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Juli 1871 15 [1-2]

15 [1]

An die Melancholie.

Verarge mir es nicht, Melancholie,
Daß ich die Feder, dich zu preisen, spitze,
Und daß ich nicht, den Kopf gebeugt zum Knie,
Einsiedlerisch auf einem Baumstumpf sitze.
So sahst du oft mich, gestern noch zumal,
In heißer Sonne morgendlichem Strahle:
Begehrlich schrie der Geyer in das Thal,
Er träumt vom todten Aas auf todtem Pfahle.

Du irrtest, wüster Vogel, ob ich gleich
So mumienhaft auf meinem Klotze ruhte!
Du sahst das Auge nicht, das wonnenreich
Noch hin und her rollt, stolz und hochgemuthe.
Und wenn es nicht zu deinen Höhen schlich,
Erstorben für die fernsten Wolkenwellen,
So sank es um so tiefer, um in sich
Des Daseins Abgrund blitzend aufzuhellen.

So saß ich oft, in tiefer Wüstenei
Unschön gekrümmt, gleich opfernden Barbaren,
Und Deiner eingedenk, Melancholei,
Ein Büßer, ob in jugendlichen Jahren!
So sitzend freut’ ich mich des Geyer-Flugs,
Des Donnerlaufs der rollenden Lawinen,
Du sprachst zu mir, unfähig Menschentrugs,
Wahrhaftig, doch mit schrecklich strengen Mienen.

Du herbe Göttin wilder Felsnatur,
Du Freundin liebst es nah mir zu erscheinen;
Du zeigst mir drohend dann des Geyers Spur
Und der Lawine Lust, mich zu verneinen.
Rings athmet zähnefletschend Mordgelüst:
Qualvolle Gier, sich Leben zu erzwingen!
Verführerisch auf starrem Felsgerüst
Sehnt sich die Blume dort nach Schmetterlingen.

Dies Alles bin ich—schaudernd fühl’ ich’s nach —
Verführter Schmetterling, einsame Blume,
Der Geyer und der jähe Eisesbach,
Des Sturmes Stöhnen—alles dir zum Ruhme,
Du grimme Göttin, der ich tief gebückt,
Den Kopf am Knie, ein schaurig Loblied ächze,
Nur dir zum Ruhme, daß ich unverrückt
Nach Leben, Leben, Leben lechze!

Verarge mir es, böse Gottheit, nicht,
Daß ich mit Reimen zierlich dich umflechte.
Der zittert, dem du nahst, ein Schreckgesicht,
Der zuckt, dem du sie reichst, die böse Rechte.
Und zitternd stammle ich hier Lied auf Lied,
Und zucke auf in rhythmischem Gestalten:
Die Tinte fleußt, die spitze Feder sprüht —
Nun Göttin, Göttin laß mich—laß mich schalten!

Gimmelwald.
(Sommer 1871).

15 [2]

Nach einem nächtlichen Gewitter.

Heute hängst du dich als Nebelhülle,
Trübe Göttin, um mein Fenster hin.
Schaurig weht der bleichen Flocken Fülle,
Schaurig tönt der volle Bach darin.

Ach! Du hast bei jähem Blitzeleuchten,
Bei des Donners ungezähmtem Laut,
Bei des Thales Dampf den giftefeuchten
Todestrank, du Zauberin, gebraut!

Schaudernd hörte ich um Mitternächten
Deiner Stimme Lust- und Wehgeheul,
Sah der Augen Blinken, sah der Rechten
Schneidig hingezückten Donnerkeil.

Und so tratst du an mein oedes Bette
Vollgerüstet, waffengleißend hin,
Schlugst an’s Fenster mir mit erz’ner Kette,
Sprachst zu mir: “Nun höre, was ich bin!

“Bin die große ewge Amazone,
“Nimmer weiblich, taubenhaft und weich
“Kämpferin mit Manneshaß und -Hohne
“Siegerin und Tigerin zugleich!

“Rings zu Leichen tret’ ich, was ich trete,
“Fackeln schleudert meiner Augen Grimm
“Gifte denkt mein Hirn—nun kniee! Bete!
“Oder modre Wurm! Irrlicht, verglimm!”

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