Vorträge
von Nietzsche im Basler Museum gehalten.
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"Ich habe einen Vortrag vor gemischten Publikum gehalten über 'das antike Musikdrama' und halte am 1 Februar einen zweiten über 'Socrates und die Tragödie.' Ich gewinne immer mehr Liebe für das Hellenthum: man hat kein besseres Mittel sich ihm zu nähern als durch unermüdliche Fortbildung seines eigenen Persönchens. Der Grad, den ich jetzt erreicht habe, ist das allerbeschämendste Eingeständniss meiner Unwissenheit. Die Philologenexistenz in irgend einer kritischen Bestrebung, aber 1000 Meilen abseits vom Griechenthum wird mir immer unmöglicher. Auch zweifle ich, ob ich noch je ein rechter Philologe werden könne: wenn ich es nicht nebenbei, so zufällig erreiche, dann geht es nicht. Das Malheur nämlich ist: ich habe kein Muster und bin in der Gefahr des Narren auf eigne Hand. Mein nächster Plan ist, vier Jahre Culturarbeit an mir, dann eine jahrelange Reise—mit Dir vielleicht. Wir haben wirklich ein recht schweres Leben, die holde Unwissenheit an der Hand von Lehrern und Traditionen war so glücklichsicher." — [Ende Januar und 15. Februar 1870]: Brief von Friedrich Nietzsche an Erwin Rohde.
"Die geistige Einsiedelei und gelegentlich ein Gespräch mit Gleichgesinnten sind unser Loos: wir brauchen mehr als andre Wesen die Tröstungen der Kunst. Auch wollen wir niemanden bekehren, weil wir die Kluft empfinden als eine von der Natur gesetzte. Mitleid wird uns eine wahrhaft vertraute Empfindung. Wir verstummen mehr und mehr,—es giebt Tage und sehr viele, an denen ich nur im Dienste des Amtes rede, sonst nicht. Freilich habe ich das unschätzbare Glück, den wahren Geistesbruder Schopenhauers [Richard Wagner], der sich zu ihm wie Schiller zu Kant verhält, als wirklichen Freund zu besitzen, einen Genius, der dasselbe furchtbar erhabene Loos empfangen hat, ein Jahrhundert früher zu kommen, als er verstanden werden kann .. Ich sehe deshalb tiefer in die Abgründe jener idealistischen Weltanschauung: auch merke ich, wie mein philosophisches, moralisches und wissenschaftliches Streben einem Ziele zustrebt und daß ich—vielleicht der erste aller Philologen—zu einer Ganzheit werde. Wie wunderbar neu und verwandelt sieht mir die Geschichte aus, vornehmlich das Hellenenthum! Ich möchte Dir bald einmal meine zuletzt gehaltenen Vorträge schicken, von denen der letzte (Socrates und die Tragödie) hier wie eine Kette von Paradoxien aufgefaßt worden ist und zum Theil Haß und Wuth erregt hat. Es muß Anstoß kommen. Ich habe bereits das Rücksichtnehmen in der Hauptsache verlernt: dem einzelnen Menschen gegenüber seien wir mitleidig und nachgebend, im Aussprechen unsrer Weltanschauung starr wie die alte Römertugend." — [Februar 1870]: Brief von Friedrich Nietzsche an Paul Deussen. |
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