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Frühjahr 1873 26
[1-24]
26 [1]
Thales. |
|
Paracelsus.
Stelle in den Allegorien Homers.
Wasser in der neuen Chemie.
Lavoisier.
Wolken Eis.
Anaximenes Luft (Paracelsus). |
Anaximander. |
|
Das Werden als
Zeichen der Vergänglichkeit.
Nicht das infinitum,
sondern das Indefinitum.
Das Bg4D@<
Ursache der Welt des Werdens?
(Emanationstheorie, Spir.) [Vgl. Afrikan Spir, Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung der kritischen Philosophie. Leipzig: Findel, 1873.] |
Heraclit. |
|
Werden als Schaffen,
p.347 und früher Kopp. [Vgl. Hermann Kopp, Geschichte der Chemie, Th. 2. Braunschweig: Vieweg, 1844:347.]
Voraussetzung von zwei Elementen
für jedes Werden. |
Anaxagoras. |
|
Kreisbewegung. Dynamische
Theorie, Durchdringung der
Materie, p. 324. [Vgl. Hermann Kopp, Geschichte der Chemie, Th. 2. Braunschweig: Vieweg, 1844:324.] Viele
Substanzen.
Werden als Herausziehen nicht
mehr Schaffen.
Durchdringung zu Punkten. |
Empedocles. |
|
Attraktion,
Repulsion. Affinität. Actio in
distans. Vier Elemente. Zwei
Electricitäten, p. 340 Kopp. [Vgl. Hermann Kopp, Geschichte der Chemie, Th. 2. Braunschweig: Vieweg, 1844:340.] Liebe und HaßEmpfindung
als Bewegungsursache. Boerhave,
p. 310 Kopp. [Vgl. Hermann Kopp, Geschichte der Chemie, Th. 2. Braunschweig: Vieweg, 1844:310.] |
Democrit. |
|
Atome
gleichartig. Buffon gegen Newton,
p. 311. [Vgl. Hermann Kopp, Geschichte der Chemie, Th. 2. Braunschweig: Vieweg, 1844:311.]
Vielgestaltig, Gassendi. |
Pythagoreer. |
|
367 Kopp. Der
schlafende Reisende im Schiff.
Überweg, III 53. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:53.]
Fortsetzung der Atomistik, alle
Bewegungsmechanik ist zuletzt
Beschreibung der Vorstellungen.
Berührung. Actio in distans. |
Parmenides. |
|
Bernardinus
Telesius. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:21.]
Beiträge zur Geschichte der
Physiologie von Rixner und Siber
III. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:21.]
Definition der Substanz bei
Cartesius, siehe Überweg, 111
52. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:52.]
Gegenseitige Einwirkung bei
völliger Verschiedenheit des
Cörpers. III 53. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:53.]
Grundlehre Satz vom Widerspruch,
Überweg, III 81. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:81.]
Quidquid est, est: quidquid non
est, non est. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:133.] |
26 [2]
Nachahmung der Natur.
Der weiseste Mensch ist Gott
gegenüber ein Affe. Heraclit.
Oedipus der
Weh-mensch löst das Menschenräthsel.
26 [3]
Die Eleaten sahen den Himmel gleichsam
schwarz, wie die Mondbewohner.
26 [4]
Cardanus theilt die Menschen in
1) bloß Betrogene
2) betrogene Betrüger
3) nicht betrogene Nichtbetrüger. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:23.]
26 [5]
Democrit |
{ |
Sennerti physica
Viteb[ergae] 1618
Magneni Democritus reviviscens
Ticini 1646 |
EmpedoclesMaignani
cursus philosoph[icus]
1652 und 1673. |
[Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:25.] |
26
[6]
Der finstere Ozean der Metaphysik. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:136.]
26 [7]
Thomas Campanella sagt, der Raum ist
beseelt, denn er scheut das Leere und
begehrt nach Erfüllung. [Vgl. Friedrich Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Th. 3: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit: von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart. Dritter Theil. Die Neuzeit. Berlin: Mittler, 1866:28.]
26 [8]
Es ist wie in einer Gemäldegalerie,
eine Reihe von Philosophen hinter
einander anzusehen: sie sind in dem
Hause, in das wir sie zur Vergleichung
einmiethen, nicht zu Hause; sie sehen
daher oft so beliebig und wie ein Luxus
aus, wie Erzeugnisse charakterloser
Allerweltskünstler. Die Aufgabe dagegen
soll sein, nur davon zu erzählen, wie
sie selbst von ihren Vorgängern
erzählen und mit ihnen sich berühren,
also der Kampf untereinander.
26 [9]
Ich will eine Reihe von großen
Philosophen beschreiben und hoffe dadurch
das Wesen des Philosophen selbst
deutlicher zu machen: ob ich es schon auf
eine etwas unphilosophische Weise thun
werde, da ich mich an den Wirkungen des
Philosophen halte. Aber ich vermag nicht
direkter von ihrem Wesen zu reden, denn
der reine Trieb zur Wahrheit ist so fremd
und unerklärlich in dieser Welt, daß
ich hoffen darf, wenn ich zeige, wozu er
nütze ist, wenigstens etwas gezeigt zu
haben. Sollte er dieses Nutzens wegen
nicht da sein, so ist es doch gut
einzusehen, daß er, wenn er einmal da
ist, auch nützlich sein kann: während
er seinem Wesen nach so fremd und
unmenschlich ist, daß man glauben
möchte, er sei nicht nur unnütz,
sondern auch schädlich. Denn jener Trieb
steht im Widerspruch mit dem, was die
Menschen zumeist beglückt.
26 [10]
Es giebt nur
Philosophen, d. h. Freunde der
Wahrheit |
oder Feinde
der Wahrheit
oder Skeptiker. |
26
[11]
Ich habe nichts als Empfindung und
Vorstellung.
Also kann ich diese nicht aus den
Vorstellungs-Inhalten entstanden denken.
Alle jene Kosmogonien usw. sind
erschlossen aus den Empfindungsdaten.
Wir können uns nichts denken, das
nicht Empfindung und Vorstellung wäre.
Somit auch nicht rein Zeit, Raum Welt
existirend, aber ohne das Empfindende und
Vorstellende.
Ich kann mir das Nichtsein nicht
vorstellen.
Das Seiende ist Empfindung und
Vorstellung.
Das Nichtseiende wäre etwas, was
nicht Empfindung und Vorstellung
wäre.
Das Vorstellende kann sich nicht
nicht vorstellen,
wegvorstellen.
Das Vorstellende kann sich nicht als
geworden denken, noch als vergehend.
Unmöglich auch die Entwicklung der
Materie, bis zum Vorstellenden.
Denn es giebt gar nicht diesen
Gegensatz von Materie und Vorstellung.
Die Materie selbst ist nur als
Empfindung gegeben. Jeder Schluß hinter
sie ist unerlaubt.
Die Empfindung und die Vorstellung ist
die Ursache, daß wir an Gründe Stöße
Körper glauben.
Wir können sie auf Bewegung und
Zahlen zurückführen.
26 [12]
Raumpunkt A
wirkt auf Raumpunkt B und
umgekehrt. |
Dazu bedarf es
einer Zeit, denn jede Wirkung hat
einen Weg zurückzulegen. |
Aufeinanderfolgende
Zeitpunkte würden in einander
fallen. |
A trifft mit
seiner Wirkung nicht mehr auf das
B des ersten Momentes. Was heißt
es nun: B existirt noch und
ebenso A existirt noch, wenn sie
sich treffen? |
Das hieße vor [allem],
A ist unverändert dasselbe in
dem und jenem Zeitpunkte. Dann
aber ist A keine wirkende Kraft,
denn die kann nicht mehr dieselbe
sein; denn das hieße, sie hätte
nicht gewirkt. |
Nehmen wir das
Wirkende in der Zeit, so
ist das in jedem kleinsten
Zeitmomente Wirkende ein
Verschiedenes. |
Das heißt: die
Zeit beweist das absolute
Nichtbeharren einer Kraft. |
Alle Raumgesetze
sind also zeitlos gedacht,
das heißt müssen gleichzeitig
und sofort sein. |
Die ganze Welt
in einem Schlage. Dann aber giebt
es keine Bewegung. |
Die Bewegung
laborirt an dem Widerspruch, daß
sie nach Raumgesetzen construirt
und durch Annahme einer Zeit
wieder diese Gesetze unmöglich
macht: d. h. zugleich ist und
nicht ist. |
Hier ist durch
die Annahme zu helfen, daß
entweder Zeit oder Raum = 0 ist. |
Nehme ich den
Raum als unendlich klein, so
werden alle Zwischenräume
zwischen den Atomen unendlich
klein, d. h. alle punktuellen
Atome fallen zusammen in einen
Punkt. |
Da aber die Zeit
unendlich theilbar ist, so ist
die ganze Welt möglich rein als
Zeitphänomen, weil ich jeden
Zeitpunkt mit dem einen Raumpunkt
besetzen kann, somit ihn
unendliche Mal setzen kann. Man
müßte sich somit als Wesen
eines Körpers Zeitpunkte
distinkt denken, d. h. den
einen Punkt in bestimmten
Zwischenräumen gesetzt. Zwischen
jedem Zeitzwischenraum haben noch
unendliche Zeitpunkte Platz: also
könnte man sich eine ganze
Körperwelt denken, alle aus
einem Punkte bestritten, aber so,
daß wir Körper in unterbrochene
Zeitlinien auflösen. |
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Jetzt
ist nur |
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ein
reproduzirendes Wesen nöthig,
welches frühere Zeitmomente
neben den gegenwärtigen hält.
Darin sind unsere Körper
imaginirt. |
Es giebt dann
kein Nebeneinander, als in der
Vorstellung. |
Alles
Nebeneinander wäre erschlossen
und vorgestellt. Die Gesetze des
Raumes wären sämmtlich
construirt und verbürgten nicht
das Dasein des Raumes. |
Die Zahl und die
Art der Aufeinanderfolge jenes
einen oft gesetzten Punktes macht
dann den Körper aus. |
Die Realität
der Welt bestünde dann in einem
verharrenden Punkte. Die Vielheit
enstünde dadurch, daß es
vorstellende Wesen gäbe, welche
diesen Punkt in den kleinsten
Zeitmomenten wiederholt dächten:
Wesen, welche den Punkt auf
verschiedenen Zeitpunkten als
nicht identisch annehmen und
jetzt diese Punkte gleichzeitig
nehmen. |
|
Übersetzung aller
Bewegungsgesetze in
Zeitproportionen. |
Das Wesen der Empfindung
bestünde darin, allmählich
solche Zeitfiguren immer feiner
zu empfinden und zu messen; die
Vorstellung construirt sie als
ein Nebeneinander und erklärt
jetzt diesem Nebeneinander
gemäß den Fortgang der Welt:
reine Übertragung in eine andere
Sprache, in die des Werdens. |
Die Ordnung der Welt wäre
die Regelmäßigkeit der
Zeitfiguren: doch müßte man
dann jedenfalls die Zeit mit
einer constanten Kraft wirkend
denken, nach Gesetzen, die wir
uns nur aus dem Nebeneinander
deuten können. Actio in distans
temporis punctum. |
An sich haben wir gar kein
Mittel ein Zeitgesetz
hinzustellen. |
Wir hätten dann eine
punktuelle Kraft, welche zu jedem
späteren Zeitmomente ihrer
Existenz eine Relation hätte, d.
h. deren Kräfte in jenen Figuren
und Relationen bestünden. In
jedem kleinsten Moment müßte
die Kraft verschieden sein: aber
die Aufeinanderfolge wäre in
irgendwelchen Proportionen und
die vorhandene Welt bestünde in
der Sichtbarwerdung dieser
Kraft-Proportionen, d.h.
Übersetzung ins Räumliche. |
|
Gewöhnlich nimmt man in der
atomistischen Physik in der
Zeit unveränderliche
Atom-Kräfte an, also Ð<J" im parmenideischen Sinne. Diese
können aber nicht wirken. |
Sondern nur absolut
veränderliche Kräfte können
wirken, solche die keinen
Augenblick dieselben sind. |
Alle Kräfte sind nur Funktion
der Zeit. |
|
1) |
Eine
Wirkung von aufeinanderfolgenden
Zeitmomenten ist unmöglich:
denn zwei solche Zeitpunkte
würden in einander fallen. Also
ist jede Wirkung actio in
distans, d. h. durch Springen. |
2) |
Wie
eine Wirkung dieser Art in
distans möglich ist, wissen wir
gar nicht. |
3) |
Schnell,
langsam usw. in der ganzen Art
dieser Wirkung. D. h. die
Kräfte, als Funktionen der Zeit,
äußern sich in den Relationen
naher oder ferner Zeitpunkte,
nämlich schnell oder langsam.
Die Kraft liegt im Grade der
Beschleunigung. Die allerhöchste
Beschleunigung läge in der
Wirkung eines Zeitmomentes auf
das nächste, d. h. es wäre dann
= unendlich groß.
Je größer die Langsamkeit, um
so größer die Zwischenräume
der Zeit, um so größer das
distans.
Also Relation entfernter
Zeitpunkte ist Langsamkeit: alle
Langsamkeit ist natürlich
relativ. |
Zeitlinie.
Real: ein Raumpunkt.
Relationen
seiner verschiedenen
Zeitlagen.
Wo bestehen
die Relationen.
Keine Bewegung in
der Zeit ist stetig.
|
|
Wir
messen an etwas
Räumlichbleibendem
die Zeit und deshalb
setzen wir voraus,
daß zwischen
Zeitpunkt A und
Zeitpunkt B eine
stetige Zeit
sei.
Die Zeit ist aber
gar kein continuum,
sondern es giebt nur
total verschiedene
Zeitpunkte, keine
Linie. Actio in
distans. |
Es ist nur von
Zeitpunkten zu reden, nicht mehr
von Zeit. |
Der Zeitpunkt
wirkt auf einen anderen
Zeitpunkt, also dynamische
Eigenschaften vorauszusetzen. |
Zeitatomenlehre. |
Es
ist möglich, |
1) |
die
vorhandene Welt auf punktuelle
Raumatomistik zurückzuführen, |
|
2) |
diese
wieder auf Zeitatomistik
zurückzuführen, |
|
3) |
die
Zeitatomistik fällt endlich
zusammen mit einer
Empfindungslehre. Der dynamische
Zeitpunkt ist identisch mit
dem Empfindungspunkt. Denn
es giebt keine Gleichzeitigkeit
der Empfindung. |
26
[13]
Vielleicht hat Jeder einmal in seiner
Jugend jenen leidenschaftlichen Moment
erlebt, in dem er zu sich sagte:
Könntest Du doch deine ganze
Vergangenheit auslöschen! Und du
ständest, rein und unbeschrieben, im
Angesicht der Natur, und wie der erste
Mensch, um von nun an weiser und besser
zu leben. Es ist ein thörichter
und schrecklicher Wunsch: denn sollte
wirklich die ganze Vergangenheit des
Wünschenden von der Tafel des Seins
ausgelöscht werden, hieße dies nicht
weniger als mit seinem ärmlichen Paar
Lebensmonden auch zahllose frühere
Geschlechter auszutilgen: deren Nachklang
und Überrest nun einmal unsre Existenz
ist, so gern sich das Individuum als
etwas ganz Neues und Unerhörtes zu
empfinden geneigt ist. Inder That giebt
es kaum ein selbstsüchtigeres Verlangen,
als ganze frühere Generationen noch a
posteriori zu vernichten, weil irgend ein
Späterer Grund hat, mit sich unzufrieden
zu sein. Sollte aber wirklich Jemand, in
der Leidenschaft, ausrufen: Fluch allen
Generationen, denen mein Dasein
26 [14]
Wunderbar die Unbesorgtheit der Natur
um die Kultur. Sie .hängt an zu wenig
Individuen.
Bakunin, der im Haß gegen die
Gegenwart, die Geschichte und die
Vergangenheit vernichten will. Nun wäre
um alle Vergangenheit zu tilgen freilich
nöthig, die Menschen zu vertilgen: aber
er will nur die bisherige Bildung,
das ganze geistige Weiterleben,
vernichten. Die neue Generation soll ihre
neue Kultur finden:
Der Mensch ist nur der Kunst werth,
die er selbst schafft.
Die Bildung überträgt sich nicht
einfach durch die Generation. Sie ist
viel gefährdeter: sie kann Jahrhunderte
lang wirklich vernichtet werden.
Es ist möglich die Bildung zu
vernichten.
Sie zu ruiniren ist sogar sehr leicht
und das Werk weniger Menschen und Jahre.
Die Natur hat nicht solche
Vorsichtsmaßregeln getroffen
Da die Bildung so wandelbar ist,
so ist sie auch leicht zu verbessern.
26 [15]
[Goethe]
über gute Handlanger 3 p. 59 [Vgl. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Dritte Auflage. Dritter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1868:39.]
Eckerm[ann]
3 p. 164 der griechische Stil. [Vgl. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Dritte Auflage. Dritter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1868:113.]
3 p. 37 durch Zeitungen Halbkultur der
Massen [Vgl. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Dritte Auflage. Dritter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1868:27.] 3 p. 45 über Reformen ohne Gott [Vgl. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Dritte Auflage. Dritter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1868:33.]
der Grad dessen, was ein Mensch leiden
kann, bestimmt seine Tiefe und seinen
Ernst, aber auch seine Freude.
26 [16]
Es ist jetzt durch die öffentliche
Meinung fast verboten, von den schlimmen
Folgen des Krieges, zumal eines siegreich
beendeten Kriegs zu reden, weshalb die
Schriftsteller, die außer jener Meinung
keine Meinungen besitzen, um die Wette
das Lob des Kriegs, überhaupt sein
Verdienst um Kultur, Kunst und
Sittlichkeit zu singen beflissen sind.
Trotzdem sei es gesagt: von allen
schlimmen Folgen, die der letzte mit
Frankreich geführte Krieg im Gefolge
hat, ist vielleicht die schlimmste eine
schnell um sich greifende und jetzt fast
allgemeine Täuschung, als ob die
deutsche Kultur in jenem Kriege über
eine fremde Kultur gesiegt habe und
deshalb vor allem den Lorbeer verdiene,
der einem so außerordentlichen Kriege
gemäß sei. Einmal wäre immer, selbst
angenommen daß jene Kulturen mit
einander gekämpft hätten, der Maßstab
für die siegende immer noch ein sehr
relativer und unter Verhältnissen noch
gar zu keinem Siegesjubel oder
Selbstglorifikation berechtigend; denn es
käme darauf an, was jene unterjochte
Kultur werth gewesen wäre, vielleicht
sehr wenig, in welchem Falle auch der
Sieg, selbst bei pomphaftestem
Waffenerfolge, für die siegende Kultur
keine Aufforderung zum Triumph enthielte.
Andrerseits ist in unsrem Falle davon gar
nicht die Rede. Strenge Kriegszucht,
wissenschaftliche Überlegenheit der
Führer, Einheit und Gehorsam unter den
Geführten, kurz wesentlich Elemente, die
nichts mit der Kultur zu thun haben,
haben gesiegt, und nur darüber kann man
sich wundern, daß die Kultur so wenig
hemmend in diese militärischen
Erfordernisse dazwischengetreten ist:
daß sie entweder so ohnmächtig war oder
so zugehörig dienstfertig. Genug, daß
nach dem Krieg die Sache anders erscheint
und überall anders betrachtet wird. Die
Kultur soll es sein, die gesiegt hat;
alle Gewerbe, alle Wissenschaften feiern
ihre Mitbetheiligung daran und selbst
eine Versammlung von Philologen und
Schulmännern läßt sich das populäre
Thema nicht entgehen und feiert ihren
Stand als den am Siege mit Betheiligten.
Ich will gar nichts darüber sagen, in
wie weit mit Recht. Nur scheint mir darin
eine allgemeine Gefahr zu liegen, daß
eine höchst zweideutige, unfertige,
unnationale Kultur, eine wahre
Verlegenheits-Cultur plötzlich den
Triumphator-Mantel sich umlegt. Um Gottes
Willen, seht euch um und nehmt euch in
Acht. Noch ein solcher Sieg und das
deutsche Reich besteht, aber das Deutsche
selbst ist vernichtet! Ich habe schon
jetzt kaum den Muth, irgend eine
Eigenschaft als eine speziell deutsche zu
reklamiren. Die deutsche Sitte, die
deutsche Geselligkeit, die deutschen
Verwaltungen und Vertretungen, alles hat
einen ausländischen Beigeschmack und
sieht aus wie eine Nachahmung ohne
Talent, von der noch dazu vergessen ist,
daß sie Nachahmung ist: überall
Originalität aus Vergeßlichkeit. In
dieser Noth halte ich mich an die
deutsche Sprache, die wahrhaftig bis
jetzt allein sich durchgerettet hat,
durch all die Mischung von
Nationalitäten und Wechsel der Zeiten
und Sitten, und meine, daß ein
metaphysischer Zauber, Einheiten aus
Vielheiten, Einartiges aus Vielartigem zu
gebären, in der Sprache liegen müsse.
Eben deshalb müssen wir die strengsten
Wächter über diese unificirende, unsre
zukünftige Deutschheit verbürgende
Sprache setzen. Unsere großen Autoren
haben ein heiliges Amt, als Wächter
dieser Sprache; und unsere deutsche
Schule hat eine fruchtbare ernste
Aufgabe, unter den Augen solcher Wächter
zur deutschen Sprache zu erziehen. (Neue
Eigenschaft der d[eutschen] Sprache: alles
anzunehmen und nachzuahmen, europäisches
Mosaik.)
Nun hat der Krieg die unselige Wirkung
gehabt, daß auch die deutschen
Schriftsteller sich glorificirt fanden
und jetzt ein Zutrauen zu sich bekamen,
als hätte schon die strengste Nachwelt
ihnen die Unsterblichkeit zuerkannt.
Kecklich wagte eine ganze Reihe von neuen
Klassikern sich ans Licht: die
Zeitschriften und europäischen Zeitungen
trugen ihnen das Krönungsdiadem voran
und das Ausland geräth bei der immer
erneuten Versicherung, daß wir eine
große Kultur und große Classiker
besäßen, in staunende Verwirrung.
Denken wir uns einen gebildeten
Engländer, der mit unsren großen
Deutschen sich vertraut gemacht hat und
nun über den Kanal her immer von neuem
es hören muß, daß wieder deutsche
Classiker und Musterschriftsteller
existiren, als die wahren Helfer und
Ursachen so gewaltiger Kriege und Siege,
und dadurch höher gestellt als jene
älteren, denen am wenigsten kriegerische
Kränze dargebracht worden sind. Unser
Engländer liest z. B. davon, daß man
sich in verbreiteten Zeitschriften
darüber unterhält, ob David Strauß der
größte Stilist der Gegenwart sei oder
noch einer Anzahl von Seinesgleichen
beisitze: und jetzt steigt sein Verlangen
aufs Höchste, sich mit dieser modernen
Klassicität bekannt zu machen und
verlangt das Werk, das in einem
Vierteljahr viermal, in starken Auflagen,
zur Welt kam, Der alte und der neue
Glaube.
Damit haben wir alles gesagt, was als
Einleitung für den von nun an selbst
redenden Engländer gesagt werden mußte:
dieser liest, liest wieder, staunt,
fragt, horcht, untersuchtund
endlich ergreift er, in Verzweiflung, die
Feder, um das ihn so Beängstigende in
einem Briefe loszuwerdener wendet
sich eben direkt an David Strauß.
Erster Brief.
Ein Ausländer hat Einiges voraus,
wenn er sich mit dem berühmten David
Strauß in ein Gespräch über das
einläßt, was Deutsch ist, zumal er
26 [17]
Wenn ein moderner Mensch wie Strauß
an einem so großen Alten Fehler zu
rügen hätte, so sollte es billig nicht
anders geschehen, als auf den Knien, um
mit Goethe zu reden, 3, p. 137. [Vgl. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Dritte Auflage. Dritter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1868:95.]
26 [18]
Die plötzliche Bereicherung eines
Volkes birgt dieselben Gefahren wie die
plötzliche Überfüllung mit
wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Weg
von der Einsicht zum Leben, vom Kennen
zum Können, von der Kunde zur Kunst wird
vergessen: ein luxuriöses Schwelgen im
Wissen beginnt. Das ruhige Fortarbeiten
derjenigen, welche die Kultur produziren,
wird plötzlich durch die
Erkenntnißstolzen überfluthet: niemand
will die kleinen Wege mehr praktisch
gehen, sondern beschränkt sich
egoistisch ein Besserwissen zu haben. Und
so wie man neuerdings fürchtet, daß die
berühmten fünf Milliarden zum Fluch
ausschlagen könnten, so scheint der
Überschuß an Wissenschaftlichkeit ein
Fluch für unsere Kultur zu werden.
26 [19]
Die Illusion des Kultursieges.
Der Kampf dagegen nöthig, Ausgang
unwahrscheinlich durch jene Illusion.
Es fehlt das Gefühl daß es schlimm
steht.
26 [20]
Über Lesen und Schreiben.
1. Das Viellesen.
2. Das Vielschreiben.
3. Der Stil.
4. Die Rede.
26 [21]
Griechisch und
deutsch.
Kampf des Römischen
und des Griechischen.
26 [22]
Stil. Autoren, welche zuerst schlecht
schreiben und nachher formen und
künsteln.
Autoren, welche nur schlecht schreiben.
Die Herablassung der populären
Schriftstellerei.
26 [23]
Geburt der Tragödie.
Die Philosophen des tragischen
Zeitalters.
Die Zukunft unserer Bildungsanstalten.
Über Lesen und Schreiben.
Der Wettkampf.
Rhythmus.
Griechisch und Deutsch.
Bayreuther Horizont-Betrachtungen.
26 [24]
Der Stilist. |
Die
Kunstanschauung. |
Die
Lebensbetrachtung. |
Die philiströse
Impotenz dieser Bildung.
Resignation und erkünstelte
Heiterkeit. |
Gefühllos für das Deutsche. |
Von
Pacific Nil. [Pseudonym für "Friedrich Nietzsche."] |
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