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The Will to Power
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Herbst 1869 1 [1-114]

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Wer heutzutage von Aeschylus Sophocles Euripides spricht oder hört, der denkt unwillkürlich zunächst an sie als Litteraturpoeten, weil er sie aus dem Buche, im Original oder in der Übersetzung hat kennen lernen: dies ist aber ungefähr so als ob jemand vom Tannhäuser spricht und dabei das Textbuch und nichts mehr meint und versteht. Von jenen Männern soll also gesprochen werden, nicht als Librettisten: sondern als Operncomponisten. Doch weiss ich wohl, dass ich mit dem Worte “Oper” Ihnen eine Carrikatur in die Hand gebe: wenn auch nur wenige von Ihnen das zuerst zugeben werden. Vielmehr bin ich zufrieden, wenn Sie am Schlusse überzeugt sind, dass unsere Opern gegenüber dem antiken Musikdrama nur Carikaturen sind.

Characteristisch ist schon der Ursprung. Die Oper ist ohne sinnliche Vorlage, nach einer abstracten Theorie entstanden, mit dem bewussten Willen, hiermit die Wirkungen des antiken Drama’s zu erzielen. Sie ist also ein künstlicher homunculus, in der That der bösartige Kobold unserer Musikentwicklung. Hier haben wir ein warnendes Beispiel, was die directe Nachäffung des Alterthums schaden kann. Durch solche unnatürliche Experimente werden die Wurzeln einer unbewussten, aus dem Volksleben herauswachsenden Kunst abgeschnitten oder mindestens arg verstümmelt. Beispiele bietet die Entstehung des französischen Trauerspiels, das von vorn herein ein gelehrtes Product ist und die Quintessenz des Tragischen, ganz rein, in begrifflicher Abgezogenheit enthalten sollte. Auch in Deutschland ist seit der Reformation die natürliche Wurzel des Dramas, das Fastnachtsspiel untergraben worden: auf rein gelehrtem Wege wird bis auf die klassische Periode, und diese mit eingeschlossen, eine Neuschöpfung versucht. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862, 32: “Da deutsche Fastnachtspiel fußte noch auf dem gemeindeutschen Volksboden, durch die Reformazion wurde dieser untergraben; nun wurden zu einer dramatischen Poesie, wie in Frankreich, von Gelehrten isolierte Versuche gemacht ohne realen Boden, und so bis auf Lessing; ...”] Hier haben wir zugleich einen Beleg dafür, dass auch in einer verfehlten und unnatürlich erwachsenen Kunstgattung, wie es das Schiller-Göthe’sche Drama ist, ein so unverwüstlicher Genius wie der deutsche sich Bahn bricht: dasselbe was die Geschichte der Oper erkennen lässt. Wenn die in der Tiefe schlummernde Kraft wahrhaft allmächtig ist, so überwindet sie auch solche fremdartige Einmischungen: unter dem mühsamsten, oft selbst convulsivischen Ringen kommt die Natur, freilich sehr spät, zum Siege. Will man aber kurz beschreiben, was der überschwere Harnisch ist, unter dem alle modernen Künste so oft zusammenbrechen und so langsam und abirrend vorwärtsschreiten: so ist dies die Gelehrsamkeit, das bewusste Wissen und Vielwissen. Bei den Griechen gehen die Anfänge des Dramas in die unbegreiflichen Äusserungen von Volkstrieben zurück: in jenen orgiastischen Festfeiern des Dionysos herrschte ein solcher Grad von Ausser-sich-sein—von §6FJ"F4l dass die Menschen sich wie Verwandelte und Verzauberte geberdeten und fühlten: Zustände, die auch dem deutschen Volksleben nicht fern geblieben sind, nur dass sie nicht zu solcher Blüthe sich aufgeschlossen haben: wenigstens erkenne ich in jenen S. Johann- und Veitstänzern, die in ungeheurer immer wachsender Masse tanzend und singend von Stadt zu Stadt zogen, nichts anderes als eine solche Dionysische Schwärmbewegung, mag man immerhin in der heutigen Medicin von jener Erscheinung als von einer Volksseuche des Mittelalters sprechen. Aus einer solchen Volksseuche ist das antike Musikdrama erblüht: und es ist das Unglück der modernen Künste, nicht aus solchem geheimnissvollen Quell zu stammen.

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Jene verfehlte Vorstellung, als ob das Drama seinen erhabenen hochlyrischen Character erst allmählich bekommen habe: als ob die Posse die Wurzel des Dramas sei. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Geschichte des griechischen Schauspiels vom Standpunct der dramatischen Kunst. Tübingen: Laupp, 1862:99.] Es ist vielmehr die aufgeregte extatische Faschingslaune. Je mehr dieser Trieb abstirbt, um so kühler intriguanter familien-bürgerlicher wird das Schauspiel. Aus dem Schauspiel wird eine Art Schachspiel.

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Werth des griechischen Götterglaubens: er ließ sich mit leichter Hand bei Seite streifen und hinderte das Philosophiren nicht.

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Die Tragödie war ein Glaube an die hellenische Unsterblichkeit, vor der Geburt. Als man diesen Glauben aufgab, dann schwand auch die Hoffnung auf die hellenische Unsterblichkeit.

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Odysseus ist allmählich zum schlauen Sclaven geworden (in der Komödie).

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Das Gelächter war die Seele der neueren Komödie,

der Schauer die des Musikdramas.

Sophocles als Greis der Tragödie.

Tod der Tragödie mit dem Oedipus Coloneus, im Haine der Furien.

Sophocles erreicht als Einzelner einen ruhigen Punkt. “Rasender Dämon.”

Zeit des Sophocles ist die der Auflösung.

Die Rhetorik überwindet den Dialog.

Der Dithyramb wird der Tummelplatz des spezifischen Musikers: eine künstliche zweite Geburt des Musikdrama’s vollzieht sich. Nachblüthe. Jetzt schwindet die Musik ganz von der Tragödie, und alle idealistische Neigung.

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Socrates und die Tragödie.

 Euripides bei der neueren Komödie beliebt und einflußreich: er hat den Leuten eine Sprache gegeben: er läßt den Zuschauer in die Trägödie. Bis dahin eine ideale Vergangenheit des Hellenenthums: jetzt sieht sich Athen im Spiegel.
Sophocles Aeschylus 6@:B@\, Euripides 6"JVJgP<@<. Sein Standpunkt als dichtender Kritiker und Zuschauer: in der Einheit im Prolog in der Musik usw. rhetorische Wechselreden.
 Aristaphanes’ Zusammenstellung. Sophocles ist “zweiter.”
 Er thut das Rechte, wissentlich.
 Sokrates in Verdacht ihm zu helfen: sein Freund und Theatergänger. [Vgl. Aelian: Varia historia, II 13.]
 Nach dem Orakel noch weiser, nach der Seite des Bewußten.
 Mißachtung des Unbewußten im Menschen (in der Disputation) und im Künstler (Apologie). Vertreibung der Künstler aus dem platonischen Staate: von Plato, der den Wahnsinn anerkennt, aber ihn ironisirt. Der Tragödiendichter zugleich Komödiendichter. Nur der Philosoph ist Dichter.
 Hiernach gehört Socrates zu den Sophisten. Das Dämonion (“treibe Musik”), verkehrte Welt. (Sein Tod nicht tragisch.)
 Einfluß des Socroratismus auf die Vernichtung der Form bei Plato, bei den Cynikern. (Er selbst nicht-schreibend.)
 Der Dialog der Tragödie: die Dialektik dringt in die Helden der Bühne, sie sterben an einer Superfötation des Logischen. Euripides ist naiv darin. Die Dialektik erstreckt sich auf den Bau: die Intrigue. Odysseus: Prometheus. Der Sklave.
 Die unentwickelte Ethik: Bewußtsein ist zu mächtig und zwar optimistisch. Dies vernichtet die pessimistische Tragödie.
 Die Musik ist nicht in den Dialog und den Monolog zu drängen: anders bei Shakespeare. Die Musik als Mutter der Tragödie.
 Auseinanderfallen der Künste: Zeitpunkt vor Sophokles: die absolute Kunst ist Anzeichen, daß der Baum die Früchte nicht mehr halten kann: zugleich Verfall der Künste. Die Poesie wird Politik, Rede. Das Reich der Prosa beginnt. Früher selbst in der Prosa die Poesie. Heraclit, die Pythia. Democrit. Empedocles.

1 [8]

Der Sokratismus unsrer Zeit ist der Glaube an das Fertigsein: die Kunst ist fertig, die Aesthetik ist fertig. Die Dialektik ist die Presse, die Ethik die optimistische Zurechtstutzung der christlichen Weltanschauung. Der Sokratismus ohne Sinn für das Vaterland, sondern nur für den Staat. Ohne Mitgefühl für die Zukunft der germanischen Kunst.

1 [9]

Wunderbare Gesundheit der griechischen Dichtkunst (und Musik): es giebt nicht Gattungen neben einander, sondern nur Vorstufe und Erfüllung, schließlich Verfall, d. h. hier Auseinanderfallen des bisher aus einem Triebe Erwachsenen.

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Einleitung in die griechische Litteratur.

Der Gesammtkörper im Wachsen und Verfallen.

1 [11]

Ich zeige eine Karikatur. Nicht in der Meinung, daß alle sie als Karikatur erkennen: Hoffnung daß am Schluß sie jedermann als Karikatur klar sein wird.

Wesen, später Verfall.

1 [12]

1. Naturgemäßer Ursprung.
2. Religiöser Inhalt und feierliche Stimmung.
3. Periodische Aufführungen.
4. Volkstheater, daher ungeheure Dimension.
5. Innere Einheit, auch zwischen Musik und Wort.

1 [13]

Aeschylus hat den freien Faltenwurf des Gemüths aufgebracht.

1 [14]

Das Dekorationswesen der antiken Bühne war ganz ähnlich der uraltgeheiligten Ausstattung der Tempelbezirke. [Vgl. Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde. Erster Band. Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Frankfurt a. M.: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860:282.]

1 [15]

Socrates war das Element in der Tragödie, überhaupt dem Musikdrama, das sie auflöste: bevor Socrates lebte.

Der Mangel der Musik, andernseits die übertriebene monologische Entwicklung des Gefühls nöthigte das Hervortreten der Dialektik heraus:

das musikalische Pathos im Dialog fehlt.

Das antike Musikdrama geht an den Mängeln des Princips zu Grunde.

Mangel des Orchesters: es gab kein Mittel, die Situation der singenden Welt festzuhalten.

Der Chor herrscht musikalisch vor.

1 [16]

Musikdrama und Oper

Ersteres ein Ansatz zum Rechten, letztere hat ihr Leben nicht in der Sphäre der Kunst, sondern der Künstlichkeit.

1 [17]

Aeschylus erfand die Zierlichkeit und den Anstand der Toga, dem hierin die Priester und die Fackelträger folgten. Vorher barbarisirten die Griechen in ihrer Kleidung und kannten den freien Faltenwurf nicht.

Drei Grundformen: Schurz Hemd Überwurf.

Frauenrock und Männerhose haben diesen Ursprung aus dem Schurz.

Der Chiton aus dem Hemd: die katholische Priestertracht ist der asiatische doppelte Chiton.

Der Überwurf in Asien ein Umschlagtuch (Kashmirshawl bei unseren Damen).

Übergang zur freien Draperie war das Resultat eines plötzlichen Auffassens des Kunstschönen: der ganze Aufschwung Griechenlands war ein plötzlicher, nachdem es lange hinter den civilisirteren Nachbarvölkern zurückgeblieben war.

Polychrome Anschauung der antiken Architectur und Plastik, wonach sie nicht nackt, mit der Farbe des Stoffes, der in Anwendung kam, sondern mit einem farbigen Überzug bekleidet erscheint.

Souveräne Verachtung der barbarischen Kunst, uneingedenk der Bewunderung, welche die Hellenen selbst Herodot Xenophon Ktesias Polybios Diodor Strabo der Grösse und Harmonie dieser barbarischen Werke zollen.

Das hellenische Schiedsgericht muss als Maassstab der Schätzung jener Werke dienen. Aber man ist hellenischer gesinnt als die Hellenen: Barbarenthum eine Art modificirter Menschenfresserei.
[Vgl. Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde. Erster Band. Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Frankfurt a. M.: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860:214-218.]

1 [18]

Die Autorität eines Kunstwerkes hieng bei den Alten sehr von der Magnificenz der Erbauung, den Kosten des dazu genommenen Stoffes und der Schwierigkeit der Bearbeitung ab.

Theure, Schwierigkeit der Bearbeitung, Seltenheit des Stoffs.

Der Tempel zu Delphi ungefähr 520 v. Chr. vollendet.
[Vgl. Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde. Erster Band. Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Frankfurt a. M.: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860:464-465.]

1 [19]

Berühmter Wettkampf zwischen Apelles und Protogenes
Semper, “Textile Kunst,” p. 470. Plinius, XXXV 10
[Vgl. Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde. Erster Band. Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Frankfurt a. M.: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860:470.]

1 [20]

Es muß nur ein Deutscher wieder ein neues Gebiet ungeheuren Fleißes, aber mit wenig Geist zu verwaltendes, aufgedeckt haben: so ist er berühmt, denn er findet zahllose Nachfolger. Daher der Ruhm Otto Jahn’s, des so guten stumpfen aufschwunglosen Mannes.

1 [21]

“Der Karnevalskerzendunst ist die wahre Atmosphäre der Kunst.” Semper, p. 231
[Vgl. Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde. Erster Band. Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Frankfurt a. M.: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860:231.]

1 [22]

Welche Zeit des Schauspielerthums, als Sophocles und Aeschylus selbst die ersten Rollen spielten!

1 [23]

Zur griechischen Philosophen- und Dichtergeschichte.

Heft I.
Homer als Wettkämpfer.

Heft II.
Zur Philosophengeschichte.

Heft III.
Aesthetik des Aeschylus.

Heft IV.
— — —

1 [24]

Socrates ist der ideale “Naseweise”: ein Ausdruck, der mit dem nöthigen Zartsinn aufgefaßt werden muß.

Socrates als der “Nichtschreiber”: er will nichts mittheilen, sondern nur erfragen.

1 [25]

Trivialität des Prozesses: außerordentlich naiver Stand des Socrates, des fanatischen Dialektikers.

Die Vernichtung der Form durch den Inhalt: richtiger der künstlerischen Arabeske durch die gerade Linie.

Der Sokratismus vernichtete bei Plato bereits die Form, noch mehr die Stilgattungen bei den Cynikern. [Vgl. Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung. Berlin: C. Duncker, 1869:216.]

1 [26]

Die Entwicklung der Opernmelodie ist Heidenthum in der Musik.

1 [27]

Die absolute Musik und das Alltagsdrama: die beiden auseinandergerissenen Stücke des Musikdramas.

Die glücklichste Stufe war der Dithyramb und noch die ältere aeschyleische Tragödie.

In Socrates dringt das Princip der Wissenschaft ein: damit Kampf und Vernichtung des Unbewußten.

1 [28]

Das griechische Musikdrama.

Das Musikdrama selbst: 2. Th. die Vernichtung.
Mangel einer vertieften Ethik.

Entwicklung der modernen Musik künstlich.

Unendliche Differenz zwischen der aesthetischen Erkenntniß und dem wirklichen Schaffen bei den Griechen.

Daher war das Wachsen der Kunstgattungen nätürlich richtig.

Das Wachsen der Kunstgattungen aus einander: jede aufgeblühte vernichtet die frühere Stufe.

Wir haben nur nachgeahmte Dichtungsarten.

Das Musikdrama ist der Höhepunkt: es wird aufgelöst durch die erweiterte Reflexion und stillestehende ethische Entwicklung.

1 [29]

Das Griechenthum hat für uns den Werth wie die Heiligen für die Katholiken.

1 [30]

Schönstes deutsches Wort zur Bezeichnung des Ehrenmannes (13. Jahrhundert vom Meier Heimbrecht): “Willst du mir folgen, so baue mit dem Pfluge! dann genießen deiner viele, dein geneußt sicherlich der Arme und der Reiche, dein geneußt der Wolf und der Aar und sicherlich alle Kreatur.” Uhland, p. 72. [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:72.]

Rührender Bauernspruch gegen die Feldmäuse vom Jahre 1519. “Für die Abziehenden sicheres Geleit vor Hunden und Katzen, auch den trächtigen und ganz kleinen Mäuschen ein Aufschub von 14 Tagen bewilligt.” [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:75.]

1 [31]

Das Poetische, abstrahirt aus dem Epos und der Lyrik, kann unmöglich zugleich die Gesetze für die dramatische Poesie enthalten. Dort wird alles auf die nachschaffende Phantasie des Hörers hin gesagt: hier ist alles gegenwärtig und anschaulich: die Phantasie wird niedergehalten durch die wechselnden Bilder.

1 [32]

Die einzellebenden Germanen sahen im Gerichtskampf- und Wechselrede ein Drama: ihre älteste dramatische Dichtung ist nach dieser Analogie, z. B. die Wechselrede von Sommer und Winter, bis Frau Venus den Streit schlichtet (Uhland, p. 21). [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:21.]

1 [33]

Der Sturz vom Leukadischen Felsen hat eine Parallele bei den Veitstänzern, die in wilde Ströme sprangen, bei den Tänzern der Tarantella: “zum Meere tragt mich, wenn ihr mich heilen wollt, zum Meere hinweg! So liebt mich meine Schöne. Zum Meere, zum Meere! Solang ich lebe, lieb ich dich!” Uhland, p. 402. [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:402.]

1 [34]

Die orgiastischen Züge des Dionysos haben ein Ebenbild in den S. Johann- und S. Veitstänzern (Köln. Chron., gedruckt 1491): “Here sent Johan, so so vrisch’ ind vro here sent Johan” war der Refrain ihrer Lieder. Cf. Hecker, die Tanzwuth eine Volkskrankheit im Mittelalter, Berlin 1832. [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:399; 484.]

1 [35]

Das Vermögen der Vogelstimme, den Heldengeist zu wecken. Die Nachtigall ruft ocihi ocihi schlag todt, fier fier schlag zu.

Verwaisten heimatlosen Heldensöhnen wird die Stimme der Wildniß vernehmlich. [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:98-99.]

1 [36]

Ein griechisches Scolion: War’ ich doch nur eine goldene Leier usw. hat viel Ähnlichkeit mit deutschen Wunschliedern. Uhland, p. 282. [Vgl. Ludwig Uhland, Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. Dritter Band. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. Stuttgart: Cotta, 1866:282.]

1 [37]

Der platte und dumme Gervinus hat es als einen “seltsamen Fehlgriff” von Schiller bezeichnet, daß er dem Schönen der Erde das Loos der Vernichtung zutheile. [Vgl. Gustav Rümelin, Shakespearestudien. Stuttgart: Cotta, 1866:159f.]

1 [38]

“Die poetische Muse Shakespeare’s hat noch eine Begleiterin bei sich, die Musik: die Goethes—die Plastik.” Enorm! [Vgl. Gustav Rümelin, Shakespearestudien. Stuttgart: Cotta, 1866:224.]

1 [39]

Die Zartheit der Empfindung und die Neigung zur Symbolik ließ ihm auch die unbedeutende Handlung bedeutsam erscheinen. Darum unbühnengemäß. [Vgl. Gustav Rümelin, Shakespearestudien. Stuttgart: Cotta, 1866:229.]

1 [40]

Der griechische Chor einmal der lebendige Resonanzboden, sodann das Schallrohr, durch das der Akteur seine Empfindung colossalisch dem Zuschauer zuschreit, drittens der lautgewordene lyrisch gestimmte leidenschaftliche singende Zuschauer.

1 [41]

1549 sagt ein Italiäner: sie gleichen eher den Katzen im Januar als den duftenden Blumen des Maimonds. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:47.]

1564 forderte eine Kommision von acht Cardinälen, daß die heiligen Worte des Gesanges unausgesetzt und deutlich müßten vernommen werden. Dieser Forderung entsprach Palestrina. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:49.]

Die Kompositionen Palestrina’s sind auf eine bestimmte Umgebung berechnet, in eine bestimmte Stelle im Kult hineingedacht. Dramatischer Charakter der liturgischen Handlungen. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:61.]

Die Formen des künstlichen Satzes haben aufgehört Selbstzweck zu sein: sie sind Mittel zum Ausdruck. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:59.]

In der Totalität des Werkes ist der Ausdruck zu suchen. Die Werke wurden regelmäßig wiederholt Sonntag für Sonntag und deshalb sehr vertraut. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:60.]

Wichtig ob ein Werk für eine einmalige Aufführung geschaffen ist oder für eine wiederholte: die Dramen der Griechen waren durchaus für einmaliges Hören gedichtet und componirt: und wurden unmittelbar darauf auch beurtheilt.

Furchtbarer Kampf der Melodie und Harmonie: letztere drang in das Volk und verbreitete überall den mehrstimmigen Gesang, so daß der einstimmige ganz verloren gieng: damit zugleich die Melodie. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:67-68.]

Die dramatische Chormusik der Griechen ist ebenfalls jünger als der Einzelgesang und doch etwas ganz anderes als der eben erwähnte Chorgesang: sie war unisono: also nur die fünfzigfach verstärkte Einzelstimme. Einen Kampf von Melodie und Harmonie haben die Griechen nie erlebt.

1 [42]

1600 wird die Melodie neu entdeckt. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:67-68.]

1 [43]

Die griechische Tragödie fand in Sokrates ihre Vernichtung.

Das Unbewußte ist größer als das Nichtwissen des Sokrates.

Das Dämonion ist das Unbewußte, das aber nur hindernd dem Bewußten hier und da entgegentritt: das wirkt aber nicht produktiv, sondern nur kritisch. Sonderbarste verkehrte Welt! Sonst ist das Unbewußte immer das Produktive, das Bewußte das Kritische.

Platos Austreibung der Künstler und Dichter ist Consequenz.

Das delphische Orakel vertheilt den Preis der Weisheit nach der Bewußtheit.

Der Prozeß hat nichts Weltgeschichtliches.

1 [44]

Socrates und die griechische Tragödie.

Euripides als Kritiker seiner Vorgänger. Einzelheiten: Prolog, Einheit.

Euripides der dramatische Sokrates.

Sokrates Fanatiker der Dialektik.

Sokrates Vernichter der Tragödie.

Es wird Aristophanes Recht gegeben: Socrates gehörte zu den Sophisten.

Aeschylus thut das Rechte, ohne es zu wissen: Sophokles glaubt also das Rechte wissend zu thun. Euripides meint, Sophokles habe unbewußt das Unrichtige gethan: er wissend das Richtige. Das Wissen des Sophokles war nur technischer Art: Socrates hatte volles Recht ihm entgegenzutreten.

In der Stufenfolge der göttlichen Bewußtheit bezeichnete das Delphische Orakel Sophocles als unweiser als Euripides.

1 [45]

Wir sind leider gewöhnt, die Künste in der Vereinzelung zu genießen: Wahnsinn der Gemäldegalerie und des Konzertsaals. Die absoluten Künste sind eine traurige moderne Unart. Es fällt alles auseinander. Es giebt keine Organisationen, die die Künste als Kunst zusammenpflegen, d. h. also die Gebiete, wo die Künste zusammengehen.

Jede Kunst hat ein Stück des Wegs allein und ein andres wo sie mit den andern Künsten zusammengeht.

In der neueren Zeit sind z. B. die großen italienischen trionfi solche Vereinigungen der Künste. Das antike Musikdrama hat ein Analogon in dem katholischen Hochamt : nur daß die Handlung nur noch symbolisch oder gar nur erzählend dargestellt wird. Dies vermittelt allein noch eine Vorstellung vom antiken Theatergenuß zur aeschyleischen Zeit: nur daß alles viel heller sonniger zutrauensvoller klarer war, freilich auch weniger innerlich, intensiv, räthselvoll-unendlich.

1 [46]

Wodurch unterscheidet sich die Rhythmik der Bewegung und die Rhythmik der Ruhe (d. h. Anschauung)? Große Verhältnisse der Rhythmik können nur von der Anschauung gefaßt werden. Dagegen ist die Rhythmik der Bewegung im Einzelnen und Kleinsten viel exakter und mathematischer. Der Takt ist ihr eigenthümlich.

1 [47]

Was ist Kunst? Die Fähigkeit die Welt des Willens zu erzeugen ohne Willen? Nein. Die Welt des Willens wieder zu erzeugen, ohne daß das Produkt wieder will . Also es gilt Erzeugung des Willenlosen durch Willen und instinktiv. Mit Bewußtsein nennt man dies Handwerk. Dagegen leuchtet die Verwandtschaft mit der Zeugung ein, nur daß hier das Willensvolle wieder entsteht.

1 [48]

Ist es nur Zartsinn, daß alles Ergreifendste auf der attischen Bühne nicht dargestellt wurde? Also: es wurde nicht eigentlich gehandelt, sondern nur so viel gesagt und gethan, was der Handlung vorangieng und nachfolgte. Umgekehrt die englische Bühne.

1 [49]

Was thut die Musik? Sie löst eine Anschauung in Willen auf.

Sie enthält die allgemeinen Formen aller Begehrungszustände: sie ist durch und durch Symbolik der Triebe, und als solche in ihren einfachsten Formen (Takt, Rhythmus) durchaus und jedermann verständlich.

Sie ist also immer allgemeiner als jede einzelne Handlung: deshalb ist sie uns verständlicher als jede einzelne Handlung: die Musik ist also der Schlüssel zum Drama.

Die Forderung der Einheit, unberechtigt wie wir sahen, ist die Quelle aller Verkehrtheiten der Oper und des Liedes. Man sah die Unmöglichkeit nun die Einheit des Ganzen herzustellen: jetzt schritt man dazu, die Einheit in die Stücke zu legen und das Ganze in lauter auseinanderlegbare absolute Stücke zu zerstückeln.

Parallel geht der Schritt des Euripides, der auch in das Einzelstück des Dramas die Einheit legt.

Das griechische Musikdrama ist eine Vorstufe der absoluten Musik, eine Form in dem ganzen Prozeß. Die lyrisch-musikalischen Partien sind zunächst allgemeinen beschaulich-objektiven Inhalts: Leiden und Freuden, Triebe und Verabschiedungen aller darstellend. Der Anlaß hierzu wurde vom Dichter imaginirt : weil er keine absolute Musik und Lyrik kannte. Er fingirte einen vergangenen Zustand, in dem diese oder jene allgemeine Stimmung ihren lyrisch-musikalischen Ausdruck verlangte. Dies mußte ein Zustand verwandter anheimelnder Wesen sein: nichts ist aber verwandter als die mythische Welt, eine Spiegelung unsrer allgemeinsten Zustände in einer idealen und idealisirenden Vergangenheit gesehn. Hiermit behauptet also der Dichter die Allgemeinheit der musikalisch-lyrischen Stimmungen für alle Zeiten, d. h. er thut einen Schritt zur absoluten Musik.

Dies ist die Grenze der antiken Musik: sie bleibt Gelegenheitsmusik, d. h. man nimmt an, es gebe bestimmte musikalische Zustände und wiederum unmusikalische Zustände. Der Zustand, in dem der Mensch singt, galt als Maßstab.

Auf diese Weise erhielt man zwei Welten nebeneinander, die ungefähr miteinander alternirten, so daß die des Auges verschwand, wenn die des Ohres begann und umgekehrt. Die Handlung diente nur, um zum Leiden zu kommen, und der Ausguß des Pathos machte wieder eine neue Handlung nöthig. Die Konsequenz war, daß man nicht die Vermittlung der beiden Welten, sondern ihre scharfe Gegenüberstellung suchte: hatte man dem Gemüth sein Reich abgesteckt, so sollte nun auch der Verstand zu Rechte kommen; Euripides führte die Dialektik, den Ton der Gerichtshalle, ein in den Dialog.

Wir sehen hier die ärgerliche Konsequenz: trennt man Gemüth und Verstand, Musik und Handlung, Intellekt und Willen unnatürlich von einander, so verkümmert jeder abgetrennte Theil. Und so entstand die absolute Musik und das Familiendrama, aus dem auseinandergerissenen Musikdrama der Alten.

1 [50]

Einheit des Dichters und Komponisten. Unsre Gegenwart wäre zuerst befähigt diese Einheit zu begreifen, da wir einen Vermittler zwischen uns und der Idee haben (das was die Katholischen einen Heiligen, ein klassisches exemplum nennen), wenn unsre Zeit nicht in Schrecken gerathen wäre beim Hervorbrechen der allgewaltigen Naturkraft und durch Korybantenlärm ihrer Furcht sich zu entledigen suchte: indeß lebt und stirbt der Heilige, ungekannt, doch der Nachwelt zum rührenden Gedächtniß!

1 [51]

Die rührende Theilname für das Thier geht bei Richard Wagner bis zum Krampf.— Einer der jüdischen Feinde Richard Wagner’s hatte ihm brieflich ein neues Germanenthum angekündigt, das jüdische Germanenthum.

1 [52]

Das Höchste, was die bewußte Ethik der Alten erreicht hat, ist die Theorie der Freundschaft: dies ist gewiß ein Zeichen einer recht queren Entwicklung des ethischen Denkens, dank dem Musageten Sokrates!

1 [53]

Die Forderung der Einheit im Drama ist die des ungeduldigen Willens, der nicht ruhig anschauen, sondern auf der eingeschlagenen Bahn zu Ende ungehemmt stürmen will. Die schöne Komposition des Drama’s: man ist versucht und verführt, die Reihe der Scenen sich als Gemälde neben einander zu stellen und dies Gesammtbild seiner Komposition nach zu untersuchen. Dies ist eine wirkliche Verwirrung von Kunstprincipien: insofern man die Gesetze für das Nebeneinander auf das Nacheinander anwendet.

Das reine Nacheinander wolle man nicht überschauen : z. B. ein Musikstück: es ist ein Fehler, hier von einer Architektonik des Ganzen zu reden; ebenso beim Drama. Wo liegen die Gesetze des Nacheinanders? Z. B. in den Farben, die sich gegenseitig herausfordern, in den Dissonanzen, die eine Auflösung verlangen, in der Folge von Gemüthsströmungen.

Scheinbare Einheiten z. B. viele Sinfonien. Es sind vier Theile, deren Grundcharakter eine schablonenmäßige Einheit bildet. Man verlangt nach einem feurigen Allegro nach einem erhabenen oder zärtlichen Adagio; jetzt vielleicht nach einer Humoreske; endlich nach einem Bachanal. Ähnlich schon sind die Kontraste im Nomos Pythios des Sakadas.

Das Nacheinander drückt den Willen aus, das Nebeneinander das Beruhen im Anschauen.

Woher stammt nun die thatsächliche Bemühung der griechischen Dramatiker nach Einheit? Besonders da eine Philosophie noch keine Forderungen stellte?

Wunderbare Zeit, in der die Künste sich noch entwickelten, ohne daß der Künstler fertige Kunsttheorien vorfand!

So ein antikes Drama ist ein großes Musikwerk: man genoß aber die Musik nie absolut, sondern immer hineingestellt in die Verbindung mit Kult und Umgebung, oder Gesellschaft. Es war kurz Gelegenheitsmusik. Höchst wichtige Einsicht! Der verbindende Dialog ist nur der Gelegenheitsmacher; nämlich für die Musikstücke, deren jedes seinen scharfen Gelegenheitscharakter festhielt: Einheit der Empfindung, gleiche Höhe der Erregung.

1 [54]

Die ursprüngliche Tragödie enthält und fordert verschiedene Einheiten: die des musikalisch-lyrischen Theils: die der epischen Erzählung, die der mimischen Bilder.

Auch für den Anblick giebt es zwei Welten, die neben einander ihren Lauf gehen, im Parallelismus, nicht in Einheit: die Welt der Bühne und die der Orchestra.

Die Griechen kennen aber auch die absolute Statue nicht: sie ist eben so mit der Architektur in Parallelismus gesetzt, wie die Bühne mit dem Chor.

Moderne Unart, die Künste theoretisch auseinandergehalten als einzelne genießen zu müssen: zusammenhängend mit der Ausbildung der Einzelfähigkeit. Charakteristisch für das Hellenische ist die Harmonie, für die Modernen die Melodie (als absoluter Charakter).

1 [55]

Der Tragiker ist der Langenweile mehr ausgesetzt als der Epiker, da dieser viel mehr Abwechslung bringen dürfe.

1 [56]

Warum gieng das Drama der Griechen nicht aus von der dargestellten Epik?

Wichtigst. Die Handlung kam in die Tragödie erst mit dem Dialog. Dies zeigt, wie es in dieser Kunstart von vornherein gar nicht abgesehn war auf das *D<: sondern auf das B"h@l. Es war zunächst nichts als objektive Lyrik, d. h. ein Lied aus dem Zustande bestimmter mythologischer Wesen heraus, daher auch im Kostüm derselben. Zuerst gaben sie selbst den Grund ihrer lyrischen Stimmungen an: später trat eine Person heraus: hierdurch konnte man einen Kyklus von Chorliedern in eine stoffliche Einheit bringen. Die heraustretende Person erzählte die Hauptaktionen: bei jedem wichtigen erzählten Ereigniß erfolgte der lyrische Ausbruch. Diese Person wurde nun ebenfalls kostümirt: und als Herr des Chors gedacht, als Gott, der seine Thaten erzählt. Also

Liedercyklen für Chor, mit verbindender Erzählung : dies der Ursprung des griechischen Drama’s.

Der kunstgerecht componirte Zug, das BD@F`*4@<: hat dies nicht einen Einfluß auf das Drama? Nur daß der Zuschauer kein begleitender, sondern ein sitzender ist? Vielleicht ist die Komödie daraus entstanden, vielleicht auch die Tragödie: der Sinn ist: immer neue Gruppen mit neuen Liedern, das Ganze aber doch eine Einheit, eine Geschichte darstellend. Man vergleiche die Darstellungen auf Basreliefs.

Vorausgesetzt für solche maskirte Züge die Allgemeinverständlichkeit der Grundlage, des mythischen Stoffs.

1 [57]

Zum Satyrspiel. Nachspiele, ein- oder zweiaktig, sind bei den Franzosen gebräuchlich. So auch die kleinen Farcen des Garrick. Hamlet, sagt Rapp, ist beinahe eine Parodie des antiken Dramas (Orestie). [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:185.]

1 [58]

Als Grundmangel des Griechenthums charakterisirt Shakespeare in Troilus und Cressida die noch nicht erstarkten sittlichen Gewalten. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:188.]

1 [59]

Die Zeit des Euripides ist die der Götterdämmerung. er hat ein Gefühl davon.

Er wendet sich energisch gegen das delphische Orakel und die Wahrhaftigkeit des Apollo.

Die Bacchen an der Hofbühne des Archelaus aufgeführt.

1 [60]

Die Römer sahen lange Zeit den Schauspielen stehend zu: das Sitzen galt als Verweichlichung.

1 [61]

Das Grab des Euripides wurde vom Blitz getroffen, d. h. das Darinliegende ist ein Liebling der Götter, die Stätte heilig. [Vgl. Eduard Pfander, Die Tragik des Euripides. Studien von Eduard Pfander. I. Über Euripides' Bakchen. Erstes Heft. Bern: Fischer, [1868], 6: "Das schönste Andenken, welches die dankbare Nachwelt des Alterthums dem frommen Denker und Dichter Euripides geweiht hat, ist die Sage, dass sein Grab vom Blitz getroffen worden: ein solches Stück Erde war heilig, und unter ihr ruhte ein Liebling der Götter." S. Nietzsche's Library. New Sources of Nietzsche's Reading: Eduard Pfander.]

1 [62]

“Die Kunst nicht für den privaten Genuß, nach antiker Auffassung: sie hat ihre Stelle in den Agonen und ist zur Ergötzung von vielen da. Das richtende Publikum zieht den Künstler herab.” [Vgl. Gustav Teichmüller, Aristotelische Forschungen. Bd. 2: Aristoteles Philosophie der Kunst. Halle: G.E. Barthel, 1867:408.] Euripides ist der ungewöhnliche Versuch, gegen den Strom zu schwimmen und seinen Lauf umzuändern. Der Philosoph konnte seine Werke der Zeit widmen: der Dichter des Musikdrama’s mußte auf die Gegenwart rechnen.

1 [63]

JD48@(\" zeigt eine ältere Stufe: eine Verbindung des epischen Rhapsodenthums und der Lyrik. Dreimal trat der Rhapsode auf: und erzählte eine große Vergangenheit. Er alternirte mit dem Chor, der die lyrischen Momente feierte. Wichtig ist, daß der Rhapsode des Epos im Kostüm auftrat: später auch auf dem Theater.

1 [64]

Passende Schlußworte für Euripides (Plat. Phaedr. 245, Schleiermacher): “die dritte Eingeistung und Wahnsinnigkeit von den Musen ergreift eine zarte und heilig geschonte Seele aufregend und befeuernd, und in festlichen Gesängen und andern Werken der Dichtkunst tausend Thaten der Vorfahren ausschminkend bildet sie die Nachkommen. Wer aber ohne diesen Wahnsinn der Musen in den Vorhallen der Dichtkunst sich einfindet, meinend er könne durch Kunst allein genug ein Dichter werden, ein solcher ist selbst ungeweiht, und auch seine, des Verständigen, Dichtung wird von der des Wahnsinnigen verdunkelt.” [Vgl. Gustav Teichmüller, Aristotelische Forschungen. Bd. 2: Aristoteles Philosophie der Kunst. Halle: G.E. Barthel, 1867:427f.]

1 [65]

Nach Aristoteles hat die Wissenschaft nichts mit dem Enthusiasmus zu thun, da man sich auf diese ungewöhnliche Kraft nicht verlassen kann: das Kunstwerk ist Erzeugniß der Kunsteinsicht bei gehöriger Künstlernatur. Spießbürgerei! [Vgl. Gustav Teichmüller, Aristotelische Forschungen. Bd. 2: Aristoteles Philosophie der Kunst. Halle: G.E. Barthel, 1867:429f.]

1 [66]

Die Einheit ist von vorn herein der Tragödie nicht eigenthümlich als JX8@l: wohl aber liegt sie im Wege der Entwicklung, so daß sie gefunden werden mußte. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Geschichte des griechischen Schauspiels vom Standpunct der dramatischen Kunst. Tübingen: Laupp, 1862:14.]

Was ist Einheit im lyrischen Gedicht? Die der Empfindung. Aber in größerer lyrischer Komposition?

1 [67]

Sehr bedeutend ist die ältere Benennung der Komödie JDL(T*\" “Mostgesang”: sie führt mich auf eine neue Ableitung von JD"(T*\", nämlich “Essiggesang.” JVD("<@< ist “Essig,” also J"D(T*\", verwandelt in JD"(T*\". Dann fällt der Ursprung aus dem Satyrdrama: wesentlichst! Älteste Weinleselieder, die einen süß und ausgelassen wie Most, die andern herb und zusammenziehend wie Essig. Dies sind nur Bilder, Unsinn daß Most die Belohnung des Siegers war.

Wichtig, daß in Sikyon dem Adrast Lieder gesungen werden, die erst offiziell auf Dionysus übertragen werden. Dies waren doch keine Satyrdramen: was hatte Adrast mit Satyrn zu thun? Es waren eben Mysterien.

Gab es eine Form der Dichtung, in der wie in einem Keime Tragödie Satyrdrama und Komödie schlummerten?

Soll das Satyrdrama die Vorstufe für Trägödie und Komödie sein?

Ist nicht die Geburt der Tragödie aus dem Dithyramb eine falsche Folgerung aus der wirklichen Entwicklung des Dramas aus dem Dithyramb zu Zeiten des Timotheus usw.? Ist vielleicht daher die falsche Etymologie JDV(T< í*Z entstanden? Wichtig ist der Anstoß, den die Mysterien gegeben haben müssen. Die heilige Aktion mit Theatereffekten im geschlossenen Raume, bei Licht, mit Beleuchtungseffekten. Wahrscheinlich entstand das Drama als öffentliches Mysterium, als eine Reaktion gegen die Geheimthuerei der Priester, zum Schutze der Demokratie seitens der Obergewalt. Ich denke, die Tyrannen führen diese “öffentlichen Mysterien” ein, aus Opposition gegen das Priesterthum der Mysterien. Von Pisistratus wissen wir, daß er Thespis begünstigte.

1 [68]

Die ältesten Orgeln des Mittelalters hatten Tasten von der Breite eines halben Schuhs und merkliche Zwischenräume und mußten mit den Fäusten oder Ellenbogen in Bewegung gesetzt werden. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:26.]

Gegensatz des einstimmigen weltlichen Gesangs und der gelehrten Musik, die nur mehrstimmigen Gesang kennt. Die begleitenden Instrumente unisono mit der Stimme. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:28-29.]

Die Chormusik entwickelt sich zuerst kunstmäßig. Nirgends aber Übereinstimmung zwischen Text und Musik. Dies gilt alles von den Niederländern. Absoluter Indifferentismus, ja Haß gegen die Textesworte, die sinnlos durcheinander und verzerrt gesungen wurden.

Sehr originell, wie man dem Mangel an Ausdruck begegnete: man färbte die Noten mit der Farbe der Dinge, von denen die Rede war, Pflanzen Felder Weinberge grün, Licht und Sonne Purpur usw. [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:46.] Es war dies Litteraturmusik, Lesemusik. Höchst wichtig, daß auch die Musikentwicklung diesen unnatürlichen Weg gegangen ist, wie das deutsche Drama.

Allen diesen Standpunkten gegenüber sind die Griechen unvergängliche Muster.

Cardinal Domenico Capranica sagte dem Papst Nicolaus V: “wenn sie da zusammen singen, kommen sie mir vor, wie ein Sack voll kleiner Schweine, denn ich höre wohl einen furchtbaren Lärm und ein Quieken und Schreien durch einander, kann aber nicht einen einzigen artikulirten Laut unterscheiden.” [Vgl. Franz Brendel, Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich. Von den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart. Fünfzwanzig Vorlesungen gehalten zu Leipzig von Franz Brendel. Vierte neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Leipzig: Matthes (E. O. Schurmann), 1867:46-47.]

1 [69]

Der Ursprung aus dem Satyrdrama ist mir wunderlich fremd: doch sagt es ja der Name. Jedenfalls müssen Dithyramb und Phallika verschieden sein.

Und daß das Satyrspiel später wieder willkürlich-offiziell restaurirt wird? Ist das nicht :Lh@B@4\"?

Die JD"(T*\" wird zunächst eine singende Gruppe im Kostüm gewesen sein.

Die Phallika eine wandernde Prozession mit Lied und Possenreissern. Also natürlich dialogisch vom Beginn, mit wechselnder Umgebung und immer neuen Anlässen zu Spott und Hohn, ganz persönlichster Art: ein Fastnachtsspiel, eine Mummerei durch die Stadt ziehend.

Sind vielleicht die ¦>VDP@<Jgl J@Ø *4hLDV:$@L die, welche zunächst das Ganze, die singende Gruppe zu erklären haben? Etwa in einem Euripideischen Prolog? Oder ist letzterer nur mit Unrecht als archaischer Prolog bezeichnet? Ich glaube. Wie kommt es, daß nur an den Dithyramb sich Schaustellungen anknüpfen, nicht an die Päanen etc.?

1 [70]

Die griechische Tragödie ist von maßvollster Phantasie: nicht aus Mangel an derselben, wie die Komödie beweist, sondern aus einem bewußten Princip. Gegensatz dazu die englische Tragödie mit ihrem phantastischen Realismus, viel jugendlicher, sinnlich ungestümer, dionysischer, traumtrunkener.

Der religiöse Chortanz mit seinem Andante umschränkte die Phantasie des griechischen Tragikers: lebende Bilder, nach den gemalten der Tempelwände.

Zu den lebenden Bildern Musik, andauernde: dies bedingt einen Gang der Entwicklung und ein pathetisches Gemüthsleben im Andante. Euripides will ausdrücklich nicht durch die Neuheit des Stoffs, durch die Überraschungen der Fabel packen: sondern durch die pathetischen Scenen, die er aus der dürren Fabel schafft. Vor allem aber will er durch den Prolog den Zuhörer belehren, wie er sich die Fabel gemodelt hat: damit der Zuhörer nicht mit falschen Präsumptionen dasitzt.

1 [71]

Sehr wichtig, daß das Drama nicht unmittelbar aus dem Epos entspringt: wie dies bei dem englischen deutschen französischen Drama ist: sondern aus einer musikalisch-lyrischen Epik. Denken wir an den Pythios Nomos des Sakadas: zu dem, was hier die Musik darstellte, wurden Bilder gestellt: natürlich mußten bekannte Stoffe genommen werden, damit nicht zuviel zu entwickeln blieb, sondern der reine Gefühlserguß sich bald und leicht vor aller Augen und Gedächtniß motivirte. Mir scheint es, als ob die Komödie einen wesentlich andern Ursprung habe: von ihr beeinflußt bekommt die Tragödie das Dialogisch-Dialektische.

1 [72]

Zum deus ex machina. In monarchischen Staaten wird der deus ex machina im Schauspiel häufig nur der Fürst sein: niemals in Athen. Die Könige der Griechen können allein die Tragik des Lebens recht verstehn, weil sie hoch genug gestellt sind: darum spielen die Perser am Hofe des Darius-Xerxes.

1 [73]

Die vornehmen jungen Männer auf der englischen Bühne rauchten (1616 Todesjahr Shakespeares): ihre Stühle standen auf der Scene. Fletcher beklagt sich.— Man spielte nachmittags: der Bridgestand aß um 11 Uhr zu Mittag, um 6 zu Abend: das Schauspiel fällt hinein. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:58f.; 64.]

1 [74]

Shakespeare ist offenbar von seiner Gegenwart nicht hinreichend begriffen worden: dies beweisen die Liebhabereien des Publikums, die Parodien seiner Sachen usw. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:65; 68.]

1 [75]

Auflösungen vor dem Richterstuhl des Königs, sehr häufig in der englischen Komödie, eine Art des deus ex machina. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:92.]

1 [76]

Wichtige Unterschiede des griechischen Theaters die Aufführungen waren periodisch—mit grossen Zwischenräumen: die Zuschauer nicht nach dem Range eingetheilt: das Ganze im Einklang und Zusammenklang mit der Volksreligion, mit dem Priesterthum: kein Gewinn an Geld war zu erhoffen für den Dichter: die Zuschauer waren Männer: jedenfalls die Richter ältere Männer: anständige Frauen waren ausgeschlossen: Aktion durchaus im Freien: Spielzeit am hellen Tage: wenige Schauspieler, die viel übernehmen mußten und Zeit haben mußten sieh auszuruhn: Masken, keine individuellen Züge: ungeheure Dimensionen, daher viel plastisch-lang-ruhende Scenen: langsamster Rhythmus des Ganzen: Andante vorherrschend. Volkstheater durchaus.

1 [77]

Die Passionen auf Wegen zur Wallfahrtsstätte: wenn man diese wandelnd denkt und den Zuschauer fest stehend, dann ein Vorspiel des Dramas.

1 [78]

Ich komme immer wieder darauf, daß Euripides die Konsequenzen des Volksglaubens übertreibend ans Licht stellen wollte: vornehmlich in den Bacchen: er warnt vor den Mythen, zeigt z. B. Aphrodite, die einen reinen Jüngling zu Grunde richtet, Hera und Iris, die Herakles in Raserei versetzen, daß er Weib und Kind erwürgt. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Geschichte des griechischen Schauspiels vom Standpunct der dramatischen Kunst. Tübingen: Laupp, 1862:137; 176; 165f.] Sollte nicht Ironie sein der Vers der Bacchen?

Was fromme Väter uns gelehrt, was uns die Zeit
Vorlängst geheiligt, kein Vernünfteln stößt es um,
Auch wenns der höchste Menschengeist ausklügelte.

1 [79]

Bernhardy nennt Euripides den Sprecher und Sittenmaler der Ochlokratie, seine Dichtung ihr ehrwürdiges Denkmal. [Vgl. Gottfried Bernhardy, Grundriss der griechischen Litteratur mit einem vergleichenden Ueberblick der Römischen. Zweiter Theil: Geschichte der Griechischen Poesie. Zweite Abtheilung: Dramatische Poesie, Alexandriner, Byzantiner. Halle: Anton, 1859:353.]

O. Müller bemerkt, Euripides fasse den Mythos nicht mehr wie eine Grundlage und Weissagung der Gegenwart, sondern ergreife nur die Gelegenheit, den Athenern durch den Preis ihrer Nationalhelden und die Schmähung der Heroen ihrer Feinde zu gefallen. [Vgl. Karl Otfried Müller, Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexanders. Nach der Handschrift des Verfassers herausegegeben von Eduard Müller. 2 Bde. Breslau: im Verlage bei Josef Max und Komp., 1841: 2, 162.]

1 [80]

Schnelligkeit der Entwicklung der Tragödie: Königin Elisabeth von England hat unter ihrer Regierung das Drama von der Marionette aufwärts bis zu der höchsten Höhe sich entwickeln sehn. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:31.]

Das französische Theater des Mittelalters, die Mysterien, geistlichen und weltlichen Inhalts, stirbt aus mit dem Dialekt. Die Blüthe des deutschen Fastnachtsspiel fällt ins 15te Jahrhundert. Es lebt noch im 16ten und stirbt in den Kämpfen der Reformation. Beide Litteraturen sind dialogisch: sie blühten ohne Folge. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:31.]

Das spanische Theater in Portugal anhebend mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts, dann springt es über Andalusien nach Castilien, wo es nach kleinen Anfängen sich fast gleichzeitig mit der englischen Bühne entwickelt. Es entwickelt sich unangefochten, blüht durch’s ganze 17te Jahrhundert und erst mit Eintritt des 18ten stirbt es an Erschöpfung. Es hat fast 200 Jahre gelebt. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:31.]

Das altenglische Theater erhebt sich in der Mitte des 16ten Jahrhunderts und erreicht die Höhe mit dem Antritt des 17. Es stirbt in der Mitte dieses Jahrhunderts gewaltsam durch die politische Revolution. Seine Blüthe kaum 100 Jahre. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:31.]

1 [81]

Wichtigkeit des Volkstheaters. In Spanien und England gieng das Theater von ganz volksthümlicher Grundlage aus und wurde nach und nach Hoftheater. In Frankreich war das mittelalterliche Volksdrama mit dem Dialekt ausgestorben. Corneille bemächtigt sich auf rein gelehrtem Wege der Bühne und nimmt die fertige Form von Spanien herüber: das Unglück ist, daß [sie] von vorn herein Hofbühne [war] und nie wieder die volksthümliche Basis fand. Das deutsche Fastnachtsspiel durch Reformation untergraben: jetzt isolirte Versuche von Gelehrten, bis auf Lessing. Jetzt Einfluß Shakespeares. Durch ihn ist sie der Beschränkung durch antike Nachahmung entgangen, welche die ursprünglich spanische Bühne der Franzosen in Fesseln schlug. (Vornehmheit der attischen Schauspiele.)

Einfluß der Weiber. Auf der altenglischen Bühne spielten Knaben die Weiberrollen und eben durch diese ursprünglich sittlichscheue Institution wurde die Darstellung in die maßloseste Indezenz getrieben. Aristophanes Zoten sind wilder Übermuth in einzelnen Ausbrüchen, gegenüber der Immoralität der letzten altenglischen Theaterschule. [Vgl. Karl Moritz Rapp, Studien über das englische Theater. Tübingen: Laupp, 1862:32f.]

1 [82]

Winckelmann sagt, die Schönheit sei bei den Alten die Zunge an der Wage des Ausdrucks gewesen. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:85.]

1 [83]

Die Anmuth des Schrecklichen—die “furchtbaren Grazien”: nur den Alten recht bekannt. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:91.]

1 [84]

Faunische Züge der Verzweiflung: z. B. bei Kleist, siehe den Abschiedsbrief, oder das Bild Lessings über den Tod des Kleinen sammt der Mutter.

1 [85]

Der Philosoph findet, wie der geplagte und todtmüde Oedipus, erst im Haine der Furien Ruhe und Frieden. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:121.]

1 [86]

Schlegel nennt die sophokleische Poesie einen heiligen Hain der dunkeln Schicksalsgöttinnen, worin Lorbeer, Oelbaum und Weinreben grünen und die Lieder der Nachtigallen unaufhörlich tönen. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:122.]

1 [87]

“Vollkommenheit in Kunst und Poesie verglichen mit dem Gipfel eines steilen Bergs, wo sich eine hinaufgewälzte Last nicht lange halten kann, sondern sogleich an der anderen Seite unaufhaltsam wieder hinunterrollt. Dies geht schnell und mit Leichtigkeit vor sich, es sieht sich bequem mit an, denn die Masse folgt ihrem natürlichen Hange: während das mühsame Hinanstreben ein gewissermaßen peinlicher Anblick ist.” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:132.]

1 [88]

Plato beschuldigt die tragischen Dichter, sie gäben die Menschen in die Gewalt der Leidenschaften und machten sie weichlich, indem sie ihren Helden übermäßige Klagen in den Mund legten. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:134.]

1 [89]

“Die Darstellung des Euripides nimmt sich Vertraulichkeiten gegen die Götter heraus.” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:136.]

1 [90]

Lessing über die Prologe: Euripides verlasse sich nur auf die Wirksamkeit der Situationen und habe nicht auf die Spannung der Neugier gerechnet.— Schlegel meint, man möchte diese Weise mit den Zetteln aus dem Munde der Figuren auf alten Gemälden vergleichen. Sehr mit Unrecht: ein historisches Bild ist so lange wirkungslos, so lange wir nicht die Personen in den Zusammenhang der Handlung gebracht haben: dies ist eine Aufgabe, die bei Gemälden gefordert werden darf, nicht bei vorübergehenden Schauspielen: denn so lange wir rechnen, genießen wir nicht.

Nach Schlegel erhoben sich die dei ex machina nur durch das Schweben der Maschine über die Menschen. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:142-143.]

1 [91]

II. Der Komiker Philemon sagt “wenn die Todten in der That noch Empfindung hätten, wie einige meinen, so ließe ich mich aufhängen, um den Euripides zu sehen.” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:144.]

1 [92]

Enormes Wagniß des Euripides, sich vom delphischen Orakel zu emancipiren. Trotzdem nach dem Orakel fast so weise als Socrates. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:161.]

1 [93]

II. Aristophanes sagt “o Leben und Menander, wer von euch beiden hat den andern nachgeahmt?” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:222.]

1 [94]

Lessing sagt: es ist ein durchaus ekler Anblick, eine Spinne die andre fressen zu sehn (zwei Kritiker die sich gegenseitig todt machen wollen). [Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Werke. Vierter Band. Leipzig: Göschen, 1867, 305. Briefe, antiquarischen Inhalts. Sechsundfunfzigster Brief: "Nicht einmal über Schriftsteller, von dem Maaße ihrer eigenen Talente, sollten sie urtheilen wollen, denn es ist ein eckler Anblick, wenn man eine Spinne die andere fressen sieht, und meistens ergiebt es sich zu deutlich, daß sie das getadelte Werk noch lange so gut nicht selbst hervorgebracht haben würden."]

1 [95]

Schlegel sagt: die Furcht vor dem Lächerlichen sei das Gewissen der französischen Tragiker.

Die Furcht vor dem Schrecklichen das des bürgerlichen Rührstücks bei den Griechen. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:54.]

1 [96]

Zur Rhetorik bei Euripides: “die conventionelle Würde ist ein Panzer, welcher verhütet, daß der Schmerz ins Innerste dringt. Die Helden im französischen Trauerspiel gleichen den Königen auf altfränkischen Kupferstichen, welche sich mit Mantel Krone und Scepter zu Bett legen.” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:53-54.]

1 [97]

Schlegel findet die “Heiligkeit des Moments” nicht genug geehrt: lyrische Ruhepunkte dafür in der alten Tragödie. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:58.]

1 [98]

Jeder Held und jede Heldin schleppt einen Vertrauten mit sich, wie einen diensthabenden Kammerherrn. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:59.]

1 [99]

Von vielen Euripideischen Prologen gilt, was Chaulieu von Crebillons Rhadamist sagt: “das Stück wäre vollkommen klar, hätte es nicht die Exposition.” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:60.]

1 [100]

Die Euripideische Tragödie ist ähnlich wie die französische nach einem abstrakten Begriff gebildet. Schlegel: “sie verlangten tragische Würde und Größe, tragische Situationen, Leidenschaften und Pathos, ganz nackt und rein, ohne allen fremdartigen Zusatz.” [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:61.]

1 [101]

Euripides reflectirte: die Voraussetzungen muß jeder bereits haben, um von vorn herein lebhaft sympathisiren zu können.

Muß er sie sich langsam aus- und zusammenrechnen, so geht das Gefühl inzwischen verloren: und was schlimmer ist, er verrechnet sich vielleicht. Darum der Prolog.

1 [102]

Wie füllte man die durch Weglassung des Lyrischen entstandene Lücke im französischen Drama aus? Durch Intrigue. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:34.]

1 [103]

Die dumme Lehre von der poetischen Gerechtigkeit gehört ins bürgerliche Familienschauspiel, in die Wiederspiegelung des Philisterdaseins: sie ist der Tod der Tragödie. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:140.]

1 [104]

Gebrauch, daß vornehme Personen ihre Sitze auf der Scene selbst zu beiden Seiten hatten und den Schauspielern kaum die Breite von zehn Schritten zur Handlung ließen. Diesem “Chor” zuliebe veränderte man nicht die Dekoration! Alle Theatereffekte bedürfen der Entfernung: also wurden sie unmöglich. Die Aufgabe war ein Oelgemälde wirksam zu machen, das mit dem Mikroskop angeschaut wurde. Die Bühne wird förmlich wie ein Vorzimmer. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Zweiter Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:37.]

1 [105]

Ein Geist, der bei einer Mttagsmahlzeit erscheint, macht sich lächerlich. Schlegels glänzendes Bild: das homerische Epos ist in der Poesie was die halberhobene Arbeit in der Skulptur, die Tragödie was die freistehende Gruppe.— Das Basrelief ist gränzenlos, es läßt sich vor- und rückwärts weiter fortsetzen, weswegen die Alten auch am liebsten Gegenstände dazu gewählt, die sich ins Unbestimmbare ausdehnen lassen, als Opferzüge, Tänze, Reihen von Kämpfen usw. Deshalb haben sie auch an runden Flächen als an Vasen, am Fries einer Rotunde, Basreliefs angebracht, wo uns die beiden Enden durch die Krümmung entrückt werden und so, wie wir uns fortbewegen, eines erscheint und das andre verschwindet. Die Lesung der homerischen Gesänge gleicht gar sehr einem solchen Herumgehen, indem sie uns immer bei dem Vorliegenden festhalten und das Vorhergehende und Nachfolgende verschwinden lassen. [Vgl. August Wilhelm von Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Dritte Ausgabe, besorgt von Eduard Böcking. Erster Theil. Leipzig: Weidmann, 1846:84.]

1 [106]

II. In Socrates der naive Rationalismus in dem Ethischen. Alles muß bewußt sein, um ethisch zu sein.
II. Euripides ist der Dichter dieses naiven Rationalismus. Feind allem Instinktiven, sucht er das Absichtliche und Bewußte. Die Leute sind, wie [sie] sprechen, nicht mehr.
II. Die Figuren des Sophokles und Aeschylus sind viel tiefer und größer als ihre Worte: sie stammeln über und von sich.
II. Euripides schafft sich die Gestalten, indem er sie anatomisch entstehn läßt: es giebt nichts Verborgenes in ihnen.
II. Sokrates ist in der Ethik dasselbe was Demokrit in der Physik ist: eine begeisterte Engherzigkeit, eine enthusiastische Oberflächlichkeit: doch spricht die Urtheile von “engherzig” und “oberflächlich” erst die deutsche Nachwelt, die instinktiv reicher und stärker ist als die hellenische: der Fanatiker der Erkenntniss.
II. Euripides ist der erste Dramatiker, der einer bewußten Aesthetik folgt.
II. Die Mythologie des Euripides als die idealistische Projection eines ethischen Rationalismus.
II. Euripides hat von Socrates die Vereinzelung des Individuums gelernt.

1 [107]

I. Der Chor in der Tragödie: Öffentlichkeit des ganzen Treibens: alles wird im Freien berathen.

I. Eine Nothwendigkeit, eine Gruppe von Männern oder Frauen zu erdenken, die mit den handelnden Personen eng verbunden sind. Nicht der ideale Zuschauer, sondern der lyrisch-musikalische Resonanzboden des Dramas, d. h. der Handelnden.

I. Es müssen häufige Anlässe gesucht werden zum Ausbruch des Massengefühls, also Gebetsstimmungen vornehmlich.

I. Der religiöse Ursprung und die Cultfeier hielt die Chorgesänge fest. Die Satyrn sind zuerst übergegangen in ernste nichtbacchische Figuren: der Ursprung des Tragisch-Ernsten liegt im Chor. Die Tragödien vertiefen die ganze heiter-homerisch-olympische Volksmythologie. Dem aeschyleischen Zeitalter gegenüber, einem sentimentalischen, ist das kyklisch-homerische naiv.

I. Die Typen der großen tragischen Gestalten sind die großen zeitgenössischen Männer: die aeschyleischen Helden haben mit Heraclit Verwandtschaft.

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Die ethische Philosophie der Tragiker: wie steht sie zu den anerkannten Philosophen? Äußerlich gar nicht (außer bei Euripides), man schied Poesie und Philosophie. Die Ethik gehörte der ersteren an: deshalb ein Theil der Pädagogik.

II. Das philosophische Drama des Plato gehört weder zur Tragödie noch zur Komödie: es fehlt der Chor, das Musikalische, das Religiöse des Motivs. Es ist vielmehr Epik und Schule Homers. Es ist der antike Roman. Vor allem nicht bestimmt zur Praxis, sondern zum Lesen: es ist eine Rhapsodie. Es ist das Litteraturdrama.

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Trilogie.

In der Blüthezeit Brauch, daß an den großen Dionysien (am Hauptfeste der dramatischen Aufführungen) von jedem Tragiker vier Dramen zur Aufführung kamen, drei Tragödien und ein Satyrdrama, während die Komödiendichter nur mit einem auftraten. Solche Listen sind uns mehrfach noch erhalten: zufällig nicht von Sophokles. Bei Euripides findet unter den Stücken kein Zusammenhang statt. Dagegen ausnahmslos bei Aeschylus. Orestie. Herstellung der Tetralogie. Aeschylus wählte also einen mythologischen Stoff, theilte ihn in vier Theile, drei Bilder tragisch-ernster Färbung, eine heitere Seite desselben Stoffes. Die dramatische Bewegung durch die Aufeinanderfolge der Dramen hergestellt: drei Akte. Das Satyrdrama Forderung des dionysischen Kultes.

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Alterthümliche Betrachtungen.

Die Aesthetik des Aristoteles.
Die Alterthumsstudien.
Zur Aesthetik der Tragiker I. II.
Homers Persönlichkeit.
Pessimismus im Alterthum.
Griechische Lyrik.
Demokrit.
Heraklit.
Pythagoras.
Empedokles.
Sokrates.

Blutrache.
Die Idee des Geschlechts.
Selbstmord.
Geselligkeit und Einsamkeit.
Handwerk und Kunst.
Freundschaft.
Hesiods Mythologie.
Die Philosophen als Künstler.

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Philologie der Gegenwart und Zukunft.
Litteraturgeschichte im Alterthum.
Homerfrage.
Musikdrama.
Socrates und das Drama.
Aristoteles’ Aesthetik.
Pessimismus.
Zur Aesthetik der Musik.
Das a priori construirte Hellenenthum.

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1870

April—Philologus: Democritea.
Februar—Fleckeisen: Fragmente des Alcidamas. Text.
März—Rheinisches Museum: Über die Form des Wettkampfes.
Mai usw. im Herbst: Vortrag: Hesiod-Homer, Wettkampf.

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Democritea.
Laertiana.
 }30 Seiten.

1 [114]

Zustand unterdrückter Idealität 1869.Erkenntniss dessen Weihnachten auf Tribschen.
 
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