COPYRIGHT NOTICE: The content of this website, including text and images, is the property of The Nietzsche Channel. Reproduction in any form is strictly prohibited. © The Nietzsche Channel. Anfang 1871 10 [1] Fragment einer erweiterten Form der “Geburt der Tragoedie,” geschrieben in den ersten Wochen des Jahres 1871. 11 S. 10 [1] Wem nun, durch die bisher gegebene Charakteristik, der Sinn für die beiden entgegengesetzten und doch zusammengehörigen Welten des Apollinischen und des Dionysischen erschlossen ist, der wird jetzt eine Stufe weiter gehen und, vom Standpunkte jener Erkenntniß aus, das hellenische Leben in seinen wichtigsten Erscheinungen als Vorbereitung für die höchsten Äußerungen jener Triebe, für die Geburt des Genius, erfassen. Während wir uns, nämlich jene Triebe als Naturgewalten außer allen Zusammenhang mit gesellschaftlichen staatlichen religiösen Ordnungen und Sitten denken müssen giebt es noch eine viel künstlicher und überlegter vorbereitete, gleichsam indirekte Offenbarung jener Triebe, durch den einzelnen Genius, über dessen Natur und höchste Bedeutung ich mir jetzt eine halb mystische Bilderrede gestatten muß. Der Mensch und der Genius stehen sich in sofern gegenüber, als der erste durchaus Kunstwerk ist, ohne sich dessen bewußt zu werden, weil die Befriedigung an ihm als an einem Kunstwerke gänzlich einer anderen Erkenntniß- und Betrachtungssphaere angehört: in diesem Sinne gehört er zur Natur, die nichts als eine visionsartige Spiegelung des Ur-Einen ist. Im Genius dagegen istaußer der ihm als Menschen zukommenden Bedeutungzugleich noch jene der anderen Sphaere eigenthümliche Kraft, die Verzückung der Vision selbst zu fühlen, vorhanden. Wenn die Befriedigung am träumenden Menschen sich ihm selbst nur dämmernd erschließt, ist der Genius zugleich der höchsten Befriedigung an diesem Zustande fähig; wie er selbst andernseits über diesen Zustand Gewalt hat und ihn aus sich allein erzeugen kann. Nach dem, was wir über die vorwiegende Bedeutung des Traumes für das Ur-Eine bemerkt haben, dürfen wir das gesammte wache Leben des einzelnen Menschen als eine Vorbereitung für seinen Traum ansehen; jetzt müssen wir hinzufügen, daß das gesammte Traumleben vieler Menschen wiederum die Vorbereitung des Genius ist. In dieser Welt des Nicht-Seienden, des Scheines muß alles werden: und so wird auch der Genius, indem in einem Menschheitscomplexe, in einem größeren Individuum jene dämmernde Lustempfindung des Traumes sich immer mehr steigert, bis zu jenem dem Genius eigenthümlichen Genusse: welches Phänomen wir uns an dem allmählichen, durch Morgenröthe und vorausgesandte Strahlen angekündigten Aufgehen der Sonne sichtbar machen können. Die Menschheit, mit aller Natur als ihrem vorauszusetzenden Mutterschooße, darf in diesem weitesten Sinne als die fortgesetzte Geburt des Genius bezeichnet werden: von jenem ungeheuren allgegenwärtigen Gesichtspunkte des Ur-Einen aus ist in jedem Moment der Genius erreicht, die ganze Pyramide des Scheins bis zu ihrer Spitze vollkommen. Wir, in der Enge unseres Blicks und innerhalb des Vorstellungsmechanismus von Zeit, Raum und Kausalität, haben uns zu bescheiden, wenn wir den Genius als Einen unter vielen und nach vielen Menschen erkennen; ja wir dürfen glücklich sein, wenn wir ihn überhaupt erkannt haben, was im Grunde immer nur zufällig geschehn kann und in vielen Fällen gewiß nie geschehn ist. Der Genius als der nicht wachende und nur träumende Mensch, der, wie ich sagte, vorbereitet wird und entsteht in dem zugleich wachenden und träumenden Menschen, ist durch und durch apollinischer Natur: eine Wahrheit, die nach der vorausgeschickten Charakteristik des Apollinischen, von selbst einleuehtet. Damit werden wir zur Definition des dionysischen Genius gedrängt, als des in völliger Selbstvergessenheit mit dem Urgrunde der Welt eins gewordenen Menschen, der jetzt aus dem Urschmerze heraus den Wiederschein desselben zu seiner Erlösung schafft: wie wir diesen Prozeß in dem Heiligen und dem großen Musiker zu verehren haben, die beide nur Wiederholungen der Welt und zweite Abgüsse derselben sind. Wenn dieser künstlerische Wiederschein des Urschmerzes aus sich heraus noch eine zweite Spiegelung, als Nebensonne, erzeugt: so haben wir das gemeinsame dionysisch-apollinische Kunstwerk, dessen Mysterium wir uns in dieser Bildersprache zu nähern suchen. Für jenes eine Weltenauge, vor dem sieh die empirisch-reale Welt sammt ihrem Wiederscheine im Traume ausgießt, ist somit jene dionysisch-apollinische Vereinigung eine ewige und unabänderliche, ja einzige Form des Genusses: es giebt keinen dionysischen Schein ohne einen apollinischen Wiederschein. Für unser kurzsichtiges, fast erblindetes Auge legt sich jenes Phänomen in lauter einzelne, theils apollinische, theils dionysische Genüsse auseinander, und nur in dem Kunstwerk der Tragödie hören wir jene höchste Doppelkunst zu uns reden, die, in ihrer Vereinigung des Apollinischen und des Dionysischen das Abbild jenes Urgenusses des Weltauges ist. Wie für dieses der Genius die Spitze der Pyramide des Scheins ist, so darf uns wiederum das tragische Kunstwerk als Spitze der unserem Auge erreichbaren Kunstpyramide gelten. Wir, die wir genöthigt sind, Alles unter der Form des Werdens d. h. als Willen zu verstehn, verfolgen jetzt die Geburt der drei verschiedenartigen Genien in der uns allein bekannten Erscheinungswelt: wir untersuchen, welche wichtigsten Vorbereitungen der Wille braucht, um zu ihnen zu gelangen. Dabei haben wir alle Gründe, diesen Nachweis an der griechischen Welt zu geben, die über jenen Prozeß einfach und ausdrucksvoll, wie dies ihre Art ist, zu uns redet. Falls wirklich der Genius Zielpunkt und letzte Absicht der Natur ist, so muß nun jetzt auch nachweisbar sein, daß in den anderen Erscheinungsformen des hellenischen Wesens nur nothwendige Hülfsmechanismen und Vorbereitungen jenes letzten Zieles zu erkennen sind. Dieser Gesichtspunkt zwingt uns, vielberufene Zustände des Alterthums, über die noch kein neuerer Mensch mit Symphathie gesprochen hat, auf ihre Wurzeln hin zu untersuchen: wobei sich ergeben wird, daß diese Wurzeln es gerade sind, aus denen der wunderbare Lebensbaum der griechischen Kunst einzig erwachsen konnte. Es mag sein, daß uns diese Erkenntniß mit Schauder erfüllt: gehört doch dieser Schauder fast zu den nothwendigen Wirkungen jeder tieferen Erkenntniß. Denn die Natur ist auch, wo sie das Schönste zu erschaffen angestrengt ist, etwas Entsetzliches. Diesem ihren Wesen ist es gemäß, daß die Triumphzüge der Kultur nur einer unglaublich geringen Minderheit von bevorzugten Sterblichen zu Gute kommen, daß dagegen der Sklavendienst der großen Masse eine Nothwendigkeit ist, wenn es wirklich zu einer rechten Werdelust der Kunst kommen soll. Wir Neueren haben vor den Griechen zwei pfauenartig sich spreizende Begriffe voraus, die gleichsam als Trostmittel einer durchaus sklavisch sich gebahrenden und dabei das Wort Sklave ängstlich scheuenden Welt gegeben sind: wir reden von der Würde des Menschen und von der würde der Arbeit. Alles quält sich, um ein elendes Leben elend weiter zu perpetuiren; diese furchtbare Noth zwingt zur verzehrenden Arbeit, die nun der vom Willen verführte Mensch gelegentlich als etwas Würdevolles anstaunt. Damit aber die Arbeit Ehren und rühmliche Namen verdiene, wäre es vor allem nöthig, daß das Dasein selbst, zu dem sie doch nur ein qualvolles Mittel ist, etwas mehr Würde habe als dies ernstgemeinten Philosophieen und Religionen zu erscheinen pflegt. Was dürfen wir Anderes in der Arbeitsnoth aller der Millionen finden als den Trieb, um jeden Preis weiter zu vegetieren: und wer sähe nicht an verkümmerten Pflanzen, die in erdloses Gestein ihre Wurzeln strecken, denselben allmächtigen Trieb? Aus diesem entsetzlichen Existenzkampfe können nur die Einzelnen auftauchen, die nun sofort wieder durch die Wahnbilder der künstlerischen Kultur beschäftigt werden, damit sie nur nicht zum praktischen Pessimismus kommen: als welchen Zustand die Natur auf das Höchste verabscheut. In der neueren Welt, die der griechischen gegenüber zu allermeist Abnormitäten und Centauren schafft, in der der einzelne Mensch, gleich jenem fabelhaften Wesen im Beginne der horazischen Poetik, aus Stücken bunt zusammengesetzt ist, zeigt sich oft an dem selben Menschen zugleich die Gier des Existenzkampfes und des Kunstbedürfnisses: aus welcher unnatürlichen Verschmelzung die Noth entstanden ist, jene erstere Gier vor dem Kunstbedürfnisse zu entschuldigen und gewissermaßen zu weihen, was durch jene trefflichen Vorstellungen von der Würde des Menschen und der Arbeit geschehen ist. Die Griechen brauchen keine solche klägliche Nothbehelfe, bei ihnen spricht sich rein aus, daß die Arbeit eine Schmach seinicht etwa weil das Dasein eine Schmach ist, sondern im Gefühl der Unmöglichkeit, daß der um das nackte Fortleben kämpfende Mensch Künstler sein könne. Der kunstbedürftige Mensch regiert im Alterthum mit seinen Begriffen, während in der neueren Zeit der Sklave die Vorstellungen bestimmt: er der seiner Natur nach alle seine Verhältnisse mit trügerischen glänzenden Namen bezeichnen muß, um leben zu können. Solche Phantome, wie die Würde des Menschen, die Würde der Arbeit sind die dürftigen Erzeugnisse des sich vor sich selbst verbergenden Sklaventhums. Unselige Zeit, in der der Sklave zum Nachdenken über sich und über sich hinaus gereizt worden ist! Unselige Verführer, die den Unschuldsstand des Sklaven durch die Frucht vom Baum der Erkenntniß vernichtet haben! Jetzt müssen diese, um nur leben zu können, sich mit solchen durchsichtigen Lügen hinhalten, wie sie in der angeblichen Gleichberechtigung Aller, in den Grundrechten des Menschen, des Gattungswesens Mensch, in der Würde der Arbeit für jeden tiefer Blickenden erkennbar sind. Sie dürfen ja nicht begreifen, an welchem Punkte, auf welcher Stufe erst ungefähr von Würde gesprochen werden kannund die Griechen erlauben es selbst da nicht einmaldort nämlich wo das Individuum völlig über sich hinaus geht und nicht mehr im Dienste seines individuellen Weiterlebens zeugen und arbeiten muß. Auch noch auf dieser Höhe der Arbeit haben die Griechen dieselbe truglose Naivetät. Selbst noch jener abgeblaßte Epigone Plutarch hat so viel griechischen Instinkt in sich, daß er uns sagen kann, kein edelgeborner Jüngling würde, wenn er den Zeus in Pisa schaue, das Verlangen haben, selbst ein Phidias, oder wenn er Hera in Argos sieht, selbst ein Polyklet zu werden: und ebensowenig würde er den Wunsch hegen Anakreon Philetas oder Archilochus zu sein, so sehr er sich auch an ihren Dichtungen ergötze. Das künstlerische Schaffen fällt für den Griechen eben so sehr unter den unehrwürdigen Begriff der Arbeit, wie jedes banausische Handwerk. Wenn aber die zwingende Kraft des künstlerischen Triebes in ihm wirkt, dann muß er schaffen und sich jener Noth der Arbeit unterziehn. Und wie ein Vater die Schönheit und Begabung seines Kindes bewundert, an den Akt der Entstehung aber mit schamhaftem Widerwillen denkt, so ergieng es dem Griechen. Das lustvolle Staunen über das Schöne hat ihn nicht über den Werdeprozeß verblendet, der ihm wie alles Schaffen in der Natur erschien, als eine gewaltige Noth, als ein gieriges Sich-Drängen zum Dasein. Dasselbe Gefühl, mit dem der Zeugungsprozeß als etwas schamhaft zu Verbergendes betrachtet wird, obwohl in ihm der Mensch einem höheren Ziele dient als seiner individuellen Erhaltung: dasselbe Gefühl umschleierte auch die Entstehung der großen Kunstwerke, trotzdem durch sie eine höhere Daseinsform inaugurirt wird, wie durch jenen Akt eine neue Generation. Die Scham scheint somit recht eigentlich dort einzutreten, wo der Mensch nur noch Werkzeug unendlich größerer Willenserscheinung ist, als er sich selbst in der Einzelgestalt des Individuums gelten darf. Jetzt haben wir den allgemeinen Begriff, unter den die Empfindungen zu ordnen sind, welche die Griechen in Betreff der Sklaverei und der Arbeit hegten. Beide galten ihnen als eine nothwendige Schmach, vor der man Scham empfindet: in diesem Gefühle birgt sich die unbewußte Erkenntniß, daß das eigentliche Ziel jene Voraussetzungen braucht, daß hier aber das Entsetzliche und Raubthierartige der Sphinx Natur liegt, die in der gewollten Verherrlichung des künstlerisch freien Kulturlebens so schön den Jungfrauenleib vorstreckt. Die Bildung, die ich vornehmlich als wahrhaftes Kunstbedürfniß verstehe, hat einen erschrecklichen Untergrund: dieser aber giebt sich in der dämmernden Empfindung der Scham zu erkennen. Damit der Boden für eine größere Kunstentwicklung vorhanden ist, muß die ungeheure Mehrzahl im Dienste einer Minderzahl über das Maaß ihrer individuellen Nothwendigkeit hinaus der Lebensnoth sklavisch unterworfen sein. Auf ihre Unkosten, durch ihre Mehrarbeit soll jene bevorzugte Klasse dem Existenzkampfe entrückt werden, um nun eine neue Welt des Bedürfnisses zu erzeugen. Demgemäß müssen wir uns dazu verstehen als grausame Grundbedingung jeder Bildung hinzustellen, daß zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehöre: eine Erkenntniß, die vor dem Dasein bereits einen gehörigen Schauder erzeugen kann. Dies sind die Geier, die dem prometheischen Förderer der Kultur an der Leber nagen. Das Elend der mühsam lebenden Masse muß noch gesteigert werden, um einer Anzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermöglichen. Hier liegt der Quell jenes schlecht verhehlten Ingrimms, den die Kommunisten und Socialisten, und auch ihre blässeren Abkömmlinge, die weiße Raçe der Liberalen jeder Zeit gegen die Künste, aber auch gegen das klassische Alterthum genährt haben. Wenn wirklich die Kultur im Belieben eines Volkes stünde, wenn hier nicht unentrinnbare Mächte walteten, die dem Einzelnen Gesetz und Schranke sind, so wäre die Verachtung der Kultur, die Verherrlichung der Armuth des Geistes, die bilderstürmerische Vernichtung der Kunstansprüche mehr als eine Auflehnung der unterdrückten Masse gegen drohnenartige Einzelne: es wäre der Schrei des Mitleides, der die Mauern der Kultur umrisse, der Trieb nach Gerechtigkeit, nach Gleichmaß des Leidens würde alle anderen Vorstellungen überfluthen. Wirklich hat die überschwängliche Empfindung des Mitleides auf kurze Zeiten hier und da einmal alle Dämme des Kulturlebens zerbrochen: ein Regenbogen der mitleidigen Liebe und des Friedens erschien mit dem ersten Hervortreten des Christenthums, und unter ihm wurde seine schönste Frucht, das Johannesevangelium, geboren. Es giebt auch Beispiele, daß mächtige Religionen auf lange Perioden hinaus einen bestimmten Kulturgrad gewissermaßen versteinern; man denke an die mumienhafte jahrtausendalte Kultur Aegyptens. Aber eins ist nicht zu vergessen: dieselbe Grausamkeit, die wir im Wesen jeder Kultur fanden, liegt auch im Wesen jeder mächtigen Religion; so daß wir ebensogut es verstehen werden, wenn eine Kultur mit dem Schrei nach Gerechtigkeit ein allzu hoch gethürmtes Bollwerk von religiösen Forderungen zerbricht. Was in dieser entsetzlichen Konstellation der Dinge leben will d. h. leben muß, ist im Grunde seines Wesens Abbild des Urschmerzes und Urwiderspruchs, muß also in unsrer Augen welt- und erdgemäß Organ als Wille, als unersättliche Gier zum Dasein fallen. [Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Zweiter Theil. V. 11907. In: Goethe's sämmtliche Werke in vierzig Bänden. Bd. 12. Stuttgart; Augsburg; Tübingen: J. G. Cotta, 1856: 302.] Deshalb dürfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Sieger vergleichen, der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesselten Besiegten als Sklaven mitschleppt: als welchen eine wohlthätige Macht die Augen verblendet hat, so daß sie, von den Rädern des Wagens fast zermalmt, doch noch rufen würde der Arbeit! Würde des Menschen! Der moderne Mensch ist freilich an eine ganz andere verzärtelte Betrachtung der Dinge gewöhnt. Darum ist er ewig unbefriedigt, weil er niemals wagt, sich dem furchtbaren, eistreibenden Strome des Daseins vollkommen anzuvertrauen, sondern am Ufer ängstlich auf und ab läuft. Die neuere Zeit mit ihrem Bruche ist zu begreifen als die vor allen Konsequenzen zurückfliehende: sie will nichts ganz haben, ganz auch mit all der natürlichen Grausamkeit der Dinge. Der Tanz ihres Denkens und Treibens ist wahrhaft lächerlich, weil es sich sehnsüchtig immer auf neue Gestalten stürzt, um sie zu umarmen und dann sie plötzlich, wie Mephistopheles die verführerischen Lamien, schaudernd fahren lassen muß. [Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Zweiter Theil. V. 7769-7784. In: Goethe's sämmtliche Werke in vierzig Bänden. Bd. 12. Stuttgart; Augsburg; Tübingen: J. G. Cotta, 1856: 133-134.] Aus der Verzärtelung der neueren Menschen sind die ungeheuren socialen Nothstände der Gegenwart geboren, als deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich die Sklaverei, sei es auch unter mildernden Namen, zu empfehlen wage; die Sklaverei, die weder dem ursprünglichen Christenthum, noch dem Germanenthum irgendwie anstößig, geschweige denn verwerflich, zu sein dünkte. [Vgl. Friedrich August Wolf, Vorlesungen über die Alterthumswissenschaft. Hrsg. von Johann Daniel Gürtler. Bd. 5: Vorlesung über die römischen Alterthümer. Leipzig: Lehnhold, 1835:126.] Um von den griechischen Sklaven zu schweigen: wie erhebend wirkt auf uns die Betrachtung des mittelalterlichen Hörigen, mit dem innerlich kräftigen und zarten Rechts- und Sittenverhältnisse zu dem höher Geordneten, mit der tiefsinnigen und poetischen Umfriedung seines engen Daseins. Wie erhebendund wie vorwurfsvoll! Wer nun über die Konfiguration der Gesellschaft nicht ohne Schwermuth nachdenken kann, wer sie als die fortwährende schmerzhafte Geburt jener eximirten Kulturmenschen zu begreifen gelernt hat, in deren Dienst sich alles Andere verzehren muß, der wird auch von jenem erlogenen Glanze nicht mehr getäuscht werden, den die Neueren über Ursprung und Bedeutung des Staates gebreitet haben. Was nämlich kann uns der Staat bedeuten, wenn nicht das Mittel, mit dem jener eben geschilderte Gesellschaftsprozeß in Fluß zu bringen und in seiner ungehemmten Fortdauer zu verbürgen ist? Mag der Trieb zur Geselligkeit in den einzelnen Menschen auch noch so stark sein, erst die eiserne Klammer des Staates zwängt die größeren Massen so aneinander, daß jetzt jene chemische Scheidung der Gesellschaft, mit ihrem neuen pyramidalen Aufbau, vor sich gehen muß. Woher aber entspringt diese plötzliche Macht des Staates, dessen Ziel weit über die Einsicht, ja über den Egoismus des Einzelnen hinausliegt? Wie entstand der Sklave, der blinde Maulwurf der Kultur? Die Griechen haben es uns in ihrem völkerrechtlichen Instinkte verrathen, der, auch in der reifsten Fülle ihrer Gesittung und Menschlichkeit, nicht aufhörte, mit eherner Stimme solche Worte auszurufen: Dem Sieger gehört der Besiegte, mit Weib und Kind, Gut und Blut. Die Gewalt giebt das erste Recht; und es giebt kein Recht, das nicht zu seinem Grunde die Gewalt hat. So sehen wir wiederum, mit welcher mitleidlosen Starrheit die Natur, um zur Gesellschaft zu kommen, sich die grausamen Werkzeuge des Staates schmiedet: nämlich jene Eroberer mit den eisernen Händen, die nichts als Objektivationen der bezeichneten Instinkte sind. An ihrer undefinirbaren Größe und Macht spürt der Betrachter, daß sie nur Mittel einer in ihnen sich offenbarenden und doch vor ihnen sich verbergenden Absicht sind. Gleich als ob ein magischer Wille von ihnen ausströmte, so räthselhaft schnell schließen sich die schwächeren Kräfte an sie an, so wunderbar verwandeln sie sich, bei dem plötzlichen Anschwellen jener Gewaltlawine, unter dem Zauber jenes schöpferischen Kernes, zu einer bisher nicht vorhandenen Affinität. Wenn wir nun sehen, wie wenig sich alsbald die Unterworfenen um den erschreckenden Ursprung des Staates bekümmern, so daß im Grunde über keine Art von Ereignissen die Weltgeschichte uns schlechter unterrichtet als über das Zustandekommen jener gewaltsamen, blutigen und fast immer unerklärlichen Usurpationen: wenn vielmehr jener Magie des Staates die Herzen unwillkürlich entgegenschwellen, mit der Ahnung einer unsichtbar tiefen Absicht, dort wo der rechnende Verstand nur eine Addition von Kräften zu sehen befähigt ist: wenn jetzt der Staat sogar mit Inbrunst als Ziel und Gipfel der Aufopferungen und Pflichten des Einzelnen betrachtet wird: so spricht aus alledem die ungeheure Nothwendigkeit des Staates, ohne den es der Natur nicht gelingen möchte, durch die Gesellschaft zu ihrer Erlösung im Scheine, im Spiegel des Genius, zu kommen. Was für Erkenntnisse überwindet nicht die instinktive Lust am Staate! Man sollte doch denken, daß ein Wesen, welches in die Entstehung des Staates hineinschaut, fürderhin nur in schauervoller Entfernung von ihm sein Heil suchen werde: und wo kann man nicht die Denkmäler jener Entstehung sehen, verwüstete Länder, zerstörte Städte, verwilderte Menschen, verzehrenden Völkerhaß! Der Staat, von schmählicher Geburt, für die meisten Wesen eine fortwährend fließende Quelle der Mühsal, in häufig wiederkommenden Perioden die fressende Fackel des Menschengeschlechtsund dennoch ein Klang, bei dem wir uns vergessen, ein Schlachtruf, der zu zahllosen wahrhaft heroischen Thaten begeistert hat, vielleicht der höchste ehrwürdigste Gegenstand für die blinde und egoistische Masse, die auch nur in den ungeheuren Momenten des Staatslebens den befremdlichen Ausdruck von Größe auf ihrem Gesichte hat! Die Griechen aber haben wir uns, im Hinblick auf die einzige Sonnenhöhe ihrer Kunst, schon a priori als die politischen Menschen an sich zu construiren: und wirklich kennt die Geschichte kein zweites Beispiel einer so furchtbaren Entfesselung des politischen Triebes, einer so unbedingten Hinopferung aller anderen Interessen im Dienste dieses Staateninstinktes; höchstens daß man vergleichungsweise und aus ähnlichen Gründen die Menschen der Renaissance in Italien mit einem gleichen Titel auszeichen könnte. So überladen ist bei den Griechen jener Trieb, daß er immer von neuem wieder gegen sich selbst zu wüthen anfängt und die Zähne in das eigne Fleisch schlägt. Diese blutige Eifersucht von Stadt auf Stadt, von Partei auf Partei, diese mörderische Gier jener kleinen Kriege, der tigerartige Triumph auf dem Leichnam des erlegten Feindes, kurz jene unablässige Erneuerung jener trojanischen Kampf- und Greuelscenen, in deren Anschauung lustvoll versunken Homer der typische Hellene vor uns stehtwohin deutet diese naive Barbarei des griechischen Staates, woher nimmt er seine Entschuldigung vor dem Richterstuhle der ewigen Gerechtigkeit? Stolz und ruhig tritt der Staat vor ihn hin: und an der Hand führt er das herrlich blühende Weib, die griechische Gesellschaft. Für diese Helena und ihre Kinder führte er jene Kriege: welcher Richter dürfte hier verurtheilen? Bei diesem geheimnißvollen Zusammenhang, den wir hier zwischen Staat und Kunst, politischer Gier und künstlerischer Zeugung, Schlachtfeld und Kunstwerk ahnen, verstehn wir, wie gesagt, unter Staat nur die eiserne Klammer, die den Gesellschaftsprozeß erzwingt: während ohne Staat, im natürlichen bellum omnium contra omnes, die Gesellschaft überhaupt nicht in größerem Maaße und über das Bereich der Familie hinaus Wurzel schlagen kann. Jetzt, nach der allgemein eingetretenen Staatenbildung, concentrirt sich nun zwar jener Trieb des bellum omnium contra omnes zum schrecklichen Kriegsungewitter der Völker und entladet sich gleichsam in seltneren, aber um so stärkeren Schlägen. In den Zwischenpausen aber ist der Gesellschaft doch Zeit gelassen, unter der nach Innen gewendeten zusammengedrängten Wirkung jenes bellum, allerorts zu keimen und zu grünen, um sobald es einige wärmere Tage giebt, die leuchtenden Blüthen des Genius hervorsprießen zu lassen. Angesichts der politischen Welt der Hellenen will ich nicht verbergen, in welchen Erscheinungen der Gegenwart ich gefährliche, für Kunst und Gesellschaft gleich bedenkliche Verkümmerungen der politischen Sphaere zu erkennen glaube. Wenn es Menschen geben sollte, die durch Geburt gleichsam außerhalb der Volks- und Staateninstinkte gestellt sind, die somit den Staat nur so weit gelten zu lassen haben als sie ihn in ihrem eignen Interesse begreifen: so werden derartige Menschen nothwendig als letztes staaliches Ziel sich das möglichst ungestörte Nebeneinanderleben großer politischer Gemeinsamkeiten vorstellen, in denen den: eignen Absichten nachzugehn ihnen vor allen ohne Beschränkung erlaubt sein dürfte. Mit dieser Vorstellung im Kopfe werden sie die Politik fördern, die diesen Absichten die größte Sicherheit bietet, während es undenkbar ist, daß sie gegen ihre Absichten, etwa durch einen unbewußten Instinkt geleitet, der Staatstendenz sich zum Opfer bringen, undenkbar, weil sie eben jenes Instinktes ermangeln. Alle anderen Bürger des Staates sind über das, was die Natur mit ihrem Staatsinstinkte bei ihnen beabsichtigt, im Dunkeln und folgen blindlings; nur jene außerhalb dieser Instinkte Stehenden wissen, was sie vom Staate wollen und was ihnen der Staat gewähren soll. Deshalb ist es geradezu unvermeidlich, daß solche Menschen einen großen Einfluß auf den Staat gewinnen, weil sie ihn als Mittel betrachten dürfen, während alle Anderen unter der Macht jener unbewußten Absichten des Staates selbst nur Mittel des Staatszwecks sind. Um nun durch das Mittel des Staats höchste Förderung ihrer eigennützigen Ziele zu erreichen, ist vor allem nöthig, daß der Staat von jenen schrecklich unberechenbaren Kriegszuckungen gänzlich befreit werde, damit er rational benutzt werden könne; und damit streben sie, so bewußt als möglich, einen Zustand an, in dem der Krieg eine Unmöglichkeit ist. Hierzu gilt es nun zuerst die politischen Sondertriebe möglichst zu beschneiden und abzuschwächen und durch Herstellung großer gleichwiegender Staatenkörper und gegenseitige Sicherstellung derselben den günstigen Erfolg eines Angriffskriegs und damit den Krieg überhaupt zur höchsten Unwahrscheinlichkeit zu machen; wie sie andernseits die Frage über Krieg und Frieden der Entscheidung einzelner Machthaber zu entreißen suchen, um vielmehr an den Egoismus der Masse oder deren Vertreter appellieren zu können: wozu sie wiederum nöthig haben, die monarchischen Instinkte der Völker langsam aufzulösen. Diesem Zwecke entsprechen sie durch die allgemeinste Verbreitung der liberal-optimistischen Weltanschauung, welche ihre Wurzel in den Lehren der französischen Aufklärung und Revolution d. h. in einer gänzlich ungermanischen, ächt romanisch flachen Philosophie hat. Ich kann nicht umhin, in der gegenwärtig herrschenden Nationalitätenbewegung und der gleichzeitigen Verbreitung des allgemeinen Stimmrechts vor allem die Wirkungen der Kriegsfurcht zu sehen, ja im Hintergrunde dieser Bewegungen, als die eigentlich Fürchtenden, jene wahrhaft internationalen heimatlosen Geldeinsiedler zu erblicken, die, bei ihrem natürlichen Mangel des staatlichen Instinktes, es gelernt haben, die Politik zum Mittel der Börse und Staat wie Gesellschaft als Bereicherungsapparate ihrer selbst zu mißbrauchen. Gegen die von dieser Seite zu befürchtende Ablenkung der Staatstendenz zur Geldtendenz ist das einzige Gegenmittel der Krieg und wiederum der Krieg: in dessen Erregungen wenigstens doch so viel klar wird, daß der Staat nicht auf der Furcht vor dem Kriegsdämon, als Schutzanstalt egoistischer Einzelner, gegründet ist, sondern in Vaterlands- und Fürstenliebe einen ethischen Schwung aus sich erzeugt, der auf eine viel höhere Bestimmung hinweist. Wenn ich also als gefährliches Charakteristikum der politischen Gegenwart die Verwendung der Revolutionsgedanken im Dienste einer eigensüchtigen staatlosen Geldaristokratie bezeichne, wenn ich die ungeheure Verbreitung des liberalen Optimismus zugleich als Resultat der in sonderbare Hände gerathenen modernen Geldwirthschaft begreife und alle Übel der socialen Zustände, sammt dem nothwendigen Verfall der Künste, entweder aus jener Wurzel entkeimt oder mit ihr verwachsen sehe: so wird man mir einen gelegentlich anzustimmenden Päan auf den Krieg zu Gute halten müssen. Fürchterlich erklingt sein silberner Bogen: und kommt er gleich daher wie die Nacht, so ist er doch Apollo der rechte Weihe- und Reinigungsgott des Staates. Zuerst aber, wie es im Beginn der Ilias heißt, schnellt er den Pfeil auf die Maulthiere und Hunde. Sodann trifft er die Menschen selbst, und überall lodern die Holzstöße mit Leichnamen. [Vgl. Homer, Ilias. I, 41-52.] So sei es denn ausgesprochen, daß der Krieg für den Staat eine ebensolche Nothwendigkeit ist wie der Sklave für die Gesellschaft: und wer möchte sich diesen Erkenntnissen entziehen können, wenn er sich ehrlich nach den Gründen der unerreichten griechischen Kunstvollendung fragt? Wer den Krieg und seine uniformirte Möglichkeit, den Soldatenstand in Bezug auf das bisher geschilderte Wesen des Staates betrachtet, muß zu der Einsicht kommen, daß durch den Krieg und im Soldatenstande uns ein Abbild, ja vielleicht das Urbild des Staates vor Augen gestellt wird. Hier sehen wir, als allgemeinste Wirkung der Kriegstendenz, eine sofortige Scheidung und Zertheilung der chaotischen Masse in militärische Kasten, aus denen sich pyramidenförmig, mit einer allerbreitesten sklavenartigen Basis, der Bau der kriegerischen Gesellschaft erhebt. Der unbewußte Zweck der ganzen Bewegung zwingt jeden Einzelnen unter sein Joch und erzeugt auch bei heterogenen Naturen eine gleichsam chemische Verwandlung ihrer Eigenschaften, bis sie mit diesem Zwecke in Affinität gebracht sind. In den höheren Kasten spürt man schon etwas mehr, um was es sich, bei diesem innerlichen Prozesse, im Grunde handelt, nämlich um die Erzeugung des militärischen Geniusden wir als den ursprünglichen Staatengründer kennen gelernt haben. An manchen Staaten zB. an der Lykurgischen Verfassung Spartas kann man deutlich den Abdruck jener Grundidee des Staates, der Erzeugung des militärischen Genius, wahrnehmen. Denken wir uns jetzt den militärischen Urstaat in lebhaftester Regsamkeit, in seiner eigentlichen Arbeit und führen wir uns die ganze Technik des Kriegs vor Augen, so können wir nicht umhin, unsere überallher eingesognen Begriffe von der Würde der Arbeit, und der Würde des Menschen durch die Frage zu corrigieren, ob denn auch zu der Arbeit, die die Vernichtung von würdevollen Menschen zum Zweck hat, ob auch zu dem Menschen, der mit jener würdevollen Arbeit betraut ist, der Begriff von Würde stimmt oder ob nicht, in dieser kriegerischen Aufgabe des Staates, jener Begriff als ein in sich widerspruchsvoller sich selbst aufhebt. Ich dächte, der kriegerische Mensch wäre ein Mittel des militärischen Genius und seine Arbeit wiederum nur ein Mittel desselben Genius, und nicht ihm, als absoluten Menschen und Nichtgenius, sondern ihm als Mittel des Geniusder auch seine Vernichtung als Mittel des kriegerischen Kunstwerks belieben kannkomme ein Grad von Würde zu, jene Würde nämlich, zum Mittel des Genius gewürdigt zu sein. Was hier an einem einzelnen Beispiel gezeigt ist, gilt aber im allgemeinsten Sinne: jeder Mensch, mit seiner gesammten Thätigkeit, hat nur so viel Würde als er, bewußt oder unbewußtes Werkzeug des Genius ist; woraus sofort die ethische Consequenz zu erschließen ist, daß der Mensch an sich, der absolute Mensch, weder Würde, noch Rechte, noch Pflichten besitzt; nur als völlig determinirtes, unbewußten Zwecken dienendes Wesen kann der Mensch seine Existenz entschuldigen. Der vollkommene Staat Platos ist nach diesen Betrachtungen gewiß noch etwas Größeres als selbst. die Ernstgesinnten unter seinen Verehrern glauben, gar nicht zu reden von der lächelnden Geringschätzung, mit der unsre historisch Gebildeten eine solche Frucht des Alterthums abzulehnen wissen. Das eigentliche Ziel des Staates, die olympische Existenz und immer erneute Zeugung des Genius, dem gegenüber alle Andern nur vorbereitende Mittel sind, ist hier durch eine dichterische Intuition gefunden: Plato sah durch die schrecklich verwüstete Herme des damaligen Staatslebens hindurch und gewahrte auch jetzt noch etwas Göttliches in ihrem Inneren. Er glaubte daran, daß man dies Göttliche herausnehmen könnte und daß die grimmige und barbarisch verzerrte Außenseite nicht zum Wesen des Staates gehöre; die ganze Inbrunst seiner politischen Leidenschaft streckte sich nach jenem Wunsche aus. Daß er in seinem vollkommnen Staat nicht den Genius in seinem allgemeinsten Begriff an die Spitze stellte, sondern nur den Genius der Weisheit in die oberste Rangordnung aufnahm, die genialen Künstler aber überhaupt aus seinem Staate ausschloß, das war eine starre Consequenz des bald näher zu betrachtenden sokratischen Urtheils über die Kunst, das Plato im Kampfe wider sich selbst zu dem seinigen gemacht hatte. Diese mehr äußerliche und beinahe zufällige Lücke darf durchaus nicht unter die Hauptmerkmale des platonischen Staates gerechnet werden. Wie Plato den innersten Zweck des Staates aus allen seinen Verhüllungen und Trübungen ans Licht zog, so begriff er auch den tiefsten Grund der Stellung des hellenischen Weibes zum Staate: in beiden Fällen erblickte er in dem um ihn Vorhandenen das Abbild der ihm offenbar gewordenen Ideen, vor denen freilich das Wirkliche nur Nebelbild und Schattenspiel war. Wer, nach allgemeiner Gewöhnung, die Stellung des hellenischen Weibes überhaupt für unwürdig und der Humanität widerstrebend hält, muß sich mit diesem Vorwurf auch gegen die platonische Auffassung dieser Stellung kehren: denn in ihr ist das Vorhandene gleichsam nur logisch präcisirt. Hier wiederholt sich also unsre Frage: sollte nicht das Wesen und die Stellung des hellenischen Weibes einen nothwendigen Bezug zu den Zielpunkten des hellenischen Willens haben? Das Innerste, was Plato als Grieche über die Stellung des Weibes zum Staate sagen konnte, war die so anstößige Forderung, daß im vollkommnen Staate die Familie aufhören müsse. Sehen wir jetzt davon ab, wie er, um diese Forderung rein durchzuführen, selbst die Ehe aufhob und an deren Stelle feierliche, von Staatswegen .
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