verstand, wie Strauß, ist nie wieder völlig zu kuriren. Zwei Unglücksfälle hat Strauß erfahren: einmal erfaßte ihn die Hegelei und machte ihn wirblicht, in einer Zeit, wo ein ernster Philosoph ihm hätte Richtung geben müssen. Sodann kam er, durch die Gegner, in den Wahn, seine Sache sei eine populäre und er selbst ein populärer Autor. In Folge dessen hat er nie aufhören können, Theolog zu sein, und nie wieder anfangen dürfen, wieder strenger Jünger seiner Wissenschaft zu sein. Nun hat er sich bemüht, Hegel und das Theologische möglichst zu beseitigen: umsonst. Der erste zeigt sich in der platt optimistischen Weltbetrachtung mit dem preußischen Staate als Zielpunkt der Weltgeschichte, das zweite in den gereizten Invektiven gegen das Christenthum. Er hat keinen Halt und wirft sich dem Staate und dem Erfolg ans Herz; sein ganzes Denken ist nicht sub specie aeternitatis, sondern decennii vel biennii. So wird er zu einem Klassiker des Pöbels, wie Büchner usw. 27 [31] Unusquisque mavult credere quam judicare. | Seneca. |
[Vgl. Arthur Schopenhauer, Sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 6, 2: Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften, Bd. 2. Leipzig: Brockhaus, 1874: 533.]27 [32] Wer weiß, wie die Alten sich mühten und die Neueren sich nicht abmühen, macht sich bald zum Grundsatz, dies Gesindel gar nicht mehr zu lesen. Erstens muß man etwas zu sagen haben, von dem man glauben darf, daß man es besser als irgend ein andrer Mensch sagen kann. Somit muß es in allen Theilen durchdacht, als zusammenhängend befunden sein. Die erste Niederschrift hat weiter keinen Werth als den allgemeinen Gang und die Dimensionen zu finden, das totum ponere: allerdings die Hauptsache für den Inhalt: meistens auch werden die richtigen Farben gefunden. Nun ist das Ganze noch voll von zahllosen Fehlern, hier und da ist ein vorläufiger Bretterverschlag und Fehlboden, überall liegt Staub, die Zeichen der Arbeit, der Noth sind sichtbar. Die ganze jetzt noch nöthige Arbeit, fehlt bei Strauß: selbst angenommen, das totum ponere sei gelungen. Das totum ponere ist insofern gelungen, als das ganze Buch wenigstens eine Art Mensch abmalt, so, daß auch die großen Inconsequenzen und Halbheiten ins Bild gehören. Es soll ja einen Glauben darstellen, nicht eine Philosophie, und hat sich deshalb seiner Gedankenlosigkeiten nicht zu schämen, da es auf das Ethos vor allem ankommt. Dieses Ethos zeigt Muth, soweit es dem Philister wohlthut, also in Religionssachen, in naturwissenschaftlichen Behauptungen usw. Sonst, nämlich in der Lehre vom Leben, gilt umgekehrt alles Vorhandene so ziemlich als vernünftig: ein paar fromme Wünsche, Abschaffung des allgemeinen Stimmrechts, Beibehaltung der Todesstrafe, Beschränkung des Rechts zu striken und Einführung von Nathan und Hermann und Dorothea in die Volksschuledas ist alles, im Übrigen leben wir, so wandeln wir beglückt! 27 [33] Er hat das Leichtschürzen mißverstanden an großen Autoren: diese wollten ein zierliches Gartenhaus, dagegen spricht der plumpe Entwurf von Str[auss] es fehlt gerade die Leichtigkeit und Anmuth. Das Oberflächliche Unausgebaute ist noch lange nicht das Zierliche. 27 [34] Die Gesetzmäßigkeit in der Natur und die Vernünftigkeit werden von Strauß zum Düpiren benutzt. Er braucht in der That eine volle Kosmodicee. Gottgewollt d. h. naturgemäß! Sie koketter Greis! Gaukelnder Magister! 27 [35] Lessing hat die gewaltige, unruhige, ewig spielende, in schwellenden Muskeln überall sichtbare Kraft eines jugendlichen Tigers. Der neue Glaube kann keine Berge versetzen, wohl aber Worte. (Zum Stil.) 27 [36] Sie werden zugeben, daß ich mich nicht an die höheren Galerien wende, wenn ich gegen Sie kämpfe. 27 [37] Man redet von den geologischen und darwin[istischen] Vorgängen: da denkt man sich das Subjekt als ewig. Es ist auch völlig unmöglich es wegzudenken. Unwillkürlich nimmt alle Naturwissenschaft die Einheit des Subjekts, seine Ewigkeit und Unveränderlichkeit an. Unser Gehirn, unser Auge ist bereits ein extra nos oder praeter nos: es ist nicht die Welt eine Gehirnqualität, sondern das Gehirn selbst ist ein Theil dieser Empfindungen und Vorstellungen. Nicht das Gehirn denkt, sondern wir denken das Gehirn: das selbst an sich durchaus keine Realität hat. Empfindung ist die einzige kardinale Thatsache, die wir kennen, die einzige wahre Qualität. Alle Naturgesetze sind auf Bewegungsgesetze zurückzuführen: durchaus ohne Stoff. Wenn man am Ende damit ist, wird man nur die Empfindungsgesetze festgestellt haben. Für das an sich ist dann gar nichts gewonnen. Die Idealität der Welt ist keine Hypothese, sondern die handgreiflichste einzige Thatsache. Es ist unsinnig zu glauben, daß je Empfindung erklärt werden könne aus Bewegung, oder aus etwas anderem. Man kann nicht Empfindung aus etwas anderem erklären, da man gar nichts Anderes hat. 27 [38] Wo Heine und Hegel zugleich gewirkt haben, wie z. B. bei Auerbach (wenn auch nicht direkt), und dazu eine natürliche Fremdheit in der deutschen Sprache aus nationalen Gründen kommt, entsteht ein Jargon, der in jedem Worte, jeder Wendung verwerflich ist. 27 [39] Strauß sagt: es wäre auch Undank gegen meinen Genius, wollte ich mich nicht freuen, daß mir neben der Gabe der schonungslos zersetzenden Kritik zugleich die harmlose Freude am künstlerischen Gestalten verliehen ward. [Vgl. David Friedrich Strauss, Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Ausgaben meiner Schrift Der alte und der neue Glaube. In: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Bonn: E. Strauss, 1873:10.] Man erwies mir von verschiedenen Seiten sogar die ungesuchte Ehre, mich als eine Art von klassischem Prosaschreiber gelten zu lassen. [Vgl. David Friedrich Strauss, Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Ausgaben meiner Schrift Der alte und der neue Glaube. In: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Bonn: E. Strauss, 1873:8f.] Freilich, Sie haben es nicht gesucht, sondern alles unterlassen, es zu werden. Unsre Zeit, der das Formlose als erhaben gilt ironisch auf Strauß anzuwenden. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:359.] Merck: solchen Quark mußt du nicht mehr machen, das können die Andern auch. Nachwort, p. 10. [Vgl. David Friedrich Strauss, Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Ausgaben meiner Schrift Der alte und der neue Glaube. In: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Bonn: E. Strauss, 1873:10.] Einer meiner Freunde hat eine Blüthenlese von stilistischen Classicitäten des Voltaire. 27 [40] An Stelle des Reich Gottes scheint das Reich getreten. 27 [41] Die absichtliche Oberflächlichkeiter kann alles besser. Riehlsche [Wilhelm Heinrich von Riehl (1823-1897)] Hausmusik. Es ist durchaus nöthig, daß wir kräftig auffordernde Redner hörenan Stelle der schlechten Prediger. Ungeheure Aufgabe der Kunst! Die Vernunft des Universums als Religion festzuhalten, ist sehr unvernünftig und jedenfalls ungefähr so toll, wie zu behaupten, daß eins gleich drei seiein Glaube. Was Strauß gegen die Antinomie der Unendlichkeit sagt, ist furchtbar dumm. Er hat gar nicht begriffen, worum es sich handelt. 27 [42] Strauß, p. 10: Man denkt sich Manches halbträumerisch im Innern zusammen, was, wenn man es einmal in der festen Gestalt von Worten und Sätzen aus sich herausstellen will, nicht zusammengeht. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:10.] 27 [43] Das religiöse Reagiren: er sticht sich. 27 [44] Strauß, p. 11. Fürs Andere aber wollen wir erfahren, ob uns diese moderne Weltansicht auch den gleichen Dienst leistet, und ob sie uns denselben besser oder schlechter leistet als den altgläubigen die christliche, ob sie mehr oder weniger geeignet ist, das Gebäude eines wahrhaft menschlichen d. h. sittlichen und dadurch glücklichen Lebens darauf zu gründen. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:11f.] Antwort steht p. 366: Wer hier sich nicht selbst zu helfen weiß, dem ist überhaupt nicht zu helfen, der ist für unsern Standpunkt noch nicht reif. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:366.] Es soll ein Katechismus der modernen Ideen sein; er will nach der Richtung hinzeigen, wo seiner Überzeugung nach ein festerer Boden zu finden istnämlich die moderne Weltanschauung, das mühsam errungene Ergebniß fortgesetzter Natur- und Geschichtsforschung. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:10.] Nachher stellt er den alten Glauben der neueren Wissenschaft gegenüber. Kunst und Philosophie ist vergessen. 27 [45] Rolle p. 35 [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:35.] zweimal, p. 143. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:143.] Man geht nicht mit steifem Tritte auf unbekannten und von tausend Abgründen unterbrochnen Wegen. [Vgl. Claude Adrien Helvétius, Discurs über den Geist des Menschen. Leipzig; Liegnitz: Siegerts, 1760:631.] Aber muß man denn affektiren zu tänzeln? 27 [46] Der Philister, der sich als Genie fühlt oder gebärdet. 27 [47] Der Muth und die Consequenz. Heine Hegel Stilgefühl. totum ponere und die Ausarbeitung. Philosophie-Mangel. Kunst. Christenthum. | Er benutzt das aristokratische Genie wie Bismarck die Socialdemok[rat]ie benutzt: Strauß aber gegen die Socialdemokraten zu Gunsten der Bourgeoisie, höchst ungern. | Er läuft wie eine Rauchsäule vor seinen Wir einher. |
27 [48] Krötenagilität der Gedanken. [Vgl. Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften. Bd. 1. In: Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 5, 1. Leipzig: Brockhaus, 1874:210-212 (211).] 27 [49] Der Philister, der sich als Genie gebärden möchte. Moralisch. | | Muth und Consequenz wie weit? | Intellectuell. | | Voltairisch leicht geschürzt. Enthält sich der Philosophie. Lobt (Kant), empfiehlt, tadelt als Genie. In der Kunst klassisch. | Litterarisch. | | Emancipirt sich von Heine Hegel, aber wie! Will ein Evangelium der neuen Ideen machen. Genialität der Anlage des Buches! Die Durchführung. Flecken. |
27 [50] Schopenhauer würde von Strauß sagen: ein Autor der nicht durchblättert, geschweige studirt zu werden lohnt: außer für den, der den Grad des jetzigen Stumpfsinns ermessen will. 27 [51] Empedokles sagte den Agrigentinern nach: sie hingen den Lüsten an, als ob sie den anderen Tag sterben sollten, und sie bauten so, als ob sie niemals sterben würden. Strauß baut so, als ob sein Buch morgen sterben müßte, und benimmt sich so, als ob es gar niemals sterben sollte. [Vgl., Diogenes Laertius, De vitis philosophorum libri X: cum indice rerum ad optimorum librorum fidem accurate editi. T. 2: Lib. VIII. 63. Cap. II. Empedocles. Lipsiae: Holtze, 1870:116.] 27 [52] Entstehung des Philisters der Bildung. An sich die Bildung immer in sehr exclusiven Kreisen. Der eig[entliche] Philister hielt sich davon fern. Der Gelehrte machte einen Übergang, er glaubte an das klassische Alterthum, die Künstler galten ihm als bedenkliche Gesellen. Hegel hat sehr viel Aesthetik auf Universitäten in Umlauf gebracht. Das Publikum des Almanachs ist das Stammpublikum, Abendzeitung. In den 50ger Jahren die Realisten, Julian Schmidt. Allmählich entsteht das Publikum der populären Vorträge, als eine Macht, es hat Sympathien, Voraussetzungen usw. Der Philister hat kein Gefühl von den Mängeln der Kultur und von dem Experimentiren bei Schiller und Goethe. Er geht von einem starken Chauvinismus aus. Das übereilige Aburtheilen Hegels und seiner Schüler hat die Meinung hervorgebracht, wir seien auf der Höhe. 27 [53] 1. | Ob die deutsche Cultur gesiegt hat? | 2. | Der Bildungsphilister und die Cultur. | 3. | Glaubensbekenntniss eines solchen Philisters. | 4. | Wie er lebt. | 5. | Sein Muth im Lob und Tadel, und im Optimismus. | 6. | Grenze seines Muthes. | 7. | Eine Gelehrtenreligion. | 8. | Politisch zeitgemäss, sub specie biennii. | 9. | Stil der Gegenwart. | 10. | Das totum ponere bei Strauss. | 11. | Der Stil im Einzelnen. | 12. | Schluss. |
27 [54] Daß unsere Universitäten nichts für Kunst zu bedeuten haben, ist stark zu erwähnen. Strauß als eine durchaus unaesthetische Natur. 27 [55] Aus dem wilden Gebräu von Philosophie, Romantik und Experimentiren aller Art entstand zuletzt eine ungeheure Sicherheit im Vernichten und Verurtheilen, durch die fortwährende Übungund dadurch wieder ein Zutrauen auf Seiten der Nichtproduzirenden zu ihrer eignen Kultur als einem Maßstabe. Worin bestand denn das Positive? In einem gewissen Behagen, das jenem praktischen Experimentiren entgegengesetzt war; Behagen am eignen Leben. Dazu fanden sich auch noch Talente, die dies verherrlichten, die idyllische Heimlichkeit des Deutschen, des Gelehrten usw. Diese Behaglichen suchten jetzt die Klassiker sich zuzulegen, und alles noch lebendig Produzirende hochmüthig abzuweisen; sie setzten sich in Ruhe und erfanden das Epigonenzeitalter. Otto Jahn und Mozart. Die neunte Symphonie und Strauß. Gervinus und Shakespeare. Historisch sollte alles Große begriffen werden. Alle lebendige Kraft zeigte sich auf dem historischen Gebiete, im Ablehnen und Zerstören. gegenwärtiger entarteter Triebe, z. B. der Orthodoxie. Religiöser Liberalismus war überall die Voraussetzung. Die historische Richtung machte allen Fanatismus unmöglich. 1) Sie verlangt keine Änderung, der Erziehung usw. 2) Sie giebt dem Gelehrten die Superiorität in Geschmackssachen. 27 [56] Der Philister ist ja gerade der :@LF@l: es ist merkwürdig zu sehen, wie er trotzdem dazu kommt, in aesthetischen und Kulturfragen mitreden zu wollen. Ich glaube, daß der Schulmann hier den Übergang gemacht hat: er, der von Berufswegen mit dem klassischen Alterthum sich abgab und allmählich meinte deshalb auch einen klassischen Geschmack haben zu müssen. 27 [57] David Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller. Unzeitgemässe Betrachtungen eines Ausländers. 27 [58] Wenn Streitschriften immer nur von ihren Parteien bewundert werden, so hat diese Schrift nicht die geringste Hoffnung bewundert zu werden; und David Strauß selbst wird ihr am letzten vorzuwerfen haben, daß er etwa hier unter lautem Jubel der höheren Stände [Vgl. David Friedrich Strauss, Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Ausgaben meiner Schrift Der alte und der neue Glaube. In: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Bonn: E. Strauss, 1873:18.] und durch diesen Jubel widerlegt werden sollte. Vielmehr dürfte ein solcher Angriff, wie der hier versuchte, Strauß nützen und dem Angreifenden nur deshalb nicht schaden, weil er sich nicht genannt hat. Nach dieser Vorbereitung mag der Kampf beginnen: und als Zeugen wünsche ich mir eben jene, welche dem neuen Bekenntnißbuche des Dr. Strauß zugethan sind und sich freuen, wenn der Angreifende von vorn herein freiwillig eine schlechte Position wählt. Und welche Position könnte schlechter sein als die eines vereinzelten Ausländers, der den allgemeinen deutschen Erfolg jenes Buches den Deutschen zum Vorwurf macht? und als das Merkmahl einer gesunkenen Kultur betrachtet? 27 [59] Anmaßlichkeit eines Bekenntnisses. Wer bekennt? Eine Partei, die Wir. Beschreibung der Wir. Der Bildungsphilister und Genesis. Strauß typisch. | ü ý þ | Strauss als Bekenner über die Philistercultur. |
Der Schriftsteller. Will ja nicht als Philister erscheinen. | ü ý þ | Als Schriftsteller (legt selbst Zeugniss von der Philistercultur ab). |
27 [60] Hat die deutsche Kultur gesiegt? Nein. Aber sie glaubt es. Wie es mit der Bildung steht, ist zu erkennen 1) aus den Confessionen selbst. |
a)daraus daß sie eine Confession wagt. | b)aus der Art der Bekenntnisse. |
2) aus der schriftstellerischen Leistung: direkter. |
Resultat. Worüber sie gesiegt hat. Nicht über die französische, aber über die deutsche Kultur und den deutschen Genius. 27 [61] Ob die deutsche Kultur gesiegt hat? Der siegreiche Bildungsphilister. Seine Genesis. Macht Bekenntnisse. Sein Leben, Stellung zur Kunst. Philosophie Dreistigkeit. Seine Art Muth. Gelehrtenreligion. Der klassische Schriftsteller. Leicht geschürzt. Stilproben. 27 [62] Ja, wenn es sich nur um einen schlechten Stilisten handelte! Aber alles Volk klatscht Beifall! Er redet wie ein Mensch, der täglich die Zeitungen liest. 27 [63] Die Gesundheit. Die Begeisterung für Altdeutsches hat mitgeholfen. Dem trockenen Philister steht einzig zu Nüchternheit und Deutlichkeit; aber Strauß hat von der Simplicität des Genies gehört! Und daß es Bilder braucht usw. 27 [64] 1872. Erste Auflage der Geburt der Tragödie. | 1873. Zweite Auflage der Geburt der Tragödie. |
Strauß. | Zukunft der Bildungsanstalten. | Vorplatonische Philosophen. |
27 [65] Der Kulturphilister weiß nicht, was Kultur istEinheit des Stils. Er findet sich damit ab, daß es Klassiker giebt (Schiller Goethe Lessing) und vergißt, daß sie eine Kultur suchten, aber kein Fundament, auf dem man ruhen könnte, sind. Er versteht deshalb den Ernst noch lebendiger Kultursucher nicht. Er glaubt, daß das Leben, das Geschäft sich trennen müssen von der Kultur-Erholung. Er kennt nicht die Kultur, die fortwährend fordert. Die Autoren der Deutschen sind auf Nachahmung der Natur angewiesen, der bäuerlichen, oder städtischen zumal, also zum Idyll oder der Satyre. Zu den höheren reinen Formen haben sie kein natürliches Verhältniß, weil das entsprechende Wirkliche unkünstlerisch und vorbildlos ist. Es ist die Zeit der unstilisirten Portraitkünste, kurz ikonischer Künste und Geschichtsschreibung. 27 [66] Zur Einleitung. Es ist für uns kein Ereigniß, dieses Straußische Buch, sondern nur sein Erfolg . Kein Gedanke ist darin, der werth wäre, als gut und neu bemerkt zu werden. Wir haben keine Kultur, sondern Civilisation mit einigen Kulturmoden, doch noch mehr Barbarei. Wir haben auch in der Sprache noch keinen Stil, sondern nur Experimente. Eine Kultur kann nicht über die französische gesiegt haben, denn wir hängen nach wie vor von ihnen ab und in der französischen selbst ist keine Änderung eingetreten. Der Philister der nicht zugeben will Barbar zu sein nach dem Ausdrucke Vischers über Hölderlin. [Vgl. Friedrich Theodor Vischer (1807-88): Anlässlich der Feier in Lauffen am 20. März 1870.] Ihr habt keine Kultur, nicht etwa eine schlechte oder entartete, sondern auch die würde noch Einheit des Stils haben. Das deutsche Gespräch wie die deutsche Rede ist nachgemacht. Unsere Salon-Geselligkeit, unsre Parlaments-Redner! Wo ist ein Fundament, auf das man eine Kultur gründen könnte! 27 [67] Nach Heraklit: der klügste Philister (Mensch) ist dem Genie (Gott) gegenüber ein Affe. [Vgl. Heraclit, Fragment 83.] 27 [68] Schwierigkeit ein guter Schriftsteller zu werden. 1) | | Mangel des guten Redens und der Übung. Verderb des Geschmacks durch die öffentlichen Reden. | 2) | | Mangel an Übung in den Schulen im Schreiben und [an] Strenge der Methode. |
Trotzdem ist das Lob leicht zu erreichen. Bes[onders] unter Gelehrten. Sie sehen nicht nach den produktiven Zügen, sondern urtheilen nach dem Mangel des Anstößigen und einer gewissen schulmäßigen Annahme über Bilder, Lebendigkeit. Lessing scheint gemäß dem theatralischen Lustspieldialog. Herder pastoral, Goethe Lust zu fabuliren, frauenhaft. Der Mangel des Anstößigen ist aber in der Zeitungsatmosphäre immer seltener geworden: während das Gefühl für das Anstößige abnimmt. Es ist fast identisch mit Nüchternheit und Trockenheit, die beide schon jenen Mangel zu verbürgen scheinen. So schreiben, wie alle Welt schreibt, d. h. die Zeitungsschreiber, und diese nehmen das erste bequemste Wort. Die Bilder sodann müssen modern sein, denn alle anderen gelten als dagewesen. Das Didaktische macht sich Glauben durch lange Sätze, das Überredende Geistreiche durch kurze Sätze. , Wer schreibt einmal eine positive Sprachlehre des Allerweltsstils? Der falsche Begriff von Eleganz! Woher? 27 [69] Hölderlin an Deutschland: |
Noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig Werk, |
Das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild, |
Das einzig wie du selber, das aus |
Liebe geboren und gut, wie du, sey. | |
Wo ist dein Delos, wo dein Olympia, | Daß wir uns alle finden am höchsten Fest? |
Doch wie erräth dein Sohn, was du den |
Deinen, Unsterbliche, längst bereitest? |
[Vgl. Friedrich Hölderlin, Gesang des Deutschen.]27 [70] Falsch p. 106: man wisse ja längst, daß Gott, allgegenwärtig, eines besonderen Sitzes nicht bedürfe. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:106.] p. 44: so bringt Schleiermacher in seiner Art wieder einen Gottmenschen heraus. [Vgl. David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Leipzig: Hirzel, 1872:44.] Das Didaktische durch Häufung von Abstraktionen, das Überredende durch Mischung aller Farben, durch Blenden. 27 [71] Nächstes Capitel: Himmel im HimmelHeroenverehrungLessing. 27 [72] Wohlgewaschene Lumpen kleiden zwar reinlich, doch jedenfalls lumpenhaft. 27 [73] Verwirrung der Bilder. Verkürzungen, die Unklarheit hervorbringen. Geschmacklosigkeiten und Geschraubtheiten. Fehler. Vorwort, p. 6: der hat sich gegen die Anfechtungeinen breiten Rückhalt gesichert. [Vgl. David Friedrich Strauss, Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Ausgaben meiner Schrift Der alte und der neue Glaube. In: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniss. Bonn: E. Strauss, 1873:6.] p. 12. 27 [74] Feinere Wendungen. 27 [75] David Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller. Unzeitgemässe Betrachtungen von Friedrich Nietzsche. 27 [76] Das sechste und fünfte Jahrhundert der Griechen. EthischPolitisch. Aesthetisch. Philosophie. 27 [77] Alle Naturwissenschaft behandelt die Gesetze der Empfindung. Die Empfindung ist nicht das Wirken der Sinnesorgane, sondern die Sinnesorgane selbst sind uns nur als Empfindungen bekannt. Nicht das Auge sieht, sondern wir sehen, nicht das Gehirn denkt, sondern wir denken. Das Auge wie das Gehirn ist uns absolut nur als Empfindung gegeben, in keiner Weise mehr als alle Dinge extra nos. Unser Leib ist ebenso etwas außer uns, wie alles andre, d. h. er ist ebenso uns als Empfindung bekannt, wie die andern Dinge. 27 [78] Vorwort. Ein Buch, das in Jahresfrist sechs starke Auflagen erlebt, kann deshalb immer noch ohne jeden Werth sein; aber gerade dann ist es für jeden, der keine höhere Sorge als die Sorge um das Volk kennt, wichtig, ja nothwendig zu wissen, dass dafür ein so grosses Publicum wirklich vorhanden ist. Nur der Erfolg des Straussischen Bekenntnissbuches, nicht das Buch selbst, trieb mich zu den nachfolgenden Betrachtungen. Es musste mir allmählich unerträglich werden, unter allem was gegen Strauss eingewendet wurde, nichts zu finden, was allgemein genug gedacht war, um erklären zu können, wie ein so unbedeutendes Buch zu einem so skandalösen Erfolge komme. Wenn Göthe sagt, dass die Gegner einer geistreichen Sache in die Kohlen schlagen, so dass diese herumspringen und zünden, so bin ich in diesem Falle wenigstens sicher, nicht der Gegner einer geistreichen Sache zu sein. [Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen. In: Goethe's sämmtliche Werke in vierzig Bänden. Bd. 3. Stuttgart; Tübingen: J. G. Cotta, 1853:172.] 27 [79] Zweites Stück: Historie. | Plato und Vorgänger. | Drei Abhandlungen. |
Erstes Stück: Strauss. | Geburt der Tragödie. |
27 [80] Zum Schlusskapitel. Die Zeit kann keine gefährlichere Wendung machen, als wenn sie aus der Ironie über sich zum Cynismus übergeht. 27 [81] Geschichteschwächt das Handeln und macht blind gegen das Vorbildliche, durch masse verwirrend. | Vergeudete Energie, an das völlig Vergangne gewendet. | Die historische Krankheit als Feindin der Cultur. | Übertreiben ist Zeichen des Barbarischen. Wir übertreiben den Wissenstrieb. | Nur der Alte lebt in lauter Erinnerungen. | Nicht Respect vor der Geschichte, sondern ihr sollt den Muth haben, Geschichte zu machen! | |
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